Mittwoch, 29. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1314


Wenn Zweie aufeinandertreffen und die heißen "Frühling" und Ursula Gressmann, dann haben wir Grund zur Hoffnung auf Gedichte. Beim ersten, dem heutigen, hätte ich gesagt, wenn insgesamt drei Wörter gestrichen würden, wäre es "ideal". Aber das ist wohl Geschmackssache, also etwas, worüber sich streiten lässt, oder?! 
Thomas Reich hat bei seiner "Naturmetapher" makabren Sarkasmus bewiesen, wenn er von "Eine Frage des Drucks" spricht ...



Dies also werden voraussichtlich die "Gedichte des Tages" am 2. Tag des Monats März sein - und frühlingshafte Temperaturen haben wir auch endlich wieder. Also kein Grund zum Klagen? Vielleicht doch: Schon wieder ist eine Fortsetzungsgeschichte zu Ende:


Slov ant Gali: Kanskes Kamera (7 und Schluss) 

...
Die Arbeit als Kellner Paolo bewältigte er mal schlecht, mal recht. Hätte er sich noch als Künstler gesehen, hätte er vielleicht von der Macht der Liebe geschwärmt. So fühlte er sich in männlichem Stolz bestätigt. Ein einmaliges Mädchen gehörte ihm.
Aber sie gehörte ihm eben nicht. „Du hast dich irgendwie verändert. Früher hast du nicht so schnell und oberflächlich deine Mitmenschen abgeurteilt. Manchmal ist dein Zynismus unerträglich.“
Ob ihn Andrea durchschaute? Aber noch vertraute sie ihm, also der Maske, in der er steckte, und suchte die Ursache der Veränderung bei sich selbst.
Bertram aber fühlte sich mehr und mehr genervt. Wie ein verletztes Kind begann er sie zu provozieren. Während er selbst mit Mädchen kurze Beziehungen einging – sein neues italienisches Äußeres kam ihm dabei zustatten – dichtete er Andrea die wildesten Fehltritte an … und fürchtete, dass sie sie begehen könnte, genauso wie, dass sie tatsächlich ein solches Engelsgemüt hatte, wie es äußerlich schien.
Zumindest eine Engelsgeduld brachte sie dann doch nicht auf mit ihm. Irgendwann warf sie ihn einfach raus.
Hatte er nicht so etwas wie einen Teufelspakt geschlossen? Er brauchte den Fremden wieder. Die verschiedensten Möglichkeiten spielte er durch, seinen Gönner zu rufen. Er kam sich sehr lächerlich vor dabei. Eigentlich hatte er nie begriffen, unter welchen Bedingungen der Erstkontakt zustande gekommen war. Auf jeden Fall blieben alle Rufe ungehört. Jener Forscher aus einer fremden Welt war wohl zu der Überzeugung gekommen, genug über die Spezies Mensch zu wissen. Bestimmt würde er von Kontakten abraten, dachte Kanske. Ich hätte das jedenfalls getan. Neidisch beobachtete er den, der es sich in seiner Hülle gut gehen ließ. Ich müsste dich umbringen, sagte er sich, so tief, wie du verdorben bist. Aber dafür bin ich nicht schlecht genug …  

Dienstag, 28. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1313

Menschen, die nie die DDR erlebt haben, können es nicht wissen: Der 1. März war der Tag der Nationalen Volksarmee. Ob die nachfolgenden "Gedichte des Tages" dem "gerecht werden"?


Beginnen wir mit einem Sebastian Deya, den man ganz kurz kommentieren kann: Wow ... "Protokoll X"
Aus "PTBS" wird hoffentlich noch ein ganz akzeptables Friedensgedicht. Im Moment liegt für Slov ant Gali das Problem darin, mehrere Dinge in einem Gedicht sagen zu wollen, die wahrscheinlich nicht zu verknüpfen sind ... oder?



Die Frage ist aber wohl eher, wer wo wem oder was überhaupt "gerecht wird". Denn der Außerirdische aus der Erzählung, der sich zum einfacheren Verständnis selbst als "Teufel" vorstellt, will ja auch nur wissen, wie "die Menschen" wirklich sind ...


Slov ant Gali: Kanskes Kamera (6) 

...
Bertram Kanske zieht die Stirn kraus. So etwas hatte er geahnt. Jetzt würde ihn das Kleingedruckte treffen.
„Ich darf natürlich nicht zu viel bei euch durcheinander bringen. Nachher müssen so viele Menschen bei euch leben wie vorher. Das heißt, ich kann dir nur das Aussehen eines Anderen geben, wenn der einwilligt, dein Aussehen anzunehmen. Und ich könnte mir vorstellen, dass du nicht irgendein anderes Aussehen haben möchtest, sondern eines, mit dem du bei deiner Andrea landen kannst, letztlich also das von deren Freund …“
Bertram zuckt zusammen. So konkret hatte er das noch gar nicht bedacht, richtiger, er hatte es nicht gewagt, das mit all den Konsequenzen zu bedenken. Er spürte den wartenden Blick des Fremden. Die Eitelkeit schrie in Bertram. Welche Demütigung, bei dem ersten wirklich geliebten Wesen nur in Gestalt ihres Freundes landen zu können. Dann aber siegte ein gemeiner Gedanke: Wenn der Andere sich darauf einließ, dann war er jene Andrea nicht wert.
„Einverstanden. Ich bin dabei.“
„Und den Ruhm des Kameramannes bist du damit los.“
„Egal. Das ist es mir wert.“
Der Fremde blickt Bertram Kanske fast verwirrt an. „Ich … Also ich fürchte, das werde ich nicht erklären können. Es passt nicht zu den anderen Beobachtungen. Am besten, ich lass dieses Gespräch aus meinem Bericht raus.“
Kanske war zu sehr mit seinem Problem beschäftigt, um seinen Vorteil zu bemerken. Gerade verhielt sich sein Gegenüber nicht teuflisch übermächtig sondern sehr menschlich. Vielleicht wäre ein ganz anderes Ergebnis möglich gewesen. Doch Kanske ließ den Moment verstreichen. Er hörte nur, dass er am folgenden Nachmittag zu Andreas Wohnung gehen und um 17 Uhr vor ihrer Haustür stehen solle. Der Rest würde sich von allein ergeben.
Am nächsten Nachmittag zitterten ihm bei seiner Kaffeepause die Hände. Als er, um überhaupt etwas Nützliches zu tun, ins Bad ging, sich noch einmal zu rasierte und frisch machte, betrachtete er verdutzt sein verändertes Spiegelbild.
Inzwischen war der Fremde nicht untätig gewesen. „Du musst dich schon entscheiden. Auf die Dauer wird so ein Engelsweib wie deine Andrea langweilig. Vor allem wird es dir leid tun. Du wirst immer daran denken, dass du ein berühmter Starfotograf hättest sein können mit rudelweise aufregenden Mädchen im Schlepptau.“ So hatte er Andreas Freund Paolo gegenüber argumentiert. „Vielleicht erläge sogar so eine Andrea deinem Reiz. Also für ihren Venushügel findet sich Ersatz. Du kannst sie vergessen. Heute Abend schon wärst du reich und berühmt. Das ist mein Angebot. Dafür musst du nur um 17 Uhr Andrea in Richtung der Kanske-Wohnung verlassen haben. Als Bertram Kanske wirst du weiter leben.“
Tatsächlich begegneten sich die beiden Männer. Sie sahen sich einen Moment total verwirrt an. Jeder dachte für sich „Das bin ja ich! Das kann doch nicht sein.“ Aber es war zu spät. Beide waren längst der jeweils andere.
Für Bertram begann die kurze Zeit des großen Wunderns. Sein Bild über das Wesen der Menschen geriet ein wenig ins Wanken. Bei allen, die er bisher getroffen hatte, war er sich völlig sicher gewesen. Egal, wie sie auf seine Entblößungskunst reagiert hatten, … hätten sie selbst die Möglichkeit dazu gehabt, hätten sie es umgekehrt mit ihm genauso getan. Das rechtfertigte alles. Nun stieß er in der Hülle eines Anderen auf eine ungewohnte Art der Nacktheit. Andrea entblößte sich ihm gegenüber aus vorbehaltlosem Vertrauen. Nicht nur äußerlich. An ihr entdeckte er – so wie er es erhofft hatte – wirklich nichts Berechnendes, keine nackte Haut als Erfolg bringende Geschäftskleidung. Er fühlte sich entwaffnet. ...  
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Montag, 27. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1312

Diesmal ein Gedicht von Sebastian Deya, das durch Kürze und Klarheit besticht. Und doch empfehle ich, zu Brunhild Hauschilds letztem Gedicht zurückzublättern. Plötzlich verwandelt sich die Klarheit in einen Wunsch ...
Dazu diesmal ein Reimversuch von Slov ant Gali: "Vergehen und Wiederkehr" ...

