Freitag, 30. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1591


   Der Dezemberanfang bietet zweierlei. Zum einen ein "normales" Gedicht, wenn man denn Thomas Reich mit dem Schimpfwort "normal" belegen will und - wie schon vorher angedeutet - den Beginn des lyrischen Adventskalenders. Der funktioniert ähnlich wie viele andere solche Kalender auch: man macht das Türchen auf. Nur muss man eben seinen Klick wagen auf den Kometen oder die 1 oder das Lichtlein ... und dann wird man zum Adventshäppchen weitergeleitet. 
Ach ja ... Nun muss ich doch eine Boshaftigkeit gegenüber dem Thomas loslassen. Sein "Verkehrsfluss" ist ein so richtig modernes Dichter-Befindlichkeits-Gedicht ... (ein Glück, dass ich so etwas nicht schreibe ... grins!)



Adventsfenster1




.Oops ... Darf man das Fensterchen nicht erst am 1. Dezember öffnen? Aaaaalso abwarten! Dafür geht die Wiederbegegnung mit einigen Helden aus dem "Planet der Pondos" weiter:

Slov ant Gali: Wo Bäume weinen (2)


Schon wieder glühende Eisen. Es stinkt nach verbranntem Fleisch. Überall Gelächter. Ein Schrei. Nein, kein lauter. Ein Kinderschrei, und gerade, weil ihm anzuhören ist, wie sehr sich das schreiende Kind gegen diesen Schrei wehrt, tut er so weh. Nein, es tut wirklich weh! Mir wird der Brand in den Hintern gedrückt ... Nein, nicht wieder dieser Traum!
Ich schnelle hoch. Mit einem Mal sind die Erinnerungen wieder da. Alle. Auch die frischen. Ich will mir nicht im Traum begegnen und nicht ...
Ein seltsames Gefühl an der Brust. Wie eine warme Wiese, die sich an mich schmiegt. Ich nehme alle Kraft zusammen. Die Augen müssen auf!
Ich fand mich in einem Raum mit mehreren betreten schauenden Menschen und Pondos. Ungefähr je zehn, und seltsamerweise sahen die Menschen mit ihren glatt geschorenen Schädeln unheimlicher aus als die fremden Wesen. Trotzdem bemerkte ich sofort den Jungen im Hintergrund, der sich zwar halb in der Gruppe versteckt hielt, mich aber so fasziniert anstarrte, als wäre ich sonst was für eine Erscheinung. Dabei spürte ich ja, dass auch ich diese Glatze hatte und also alles andere als sexy aussah. Ob es daran lag? Der Anblick war sicher ungewohnt. Komisch. So sehr mir der Junge auffiel und so sehr ich wusste, dass ich ihn vor kurzem noch gesehen hatte, ich konnte mich an keinen Namen erinnern. Onjas kleine Pranke löste sich von meinem Rücken, die Wiese von meinem Oberkörper. Überdimensionale Kugelaugen funkelten mir entgegen. Ein grüner Öko-Teddy, aus dessen Kuschelhaut zarte Pflänzchen zu sprießen begannen. Jetzt erinnerte ich mich. Ja, an diese Wesen hatte ich mich vor dem Start gewöhnt. Pondos oder Koom. Die Freundschaft zu Onja und warum sie so aussah, wie sie jetzt aussah. Ob Onja ahnte, woran ich gerade dachte? Bestimmt wollte sie auch nicht erinnert werden. Mein Blick fiel auf das Kästchen, das Onja um den Hals trug, den Translator. Hoffentlich erlöste der mich bald aus meiner Verlegenheit Und als hätte Onja meine Gedanken gelesen, sprudelte es aus ihr heraus – und danach aus dem Kasten: „Na, du hast uns aber einen Schreck eingejagt! Die anderen sind längst hoch. Bei dir ging die Anzeige immer wieder zurück, so als wolltest du ewig im Kälteschlaf bleiben und manchmal, als wolltest du gar nicht mehr ... Aber nun bist du ja wieder unter uns Lebenden.“
Ich versuchte ein Lächeln.
Und das ist toll, ja?“
Na, nun erzähl mal keinen Quatsch! Was sollten wir anfangen ohne dich!?“
Ich bin also wichtig?“
Und wie wichtig ...“ Plötzlich erkannte Onja das Schmunzeln, das ich nicht mehr zurückhalten konnte. Bevor ich etwas dagegen tun konnte, hatte ich einen Boxhieb auf dem linken Oberarm eingefangen. „Musst du mich gleich schlagen? Du siehst doch, dass ich mich noch nicht wehren kann.“
Eben deshalb. Aber vielleicht willst du wissen, was inzwischen passiert ist.“
Plötzlich fühlte ich mich wieder schlaff wie ein Ball, in den man hinein gestochen hatte. Ich ließ mich zurückfallen auf die Unterlage, die ich einmal nicht ohne Grund für einen Sarg gehalten hatte. Einen Moment schloss ich die Augen. Wie schön, dachte ich, einfach an NICHTS denken zu können, dann öffnete ich die Augen wieder, funkelte die Gruppe an, „Was glotzt ihr denn wie beim plötzlichen Abkratzen?“ Dann wandte ich mich an Onja: „Na, ich hab meine Neugierde noch im Griff, aber du quillst ja über vor Mitteilungsdrang... Also erzähl schon!“
Also, dass du eingefrostet warst, brauch ich dir ja nicht zu erzählen, und dass es bei deinem Auftauen Merkwürdigkeiten gab, weißt du jetzt auch. Und du erinnerst dich bestimmt an die Kari?“
Ich muss ziemlich blöd geguckt haben.
Na, da hat es dich ja wirklich ganz schön erwischt! Also, diese denkenden Krabbelviecher, die ihr Ameisen genannt habt. Die haben doch den ganzen Flug im Griff gehabt. Wenn du willst, kannst du ihre Verabschiedung im Speicher abrufen. ...



Donnerstag, 29. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1590


Zuerst einmal lasst mich das Thema von gestern noch einmal aufnehmen. Sicherheitshalber vorab der Hinweis, dass man bei "Streifenhemd" wirklich nicht gleich an Knastbekleidung denken sollte.
Na, habt ihr alle schon eure Adventskalender fertig? Also nicht gekauf, sondern angefertigt?! Vielleicht ist es doch eine Idee, an den folgenden Tagen einen Adventskalender am Rande der Literatur zu öffnen. Also mit Gedichten und Sprüchen und Weisheiten, bei denen Oma stutzte? Ganz ohne Risiko ist es nicht. So ist das ja auch bei den echten Adventskalender, dass manches Fenster nicht total lecker ist. Aber es ist doch einmal "was Anderes" ... Na, dann noch ein paar Gehirnjogging-Sprüche zum Novemberende: "Rede-Wendungen (4)" ...



Angedroht ist angedroht ... Wenn also einmal angekündigt ist, es folgt - und sei es nur zwischendurch - etwas Anderes als die nächste Fortsetzung von Teil 1 der sieben Kugeln, dann kommt das auch. Wieder etwas zum "Anfüttern": Das erste veröffentlichte SF-Buch war ja "Planet der Pondos". Dazu gibt es den Anfang einer Fortsetzung. Mit dem also geht es im Rest diesen Jahres weiter:


Slov ant Gali: Wo Bäume weinen (1)

Akustisches Tagebuch Uljana Silberbaum.
Stimmprobe vorliegend.
Zugangsbeschränkung: Generell privat.
Aufhebung Zugangsbeschränkung mit vorliegenden Stimmproben: Onja, Salio, Jenny, Xu-Li, Sarah, sofern sieben Tage keine Neueingabe erfolgt ist. Eingabeberechtigung: bei allen vorliegenden Stimmproben.
Abruf: Eingaben mit Stimmidentität.
Aufhebung aller Zugangsbeschränkungen: nach dreihundert Tagen ohne Eingaben.

