Sonntag, 31. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1701


Zuerst Roger Suffo über Der Weg zur Amalthea - Eine Anthologie sowjetischer phantastischer Erzählungen



Eine Anthologie mit Erzählungen unterschiedlicher Autoren zu unterschiedlichen Thematiken setzt voraus, dass jedem Leser nicht alle Geschichten gleich gut gefallen. Anthologien aus „realsozialistischen“ Zeiten haben einen praktischen Vorteil: Sie werden nicht durch urheberrechtliche Fragen eingeschränkt. Ein weiterer: Die Herausgeber / Lektoren hatten eine gute Geschmacksbildung hinter sich. Denn eine Anthologie mit Texten aus einem „Bruderland“setzte ja einen Kenntnisreichen voraus, der die Texte aussucht und mindestens einen, der sie überträgt.
Insofern lohnen sich solche Bücher immer. Ganz ohne Perlen geht so ein Werk nicht.
Zu DDR-Zeiten gab es bereits ein Begriffsproblem: Der englische Ausdruck „Science Fiction“ (Fiktion) war verpönt. Wissenschaftlich-phantastisch üblich, utopisch häufig, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen als Schwerpunkt hatte.
Beim Untertitel zu diesem Bändchen muss man aufpassen: Da steht nur „phantastisch“ und dass das nicht als Werbung gemeint war, versteht sich von selbst. Der vorsätzliche Verzicht auf das „wissenschaftlich“ wirkt hier positiv. Alle Geschichten enthalten zumindest eine Prise verschmitztes Lächeln / Grinsen. Da darf die Idee durchaus absurd sein, Hauptsache sie ist etwas grotesk, seltsam, anregend zum Kopfschütteln. Skurril, ja, das auch. Mich überzeugten die nicht zu langen Geschichten am meisten. Sie ließen sich am Stück auf eine meist eigensinnige Pointe hin verfolgen. Ich weiß nicht, was Fans von „Per Anhalter durch die Galaxis“ tatsächlich zu diesem Band sagten. An sich müssten sie DIESE Art des feinen Humors auch mögen.
Etwas hoffentlich Unbeabsichtigtes scheint noch durch: Die Welt ist etwas sehr Sowjetunion, also die Helden selbst in fernen Galaxien stammen für mein Gefühl zu oft von dort. Aber auch dort mit Kopfschütteln: In dieser „Sowjetunion ist „Futorologie“ in.
Die meisten Pointen sind überraschend. Die am wenigsten überraschende ist die vom sowjetischen Ungeheuer von Loch Ness – man brauchte sich nur die Frage stellen, welches die absurdeste Lösung mit (hier ausnahmsweise) didaktischen Zeigefinger wäre ...

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1697

Wahrscheinlich darf man eine solche Geschichte nicht verbreiten. Irgendwie scheint sie ... sexistisch, oder?

Zweiter Frühling (10)
.

... Er wurde das Gefühl nicht los, alles verkehrt gemacht zu haben. Neuanfang?! …
Er hatte einmal gelesen, es könne dreimal im Leben eines Mannes passieren, dass, wnn er einer Frau in Leidenschaft begegnet, die Erde wackelt dabei. Sollte dies wahr sein, dann stünden ihm noch drei wackelnde Erden bevor. Er wäre so gern ein leidenschaftlicher Hengst sein, war aber nur ein Bürohengst geworden.
So begann er sofort seinen nächsten Brief:

Liebe Sabine,

es ist wahrlich nicht so, dass ich sonst nichts Wichtiges zu tun hätte. Allein, du geisterst mir beständig im Hinterkopf herum, dass ich wie unter Zwang schon wieder Zeilen an dich schreiben muss, noch bevor deine zweite Post eingetroffen ist. Ich kann einfach nicht anders. Zu sehr beschäftigt mich z.B. die Frage, ob ich in meinem letzten Brief nicht zu unverschämt gewesen bin, ob ich dich gar mit ihm verletzt haben könnte. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte dir leibhaftig gegenübergestanden und dich nach deiner Intimrasur gefragt … Mit Sicherheit wäre ich schon vor den ersten Worten rot geworden, hätte gestottert und meine Frage nicht zu Ende gebracht, hätte eine Ohrfeige erwartet und vor dir gestanden als ertappter, plötzlich nur schüchterner Junge …
Dabei war mir das nur so rausgerutscht wegen deines Briefpapierbildes, weil ich gedacht habe, so sieht ein ideal gestylter Frauenkörper aus … Nur der dunkle Fleck stört. Dieses Bild fordert den Mann, der dich als Frau begreift, dieses sowohl „Behüte mich!“ als auch reine Sinnlichkeit. IDEAL GESTYLT wäre dagegen weniger Kompliment als Zeichen von Künstlichkeit. Andererseits macht eine sorgsame Intimrasur einen besonders gepflegten Eindruck.
Von Pornos verstehe ich übrigens gar nichts. Verüble es mir also bitte nicht, sollte die Andeutung verletzend gewesen sein. Das wollte ich natürlich nicht. Vielleicht fällt deine Entrüstung aber nicht ganz so heftig aus, wenn ich eingestehe, noch niemals einen solchen Film oder ein solches Video gesehen zu haben? Nicht einmal ausschnittsweise. Ich habe einfach keine Vorstellung davon, was dein Video-Angebot Anderes enthalten sollte als „ganz privaten Sex“.
Ich bin verlegen, gespannt, unruhig, erwartungsvoll …
Ob morgen deine LISTE in der Post ist?
In welche Ecke TYP magst du mich stecken?Schließlich habe ich dich ja als (zufälliger) Leser eines SOLCHEN Blattes entdeckt. Ich darf dir insofern für gar nichts Vorwürfe machen …

Hier brach Dieter ab. ...

***   ***   ***

.Die "Gedichte des Tages" stehen morgen ganz im Zeichen ihres Erscheinungstages: Ostermontag, der 1. April:


.Ostermontag ... ja ... was nun? Vielleicht eine Nonsens-Oster-Nachblüte? Warum eigentlich nicht auch einmal ein Quatsch-Gedicht ... oder ist Roger Suffos keines, sondern "Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit"?
Ach soooo. Es ist ja AUCH 1. April ... Na, dann setzen wir natürlich mitBrunhild Hauschilds "April, April!" den Schlusspunkt.


Samstag, 30. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1696

Ist eigentlich an der erreichten Stelle der Erzählung schon offensichtlich, worauf sie hinausläuft? Gut wäre das nicht:

Zweiter Frühling (9)


Wie sag ich´s nur, ohne dass du mich missverstehen musst?
Lässt du dir eigentlich deine Schamhaare stehen?

Wieder stockte er.
Das war ja unverschämt indiskret. Dieter, sagte e sich grinsend, du kannst also noch über deinen eigenen Schatten springen. Und es klang … ja, es klang doch so „Hoffentlich rasierst du dich da unten. Ich find das so scharf, und schöner find ichs und unrasiert krieg ich es auch zu Hause...“

Und – ohne dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hätte – hat man von dir schon härtere als solch schöne Aufnahmen gemacht? (Ob Pornos mein Bild von dir verändern würde, weiß ich nicht. Wahrscheinlich müsste ich neu nachdenken. Erwartet hätte ich es nicht.)

Der Gedanke an Pornos ließ ihn nicht los. Was sonst aber sollte auf den VIDEOS angeboten werden?

Mein Interesse an deinem etc. bleibt. Oder lässt dir das Vermarkten deines Äußeren keine Restzeit für Hobbys neben „Naturkosmetik“ und „Sporttreiben“?
Durch das Geschäftliche bist du am Zuge – so oder so …
Schreib mir, ob du noch mehr als deinen goldwerten Köper freizulegan bereit bist! Natürlich hoffe ich, dass du meine Briefe nicht zerknüllst. Oder dass sie ALLEIN die Geschäftskunden-Nummer … erhalten.
Wie sehr du mich verletzt, wenn du mich Blödmann nennst, werde ich erst wissen, wenn du es getan hast. Ich hoffe, wenigstens dann komme ich los von dir. Aber viel mehr hoffe ich, ich wäre Anderes als ein Blödmann für dich. … Ich bin sehr aufgeregt.
Viele liebe Grüße und bis bald
Dein (!!!) Dieter

Er wurde das Gefühl nicht los, alles verkehrt gemacht zu haben. Neuanfang?! ...