So. Das ist´s, was übermorgen auf dem Plan für die "Gedichte des Tages" steht. Anfechtbares - wie immer.
Anfechtbar ist natürlich auch die Fortsetzungsgeschichte in Form und Inhalt ...



Slov ant Gali: Kanskes Kamera (5) 


Plötzlich stutzte er. Noch hatte er dieses Mädchen wohl nirgendwo öffentlich zur Schau gestellt. Keine fremden Männer hatten sich bisher heimlich an ihrem Anblick aufgegeilt, hatten sie vielleicht bei der nächsten Begegnung angegrinst. Gerade noch rechtzeitig hatte er sie vor unerwünschten Gaffern bewahrt.
Bertram Kanske wurde langweiliger. Die Angebote von Mädchen, für ihn lieber „in echt“ zu posieren, stießen ihn inzwischen ab. Er engagierte eine Detektei, um die Identität der einen Fremden herauszufinden. Dabei kam ihm seine pedantische Gründlichkeit zur Hilfe, mit der er Zeit und Gelegenheit aller seiner Schnappschüsse protokolliert hatte.
Doch das Ergebnis war niederschmetternd: Jene Andrea war offenbar in festen Händen. Bertram spürte eine unbändige Eifersucht auf den Beneidenswerten. Hemmungen packten ihn. Hatte er es im vergangenen halben Jahr genossen, von Frauen und Mädchen begehrt, als sexy empfunden zu werden, weil er eben der berühmt-berüchtigte Bertram Kanske war, graute ihm vor dem Gedanken, dem Anderen die Partnerin ausspannen zu können, weil er war, wer er war. So eine war diese Andrea nicht. Hoffentlich. So durfte sie einfach nicht sein. Und sie sollte nicht einmal zu ihm kommen, obwohl er der Kanske war … denn letztlich wäre es dann wieder, weil er es war.
Bis vor kurzem hatte er nicht daran gezweifelt, dass jeder allein deshalb Anstoß an seiner Fotografiererei nahm, weil er daraus sein Geld gewinnen konnte. Nun wäre Bertram Kanske allzu gern ein Anderer gewesen. Er ekelte sich vor sich selbst.
Immerhin hatte sein Gedächtnis nicht gelitten. Hatte der Fremde, dieser Außerirdische, nicht etwas erzählt, er könne eine menschliche Wunschgestalt annehmen. Wenn er dies bei sich selbst konnte, vermochte er das vielleicht auch bei anderen …
„Du hast mir so viel über euch Menschen gezeigt, hast mir geholfen, euch zu verstehen. Warum soll ich dir nicht noch einmal helfen?“
Wie ein Spuk hatte der Fremde vor der Tür gestanden, als hätte Bertram ihn gerufen. Er lächelte.
„Außerdem eignet sich dein Wunsch für einen letzten Test. Ich glaube, ich kann dann den Meinen ausreichend klar beschreiben, was ihr für welche seid. Selbst wenn sie einiges nicht verstehen werden, reicht es für ein Bild eurer Art. Ich glaube zwar nicht, dass einer von ihnen begreift, was eine Rechtsschutzversicherung ist. Also eine, die einen Streit bezahlt um einen zu bezahlenden Schaden, den jemand hatte, wenn ihn ein anderer nackt zeigt, den sie aber nicht bezahlt, wenn derjenige schon weiß, dass es von ihm ein Bild gibt, dessentwegen er streiten will. Aber das ist nur eine von vielen kleinen Verrücktheiten bei euch. Trotzdem ist dein Wunsch mit einem technischen Problem verbunden.“

Sonntag, 26. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1311

Während Brunhild Hauschilds Gedichte die Mühe um saubere Form anzumerken ist, geht Sebastian Deya stehts sehr großzügig mit Formalem um. Nachahmung wird zumindest dort nicht empfohlen, wo Strukturen künstlich auf Reim gedrillt werden. Man beachte aber andererseits die Vortragsweise, die durch die Form bedingt ist. Über "traumhaft" wollte ich mich anfangs beschweren. Die Kombination mit dem DDR-Hit gibt dem ganzen allerdings einen besonderen Kick ... 
Tja, Slov ant Gali ... so 100 Prozent ohne Schmunzeln wird das wohl nicht gelesen werden, hoffentlich ... damit keiner die Frage stellt, ob denn das ein Gedicht ist ...: "Natürliche Revolutionskraft" ...

Da haben wir die beiden potentiellen "Gedichte des Tages" von übermorgen. Falls jemandem da eine Frage kommt: Ja, ich blicke vom Schreibtisch auf einen Kaktus und der fragt mich, wann ich ihm wieder ein Gedicht widme ...
Schon sind wir bei der bösen Fortsetzungsgeschichte ...

Slov ant Gali: Kanskes Kamera (4)


... Längst hatte Bertram Kanske alle organisatorischen und rechtlichen Fragen anderen übergeben. Gelegentlich meldete sich sein Anwalt. Da habe beispielsweise eine Frau Seligmann sich als unfreiwilliges Aktmodell wiedererkannt. Sie ließe sich von einer besonders renommierten Kanzlei vertreten. Ob er einverstanden wäre, …
Nein, er war natürlich nicht einverstanden. Das sei rechtliches Neuland, und um im Gespräch zu bleiben, müsse man nicht nur vor Gericht landen, sondern in erster Instanz verlieren, um auf höherer Ebene dann ein positives Grundsatzurteil zu erstreiten. Mochte die Frau noch eine Weile auf ihre zwei Millionen Schadenersatz hoffen. Der Fall brächte die Kanske-Kunst wieder auf die Titelseiten, und jetzt würden seine Bildbände mit neuem Ziel gekauft: Wer erkennt sich darin als in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt?
Wie erhofft waren die Entblößungskunstwerke das Nummer-1-Jagdobjekt. Mehrere Verlage brachten sich in die Schlagzeilen, indem sie sich gegen einstweilige Verfügungen wehrten. Sie alle verbreiteten flammende Verteidigungen der Freiheit der Kunst. Oder dessen, was eben ihre Kunst war.
Amüsant war übrigens, dass es außer Kanske kein Entblößungsfotograf zu Ruhm oder gar Geld brachte. Ihm jedoch hing eine riesige weltweite Internetgemeinde an. Es schien kein größeres Vergnügen für die Leute zu geben als einander die Intimitäten bloßzustellen. Ja, auch eine Reihe „Besondere Peinlichkeiten“ hatte Kanske herausgebracht. Die verkauften sich sogar besser als Bilder von erotischer Schönheit.
Hatte Kanske früher schon seine Mitmenschen nur im Stillen verachtet, steigerte sich von Woche zu Woche seine Wut. Schließlich erwiesen sich ja auch die Hochglanzmagazine, die die Entblößungsorgien mit schwarzen Balken auf den Beispielen vorstellten, als scheinheilige Dreckversilberer.
Wenn er ehrlich war, widerte ihn seine eigene Tätigkeit an. Manchmal hatte er Anwandlungen von Kunstkreationen. Dann ging er noch fotografieren, versuchte aber, das Entblößende der Kameratechnik durch besondere Perspektiven zu mindern. Meist scheiterte er aber dabei. Gerade das, was man beinahe nicht sah, forderte die Neugierde heraus. Kanske merkte es ja selbst, wenn er Fotos für Bildbände, Ausstellungen oder andere Veröffentlichungen aussuchte.
Und bei einer solchen Objektsuche geschah es. Ihm fiel ein Mädchen auf. Er konnte nicht einmal sagen wodurch. Also sie war nicht aufdringlich hübsch, eher unscheinbar. Vielleicht, ja, bestimmt waren ihre Proportionen besonders harmonisch. Sie hatte halblanges dunkelblondes Haar, das Foto hatte aber gerade geblähte Nasenflügel eingefangen, das Becken war breit, die Taille betont, die Brüste … hm … waren die echt, die Form Produkt der Kleidung … ?
Kanske erwischte sich dabei, wie er beim Betrachten der Aufnahme verharrte. Und wie sein Blick nach interessanten Details suchte. Und wie er diese Details nicht in der Nacktheit des Körpers sondern im Gesicht suchte. Im Ausdruck der Augen, ihrer Farbe, dem Geheimnis im Blick. Die Iris blau zu nennen wäre ihm platt vorgekommen. Aber als er nach treffenderen, bildhafteren Ausdrücken suchte, fielen ihm nur welche ein, die ihm noch viel platter vorkamen. Tiefer See, Himmel, wie hieß dieser Edelstein? Oder war´s ein Halbedelstein? Richtig peinlich. Ein Glück, dass ihn niemand beobachtete.
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Samstag, 25. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1310