Ja. Dann sind wir eh alle abgekratzt. Dann ist auch egal, was die von uns denken. Die, die dieses Voice-Blog finden. Sollen sie wenigstens wissen, was wir für welche waren und warum es schief gegangen ist. Nein, es darf nicht schief gehen. Ich mag auch noch nicht daran glauben. Ohne Katastrophe liest es ja kein Fremder. Nein: Hört... Ach, ist doch egal...
Also. Wie fängt man so ein akustisches Logbuch an? Normal wäre ein Datum. Haben wir aber nicht. So sehr ans Herz gewachsen ist mit der Pondoplanet nun doch nicht, um die Zeitrechnung von dort zu holen. Das wäre auch echt bescheuert. Wie lange wir vorher von der Erde aus unterwegs waren in diesem missglückten Kälteschlaf, ließe sich annähernd schätzen mit Sternbildvergleich und nachträglicher Geschwindigkeitskalkulation. Aber wie lange war der Computer defekt? Soll er das selbst berechnen, jetzt, wo e vielleicht funktioniert? So oder so kommt eine idiotisch große Zahl raus. Bleibt das einfachste, der Tag der Landung ist Tag 1 im Jahr Null.
Also blende ich auf den ersten Tag zurück.

Tag 1
Mein Aufwachen damals wünsch ich nur schlimmen Feinden, und das auch nur, wenn ich sie wirklich gerade hasse. Ganz dunkel weiß ich noch, wie ich voll gestopft war mit einander jagenden Monstertraumbildern. Fratzen erscheinen, lachende Fratzen, über und über bedeckt mit blütenlosem Wiesengras, nein, Disteln waren auch dazwischen, die gelacht haben. Fies gelacht ... Ich fliege durch die Luft, aber ich fliege nicht, Etwas hält mich fest. Ich brenne wie ein Feuerzeug und ich kann mich nicht bewegen. Ich möchte schreien vor Schmerz, aber ich will nicht und schon schreit eine andere Stimme. Ich erkennen sie nicht, aber ich weiß, sie gehört jemandem, den ich mag. Und dann endlich rufe ich „Mama!“ Und sie ist da! Meine Debbie! Und sie sieht noch so jung aus, ein Mädchen, würde ich sagen, und ich sehen mich im Spiegel ihrer Augen und ich bin ein Baby und sie cremt mich ein, gerade an der Stelle, die mir weh tut. Jetzt aber nicht mehr, jetzt ist alles gut. Gleich wird Debbie singen. Ich weiß das. Sie hat eine wunderbar warme Stimme, so eine hatte ich mir immer gewünscht, da dringt es zu mir durch:
Uli!“
Die Stimme kam nicht aus dem Traum. Gerade als er schöner wurde, drang jemand in meinen Traum. Lass mich in Ruhe, wollte ich der Stimme antworten, aber dazu war ich einfach zu müde, zu schwach ... nein, eigentlich hoffte ich, ich könnte einfach weiter schlafen ... weg mit dem Ruf. Die so mühsam verdrängten hässlichen Erinnerungen die durften in meine Träume, aber das Schöne von früher ... Eigentlich wusste ich schon, dass es vorbei war mit Schlafen. Ich lauschte. Summte da etwas? Nein. Neben mir knisterte etwas. Ich hatte das untrügliche Gefühl, als starrte mich die ganze Zeit jemand an. Warum will nur immer irgendwer was von mir?
Uli!“
Dieselbe Stimme. Vertraut. Angenehm. Ich wusste, dass ich den Menschen mochte, zu dem diese Stimme gehörte. Mensch? Aus irgendeiner Dunkelkammer der Erinnerung stieg ein seltsames Bild. Ein Wesen mit grüner Haut und so ein bisschen eine kleine Pflanze mit menschlich geschnittenen Gesichtszügen, aber abgemähtem Gras über der Haut. Oder sind das Blätter? Irgendwie ähnelt es den Monstern aus dem Traum. Und es hat ein seltsames Gerät in der Hand. Ich weiß, eine Waffe. Warum bin ich nur so wehrlos nackt? Träume ich nun einen neuen Traum. Wieder einen mit Monstern?. Trotzdem ist es zum Lachen. Ich stehe im Wasser. Diese Bewaffneten kommen näher. Meine Freunde! Ich muss sie doch warnen! Aber ich kann nichts machen. Ich will rufen, warnen, aber...
Uli!“
Warm klang die Stimme. Gleichmütig. Ruhig. Wie eine besorgte Freundin.
Onja?“
Ich hatte hatte die zwei Silben instinktiv geformt, noch bevor ich wirklich jemand erkannt hatte. Das Gehirn gehorchte mir noch immer nicht. Vor allem schien es mir verbieten zu wollen, die Augen aufzumachen. Aber die Stimme gab nun neue Laute von sich. „Na endlich! Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr zu dir!“ So befreit von einer großen Sorge klang das, dass plötzlich ...
...







Mittwoch, 28. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1589


Diesmal geht es relativ unpoetisch zu. Verantwortlich dafür ist zum einenThomas Reich, der seinem "älter werdenden" lyrischen Ich eine "Drecklese" verordnet.
Mir ist hingegen etwas für mich Seltenes passiert. Die Zeitungsablage zeigte mir zwei Titelseiten der "junge Welt" übereinander. An zwei Tagen nacheinander wurde über einen Brand in einem Bangladesher Textilwerk berichtet. Wieder einmal ein Hinweis darauf, warum ein Teil unserer Bekleidung so billig verkauft werden kann. Da konnte ich mich nicht zurückhalten und ein Gedicht drauf machen: "es brannte in bangladesh" ...


Ja, für über 100 Arbeiterinnen und Arbeiter bedeutete im konkreten Fall "Ausbeutung" praktisch den Tod.
Marie und Julia sind dagegen mit dem Leben davon gekommen. Deshalb wollte ich EIGENTLICH an dieser Stelle die Veröffentlichung des Romananfangs abbrechen ...


Slov ant Gali: Stochern im Nebel (50)


... Muss ich zugeben, wie fertig ich selber war? „Wieso hätte sie auch?“, antwortete ich. „Das ist alles so absurd, das sollten wir besser mit ins Grab nehmen. Im Moment hab ich gestrichen die Schnauze voll davon, die Welt zu retten. Scheiß Kantha Inar! Ein Haufen Verrückter stellt deine Diagnose aus: verrückt ...“ Ich hockte mich hin, legte Jule die Arme auf die Schultern, wartete schweigend, worauf auch immer. Sprach nach einer Weile weiter. „Ich hab alle Dateien aus dem Internet runtergeladen. Gelesen. Die Stelle, die mich vor kurzem noch so gefesselt hat, weil sie mir so prophetisch vorgekommen ist ... Weißt du, davor und dahinter klingt alles ganz anders. Echt versponnen. Total ernüchternd. Ich hab wohl genau jene Sätze herausgefischt, die zu diesen Ätzern passten. Und die andern vergessen.“
Wir schwiegen zusammen.

Dem Meister strömten die Jünger zu Tausenden zu. Sie verschwendeten das letzte Papier für Weltuntergangspamphlete und erklärten den Silitbrei zu einer ehrlicheren Welt, die unsere dem Untergang geweihte zu Recht ablöse.
Ein Glück, dass ich offenbar noch nicht ganz so abgedreht war. Trotzdem. Bei uns beiden war doch tatsächlich etwas Unerklärliches passiert … wenn auch nicht das, was dieser Prophet vorhergesagt hatte. „Ich begreif einfach nicht, wozu das Ganze gut sein sollte. Die Welt ist einfach nicht gerecht! Warum mussten ausgerechnet zwei wie wir das entdecken? Was man uns nicht glaubt. Logisch. Wir haben´s zwar erlebt, aber als mein eigener Vater hätt ich mich ausgelacht! Ich verfolg die Berichte und Karten, wie der Ätzerherd größer wird, und niemand weiß einen Weg dagegen – und wir wissen ihn und sagen ihn nicht, um nicht in die Klapse zu kommen! Krasser geht´s nicht. Und ich stell mir vor, was in den letzten Tagen schon für Storys ersponnen wurden und lehne unsere wahre ab. Ob wohl ordentliche Forschung ohne unsern Esoterik-Scheiß die Gefahr besiegen wird? Da möcht ich dabei sein. Stattdessen ärger ich mich wieder mit Chemie- oder Biolehrern rum.“
„Komm, reden wir nicht mehr davon! Das ist abgegessen.“
„Na gut.“ Ich lächelte wieder. „Du sollst auch mal das letzte Wort haben.“Womit ich es dann aber gehabt hatte. ...




Dienstag, 27. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1588

Also wenn das Ausgangslied "Just a dream" wäre, was für ein Traum wäre dann der "November"? Ein Albtraum? Ein Glück, dass das beispielsweise vonBrunhild Hauschild entschieden und auf eigene Weise "musikalisch" in Frage gestellt wird" Sie entrüstet sich nämlich über die Frage "Novemberblues?"