Die "Gedichte des Tages" haben wie alle Tage ihre Regelmäßigkeit im Erscheinen ... nur weil Ostern ist, sind es eben welche zu Ostern ...


Womit wurde denn in zurückliegenden Jahren der lyrische Osterhase geschlachtet?

Slov ant Gali: Süßer die Glocken …

Slov ant Gali: Ostern fällt aus

Slov ant Gali: Johann Wolfgang beim ersten Versuch des Osterspaziergangs

(171) damals ostern

Slov ant Gali: Vom Weihnachtsmann- und Osterhasendasein

Anthologie zur Friedenslesung 2007: M. Osusky-Orima, ostern 1945

Oder Brunhild Hauschild hat sich des Themas mit dem nötigen Maß an wissenschaftlicher Genauigkeit angenommen: "Ei und Hase"...




...

Freitag, 29. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1695

Eigentlich ohne besonderen Anlass beginnen wir diesmal Prosaisch mit der nächsten Fortsetzung der Ehegeschichte:

Zweiter Frühling (8)


... Aus der Familie ausbrechen … ja. Noch einmal heiß neu anfangen, als wäre er gerade 20 mit seinen wirklichen Erfahrungen … Er weiß, er kann es nicht, er würde sich in ein Netz von Lügen und Schwächen verstricken, würde letztlich doch bei Frau und Kindern bleiben, aber der Traum war einfach zu toll, einmal mit einem solchen Rasseweib geschlafen zu haben. Die und dann … Nein, nicht sterben. Leben und davon zehren, wie es gewesen war. …

Bei den geilsten Posen, in denen du dich mir darbeitest, solchen, bei denen dich deine Nachbarn auf Übelste beschimpften, wenn sie die entdeckten, da möchte ich neben dem Traum vom irren Sex auch eine Streicheleinheit mit dem Gedanken „Ich bin dein Freund“ an dich verschenken. Versthst du? FREUND!
Etwas Anderes hast du nicht verdient.

Hatte er je bekommen, was er verdient hatte?
Eigentlich war er stolz, noch immer feurige Briefe schreiben zu können. Seine Geschäftsbriefe waren gnadenlos trocken, und wenn er nach Hause kam, dann fühlte e sich müde und schlaff. Manchmal fragte ihn Martina – so um halb zehn und nachdemsie den Frust ihres Arbeitstages über ihn ausgewürgt hatte – ob er sie denn … Dann floh er ins Bad oder in Kopfschmerzen.
Gelegentlich empfand e es als seine Pflicht, umgekehrt sie zu fragen, ob sie nicht Lust hätte ...Gerade dann hatte sie nicht, und erleichtert machte e ihr Vorwürfe, in ihrer Ehe wäre nichts mehr los.

Wie sag ich´s nur, ohne dass du mich missverstehen musst?
Lässt du dir eigentlich deine Schamhaare stehen?

Wieder stockte er. ...



... Natürlich verzichten wir nicht auf den Ausblick auf die nächsten "Gedichte des Tages" (Nr. 1918):


.Hanna Fleiss schrieb einmal, dass irgendwie alles mit allem zusammenhängt. Ihr Gedicht "Resümee" hängt mindestens in diesem Sinn mit Ostern zusammen ... 

Mit "Orangenscheibentanz" setzen wir die Vorstellung der Beiträge von Ricardo Riedlinger zu "Mit Blindenhund durchs Liebesland" fort.

Donnerstag, 28. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1694


.Na ... hätte Brunhild Hauschild ihren Hasen besser ins weiße Gras hineindichten sollen? Noch aber ist "Ostern 2013" noch nicht gelaufen ...

Mit "Was wir uns sind.." setzen wir die Vorstellung der Beiträge von Ricardo Riedlinger zu "Mit Blindenhund durchs Liebesland" fort.