"Wir Deutschen".
Brunhild Hauschild lädt wieder ein zum Nachdenken darüber, was man an einem gereimte Gedicht alles besser machen kann. Gönnen wir uns einmal den Luxus, den Inhalt zu akzeptieren. Dass "wir" uns diesen Präsidenten "verdient haben" und wer ihn uns eingebrockt hat, steht leider außer Zweifel. Nein. Etwas zur Form. Da haben wir beispielsweise ein Reimschema. Normalerweise gibt die erste Strophe das vor. In unserem Fall 2 Paarreime. Brunhild schmeißt das über den Haufen: Es folgen durchgängig Kreuzreime.
Elegant, wie die Autorin andererseits mit ihrem Sprachmittel Wiederholung gearbeitet hat: Jeweils auf zweimal "Wir Deutschen" folgt eine Strophe zum Luftholen.
Weniger elegant der Einsatz von "männlichen" und "weiblichen" Reimen. Hier habe ich kein System entdecken können, was stört, weil es sich mit dem anderen Sprung überlagert. (weiblich wäre "gefallen - von allen" männlich "gefällt - der Welt" ...
Soviel dazu. Um den Vergleich zu Slov ant Gali zu vermeiden, folgt etwas wenig Vorbildliches und Ungereimtes: "Jeden Tag eine gute Tat" ...

Danke also Brunhild. Solche Selbstkontrollen bei gereimten Gedichten bewirken dann eine noch weiter erhöhte Wirksamkeit, sofern man nicht umgekehrt in Eintönigkeit verfällt. Wir wollen eigentlich weder mit den Gedichten des Tages noch mit der SF-Fortsetzungsgeschichte Eintönigkeit verbreiten ...


Slov ant Gali: Kanskes Kamera (3)

Kanske ließ ihn gar nicht ausreden. Demonstrativ riss er die Kamera hoch, rief „Augenblick!“, knipste scheinbar freihändig, fragte den verdutzten Redakteur „Darf ich?“ und schloss, ohne die Antwort abzuwarten, die Kamera an den mitgebrachten Laptop an. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, dann drehte er den Bildschirm um.
Unwillig folgte sein Gegenüber der Sieh-her-Einladung. Stutzte. Gegen jede Vernunft blickte ihm da sein eigenes Konterfei entgegen – als Brustbild ohne Schlips, Hemd und Unterhemd. „Was …? Wie …?“ stammelte er noch.
Kanske rief, schon im Gehen: „Machen Sie draus, was Sie wollen!“
Er ließ seinen unfreiwilligen Gastgeber in grenzenloser Verwunderung zurück. Aber nicht lange. Zu tief verwurzelt war die Spürnase des Redakteurs für eine gute Story. Bereits die ersten Recherchen ergaben, dass er sich beeilen musste, wollte er der erste sein. Und das wollte er natürlich. Er schrieb den Artikel sogar selbst und platzierte ihn auf Seite 1: „Stellen Sie sich vor, jemand richtet wie unbeabsichtigt eine Kamera auf Sie … und schon waren sie sein Aktmodell ...“ begann sein Text.
Eben dieser Text war nur knapp der erste. Alle Sensationszeitschriften, bald schon alle Medien, die ja Geld verdienen mussten, brachten etwas Vergleichbares. Jeder brachte eine eigene Version. Innerhalb einer Woche entging man deutschlandweit in keinem Dorf mehr dem Namen Bertram Kanske. Entsprechend schnell geriet die allgemeine Überzeugung ins Wanken, dass das Ganze nur ein Fake sein konnte.
Und die Objekte der Debatte? Man sah Kanskes Bildbände in Erotikshops, im Megastore und im Buchladen an der Ecke. Natürlich mit anderen Motiven.
Bertrams Seele, wenn es denn eine gegeben haben sollte, war schnell gesichert: Nach der ersten Woche waren es ein gutes Dutzend „Freunde“, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit nach der Kamera fragten und sich gierig gegenseitig überboten. Was, dem hast du sie für … versprochen. Wenn ich das Doppelte biete? Und diese „Freunde“ hatten Freunde und es dauerte nur noch eine weitere Woche, bis es einen eigentlich unmöglichen Markt für die Nackt-Kameras gab. Kanske gab sich als lieber Freund, der Verständnis hatte, dass die Kamera gestohlen worden war und … versprochen die Bilder und ja, eine einzige habe er noch übrig.
Inzwischen war er berühmt, reich … aber fast schon einsam. Was lohnte sich denn noch erjagt zu werden?
Die Sensation begann bereits wieder zu verblassen. Was sind denn entblößte Menschen wert, wenn sie jeder haben kann?
Kanske wagte sich sogar auf wissenschaftliches Terrain. „Psychologie des nackten Augenblicks“ schrieb er mit lockerer Hand zusammen. Natürlich bot er ausreichend Bildmaterial dazu. Wieder eroberte er einen Bereich der Öffentlichkeit: die Populärwissenschaft. Jeder konnte dort etwas verkünden, was er zur Wissenschaft erklärte. Kanskes Ruhm war Wissenschaft. Das Verrückteste war, dass sich all dies im Zeithorizont von Wochen ereignete. Ein knappes halbes Jahr.
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Freitag, 24. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1309

Die "Gedichte des Tages" sind übermorgen voraussichtlich beides Testgedichte von Slov ant Gali. Planmäßig wären das die folgenden:


Ist es nicht so, dass endlich dieses Lesebuch des 21. Jahrhunderts eine po-etische Würdigung erfährt?! Slov ant Gali hat sich die Mühe gemacht, ein ganzes Buch in drei Reimpaaren zusammenzufassen und auch gleich als Rezensent eine Wertung abzuversen. Schließlich ... Wie heißt es doch so schön? "Jeden Tag eine gute Tat" ... 



Nun ist die Frage erlaubt, wie das alles zusammenpasst in eine Welt, in die die SF-Geschichte hineinpasst ...

Slov ant Gali: Kanskes Kamera (2)

... Und dass er wenigstens etwas daran geglaubt hatte, richtiger: darauf gehofft hatte.
Bertram Kanske stieg in eine Straßenbahn Richtung Zentrum. Menschen unbemerkt zu fotografieren und dies als Spiel mit Perspektiven, als Kunst der kreativen Bildgestaltung auszugeben, war eine seiner Spezialitäten. So stand er nun mit scheinbar ungeschickt ausgestrecktem Arm in der Bahn, als ob er sich vergeblich bemühte, einen besseren Platz zum Festhalten zu finden, und schoss dabei wie wild in Gang und Sitzreihen, was die Kamera hergab.
Drei Stationen später stieg er wieder aus. Das reizte ihn nun doch zu sehr. Was hatte er im Speicher?
Beinahe hätte er laut aufgeschrien. Das übertraf wirklich die heimlichsten Hoffnungen. Sensationelle Bilder. Nicht unbedingt pornografisch oder gar erotisch, aber unbeschreiblich intim! Bertram konnte die Augen nicht von ihnen lösen. Sie weckten den Voyeur in ihm. Das, was er da sah, was ihn erregte, wie sollte das andere Männer kalt lassen … und Frauen?!
Damit würde er zum bestverdienenden Fotografen der Szene aufsteigen. Sich endlich durchsetzen.
Die Arbeitswut trieb ihn durch die Straßen. Locker wie der Colt eines Westernhelden hielt er die Kamera immer und überall schussbereit. Es dauerte nicht lange, da quoll die ganze Festplatte nur so über von unfreiwilligen Spontanakten. Er gönnte sich wenige Pausen, in denen er aussortierte, was gelungen aussah. DVDs nach Themen, Überschriften gegliedert: „Nackte Straße“, „Nackte Komik“, „Gay life mit Frau dabei“, „Bauchbart und Doppelkinn“, „Herbstkörper im Sommerkostüm“, „For Eyes Only“ - um nur einige der Titel zu nennen. Serien, die er originell und witzig fand.
Bertram Kanske ahnte Komplikationen. Das, was er da tat, war mindestens rechtliche Grauzone. Das Sicherste wäre, wenn seine Kunstwerke mit einem Schlag den Markt überfluteten. Dazu würde er mehrgleisig fahren müssen. Seine bisherigen Connections reichten für das, was er erhoffte, bei weitem nicht aus. Unabhängig, welche Verlage, Journale usw. sich um ihn reißen würden, wäre es gut, einen eigenen Verlag und eine eigene Agentur zu gründen, beides so, dass die Rechtsverhältnisse nicht sofort offensichtlich waren.
So vorbereitet präparierte er einige Aufnahmen für eine spektakuläre Präsentation bei einer einschlägig bekannten Zeitschrift. Mit viel Frechheit schaffte er es bis ins Büro des Chefredakteurs.
„Nein,“ gestand der demonstrativ genervt, aber doch ein wenig neugierig ein, „solcherart Fotos habe ich wirklich noch nicht gesehen. Beachtlicher Aufwand. Sie als unbekannter Künstler … wie haben sie so viele Aktmodelle an einen Ort zusammengetrieben. Vor allem, ohne dass wir das mitbekommen haben?“
„Ich habe es ihnen erklärt. Sie sollten mir einfach glauben.“
„Hören Sie doch auf! Ich bin zu alt für solche Witze. Sie sollten ...“ Wäre das Büro eine Bankfiliale gewesen, hätte der Redakteur längst einen stillen Alarm ausgelöst. Aus einem ihm selbst nicht bewussten Grund hatte er noch nicht einmal nach der Sekretärin gerufen. ...