.So ist das: Es muss nicht immer das Erwartete heauskommen. Das ist im praktischen Leben so, in der Lyrik ... und in einem SF-Romanentwurf:



Slov ant Gali: Stochern im Nebel (49)


... Überrascht, verwirrt, nichts begreifend standen wir plötzlich zwischen lauter uniformierten Männern. Wurden gepackt. An den Armen gezerrt, weg von dem Weg, weg von den Ätzern, raus aus der Gefahrenzone. Schrien, schlugen um uns. Nein, wir versuchten es nur. Die Griffe waren zu fest. Unsere Füße hoben vom Boden ab.
„Seht doch hin! Es ist gelöst! Sie sind nicht gefährlich. Man muss nur spielen. Mit der Gitarre. Dann hören sie auf! Glitzern wie …“
Jule schimpfte. „Heh, hört ihr! Wir wollten nicht sterben. Wir haben dort niemand verloren! Wir haben nur …“
Wir verstummten fast gleichzeitig, sanken erschöpft zusammen, rührten uns nicht mehr. Die Beruhigungsspritzen wirkten. Die Gitarre blieb unbeachtet liegen.

Später, als ich dem Arzt von meinem Spiel mit der Gitarre erzählte, als ich erzählte, was ich selbst nicht verstand, dass also mein Spiel die Kraft der Ätzer für einen Moment überwunden hatte, war der Weg am Kienberg längst von gleichförmigem Silitbrei überschwemmt. Und mit ihm die Gitarre.
Man hatte uns zur Notbehandlung ins Krankenhaus Eberswalde geschafft. Der Aufnahmearzt lächelte mitleidig. „Soso, also eine Gitarre …“
Ich wollte ihn gerade anbrüllen. „Natürlich eine …“, da traf mich dieser Blick. Ich ließ mich ins Kissen zurück fallen. Sagte kein Wort mehr.
Schon am nächsten Tag wurden wir entlassen. Das Krankenhaus war überfüllt.
Wir hatten uns abgesprochen, nicht mehr von der Sache mit dem Gitarrenspiel zu erzählen. Sonst hätten sie uns vielleicht dabehalten. Uns fehlte doch nichts.
Jule versuchte es noch einmal bei der Zarge. Die hörte sie aufmerksam an. Dann sagte sie: „Ach, Jule, weißt du. Ich wünschte auch manchmal, dass sich Probleme so leicht lösen ließen.“
Wie zertrümmert hatte sich Jule danach bei mir ausgeheult. „Nicht einmal die glaubt mir!“ ...




Montag, 26. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1587


Im Moment kann ich nur hoffen, dass dieses Blog gerade nicht von Teens heimgesucht wird. Sie könnten mich dieser Schändungen wegen lynchen. Dabei sollten die beiden Gedichte eher als Hohelied auf die Zeitlosigkeit der Unvollkommenheit von Liebesliedern dienen. Aber warum musste ich nun ausgerechnet DAS eine nehmen? Und so? Ganz einfach: Mir hat´s gefallen. Undzwar ... in beiden Versionen ...
"Just a dream" genauso wie "Just a dream O-Ton", was eigentlich an erster Stelle genannt werden müsste ... Und hier ist ja vieles experimentell ...



Wenn ich es richtig sehe, ist das Nelly-Original bei youtube trotz deutschen Abspielverbots mit über 133 Millionen Aufrufen nun Titanic-konkurrenzfähig - ähnlich dem Cover mit etwa der Hälfte. Beeindruckend, wie durch die verschiedenen Interpretationen bei gleichem Text und prinzipiell gleicher Melodie gegensätzlicher Lieder herauskommen ... Bei Marie und Julia steuert allerdings alles auf eine Interpretation hinaus ...


Slov ant Gali: Stochern im Nebel (48)


Inzwischen drehte ich mich wieder langsam im Tanz. Sah Jule vor mir, wieder nicht, wieder ja. Sah sie stehen - wie eingefroren in einen Albtraum. Sah, wie sie mich anstarrte. Hilflose Angst in den Augen. Nur noch Sekunden und die Ätzer hätten mich erreicht. Jule wollte etwas rufen. Oder mich schlagen, damit ich endlich zu mir käme. Ganz deutlich sah ich ihr das an. Sie war so bedauernswert unentschlossen … Oder?
Da stoppte ich. Zitterte.
Was war das? Was hatte Jule? Ihr Blick ging ja an mir vorbei, durch mich hindurch. Hatte auch sie die hypnotische Kraft des Fremden erfasst? Ja, das musste so sein, aber irgendwie …
Ich hörte auf zu spielen, zu tanzen. Rief Jule an, fast schon wieder ich selbst: „Was ist? Hey? Hallo? Siehst du Gespenster? Hey, ich bin´s! Ich leb noch! Is ja schon gut, ich hab mich nicht verändert. Komm, vergiss Kantha Inar!“
In Zeitlupentempo streckte Jule ihren Arm aus. Sie deutete auf die Front der Ätzer. Ich drehte mich um, suchte, was sie so verwirrt hatte. Stutzte. Wollte nicht glauben … Fragte leise, fast furchtsam: “Du meinst …“ und Jule antwortete: „Na, guck doch hin!“
Normalerweise antworte ich auf so was 'Was meinst du, was ich die ganze Zeit mache?', aber diesmal stierte ich weiter ungläubig auf das Gras. Ich stand ja fast schon in der Mitte eines Halbkreises! Ohne Jule wäre mir das vielleicht nie aufgefallen. Um mich herum hatten die Ätzer-Tropfen zuerst die Gräser gefrostet wie an den anderen Stellen. Dann aber musste sie etwas gestoppt haben. Die Tropfen waren selbst erstarrt. Mein Halbkreis war ein Stück Eisblumenwiese. Überall sonst überschwemmten die Ätzer mit ihrem Brei den Weg.
Jule flüsterte: „Spiel weiter! Bitte, spiel weiter!“
Ich schaute sie zweifelnd an. „Du meinst wirklich, ich …?“
„Was denn sonst?“
Hektisch versuchte ich, das Lied zu wiederholen. Es war weg! Was sollte ich tun? Eine neue Melodie improvisieren? Es wollte einfach nicht gelingen. Mein Lied war weg, alles war weg! Ich rang der Gitarre nur ein Wimmern wie unter Schmerzen ab. Es musste doch so schnell gehen!
Endlich ein einfacher Rhythmus. Ich richtete die Gitarre wie eine Maschinenpistole auf die Tropfen. Hinter mir deutete Jule auf den erstarrten Wiesenabschnitt: „Da! … Guck doch! Und da! …“
Ich schlug in die Saiten wie besessen. Nein, nicht mehr unter der Wirkung irgendeiner fremden Kraft, sondern im Rausch der Freude über einen unerwarteten und unverständlichen Sieg. Es ging, es ging!
Wir merkten beide nicht, dass fünf Soldaten durch das Unterholz auf uns zu stürmten. ...





Sonntag, 25. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1586


Ja, man kann vieles aus Redewendungen machen. Der heutige Tag wird also zum Rede-Wendungs-Tag erklärt. Man kann natürlich versuchen, sie in Gedichchen zu verwandeln, noch dazu, weil einige schon im Original Reime enthalten. Daran machte sich Brunhild Hauschild mit ihren "Sorgensprüchen".
Gunda Jaron zeigte mir, dass auch ihr das "Rede-Wendungen"- Spiel Spaß macht ...
Na und mit "Rede-Wendungen (3)" möchte ich beweisen, dass mir nicht nur ganz wenige Ver-Sprechungen einfallen ... wobei natürlich die empfundene Qualität nicht immer gleich ist ...



Gehirn-Jogging ist etwas, was man zum Schreiben einfach braucht. Sich eine Aufgabe stellen und mit ihr spielen. Die Fantasie ausprobieren. Was geht? Was wird davon angenommen.
Es kann sein, dass bei dem SF-Roman-Projekt die Marie einfach zu viel des Guten gewagt hat ... aber nur wer wagt, (grins: Jeder weiß, dass im Originalspruch "gewinnt" folgt ...)



Slov ant Gali: Stochern im Nebel (47)


... Ein richtiger Fluss blauer Lava. Mir war zum Baden zumute. Verrückt. „Bizarr! Einfach bizarr! Was meinst du, Jule, wollen wir so sterben?“
„Spinnst du, Marie? Hör endlich auf damit!“ Jules Stimme überschlug sich fast.
„Schon gut! Reg dich ab!“
Ganz hatte mir dieses Etwas den Verstand noch nicht abgeschaltet. Er warnte mich noch. Das war ja kein irrer Film. Das war real. Trotzdem so was von harmlos. Wenn man nur guckte, beinahe niedlich. Unwirklich vor allem. Selbst Jule kam näher heran. Ich spürte sie hinter mir. Spürte, sie hatte irgendwie den Moment verpasst, an dem sie mich hätte festhalten können. Hörte sie keuchen, und da besiegte mich ein Rausch. Ich konnte einfach nichts gegen den Sog ausrichten. Begann zu tanzen. Drehte mich im Kreis. Konnte kaum noch etwas sehen. Nur noch Jule, die mich entsetzt anbrüllte: „Bist du übergeschnappt? Vergiss deinen Meister ...“ Ich drehte mich einfach von ihr weg.
Die ersten Tröpfchen waren auf einen halben Meter heran. Zu Jule vielleicht eineinhalb Meter.
Was sang ich da überhaupt für einen Quatsch?
„Weißt du, ist das nicht schön?
Da ist der Tod. Wir könn´ ihn sehn,
nicht verstehn.
Alles irdisch Jammertal
war einmal.
Ende. Alle Not vorbei –
Was einmal war, es ist einerlei.
Für die Bäume, Pflanzen, Tiere ists wie immer –
gar nicht schlimmer.
Wissen nichts vom großen Brei
Tod macht frei.
Deshalb haben sie vom Glück
auch das allergrößte Stück.“
Plötzlich rief ich mit veränderter, mir selbst fremder Stimme: „Jetzt lass mich das mit der Gitarre ausprobieren! Mal sehen, ob wir in kosmische Sphären aufsteigen.“
Jule kreischte: „Marie, komm! Wir wollen gehen! Wir haben gesehen, was wir wollten. Wir können jetzt nach Hause. Wir …“
Aussichtslos. Auf meinen Lippen lag dieses Lied, das ich noch nie zuvor gehört hatte. Als ob eine fremde Kraft mir Reime in den Mund legte. Etwas trieb mich, Jule mein Gefühl zu erklären: „Ich bin nicht ich. Das ist unheimlich. Schrecklich und schön zugleich. Ich kann mich wie eine Fremde sehen. Ich greif in die Saiten, ich kenn´ das Lied nicht. Ein wunderschönes Lied, ein wunderschöner Tanz. Wären nur nicht die tödlichen Tropfen so nahe! Ich will mich ja wehren. Es fällt mir nur so schwer. Sind das die sphärischen Klänge?“ ...




Samstag, 24. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1585


Vor Jahren hatte die Autorengemeinschaft "Fensterblick" einmal ein Programm zur Bundestagswahl auf die Beine und Bühne gestellt. Mein Kabarettisten-Schicksals-Gedicht "Im Kreise lachender Weise" hätte gut hineingepasst und wird noch eine Weile "stimmen". Leider kann einem bei diesem "Ernst" das Lachen vergehen.
Versuchen wir´s mit einer Fingerübung?! Gunda Jaron hat eine "verschluckt". Sie wird sicher weiter dran arbeiten. Sie fragte mich, was ich davon hielte? Ich machte einen konkreten Vorschlag, der aber nicht ganz durchzuhalten war. Ahnt jemand welchen? Tipp: Immer auf die Einheit von Inhalt und Form achten bedeutet u.U. auch, dass ein einfaches Gedicht sich an einer nicht so einfachen Form verschluckt ... (Übrigens: In einem SOLCHEN Gedicht kann man das Wort darin, das sich nicht reimt, so aussprechen, dass es sich reimt ...)



Es ist eine mitunter eben schmerzliche Weisheit, dass man aus Fehlern am besten lernt - sogar aus Fehlern anderer, wenn man sich nicht in Schadenfreude verliert. Die beiden Mädchen aber nähern sich einem Punkt, an dem sie später jemand anderes als "Lehre" dienen ...
.

Slov ant Gali: Stochern im Nebel (46)


... „Die kreisen über dem Katastrophengebiet. Wär ja möglich, dass Verrückte sich in Gefahr bringen.“ Ich grinste, stieß Jule in die Seite. Aber die ließ sich einfach nicht aufmuntern. Glaubte die wirklich, ich hatte keine Angst?
Wir waren nur etwa hundert Meter Luftlinie von der Kienbergspitze entfernt. Standen an einer Gabelung. Der linke Pfad führte bergauf. Wir nahmen den asphaltierten Wanderweg rechts um den Hügel herum. Von den fehlenden Menschen abgesehen sah alles genauso aus, wie es eben in einem stadtnahen Erholungsgebiet aussieht. Asphaltiert für ältere Leute zum Spazieren im Grünen.
Endlich der Blick ins Wuhletal. Richtiger auf das Feld, das vor Tagen noch das Wuhletal gewesen war. Das Erste, was mir auffiel, war die freie Sicht. Kein Hochhaus, kein Plattenbau, kein Baum oder Strauch. So weit wir sahen, nichts als eine glatte Fläche. Allein an ihren Rändern brodelte es. Ansonsten ödes, totes Graubraun. Die Wuhle verschwunden, die Froschteiche … Die waren noch ein paar Tage zuvor der Stolz der Hellersdorfer Naturschützer gewesen. Alles zur Breiwüste eingeebnet.
Neben dem Weg zog sich ein Graben hin. Umwuchert von dunkelgrünen Gräsern und Schilf bis hoch auf die etwa drei Meter breite Böschung. Wir starrten noch die fremde Landschaft vor uns an, entsetzt, verwundert, überrascht, wie auch immer, hatten noch nicht richtig begriffen, was gerade passierte, da überwand die zähflüssige Masse die Sperre am Teich. Der Weg in den Graben war frei. Schnell schob sich der Silitbrei vorwärts. Die Ätzertropfen an seiner Spitze hüpften hin und her, als freuten sie sich über so viel frische Nahrung. Ich hatte den Asphaltweg verlassen, stand auf der Böschung, sah den Fluten zu. Jule war oben stehen geblieben.
„Faszinierend!“, flüsterte ich, mehr für mich selbst. Wie mich dieses Schauspiel faszinierte: Die Tropfen an den Rändern funkelten in verschiedenen Blautönen. Sie hüpften in alle Richtungen wie Wasser, das aus großer Höhe auf eine glatte Fläche fällt. Grashalme, die sie berührten, erstarrten nach kurzem Aufschäumen. Zuerst verschwand das Grün. Die Halme verwandelten sich in glitzernde Eisblumen. Kurz darauf schmolzen sie zu grauem Brei zusammen. Lautlos. Geruchlos. Als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Kalt. Die Sonne wärmte mit voller Kraft. Wir merkten es nicht.
„Das war ´s dann also.“ Ich hockte mich hin. Vielleicht einen Meter von mir entfernt bahnten sich die hüpfenden Tropfen ihren Weg im Grabenbett.  ...



Freitag, 23. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1584


Gelegentlich wird man sich auch einmal auf die Schultern klopfen dürfen: In der Anthologie "Lyrischer Lorber 2012" sind wir zumindest zu dritt vertreten.
Da wäre zum einen Gunda Jaron mit "Randfigur", zum zweitenThomas Reich mit "Strömung" und Slov ant Gali mit "Lass mich dir lormen". Nur so zur Erinnerung: Die Randfigur Gunda Jaron konnte natürlich nicht schon wieder einen der Edel-Lorbeeren einheimsen ...
Auf jeden Fall ist das ein Grund, an diese hier schon veröffentlichten Gedichte zu erinnern.