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Lyrik-Prosa-Wortkultur 1308

Ja, zuerst wird in die geplanten "Gedichte des Tages" gegriffen:


Also zuerst einmal ein Trost für die, die total auf unseren geheimdiensteifrigen Bundespräsidenten-Kandidaten aller Herzschrittmacher stehen: Gunda Jaron hat eine sprachwissenschaftliche Untersuchung mit allem nötigen Ernst bestanden: "Vom Ent/Be/Ab/Ver/Ge und stehen ...
Danach ist es mir ein Extravergnügen, den gestrigen Begleittext zu wiederholen ... mit anderem Gedicht ... sehr anderem Gedicht ... 
 Es gibt andere Probleme, die meist verdreht vorgeführt werden, so fürchterlich ernsthaft. Dabei steckt im Thema "olympische Lösung... " auch Stoff zur Erheiterung. Die Frage ist doch, wo fängt das Doping eigentlich an - wenn man sich nicht auf eine "juristische" Definition zurückziehen möchte ...



Dann kann eine neue SF-Fortsetzungsgeschichte beginnen, eine, die sich noch im Entwicklungsstadium befindet ...

Slov ant Gali: Kanskes Kamera (1)

„Das ist Eau de Toilette. Teufel stinken nach Schwefel“, überlegte Bertram. Der korrekt gekleidete Herr ihm gegenüber erinnerte ihn eher an einen Versicherungsvertreter.
„Du solltest dich von überholten Klischees lösen“, rügte der den unausgesprochenen Gedanken.
Bertram aber war schon weiter mit seinen Gedanken. „Wenn es den Teufel gibt und der mir gerade gegenüber sitzt, dann hätte ich eine Seele, und auf die wäre er aus.“
„Deine Seele, was immer du damit meinst, behalte. Ich sagte ja schon: Löse dich von den Vorstellungen, die interessierte Menschen vor dir kreiert haben. Teufel, Außerirdischer … alles eure Menschenfantasien. Ich habe nur versucht, mich denen anzupassen. Aber eben moderner. Eben so, dass ich eine dir gewohnte Gestalt annahm. Teufel habe ich nur gesagt, weil du eben einen Namen hören wolltest, den du verstehst. War ein Witz; entschuldige! Und das mit den Seelen … Mal sehen, wie viele du mir verschaffst.“ Dabei schmunzelte der Fremde, als wäre er auf eine besonders vergnügliche Abwegigkeit gestoßen.
„Was sind Sie für einer. Woher kommen Sie?“
„Das ist überhaupt nicht wichtig. Du würdest es auch nicht verstehen. Höre dir doch lieber mein Angebot an. Ich will dir nämlich nur etwas schenken. … Klar, unter einer, eigentlich zwei Bedingungen: Du musst jedem, der das wünscht, deine zweite Kamera verkaufen. Keine Angst. Alle Stücke werden sofort ersetzt. Du behältst also dein Exemplar. Aber du darfst nur noch mit eben dieser Kamera fotografieren.“
Bertrams Blick hing voll Gier an dem angebotenen Stück. Sie war nicht größer als diejenigen, die er als professioneller Fotograf benutzte. „Unglaublich! Dieses Ding durchdringt wirklich jeden Bekleidungsstoff?“
Der Fremde, der sich als Teufel vorgestellt hatte, lächelte: „Oh Gott! Ich werde das als besondere Beobachtung über die Menschen in meine Heimat mitbringen: Eure Art ist tierisch neugierig. Ihr wollt lauter Dinge begreifen, die ihr noch gar nicht begreifen könnt. Wo sollte ich mit den technischen Details beginnen? Glaub mir, du wirst dich langweilen, aufgeben. Nimm doch den offensichtlichsten Beweis: Wenn etwas in der Praxis funktioniert, dann gibt es das eben. Wozu dann fragen, was dafür unwichtig ist. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul – ist das kein Menschensprichwort?“
Bertram streckte die Hände nach dem Gerät aus. Auch aus unmittelbarer Nähe schien es eine normale digitale Fotokamera zu sein. Das in etwa wollte er seinem Gegenüber sagen. Er sah auf und irritiert stellte er fest, dass er allein im Raum war.
„Seltsam“, murmelte er halblaut, „da hat man mal eine Begegnung mit einem Nichtmenschen und dann läuft sie ab, dass es einem niemand glauben würde.“
Andererseits … Die Kamera auszuprobieren schien ohne Risiko zu sein. Er hatte ja keinen Schaden, wenn er Aufnahmen machte und es waren nicht mehr als gewöhnliche Fotos,ja, nicht einmal, wenn es auch die nicht waren. Nur, wenn er jemandem vorher erzählt hätte, was er sich hatte versprechen lassen, machte er sich lächerlich.  
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Mittwoch, 22. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1307

Immer tagesaktuell können und sollen die "Gedichte des Tages" nicht sein - wie Kunst überhaupt. Aber zumindest das erste Gedicht hat leider noch "aktuelle" Bezüge:


Heute zuerst ein lyrisches Bild zum Thema "Erziehung". Eigentlich haben wir ja erst als Erwachsene "eine Wahl" ... Doch auch die erwächst aus dem, was uns früher geprägt hat:
Thomas Reich "duldsam" ...
Es gibt andere Probleme, die meist verdreht vorgeführt werden, so fürchterlich ernsthaft. Dabei steckt im Thema "Doping" auch Stoff zur Erheiterung. Die Frage ist doch, wo fängt das Doping eigentlich an - wenn man sich nicht auf eine "juristische" Definition zurückziehen möchte ...


Bei der SF-Geschichte wäre ein "aktueller Bezug" zu erhoffen - aber bis es wieder angenehm möglich ist, draußen baden zu gehen, wird wohl noch viel Zeit vergehen:


Slov ant Gali: Eine Reinigung (3 und Schluss) 