.So begegnet man sich wieder - jeder mit eigenen Wegen, jeder mit eigenen Tönen. Wobei die Gemeinde der Lyriker sowieso nicht zu riesig ist ... wenn auch nicht so klein wie die der Verrückten, die einer Katastrophe entgegen ziehen, anstatt ihr so fern zu bleiben wie irgend möglich:


Slov ant Gali: Stochern im Nebel (45)


... Mitunter musste ich Jule ganz plötzlich packen, auf den Boden schleudern, mit ihr an schwer einsehbare Stellen rollen. Das alles mit Gitarre und Kleid. Nicht, dass ich meinen Aufzug bereut hätte. Sich an den Boden und Jule ankuscheln, warten, lauschen, weiterschleichen, Jule hinter mir. Das alles zusammen machte die Sache erst richtig kitzlig.
Inzwischen lungerten an allen Kreuzungen Streifen, die die leeren Straßenzüge musterten.
„Eine tote Stadt.“ Ich lächelte dabei. Höchstens ein klein wenig verkrampft. „Wo kriegt man das sonst zu sehen.“
Jule sah mich schaudernd an. Nein, nichts verriet, ob ich das ernst meinte. Hoffte ich zumindest.
Unentdeckt erreichten wir den Blumberger Damm. „Scheiße!“, knurrte ich, „Hier biste ja kilometerweit aufm Präsentierteller.“ Eine schrecklich breite Straße. Und wir mussten auf die andere Seite. Drei Jeeps näherten sich. Fuhren vorbei. Entfernten sich wieder. Aber selbst, als es schon wieder völlig still war, blieb ich regungslos liegen. Konzentrierte mich. Ganz plötzlich stand ich auf und putzte mich seelenruhig ab. „So, jetzt aber los!“
Endlich drüben klärte ich Jule auf: „Wir müssten bald da sein. Nur noch durch die Gärten der Welt, den chinesischen Garten, und hinter dem Kienberg kommt schon das Wuhletal. In dem Erholungsgebiet gibt´s keine Häuserblocks. Wahrscheinlich auch keine Streifen mehr. Irgendwo dahinter wüten diese Tropfen. Und jetzt über den Zaun!“
Jule sah sich unsicher um. „Na gut“, brummelte ich, „dann eben nicht!“ Ich lief also die etwa 100 Meter weiter bis zum Pförtnerhäuschen. An dem verlassenen Drehkreuz blieb ich stehen. „Aber auf der Rückseite müssen wir wirklich übern Zaun. Guck dich schon mal nach einem Knüppel um. Wir wolln es nicht drauf ankommen lassen.“
Im chinesischen Garten herrschte gespenstische Stille. Kein Laut. Kein Vogel, kein Summen, nichts. Nur das Echo der eigenen Schritte. Eine krasse Spukatmosphäre – und das mitten am Tag. Wobei ich zugebe, dass ich auch keinen Blick für das Chinesische an dem Garten hatte.
Wieder eine Störung: Ganz langsam schwoll ein fernes Brummen zum Dröhnen an. „Hubschrauber!“ Uns blieb nur ein Teehaus als Versteck. Ich drückte Jule an mich. “Wir sind jetzt fast da. Meinst du, ich lass mich so dicht am Ziel noch aufgreifen?“ Wir rührten uns nicht. Es dauerte lange, bis es wieder ruhig war. Jule roch leicht nach Angst. Ich spürte aber, wie ihr Herzschlag langsamer wurde. ...




Donnerstag, 22. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1583


Ich wurde gerügt, den 9. November nicht genügend beachtet zu haben. Da damit nicht der Tag des "Mauerfalls" gemeint war, verstand sich von selbst. Es ging also um den Tag, an dem erstmal deutsche Massen in einen braunen Mob verwandeltzur Plünderungsschlacht durch die Gassen zogen. Nachdem sie sich auf die Juden hatten hetzen lassen, war dann bald Europa dran. 
Immerhin aber habe ich meinen Beitrag eingereicht in "Worte gegen Rechts" von ver.di, der letztendlich den Titel "Kehricht" bekommen hat, aber ich habe ja auch früher von den rassisch-nationalistischen Dumpfköpfen halte:


Denken hilft! hätte ich unter alles schreiben wollen ... aber bei manchen hilft es eben nicht mehr. Da ziehe ich Querdenkerinnen wie Marie vor ... auch wenn dabei zwischendurch merkwürdige Blüten ins Kraut schießen ...
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Slov ant Gali: Stochern im Nebel (44)


... „Die denken, sie könnten die Menschen zu ihrem Glück zwingen.“ Kopfschüttelnd sah ich den Bussen nach. „Is doch so was von sinnlos. Entgeht ja sowieso keiner seinem Ende.“
„Ich hatte Panik erwartet. Flüchtende Massen. Stattdessen werden sie mit Knastbussen weggeschafft.“ Auch Jule waren die Bilder nicht geheuer.
„Die Fluchtwelle ist ja schon raus. Was weiß ich, warum jetzt überhaupt noch Menschen da sind, zumindest normale.“
„Das musst du gerade sagen“, brummte Jule.
„Wieso? Hab ich je behauptet, normal zu sein?“ Ich lachte. „Dann wär ich ja wohl nich hier. Würd brav in meinem Kaff warten. Oder mich evakuieren lassen, wenn das irgendein Kommandant so anordnet. Bloß, um paar Tage später trotzdem zu sterben. Pass lieber auf: Wenn die uns mit den Normalos zusammensperren, dann war die ganze Tour umsonst.“ Aber, ehrlich gesagt, war mir allein schon die mehrspurige Straße nicht geheuer, die so verlassen nackt neben uns lag. Tot. Immer unruhiger suchte ich nach einer Abzweigung auf eine Nebenstraße. Zumindest die Gefahr einer Kontrolle war dann kleiner. Aber es wären natürlich zusätzliche Kilometer gewesen.
„Und was ist, wenn die Prophezeiung nichts als Zufall war?“ Jule klammerte sich jetzt an meinen Arm.
„Hast immer noch nicht aufgegeben?“ Ich brummte unwillig. „Na ja, was willst du? Dann sterben wir eben. Die andern ja auch. Aber wir haben uns bewegt. Das ist immer besser. Du kannst ja immer noch umkehren.“
Jule war tatsächlich unschlüssig stehen geblieben. Schwankte, ob sie weiter mitgehen sollte. Sah sich suchend um. Gerade in diesem Moment war weit und breit kein Menschzu sehen außer mir. Ich war nun schon fast 50 Meter weiter und tat so, als interessierte ich mich überhaupt nicht für sie.
„Marie, warte!“ Endlich rannte Jule los. Ich ließ sie aufschließen, atmete auf. Ohne sie anzusehen, legte ich ihr einen Arm auf die Schultern. „Alles klar?“
Als Antwort ging Jule etwas schneller.
An der Landsberger Chaussee durchkämmten Soldaten die Häuser. „Da nehmen noch andere außer uns die Evakuierungsbefehle nicht ernst.“ Jule lächelte. Ich natürlich auch.
Wir kamen Hellersdorf immer näher. Jule murmelte: „Ich weiß, ich nerve. Aber noch können wir umdrehen.“
„Das kannste aber laut sagen! Du nervst wirklich. Wir ziehen das jetzt durch und Schluss!“
Die Mühen der Soldaten, das Gebiet abzuschirmen, stachelten mich erst richtig an. Immer wieder Hinhocken oder Hinwerfen, von Deckung zu Deckung vorwärts. ...

Mittwoch, 21. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1582


Kennen heute noch alle die Redewendung vom "Leben wie die Made im Speck"? Die sollte man in Hinterkopf haben, Heinz Ehrhardt schadet nichts und Mädchen kann sowohl die künftige Frau geheißen werden als auch die kleine Made ... Vielleicht hat es nicht funktioniert, aber ein Versuch war´s wert: "Madig gemacht ..."
Weiter im Hirn-Jogging mit "Rede-Wendungen (2)". Wenigstens bei einem der Sprüche ergibt sich eine makabre Lösung, wenn man gedanklich das "Original" danebensetzt ...



.Unterwegs in die Erwachsenenwelt sind auf ihre Weise die kleine Made aus dem Gedicht und die beiden Mädchen auf ihrem Selbstfindungstrip. Allerdings ist das, was Marie da ihrer Freundin aufbürdet, mehr als riskant ... man könnte auch sagen leichtsinnig (das zeichnet sie insgesamt aus ...)


Slov ant Gali: Stochern im Nebel (43)


... Ich antwortete so leise, dass es Jule kaum hören konnte: „Weiß ich, was ich glauben soll?“ Und dann lauter: „Aber wenn wir einfach abwarten, bis dieser Brei Eberswalde überschwemmt, erfahren wir es nie. Das könnt ich mir nicht verzeihen.“ Und nach einer Pause viel lauter: „Weißt du, dass die Welt am Ende ist, so oder so, das glaub ich schon. Genau deshalb werd ich ja nicht weglaufen. Und du kommst mit!“
Damit wandte ich mich wieder dem Weg zu. Das war auch nötig. Wir erkannten gerade noch rechtzeitig vor uns Soldaten am Straßenrand. Die waren schon auf uns aufmerksam geworden. Eine Personenkontrolle. Als ob wir uns das Leben nicht allein schwer machen konnten. Glücklicherweise bog gerade rechts ein Trampelpfad von der Straße ab. Der wurde unserer. Schade! Diese Abzweigung bedeutete Wandertag bis zum Geht-nicht-mehr. Wahrscheinlich lauerten mehrere Kontrollen hintereinander. Also waren Hauptverkehrsstraßen tabu.
Abends, am Waldrand, klopfte ich Jule auf die Schultern: „Immer nur Ruhe und keine Action, das ist doch müde. Können wir später noch genug haben. Wenn wir dann noch leben sollten. Jetzt muss es brummen.“ Dann packte ich die Gitarre. Sang irgendwas und ein wenig falsch. „Ja, guck nur!“, antwortete ich auf Jules irritierten Blick. „Ich muss schließlich üben.“

Ausgeschlafen hatten wir nicht, morgens um halb fünf. Aber wir zogen weiter, und ich fand immer wieder Schleichpfade. Vielleicht ahnte Jule, wie weit es noch war. Fragen mochte sie aber nicht. Trottete einfach mit. Wunderte sich, als wir in Karow direkt zum Bahnhof liefen, keine Kontrolle da war und die Bahn Richtung Zentrum tatsächlich nach Fahrplan fuhr.
„Wenig zu sehen vom großen Grauen.“ Ich lächelte zum Fenster hinaus.
„Warts nur ab“, antwortete Jule, und in ihrer Stimme lag so viel Angst, dass sie nicht wagte, mich anzusehen. Ich merkte es trotzdem.
Die Ringbahn fuhr noch. Als wir allerdings am Bahnhof Frankfurter Allee weiter nach Hellersdorf umsteigen wollten, standen wir vor einem vergitterten U-Bahn-Eingang.
„Wenn du denkst, ich frag jemanden und mach auf uns aufmerksam, dann hast du dich geschnitten. Die zehn Kilometer könn wir auch noch laufen.“
Aber gefährliche Kilometer! Wir hatten erst einmal keine andere Möglichkeit, als am Rand der Hauptstraße entlangzulaufen. Dabei würde uns hier mit Sicherheit keiner mitnehmen, aber sehen konnte man uns von weitem, und mit Posten war auch zu rechnen. Jule suchte nach ersten Zeichen der Katastrophe. Vorerst entdeckten wir weder Patrouillen noch Ätzerfelder. Die ganze Gegend schien irgendwie ausgestorben, kaum ein Fahrzeug kam uns entgegen. Einmal drei Busse hintereinander. Die Passagiere darin waren umgeben von Bewaffneten. ...



Dienstag, 20. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1581


Heute geht es relativ tierisch zu. Da entdeckt "Katerle" ein Dating-Portal im Internet mit allem, was dazugehört.
Dann gibt es eine erste Übung für Fantasie-Sprünge. Hierbei werden aus allgemein bekannten Redewendungen mehr oder weniger bekannte oder überraschende "Rede-Wendungen (1)". Solche Spiele sollte jeder einmal probieren. Also einen Ausdruck wörtlich nehmen oder ihm einen anderen Sinn unterlegen oder einfach sprachlich hinterfragen, was so alles als "weise" akzeptiert wird. Glück hat man dabei, wenn das Ergebnis als "komisch" durchgeht ...



.Hier habe ich in den Randzonen der Poesie herumexperimentiert. ...TIERT eben.



Slov ant Gali: Stochern im Nebel (42)


... Die aber, die die Saiten der Ewigkeit im Angesicht des Endes ringsum zum Klingen bringen, werden ausgenommen sein von der Endlichkeit unwürdiger Körper. Sie werden erleben, was sich kleinen Geistern nie erschließen würde.“ Ich schleuderte den Apfelgriebsch weit aufs Feld, stand wieder auf und steckte das Büchlein zurück in den Rucksack. Jule hatte gerade noch den Titel lesen können. Der Anfang im Ende.
„Klingt echt irre, oder? Und nun stell dir vor, ich seh die ersten Clips von Berlin auf dem Bildschirm! Voll getroffen! Genau wie in dem Buch! War mir komisch! Als hätte Kantha Inar wirklich alles vorher gewusst und wollte mir was sagen! Von wegen, es sei nur wenigen vergönnt und ein jeder müsse den Weg allein für sich finden. Deshalb musste ich los. Dass es in Begleitung einer Lehrerin wie der Zarge nicht funktioniert hat, war der letzte Beweis.“ In dem Moment hob ich die geöffneten Hände zum Himmel wie die Prophetin, die gerade das Wort Gottes empfängt.
Jule fing an zu lachen. „Daher also die Gitarre! Die Saiten der Ewigkeit … Mann, bist du durchgeknallt! Und dein Fummel? Nimmt man bei so was nicht wallende weiße Gewänder … und eine Harfe wie in Griechenland?“
Ich sah sie vorwurfsvoll an und schüttelte den Kopf. „Dafür hab ich dich nun eingeweiht? Veräppeln kann ich mich allein. Und das nennt sich nun beste Freundin! Mensch, wach auf! In ein paar Tagen ist alles hier öde Breiwüste. Niemand wird mehr herausfinden, wo du verschwunden bist.“
„Marie, ich …“ Was hätte Jule sagen sollen? Sollte sie darauf herumreiten, dass sie mich mal wieder für verrückt hielt? Unter anderen Umständen hätte sie es bestimmt getan. Aber die Ätzer existierten, und sie gingen genau so vor, wie dieser komische Guru-Meister es beschrieben hatte. Jule zuckte also mit den Achseln, sah mich nicht an und lief weiter.
Zurück zur Straße. So viele Kilometer laufen, das war nun nicht das reine Vergnügen. „Komm lieber! Wir haben noch viel vor uns.“ Aber schon hundert Meter weiter fing Jule von vorn an: „Glaubst du denn wirklich, dass das ausgerechnet eine Prophezeiung für uns ist?“
Was hätte ich darauf antworten sollen? Wie ist das denn mit dem Glauben und dem Verstand, der dir etwas Anderes sagt? ...



Montag, 19. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1580


Wenn ich´s recht bedenke, hätte mein Lyrik-Lehrer mir dieses Thomas-Reich-Gedicht mit einer Anmerkung zurückgegeben: Viele kluge Metaphern, aber überlege sie dir noch einmal. Würde man dich z.B. als Haifisch in Chlorwasser schwimmen lassen? Was wärst du außerhalb des Beckens? Stimmt dein Bild, wenn du dir nur vorstellst, du wärest ein Hai, bist es aber nicht? Nun kann sichThomas Reich natürlich herausreden, dass er mit "Haifischbecken" solche Überlegungen anregen wollte, aber das wäre eine besondere Form der Kreativität ...
Mit "Dichters Leehre" stand ich vor einem Problem von Inhalt und Rechtschreibung: Ich wollte Leere UND Lehre zugleich schreiben. Hätte ich es so, wie ich es dann gemacht habe, nicht tun dürfen?