... Nein. Musste er nicht ganz. Er konnte ja auf dieser Seite wieder zurück schwimmen. Dann umkreiste er eben nicht die doofe Insel.
Zur Halbzeit horchte er in sich hinein. Das Ergebnis stellte ihn zufrieden. Kaum Erschöpfung. Die Muskulatur hatte die ersten Anpassungsprobleme an die ungewohnte Belastung überwunden. Er hätte auch abkürzen und quer über den See schwimmen können. Aber ihn erwarteten ja Pflanzen und Fische.
Und ein anderes Problem … Er wusste nicht, wie es den anderen Badenden ging. Bei ihm jedenfalls regte das Schwimmen in deutlich unter Körpertemperatur kühlem Wasser die Blasentätigkeit an, trotzdem er ja extra vor dem Start etwas dagegen getan hatte. Aber das hatte seinen Reiz. Bei dem ruhigen Wasser konnte er sich ganz darauf konzentrieren, die unbedeutende Menge in das Schwimmwasser auszustoßen. Ah, das tat gut!
Das Gefühl änderte sich schnell. Hatte er schon den Tangteppich erreicht? Waren es Fische? Auf jeden Fall verwandelten sich die Teile seines Körpers, die keine Stromlinienform eingenommen hatten, plötzlich in einen Sender intensiver Impulse. Brennen. Stechen. Ein Gefühl, als ob sie eine Nadelkissenhand fest umschlungen hielte. Dieser Schmerz, ja, Schmerz hätte er es bei aller Überraschung durchaus genannt, endete schnell. Er spürte die Region noch, aber eher wie man etwas bei örtlicher Betäubung spürt. Also so eher nein als ja.
Eine schleichende Panik hatte Reinhard erfasst. Er warf alle Vorsätze über Bord. Nur schnell zurück. Nein, keine Armzüge wie beim Brustschwimmen, wo ihm das Wasser noch in die Augen hätte kommen können. Nur effektiv Zug für Zug schnell quer über den See.
Reinhard hatte das Gefühl, er spielte in einem Film über Schiffbrüchige mit. Das Stück Ufer, das er erreichen musste, wollte und wollte nicht näher kommen. Nur nicht umsehen! Selbst, wenn das der Beweis gewesen wäre, dass er eben doch viele Meter weiter war. Aber … Ganz ruhig! Schwimmen. Es ist nichts. Es ist nichts!
Mit der schnell einsetzenden Erschöpfung kam glücklicherweise ein vernünftiger Gedanke. Es wäre wohl das Blödste gewesen, durch offensichtliche Panik den ganzen Strand auf sich aufmerksam zu machen. Und es gab keinen Grund, jetzt auch noch das Ertrinken oder die öffentliche Blamage zu riskieren. Außerdem konnten Empfindungen im Wasser extrem täuschen. Wenn ihm da unten … das wäre wohl viel schmerzhafter gewesen. Also ruhig weiter schwimmen!
Als Reinhard endlich die Füße auf Grund senken konnte, stellte er halb beruhigt fest, dass ihn niemand beachtete. Es waren nicht sehr viele Schritte zwischen dem Punkt, an dem das Wasser bis zum Bauchnaben reichte, und dem Platz auf der Decke, dem Platz, an dem Reinhard sich ein Handtuch um den Bauch wickeln konnte. Entgegen jeder Vernunft verwunderte ihn nun ein völlig abwegiger Gedanke: Es blutete überhaupt nicht! Er hatte gar keine offene Wunde. ER war nur einfach weg.
Reinhard war absolut nicht der Typ für Öffentlichkeit. So war ihm eher wichtig, dass er in keiner Beziehung lebte. Und dieses unerwartete äußere Ereignis war der zwingendste Grund gegen die lästige Pflicht, sich um eine neue engere Beziehung zu bemühen. Er würde von nun an alle Situationen meiden, in denen jemand entdecken konnte, was er in der, richtiger, was er eben nicht mehr in der Hose hatte. Und gepinkelt, gepinkelt hatte er auch früher schon oft im Sitzen.




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Dienstag, 21. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1306

Ist denn ein Bundespräsidenten-Kandidat Joachim Gauck es nicht wirklich wert, mit einer lyrischen Gaukelei gewürdigt zu werden ... bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist? Ich würde sagen JA. Die Gedichte des Tages von übermorgen haben ihm deshalb einen Ehrenplatz vorgesehen:


Was musste ich da hören? Die An´s-Bein-Pinkler einer Internetzeitung habe entdeckt, dass sich bei einer Umfrage des mdr abzeichnete, dass zirka 80 % der Ostdeutschen den Präsidenten der Gauck-Herzen ablehnen, sodass die Umfrage vorfristig abgebrochen wurde?! Na, das konnte ich nicht auf unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sitzen lassen! Also schrieb ich ein Gedicht, dass dem Kandidaten natürlich in keiner Weise gerecht wird: Slov ant Gali: "Vergaukelte Pressefreiheit" ...
Aber keine Sorge: Hier gibt es auch Lyrisches. Mich jedenfalls hatSebastian Deya mit seiner Schluss-Wendung in "Abschied" überrascht ... und zwar positiv ...


Na gut. Nach jeder OP, egal, wie sie ausging, sollte das Team die Gummihandschuhe wieder ausziehen und sich von Blut und Schweiß reinigen.
Hier sollte die langweilige Fortsetzung der SF-Geschichte diese Aufgabe erfüllen:

Slov ant Gali: Eine Reinigung (2)

... Reinhard entledigte er sich seiner Kleidung. Achtlos platzierte er sie neben der ausgebreiteten Decke und den Schuhen. Noch ein Kontrollblick: Es waren keine Hirsche in unmittelbarer Nähe. Nachdem er nicht mehr mit Frau und Tochter aufwarten konnte, war es ihm eine echte Peinlichkeit, für ein Hirsch gehalten zu werden. Aber sollte er deshalb etwa mit der Tradition des Nacktschwimmens brechen? Geballt traten die Hirsche nur auf der unmittelbar gegenüber liegenden Seite des Sees auf. Mitunter lungerten ganze Gruppen tief gebräunter nackter Männer miteinander plaudernd am Ufer herum, um ein paar auffällig unauffällige Blicke auf sich ausziehende junge Mädchen werfen zu können. Auf Reinhards Seite gab es auch diesen Badetyp „männlich, alleinstehend und ab 40 Jahre alt“. Aber hier achtete wenigstens jeder auf ausreichenden Abstand zum nächsten. Alles war wie seit Jahren. Und an die Boxershorts der jungen Männer, die Reinhard für echte oder verkappte Russen hielt, hatte er sich gewöhnt. Er holte das Taschenbuch heraus, das ihm seinen Mix aus Bücherlesen am Sonnengrill und Nachbarschaftsstudien erlaubte. Irgendwann dann war seine Haut vorn, hinten, rechts und links etwa gleich heiß. Zeit, sich abzukühlen.
Zuvor noch ein Gang ins Buschwerk der Verdauungsentsorgung wegen. Dann hieß es, langsam ins Wasser eintauchen. Der See bot eine besondere Wahlmöglichkeit: Bei windigem Wetter hätte Reinhard die kurze Strecke quer rüber zu den Hirschen schwimmen können. Der See war aber relativ lang gestreckt und Reinhards Klassiker war es, die Längsstrecke an der Hirschseite entlang zu schwimmen, dann an dem reinen Textilstrand an der anderen Seespitze vorbei und schließlich auf der Rückseite der Insel zurück - so etwa 1000 Meter ruhiges Brustschwimmen als sportlichen Sommerhöhepunkt. Da konnte er sich nachher einen Pluspunkt in persönlicher Gesundheitsvorsorge anschreiben. Allerdings wagte er diese Tour immer erst, wenn er seiner Form sicher war. Diesmal schwamm er erst auf die andere Seite und dann immer am schmalen Sandstrandstreifen entlang. Eine Weile fehlte sogar die in ausreichendem Abstand vorüber schwimmende Entenfamilie als Höhepunkt dieses Badeausflugs. Reinhard bemühte sich, kein Wasser in Mund, Nase oder Ohren zu bekommen. Mitunter war er einem schwimmenden Gewächs begegnet, das verdächtig an halb zerfallene Darmausscheidungen erinnerte, und auch sonst wagte er sich nur deshalb in dieses Gewässer, weil er um seine widerstandsfähige Haut wusste. Insofern irritierten ihn die beiden Jungen, die begeistert etwas ins Wasser warfen, eine Fütterung, die sich weder an Enten noch an Schwäne richten konnte. Von jenen Wesen, die sonst ohne Böses zu ahnen, ins Wasser schissen, war keines zu sehen. Als Reinhard näher heran war, sah er es: Dort schwammen Fische! Reinhard kannte sich mit den Arten nicht aus. Es war auf jeden Fall ein Schwarm aus Tausenden Tieren. Manche hatten noch Stichlingsmaße, einige hätten sich aber schon gut in einer deftigen Fischsuppe ausgemacht. Die, die länger als etwa zehn und breiter als vier Zentimeter waren, fielen durch golden schimmernde Schuppen auf. Reinhard machte eine kurze Pause. Irgendwie hatte der Anblick des Fischlebens etwas Beruhigendes. Hübsch sahen sie aus und dass sie in diesem Wasser wirklich lebten und sich vermehrten, war doch ein positives Zeichen. Und noch ein recht unschuldiges Seeerlebnis erheiterte ihn. Fast schon am Ende des Sees angekommen, wurde er von unten gestreichelt. Unmengen an Wasserpflanzen, irgendwelcher Tang oder was auch immer strebte dem Licht und in diesem Fall Reinhards Körper entgegen. Sofern er darauf achtete, dass sich seine Füße nicht darin verfingen, krabbelten sie ihn beim Überschwimmen den Bauch abwärts. Schade eigentlich, dass er die Stelle schon verlassen musste. ...

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Montag, 20. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1305

Ist es nicht etwas Positives, ein "Visionär" zu sein? Die Gedichte des Tages" übermorgen zweifeln auf jeden Fall daran:

Erst war ich überrascht: Mit "tanz der lichter" greift Sebastian Deya eines der GdT-Themen auf. Das wäre ja nicht so außergewöhnlich. Aber obwohl er das Thema ganz anders angeht als in "Visionären geklagt" - hier sei an Ursula Gressmann / Slov ant Gali: Visionären geklagt (1)  erinnert . wirkt auch bei Sebastian Deya das Motiv eher negativ belegt ...


Nach der nicht gerade positiv visionären SF-Fortsetzungsgeschichte ist das vielleicht verständlich. Also folgt nunmehr eine kürzere, vor der ich gleich warne: Sie ist sehr langweilig und nur mit einem gerüttelt Maß weiblicher Boshaftigkeit kann man sich über sie amüsieren:


Slov ant Gali: Eine Reinigung (1)

Er lächelte. Also das war noch wie in den Jahren zuvor. „Wasserschutzgebiet“. Dasselbe rechteckige Hinweisschild wie seit eh und je und daneben das dreieckige mit der Eule „Landschaftsschutzgebiet“. Nichts deutete darauf hin, dass hier inzwischen die Außenstation eines biologischen Forschungsinstituts eröffnet haben sollte. Im lokalen Werbeblättchen war dazu ein kleine Artikel erschienen. Es wurde vor dem wilden Baden im Testsee gewarnt. Man erprobe neuartige Methoden der Sauberhaltung des Wasserbiotops. Biologische. Solche, bei denen alle Stoffe, die komplizierter als H2O waren, radikal und schnell abgebaut würden. Allerdings wurden zu Beginn jeder Saison Storys verbreitet, die den Einsatz von Ordnungskräften gegen die Wildbader unnötig machen sollten.
Hinter Reinhard ruhte die Reihe der parkenden Autos am Straßenrand. Eindeutig zu viele, als dass sie alle den Anwohnern gehören konnten. Schnell rüber über die Marienstraße. Nun ging es nur noch den schmalen Pfad weiter. Wenn Reinhard jetzt eine Familie im Gänsemarsch oder Radfahrer entgegengekommen wären, hätte er auf den Wiesenrand ausweichen müssen. Es kam aber niemand. Dafür stieß er auf den Hauptweg und der tauchte in ein strauch- und baumkronenüberschattetes Wegstück ein. Man musste schon wissen, wohin man wollte. Er wusste es. Nun kam die nächste Gabelung. Rechts die Strandecke für die Ghetto-Nackten, links der freie Strandabschnitt, an dem sich Nackte und Textilierte relativ harmonisch mischten. Vielleicht die Bekleideten eher weiter hinten, zur Insel hin.
Reinhard wählte den linken Pfad. Das hatte einen Nachteil: Er ging direkt auf den Müllpunkt zu.
Der Müllpunkt war ein typisches Produkt deutscher Bürokratie. Natürlich durfte es an dem See keine Badestelle geben. Wo keine Badestelle war, konnte es keine sanitären Einrichtungen, Müllsammelplätze und ähnliche zu einer Badestelle gehörende Dinge geben. Andererseits gab es diese Badestelle seit Jahrzehnten. Richtiger: Es wurde rund um den gesamten See gelagert, um zu baden, nur an dieser Stelle eben geballt. Also hatte irgendwann einmal jemand am Beginn dieses Strandes, der kein Badestrand sein durfte, eine Stange eingepflanzt und an dieser Stange einen großen blauen Plastiksack befestigt. So hätte „man“ dort seinen Müll hineinstopfen können.
Der Sack wurde jeweils Anfang des Jahres ausgetauscht. Reinhard gehörte nicht zu den Eisbadertypen. Stets hatten schon Massen die Saison vor ihm eröffnet. Jedenfalls kannte er den Platz um den Müllsack nur in immer gleichem Zustand: Etwa im Umkreis von zwei Metern lagen Joghurtbecher und Reste vergangener Zeiten so sorgsam verstreut, als hätten Wildschweine die Hoffnung auf Fressbares zu spät aufgegeben. Vielleicht sollte dieser Anblick die eintreffenden Badelustigen von ihrem Vorhaben abhalten. Schon lange gingen die aber mit galantem Wegseh-Blick daran vorüber. Natürlich auch Reinhard. Diesmal aber hatte der blaue Sack einen Bruder bekommen, und jemand hatte sehr sorgfältig allen herumliegenden Müll beseitigt. Jedenfalls war kein einziges Teil zu sehen, das nicht natürlich gewachsen wäre. Badende waren allerdings so viele am Rand des Sees verstreut wie in den Jahren zuvor. ...  




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Sonntag, 19. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1304

Mag dieses Tagesjournal vieles sein - Jürgen Polinske: Wortlos  ist nicht sein Schlüsselwort. Dies nur, weil dieses Gedicht das Seltsame der Sprache aufzeigt. Seine Behauptung "plötzlich versteh ich ..." kann man beim Wort nehmen, also "positiv", aber auch als Verkehrung, also mit denselben Worten verstehen "...Jetzt versteh ich gar nichts mehr" ...
Damit wären wir halbwegs elegant bei den übermorgigen "Gedichten des Tages, die ausnehmsweise direkt an die GdT von morgen anknüpfen sollen:


Nun sind wir in der Pflicht: Gestern wurden mit Brunhild Hauschilds Gedicht zwei Rätsel gestellt. Nun die Auflösung:
Die eine ist einfach. Der Titel des Gedichts ist wahrscheinlich zu konkret. Es ist normaler, dass die Seen "schon" früher zufrieren.
Die andere ist die wohl unbeabsichtigte Komik:
Meine Wangen, angstvoll heiß,
dennoch trägt das Eis mich schon.
Da ein Gedicht ja im Zusammenhang gelesen wird, hat der Wunsch der Autorin, dass sich alles schön reimt (was ihr formal auch gelang), inhaltlich zu der Verwunderung geführt, dass das Ich trotz der heißen Wangen vom Eis getragen wird. Eigentlich ein so hübsches Paradoxon, dass es verdiente, ausgebaut zu werden ...
Dabei freue ich mich "immer aufrichtig" über Brunhilds Gedichte: Sie hat etwas zu sagen. Wie sagt man dagegen etwas Nichtssagendes? Bisher hatte das Wort aufrichtig noch eine gewisse Unschuld. Es wurde "von gewissen ..." gemieden. Das wird wohl jetzt auch anders ...


Hoffentlich wird das erste der beiden Gedichte nicht als Verunglimpfung aufgefasst ... Schließlich spielt es direkt auf Tagesaktuelles ab. Nicht so wie die SF-Erzählung:

Slov ant Gali: Liebe Kinder (14 und Schluss)     

So kam dem dunkelhäutigen Vater des dunkelblonden Mädchens das Recht zu, den endgültigen Namen zu vergeben.
„Lilith!“ sagte er und auf die Verwirrung der anderen Väter hin, weil dieser Name vorher gar nicht im Gespräch gewesen war: „Der erste Mensch vor allen Menschen. In der Legende. Der Anfang, der anders war …“
Und so stimmten alle zu.

(6)
Bin das wirklich ich?
Was für Gedanken mich bedrängen! So viele peinliche. Wenn ich die in ein Tagebuch schriebe, müsste ich sehr aufpassen, dass es keiner liest. Aber ich brauche es nicht aufzuschreiben. Ich vergesse sie garantiert nicht. Vielleicht … Wenn ich schriebe, dass ich das von Tom nicht erwartet hatte, dann gäbe ich damit zu, dass ich ihn zu leichtfertig übersehen hatte. Es braucht halt jeder seine eigene Situation, in der er seine besonderen Fähigkeiten zeigen kann. Manche können es nie. Vielleicht kommt für jeden von uns noch der Moment zum über sich hinauswachsen.
Und wie weiter jetzt?
Immer Stück für Stück das klären, was gerade wirklich wichtig ist. Zum Beispiel die Milch. Ich werde jetzt Milch haben. Sie wird einschießen und dann …
Immer wieder neue Aufgaben. Wie gestaltet man ein menschliches Leben? Was wird das Kind wohl alles lernen? Wer wird es ihm beibringen? Von dem, was Menschen einmal alles erfunden und gebaut haben, gibt es kaum etwas, was noch funktioniert. Von dem, was die Menschen von der Natur gelernt haben, haben wir das meiste vergessen. Aber eben nicht total. Tom eben zum Beispiel …
Ob ich den Jungs sage, dass ich irgendwie, ich weiß nicht wie, aber eben irgendwie so eine Ahnung habe, dass die Krankheit bei uns nicht kommt? Aber das ist überhaupt nicht wichtig. Wir werden einfach so leben als ob das gar nicht anders kommen kann ...




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Samstag, 18. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1303

Was sind übermorgen die Gedichte des Tages?
Vielleicht die?