.Weder mit Leere noch mit Lehre hat der Beginn von Maries und Julias großem Abenteuer zu tun:

Slov ant Gali: Stochern im Nebel (41)


... Schließlich hielt es Jule nicht mehr aus: „Also, hättest du nicht wenigstens deinen Aufzug etwas abgrellen können? Musst du denn immer auffallen? Mit Kleid!? Und wozu die blöde Gitarre? Mich lässt du lauter schweres Zeug schleppen. Anstatt den Proviant besser aufzuteilen. Und überhaupt: Denkst du wirklich, wir schaffen die ganze Strecke zu Fuß?“
Ich lief mit gleich bleibendem Tempo weiter vor ihr her. „Fertig? Ich frag mich ja, warum du mitgekommen bist, wenn du nur meckern willst. Außerdem: Wär ich dir im Kampfanzug lieber? Ich mir nicht.“ Dass ich gehofft hatte, mit Kleid eher mitgenommen zu werden, verschwieg ich lieber. Jule hatte sowieso immer Schiss. Männer waren Schweine und Kraftfahrer sowieso.
Jule rannte ein Stück, holte mich ein. Eine Weile lief sie neben mir her. Schwieg. Fing wieder an. „Wolln wir nicht lieber umdrehn?“
„Kannste ja machen. Aber komm mir nachher nich angeflennt. So was wie das gibt´s nur einmal im Leben. Und jetzt verrat´ ich´s dir: Ich weiß genau, was ich in Berlin will. Darüber konnte ich nur noch nicht reden. Nicht mal mit dir. Obwohl … Wir haben bisher immer alles gemeinsam durchgestanden … Also gut. Stell dir mal vor, jemand sagt dir, nur die, die im Angesicht des funkelnden Todestanzes singen und spielen, werden in die kosmische Dimension eingehen. Was würdest du denken?“
„Dass er spinnt. Wieso?“ Jule sah mich an, als bekäme ich gerade grüne Flecken im Gesicht. „Hört sich ganz schön bescheuert an.“
„Siehste! So ungefähr hatte ich mir das gedacht.“
„Und weiter? Was soll mir das sagen? Gerade jetzt?“
An einem Feld entlang führte ein Trampelpfad weg von der Straße. Ich sprintete einige Meter und warf mich neben den Stamm einer Pappel. Pause. Genüsslich biss ich in einen der Proviantäpfel. „Hast du schon mal von Kantha Inar gehört? Dem Meister?“
Jule setzte sich neben mich. Schüttelte den Kopf.
„Ich auch erst nich. Dann hab ich vor ner Weile seine Prophezeiungen in die Hände bekommen. Also lange bevor hier alles losging. Da hab ich ja gezweifelt wie du. Nur so aus blanker Neugierde hab ich alles mal überflogen und wieder weggelegt. Und dann kommt das so im Fernsehn. Spritz dir das mal an die Wand: Der Kantha hat doch damals schon genau beschrieben, was die Menschheit verschlingen würde!“ Ich holte ein kleines, zerfleddertes Büchlein aus der Tasche und schlug es auf. „Hör dir das mal an: Es wird ein Brei sein. Und an seinen allseitigen Zungen werden Tropfen blinken, die lustig tanzen und jeden anspringen, der ihnen ungläubig begegnet. Nach ihnen wird nichts sein als getrocknete Kruste eines Erdkörpers, der endlich überdrüssig ist, weiter die faulen Früchte menschlichen Machtstrebens auf seiner Haut zu erdulden.“
„Okay, bisschen quer, aber treffend. Ich hätts anders ausgedrückt. Nur was hat das mit deiner Gitarre zu tun?“ fragte Jule.
„Warts nur ab! Es geht ja noch weiter: ...


  

Sonntag, 18. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1579


Auf der einen Seite ein typischer Thomas Reich ... und ich musste zugeben, dass ich den Ausdruck "Sumpfhaare" bisher noch nicht kannte (!) ... auf der anderen Seite erweist es sich letztlich als ein Liebesgedicht mit neuem Klang. Wenn ich´s bedenke ... die dicke Speckschutzhaut der Robben ist in "Geschmacksrichtung" allerdings "vergessen" worden ... Gut, jedem ist überlassen, ob es seine Geschmacksrichtung ist ...
Ob uns beiden wohl mit "hypnose" zu helfen ist? Die Mauer ist doch da ... welche Mauer?!


.Ist´s gut, ist´s Scharlatanerie, die sich als Gedicht ausgibt? Allein die erzählte Geschichte, die folgt, verrät ... nein, in Wirklichkeit auch nur eine Oberfläche. Dafür hat nunmehr das entscheidende (?!) Kapitel begonnen:

Slov ant Gali: Stochern im Nebel (40)


... Mit zwei Koffern tauchte sie auf Näswerder auf. Es wäre leicht gewesen, sie dort aufzuspüren, nur hatte Jens gerade zwei Tage zuvor bei den Näsies herumgefragt und da hatte niemand etwas von ihr gehört. Die Agentur in Berlin schloss. Dort hinterließ Lisa, sie würde sich wieder melden. An eine amtliche Ummeldung dachte sie diesmal nicht. Eigentlich müsste ich sagen, selbst Lisa dachte diesmal nicht an solche Bürokratie. So fand Jens zwar Unterlagen über ein ausgiebiges Wanderleben, aber das Haus, in dem sie jetzt angeblich wohnte, gab es nicht mehr.

 Gitarrenzauber

Ein Kleintransporter nahm uns mit bis Biesenthal. Der Fahrer war zwar etwas aufdringlich und in seinem Gequatsche kaum zu bremsen, aber eigentlich ein netter Typ. Wir winkten ihm freundlich hinterher. Ein gutes Omen, dass wir so schnell vorangekommen waren. Mehr als die halbe Strecke. Ich hoffte insgeheim, ganz bis nach Berlin mitgenommen zu werden, aber erst einmal mussten wir ja an der Sperre vorbei, an der Sonjas Kutschpartie gescheitert war. Natürlich war ich bereit, notfalls den Rest bis Berlin zu laufen. Aber Jule? Sie trottete seit mehreren Minuten wortlos hinter mir her. Was sie nur hatte? Hätte ja nicht mitkommen müssen. Wenn ich etwas anfange, dann richtig.
Ortsausgang. Weiter an der Bundesstraße entlang. Gänsemarsch. Gelegentlich drehte ich mich um, aber eher, um rechtzeitig ein Fahrzeug in Richtung Berlin zu entdecken, das uns mitnehmen könnte, als für ein Gespräch mit Jule. Noch dazu, wo sie sich echt Mühe gab, einem die Laune zu vermiesen. Sie verzog nur missmutig ihr Gesicht und beobachtete ihre Schuhspitzen.
Kein Wort zwischen uns. Und das nun schon über einen Kilometer! Gelegentlich kam uns ein Schub Autos entgegen, meist sichtlich überladen. In Richtung Berlin hatte noch keiner gewollt. Ein Glück, dass ich mich nicht aufs Mitgenommen-Werden verlassen hatte. ...



Samstag, 17. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1578


Aufmerksame Mitleser werden sich erinnern, dass Gunda Jaron an diesem Ort ihr lyrisches Brachliegen (unter Fachkreisen vielleicht Schreibblockade genannt, unter Hobby-Psychologen "lyrischer Burnout") beklagte. Dass das nicht so absolut zutrifft, beweist sie mit "Wilder Mohn" ... keine Pflanzenkunde und auch keine Hymne für Cannabis-Fans, sondern ein Liebesgedicht ...
Mit meinem schmunzelnden "Rätsel", "Welcher war der Deutsche?" kann ich da natürlich nicht mithalten ...



Einmal wieder ein schönes Liebesgedicht ... Aber bei dem Fortsetzungsroman habe ich natürlich zu viel versprochen: Bevor die entscheidende Handlung um Marie beginnt, wird nach einer weiteren Kugelbesitzerin gefragt:
.
Slov ant Gali: Stochern im Nebel (39)
...

Ein Umzug zu viel

Lisa hatte inzwischen viele Arbeitsstellen hinter sich. Hätte ihr zwischendurch jemand erzählt, sie würde ausgerechnet in der Deutschen Arbeitsvermittlungsagentur enden, hätte sie eine überhöhte Körpertemperatur vermutet. Nicht sehr wahrscheinlich eine solche Aussicht. Inzwischen begeisterte sie diese Aufgabe. In einem komplexen internationalen Vermittlungsprojekt waren die Mitarbeiter der Agentur gefordert. Sie suchten für die unterschiedlichen Anforderungsprofile die richtigen Bewerber. Lisa war ein Sprachtalent. Natürlich wurde von jedem Bewerber erwartet, dass er deutsch sprach, wenn er in Deutschland Arbeit suchte. Ging es aber darum, frühzeitig Talente zu vermitteln, dann war es von Vorteil, wenn der Vermittler die Sprache der zu Vermittelnden beherrschte. Ohne zu überlegen, wofür sie das später einmal verwenden könnte, hatte Lisa angefangen, Kontakte zu Familien auf dem ganzen Erdball zu knüpfen. Es machte ihr einfach Spaß, viele Leute zu kennen.
Zu Lisas Leben gehörten ständige Umzüge. Sie wurde überall gebraucht und konnte nie nein sagen. Bis vor einem Jahr hatte sie dabei immer Rahmans Kugel mitgeschleppt. Hatte sie betrachtet, an den Jungen gedacht, dessen Bild immer mehr verblasste … Beim letzten Umzug aber nahm sie die Hilfe einer Umzugsfirma in Anspruch. Die hatte ihr Pappkartons ausgeliehen. Wie hätte sie darin eine etwa zwanzig Kilo schwere Kugel unterbringen oder anderswo unbemerkt verstecken sollen? Lisa konnte sie nicht schleppen, ehrlicher: sie wollte es nicht mehr, und sie hatte einen Anlass gesucht, sich von dieser Erinnerung zu befreien. Im Innenhof unter dem Fenster ihrer Wohnung in Friedrichshain versteckte sie die Kugel zwischen Sträuchern. Das passte ihrer Meinung nach zu der Erinnerung. Lisa sah sich noch einmal gründlich um. Sollte sie wirklich noch einmal einer der ehemaligen Schwurschwestern und –brüder zu einem Treffen einladen, dann holte sie die Kugel eben hier ab. So weit war die Cecilien- ja auch nicht von der Holteistraße entfernt. „Sollten die sechs mich wieder treffen wollen, dann finde ich das Ding bestimmt wieder.“
Hatte sie gedacht. Natürlich die Sikrobenflut nicht vorhergesehen. Überstürzt flüchtete Lisa aus Berlin. Durch die vielen Umzüge geschult suchte sie ihr Kleingepäck gründlicher aus als die meisten zu den Trecks drängenden Mitbewohner. An die Kugel dachte sie keinen Moment. ...


  

Freitag, 16. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1577



Dort, wo Thomas Reich Thomas Reich ist, aber das hintergründige Bedürfnis nicht wegdrückt, eigentlich Bykowskis Reinkarnation sein zu wollen wird es "Rachenfeuer"-interessant ...
Das sage ich nicht als angemaßter Dichter, sondern das sagte ich, "Wenn ich ein Computer wäre" ...


Sagen wir es einfach: Mit dieser Fortsetzung endet das Vorspiel-Kapitel; nachher geht es mit Marie richtig los ...


Slov ant Gali: Stochern im Nebel (38)


... Inzwischen schien Jens etwas eingefallen zu sein. „Gut. Also wie heißen die beiden. Die eine also Marie Kutasi und die andere?“
„Julia Lochmann.“
„… Lochmann. Also ich geb sie als vermisst weiter. Aber versprich dir nicht zu viel davon. Bei dem Chaos, das zurzeit in Berlin herrscht, fallen zwei Schülerinnen schwerlich auf. Soweit möglich hänge ich mich persönlich dahinter. Wenn ich dich schon mal an der Leitung habe: Wie schaut´s aus? Willst du mich nicht endlich mal besuchen kommen? Je eher, desto besser. Am besten gleich am kommenden Samstag; da habe ich planmäßig frei. Das muss nach fünf Doppeldiensten auch mal sein. Versprechen kann ich natürlich nichts. Hier ist Druck noch und nöcher. Aber uns würde eine Ablenkung bestimmt gut tun … Wann warst du das letzte Mal so richtig auf dem Land?“
Von wegen Ablenkung … Sonja ahnte, dass mehr dahinter steckte. „Ja, ich komme. Dieses Wochenende passt sogar gut. Du ahnst ja nicht, wie erleichtert ich bin, mit jemandem wie dir sprechen zu können.“
„Was bin ich denn für einer?“
Sonja versuchte, auf den lockeren Ton einzugehen. „Na, zumindest kein Lehrer.“
„Also komm! Versprechen kann ich aber nichts. Wenn ich doch Dienst machen muss, erfahr´ ich das erst kurz vorher. Die Ätzer – Du verstehst …“

Sina und Leonie kamen in Jens´ Zimmer. Sie blieben stehen, sagten kein Wort, sahen ihren Vater an, als wollten sie in ihn hineinsehen. Ihm wurde irgendwie komisch zumute. Er wusste plötzlich nicht mehr, woran er gerade gedacht hatte. Kaum war die Verbindung mit Sonja beendet, suchte er hektisch die Unterlagen über seine Schwurfreunde zusammen. Warum hatte er alles schleifen lassen? Wenn die Entwicklung so weiterging wie im Moment, dann würde bald keine Polizei Europas den tatsächlichen Aufenthaltsort irgendwelcher Bürger mehr wissen – oder es gab keinen Aufenthaltsort mehr. Jens merkte nicht einmal, dass die Zwillinge den Raum wieder verlassen hatten.





Donnerstag, 15. November 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1576


Thomas Reich segelt immer haarscharf an der Klippe der lyrischen Bildhaftigkeit entlang. Da passiert es gelegentlich, dass er zu sehr mit dem Hammer zuschlägt, meinetwegen mit "Hammer und Nagel", wo vielleicht ein zart gedrehter Schraubenzieher wirkungsvoller gewesen wäre.
Insoweit warne ich: Man sollte in meinem "Im neuen Babylon" nicht nach einem Holzhammer suchen - ich wollte eher mit Gedanken spielen ...



Thomas Reich als Gast bei den "Gedichten des Tages" - kein Grund zur Beunruhigung ... das ist bei einer Schülerin Marie Kutasi als "nicht zum Unterricht erschienen" schon etwas Anderes ...

Slov ant Gali: Stochern im Nebel (37)


... Am nächsten Morgen hatte Sonja Zarge in der 10 b Deutsch. Unsere beiden Plätze waren frei. „… Weiß einer von euch, wo sie stecken?“ Niemand wollte etwas gehört haben. Eines war der Zarge ja klar: Vor den Tropfen abhauen und mich nicht abmelden, das passte nicht zu mir...
Am Nachmittag stopfte sie ihren Wochenendeinkauf ins E-Car. Was hatte ich auf der Rückfahrt gesagt? „…dann kommt es auf ein paar Tage früher oder später auch nicht an. Dann sterben wir sowieso bald.“ Immer wieder ratterten die Sätze durch ihr Gehirn. Hanna und Nanette waren längst eingeschlafen, da griff sie zum Videofon.
Ausgerechnet mein Vater, auf den ich schon seit Jahren nicht mehr hörte, wollte eine Strafpredigt halten, kaum, dass sich die Zarge vorgestellt hatte. „Was haben Sie nur angestellt? Nennen Sie das aufpassen? Müssen Sie das nicht als Lehrerin? Wenn Marie was passiert, … Ich mach Sie fertig! Sorgfaltspflicht – haben Sie schon mal was davon gehört? …“
Sonja kam kaum zu Wort. Nachher ärgerte sie sich besonders, dass sie sich auch noch zu rechtfertigen versucht hatte. Sie habe uns schließlich in unseren Wohnungen verschwinden sehen. Was hätte sie denn noch machen sollen? Ein Kindermädchen anstellen? Doch eines wusste sie nun sicher: Wir waren nicht zu Hause.
Sonja grübelte, ob sie alles unternommen hatte, um unseren Ausflug zu den Tropfen zu verhindern. Jens´ Mail fiel ihr wieder ein. Hatte der nicht geschrieben, er sei bei der Polizei in Berlin? Er wohnte nicht einmal weit entfernt. Sie rief ihn an. Er war sofort am Videophon und freute sich.
… „Entschuldige, Jens, aber ich rufe nicht einfach so an. Ich hab Mist gebaut. Zwei von meinen Schülern, Mädchen aus der Zehnten, wollten unbedingt die geheimnisvollen Tropfen mit eigenen Augen sehen, und ich hab es nicht verhindert. Jetzt sind sie unterwegs, ich weiß nicht, wie und wo. Eben von Eberswalde nach Berlin.“
„Na, vielleicht machst du dir zu viel Sorgen. Überall sind Sperren. Auf allen Straßen. Die Züge werden auch kontrolliert … Da kommt keine Maus durch. Bestimmt haben sie sie längst zurückgeschickt. So ein idiotischer Einfall aber auch. Das ist kein Massenevent. Begreifen die das nicht?“ Jens’ Stimme verriet, dass er der Angelegenheit keine größere Bedeutung zumaß.
„Da kennst du Marie Kutasi aber nicht. Was die sich in den Kopf setzt, das zieht sie auch durch. Bitte, ich möchte nicht schuld sein, wenn den beiden was passiert!“ ...




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