Irgendwie kitzelte mich die Schadenfreude: "Eingebrochen!" hätte ichBrunhild Hauschild am liebsten zugerufen. Nein, "See Anfang Februar" erzählt etwas Anderes. Aber das ändert nichts daran, dass man den Eindruck haben kann, die Autorin hat sich mit den Reimen auf zu glattes Eis begeben und ist an mindestens eine Stelle "eingebrochen". Oder bin ich der Einzige, der das so sieht?
Denn ich bilde mir ein, das Gedicht enthält auch noch eine "Unlogik", die sich mit seinem Entstehungsdatum erklären lässt. Welche könnte ich meinen? Damit es etwas leichter ist, hier nur das "Gegengedicht": Slov ant Gali: Frühlingsspaziergang




Leichter geklärt ist die SF-Fortsetzungserzählung:

Slov ant Gali: Liebe Kinder (13)    

....So vergingen die Wochen. Sie hatten gemeinsam drei Etagen eines dieser Wohnblöcke hergerichtet. Den meisten Platz verbrauchten die Lagerbestände. Inzwischen hatten sie zwei Autos – ein normales und einen Kleintransporter. Sanne hatte entschieden, dass sie extrem sparsam mit den Kraftstoffreserven umgehen mussten. Wo sollten sie Batterien aufladen, wo Brennstoff? Eigentlich tauchten immer neue Probleme auf. Aber insgesamt sammelten sie Pluspunkte. Ihre Lebensumstände verbesserten sich von Tag zu Tag, wenn auch nur wenig. Manchmal sprachen sie darüber, dass sie tatsächlich keinen weiteren lebenden Menschen mehr getroffen hatten. Oft aber sprachen sie über das kommende Baby. Zum Beispiel, dass es ihre Spitznamen lernen sollte, weil es bestimmt zu schwer war, wenn es bei so verschiedenen Gesichtern „Papa“ sagen sollte. Und damit war klar, worüber sie nicht redeten: Über die Krankheit, deren erste Anzeichen jeder heimlich bei sich suchte.
Oft hockten die Jungen neben Sannes Bauch, gehorchten fast ehrfürchtig ihren „Anweisungen“, wie sie darüber streichen sollten, und sprachen akzentuiert, weil Sanne meinte, davon sei abhängig, ob das Kind einmal ordentlich sprechen konnte.
Sie hatten einen Kalender angelegt. Der zeigte den ersten Juli, als Sanne plötzlich das Gesicht verzog. Ja, Presswehen, hörten die Jungen und ja, das da unten sei von der geplatzten Fruchtblase.
Was Sanne betraf, so verlief die gesamte Geburt komplikationslos. Mitunter schubsten sich die sieben Väter, wer denn das Glas Wasser reichen oder über den Rücken streichen durfte. Als dann die Austrittsphase begann, war es nicht mehr so eng im Raum. Ohne, dass das im Gegensatz zu jedem einzelnen Handgriff, den sie so oft durchgesprochen hatten, vorher so geklärt worden wäre, waren plötzlich nur noch zwei der Jungen im Raum: Tom, der das mit blutigem Schleim bedeckte Wesen packte und Tim, der wie ein eingespielter Assistent dem Anderen reichte, was der verlangte. Später waren sich alle einig: Ohne die Beherrschtheit des Schwarzen wäre … nur Schlimmes passiert. Und plötzlich, nach dem ersten Schrei, war der Raum wieder voll und alle Helden standen und mussten rausgeschickt werden, weil noch was mit der Mutter gemacht werden müsse. Das sei nichts für sie...

Freitag, 17. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1302

Diesmal liegt in der Kürze die literarsiche Würze. Zuerst beim Blick nach übermorgen auf die "Gedichte des Tages":


Motto des Tages vielleicht ... "Der traut sich was"?
Thomas Reich sieht die Welt aus der Perspektive "Straßenstrich". Im Vergleich dazu ist Slov ant Gali"zurückgeblieben" ... in Form und Inhalt ...



Aber auch in der Prosa:


Slov ant Gali: Liebe Kinder (12)     

... Frost war in den Wintern zwar selten, aber kalt würde es schon werden. Irgendwann hatte die Versorgung mit Fernwärme ausgesetzt. Wie durch ein Wunder kam mitunter noch Strom aus der Steckdose. Irgendwo gab es also mindestens ein Kraftwerk, das arbeitete, ohne dass dort jemand arbeitete, oder vielleicht lebten noch andere Menschen. Das wäre nicht das Wichtigste. Nützlicher wäre, zu Heizkörpern zu kommen, die man mit jenem Strom betreiben konnte. Ob sie nicht losziehen wollten auf der Suche nach einem Haus mit Kachelofen oder Kamin. Damit wäre auch eine andere Frage leichter zu lösen: Wie sollten sie die Versorgung mit Lebensmitteln dauerhafter sichern, wenn es kalt war. Ein Stall mit Haustieren wäre gut. Natürlich wäre der riesige Innenhof hier auch verwendbar. Es gab nur eine schmale Stelle, die sie hätten zumauern müssen. Aber dafür hätten sie Tiere gebraucht. Immer nur Reis und Nudeln mit irgendwas aus der Tüte war nicht nur langweilig und als Nahrung für eine Mutter, die ein Kind säugen sollte, zu unausgewogen – wenn sie die Reserven zusammenrechneten, die sie aus den Resten der Kaufhallen der Umgebung erbeutet hatte, so wären die voraussichtlich im Februar aufgebraucht. Die Gläser und Büchsen mit Fertiggerichten waren es schon.
Sanne teilte also Arbeitsaufgaben zu. Immer waren zwei Zweierteams unterwegs. Heizgeräte, Essbares, Stoffe … Was immer nützlich sein konnte, sollten sie besorgen. Bebaute Grundstücke mit Stall oder so finden, die nicht ausgeplündert waren.
Sanne selbst blieb „zu Hause“. Inzwischen überboten sich die Jungen darin, ihr Schweres oder Gefährliches fern zu halten. Dabei war sie erst im 6. Monat und konnte ihre Schwangerschaft noch mit geeigneter Kleidung verbergen.
Die größte Entdeckung machte Türk. Er fand ein Grundstück, neben dem eine Herde Kühe krepiert war. Sehr bildhaft schilderte er die Gerippe und wie er sich den qualvollen Tod dieser Eutermilchmaschinen auf vier Beinen vorgestellt hatte. In der Nähe lebten aber noch eine Menge halb verwilderter Hühner. Er habe nicht verstanden, warum nicht Katzen oder Hunde über sie hergefallen seien, aber es lohne sich, dorthin mehrere Ausflüge zu unternehmen. Man würde Säcke und Kescher und solche Sachen brauchen.
Mit Wunsty gab es einen kleinen Streit. Er war überzeugt, für alle das ideale Haus gefunden zu haben. Der einzige Grund für diese Überzeugung waren die Fotozellen auf dem Dach. Da hätten sie doch eine eigene Stromversorgung. Schließlich gab er zu, dass sie gerade in der kältesten Zeit auf Strom aus dem großen Netz angewiesen waren. ...



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Donnerstag, 16. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1301

Kurz und knapp das nächste Tagesjournal zuerst mit dem Blick auf übermorgen. Dort könnten das Folgende die "Gedichte des Tages" bestimmen:


Andere hätte "Istadevata" als so etwas wie den persönlichen Schutzengel verstanden ... bei Ursula Gressmann geht das Gespenstische nicht verloren ...

"Lass mein Volk ziehen" sagt Thomas Reich. Wer ist da angesprochen? Erkennen wir Lesenden den Code, der uns entlavt, wer der Pharao ist? Also eine Idee liegt nahe ...


Leichter ist es, wenn man eine Erzählung begonnen hat, dann ihre Fortsetzungen aneinander zu reihen. Selbst bei einer SF-Geschichte folgt schließlich logisch die 11. auf die 10. Fortsetzung:

Slov ant Gali: Liebe Kinder (11)    

...  Und jetzt könne er entscheiden, ob sie schon gleich den zweiten Jungen zum Vater machen solle oder er lieber besonders zärtlich zu ihr wäre.
Tim war erst zärtlich und dann packte ihn eine innere Wut und er keuchte und malte sich aus, dass dort, wohin er stieß, schon ein Anderer war … oder eine Andere. Und sehr schnell war er erschöpft und schlief ein und im Schlaf schien er zu weinen. Noch in derselben Nacht fragte Sanne den Viet, ob er ihr, wenn er schon nicht ein Kind machen wolle, doch wenigstens all das antun möchte, was dazu nötig sei.
In der folgenden Woche testete Sanne alle Jungen bis auf Türk. Immer wachte sie in anderen Armen auf und immer bemühte sie sich, zu allen nett zu sein. Nur Tims Frage tat ihr weh. Obs schön gewesen war. Schöner als bei ihm. Anders eben, sagte sie, anders. Und sie wusste, dass Tim zwischen Selbstzerfleischung und der Hoffnung hin und her schwankte, sie würde sagen, er wäre der Beste gewesen. Doch um nicht zu lügen, sprach sie eine unbezweifelbare Wahrheit. Er sei ihr Lieblingsbruder.
Dann kam der Kampf mit Türk. Es hatte geknistert bis zum Geht-nicht-mehr. Es war kein Geheimnis. Er hatte sie läufige Katze genannt und sie ihn einen jaulenden Kater. Endlich, endlich entlud es sich. Wie auch immer es um die Jungen stehen mochte, Sanne gelang es, dass sie sich als „richtige Männer“ fühlten.
Noch immer sah keiner der Jungen älter als 20 aus. Die ersten Male hatte es ungeheurer weiblicher Einfühlung bedurft: So etwas passiere jedem Jungen, auch jedem gesunden jungen Mann, dass sein Mischa nicht aus dem Winterschlaf will. Das habe überhaupt nichts zu bedeuten. Sie wisse da ein paar Tricks … und dann zeigte sie ein paar Tricks. Bis dann der Tag kam, als sie das erste Mal sagte, sie sei sich sicher. Und er solle doch so lieb sein, dass auch die anderen Jungen den Glauben gewännen, sie seien der Vater. Und sie wusste noch andere Tricks.
Mit jedem der Jungen ging sie gelegentlich ins Bad. Doch außer dem kugligeren Bauch und den Brüsten, auf die Sanne so stolz war, war nichts von der Hetze der Zeit an ihren Körpern abzulesen.
Unmerklich hatten die Jungen Sanne angenommen. Erst nur als längst schon nicht mehr erhoffte körperliche Partnerin, immer mehr aber begann sie, Ziele zu stecken. Zum Beispiel würde das Baby einen Platz brauchen zum Schlafen, eine Wiege, einen Kinderwagen, Sachen zum Anziehen. Nichts davon, vielleicht abgesehen davon, dass man das Baby vielleicht in ein Bett für Erwachsene legen konnte, war vorhanden. ...
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Mittwoch, 15. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1300

Auch nach der ersten Klickmillion geht es normal weiter. Tradition ist inzwischen, einen Blick auf die "Gedichte des Tages" von übermorgen zu werfen. Vorbehaltlich von kurzfristigen Änderungen sähen die folgendermaßen aus:


Wenn ich verrate, das erste Gedicht des Tages heit "Krähengesang", dann weiß nur ein Zufallsbesucher hier nicht, dass ein solcher Titel nicht vonUrsula Gressmann stammt.
Was gibt es Schöneres an einem literarischen Blog, als nachzuverfolgen, wie der Beitrag des einen Autors einen anderen zu einem "eigenen" inspiriert. Das Wunder ist dabei mitunter, wie mit ganz wenigen Veränderungen eine neue Aussage geschöpft wird. Ich hoffe zumindest, dass auffällt, dass das Ergebnis "Arbeitsatmosphäre" von Brunhild Hauschild sich vom "Inspirant"  "Unheimlich privat" nicht nur dadurch unterscheidet, dass aus Schildkröten Elefanten geworden sind ...


Die SF-Prosa-Fortsetzungsgeschichte ist eine "Endzeit-Erzählung", die über Shortstory länge hinausreicht, aber eben noch kein "Roadmovie" geworden ist:

Slov ant Gali: Liebe Kinder (10)    

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„Wollt ihr bei uns bleiben? Ist sonst eh nix los.“
Zum einen gefällt mir Türk … zum anderen …
Ich traue meinen Ohren nicht, als ich mich antworten höre: „Falsche Frage. Richtige Frage: Wollt ihr euch uns anschließen?“
Zwei der Jungen, deren Namen mir entfallen sind, kaum dass ich sie gehört habe, stehen auf und starren jetzt auch.
„Na, die letzten Tage werden bei mir nicht vergammelt.“
Ich sage es in meinem Große-Schwester-Ton und niemand widerspricht. Es sind ja alles nur Jungen.

(5)
Sannes erste Amtshandlung als Gruppenobmann war eine Art Wohnordnung. Jeder war nun zuständig für eine eigene Wohnung, Sauberkeit und dass sein Bett darin so aussah, dass man sich gern hineinlegte. Dazu kam ein Gemeinschaftsraum, für dessen Zustand sie reihum zuständig sein sollten. Und wozu das Ganze, hatte Türk noch versucht, zu widersprechen. Na, es könne ja sein, dass sie nicht immer im selben Bett schlafen wolle, hatte Sanne erklärt. Aber in einem verkeimten auf keinen Fall …
Türk hatte anzüglich gelacht. Aber er hatte genauso reagiert wie die anderen: Gleich wenn man das Haus betrat, wirkte es schon am nächsten Tag wohnlicher. Niemand gab zu, das Glas mit dem Grün ins Treppenhausfenster gestellt zu haben. Aber am Vortag hatte es noch nicht dort gestanden.
Am Abend des zweiten Tages gab es einen leisen Streit im Zimmer der Geschwister.
„Das hast du doch nicht wirklich ernst gemeint, oder?“
Tims Frage stand als Vorwurf im Raum.
„Meinst du, ich mache leere Versprechungen? Außerdem … du weißt doch ganz genau, dass ich fast immer mit meinem Körper bezahlt habe, was wir zum Leben brauchten. Das ist doch nix Neues. Was Anderes hab ich doch nicht.“
Tim hörte nicht den Trotz, er hörte nur die Worte. Die nahmen ihm den Atem. Sanne wusste, es war gemein und es gab einen Unterschied zwischen etwas wissen und etwas wirklich wissen. Gesprochen hatten sie nie darüber.
„Aber das hier ist etwas Anderes.“ Wieder so eine Floskel, deren tiefe Bedeutung beide gern umgangen wären. Doch dann setzte Sanne Tim ihre Beweggründe auseinander.
Noch sei gar nicht heraus, erklärte sie, bei wem die Männlichkeit über die große Klappe hinaus reichte. Es sei zwar niemandem ein Symptom der Erkrankung anzusehen, aber die verliefe ja immer mit kleinen Nuancen. Sie wolle ein Kind. Etwas, wofür es sich noch ein wenig zu leben lohne, etwas, was bedeutete, es sei eben nicht alles zu Ende. Ob er das denn nicht verstehe? Sie wolle sogar zwei Kinder. Solche wie ihn und sich. Solche, für die sich die letzten Tage lohnten. Jeder einzelne. In jeder Unwahrscheinlichkeit sei immer noch ein Stück Hoffnung. Ein ganz kleines nur, aber eben eine Chance größer als Null. Ihre Chance sei eben erst Null, wenn sie wirklich gestorben seien. Und wenn ihre Babys als Babys starben, dann war das eben so … aber sie hätten es wenigstens versucht. Ob er denn wirklich wolle, dass sie sich in ein paar Monaten gegenseitig anödeten, weil sie selbst zum Sterben zu doof waren und Verhungern sei kein schöner Tod, aber wer sollte denn rausgehen, um für sich etwas zu Essen zu besorgen und das sei doch nur ein längeres Sterben. Ob er das wolle? Er solle sich doch einmal vorstellen, dass jeder dieser Junge sich ausmalte, Vater des Babys zu sein. Kämpfen würden sie. Tag um Tag für das Kind und vielleicht für ganz wichtige Momente vergessen, dass sie gerade beim Sterben waren. Denn was sei denn Leben sonst Anderes als aufgeschobenes Sterben und das Pflanzen von Hoffnung. Und der Anfang sei doch schon gemacht.
Tim verstand diese Anspielung nicht. Er wollte Sanne weiter bedrängen. Doch die rüttelte ihn. Mensch, Tim, klar kann es ein Zeichen der Krankheit sein, dass die Blutung ausgeblieben ist und sie war ja immer sehr unregelmäßig gekommen wegen der vielen Aufregungen. Aber sie sei sich fast sicher, da wuchs schon was. Und er solle darüber die Klappe halten. So, wie sie noch ein paar Wochen die Klappe halten würde. Dann würde sie jedem erzählen, das Kleine sei von ihm und dass sie den Anderen dasselbe erzählen würde. Und sie wünsche sich so sehr, beim nächsten wäre es die Wahrheit, dass sie nicht wisse, wer der Vater würde, aber ob ihm, Tim, nicht aufgefallen sei, dass er wahrscheinlich der Jüngste war und also am ehesten auch für das nächste Kind als Vater in Frage käme? Umso wichtiger sei es, wenn sich alle auf das erste freuten.




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