Übrigens entspann sich als Kommentar folgender lyrischer Dialog:

Hanna Fleiss:
Alle Jahre Ostern

Man hat zu tun, ins Haus stehn Feiertage.
Familie kommt, wünscht sich Rosinenkuchen.
Der Höhepunkt: das Ostereiersuchen.
Ganz schlicht und fromm, beileibe kein Gelage.

So wird es sein. Wie alle Vorvorjahre.
Man drückt die Rangen an sich, Kind für Kind,
doch ist man froh, wenn alle Gäste weg sind.
So geht’s dann weiter bis zur letzten Bahre.

Ja, morgen ist Karfreitag. Wieder mal.
Die Jahre flutschen, ohne dass was bleibt,
man hat sie sich nur einfach einverleibt.
Und man begreift: Das meiste war trivial.

Slov ant Gali:

... Doch zwischen all dem trivialen Kram,
schau nur gut hin, ganz ohne Scham,
da bist du neben abgehakten Spesen
gelegentlich auch einfach MENSCH gewesen.





Tja ... und der Familienvaterhase auf prosaischen Abwegen ... wie gehts mit dem weiter?

Zweiter Frühling (7)


... Weitere Infos zu Veröffentlichungen sende ich auf Wunsch gern zu.
Ja, ich habe viele Briefe bekommen, die z.T. Nicht so nett wie deiner geschrieben waren.
Viele Grüße von Sabine

14.4.
Liebe Sabine,
nun ist also eine Frage beantwortet: wie das Bild entstanden ist. Professionell, um damit Geld zu verdienen.
Das macht dich aber weder hässlich noch unsympathisch. Nichts von dem, was ich bisher geschrieben habe, wird dadurch hinfällig. Ein kleines bisschen unangenehm ist mir allerdings die Vorstellung, du könntest mit deinem Freund (?) dasitzen und ihr macht euch beide über mich trotteligen Spinner lustig …

An dieser Stelle fühlte sich Dieter wie 16, als er sein erstes Traummädchen gefragt hatte, ob sie denn schon einen Freund habe. „Natürlich, du Dummchen“, hatte sie geantwortet. „Dachtest du etwa, ich würde ausgerechnet auf dich warten?“. Zwar war er kein Schuljunge mehr, abe Farbe sollte Sabine schon bekennen, wie hoch seine Chancen waren. Er musste einfach Chancen haben …

Lass mich dich doch ein Stück bewundern! Du siehst nun einmal so aus, dass dir scharenweise Männer zu Füßen liegen. Warum solltest du das nicht auskosten? Du, … vestehtst du?

Wieder machte er eine Pause und stellte sich seine Sabine in den Händen eines brutalen Zuhälters vor, sah sie als Irma La Douce oder Julia Roberts, die er befreien würde.

Mir wäre es jedenfalls ein Riesenglück, wenn dein Bild mich vom Schreibtisch, Dein Poster gar von der Wand her anlächelte. Wenn ich erstmal nur das haben kann, …
Also ich bin auf jeden Fall interessiert …
Hier stockte Dieter erneut. In seinem publikumsreichen Büro?! In seinem familienreichen Heim … ein SOLCHES Poster?! … Ja, die kenn ich …
Aus der Familie ausbrechen … ja. Noch einmal heiß neu anfangen, als wäre er gerade 20 mit seinen wirklichen Erfahrungen ...

Mittwoch, 27. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1693

Die Ankündigung der Gedichte des Tages Nummer 1916 sieht folgendermaßen aus ...


Nach dem Happyend wird gewöhnlich abgeblendt? Bei uns nicht. Wir bedichten auch die endlos scheinenden Ebenen der "Ehe" ...

Mit "Ein Lebenszeichen aus den Trümmern..." setzen wir die Vorstellung der Beiträge von Ricardo Riedlinger zu "Mit Blindenhund durchs Liebesland" fort.


... und der erste Antwortbrief auf des Dieters späte Fantasien so:

Zweiter Frühling (6)


 Dann hätte er den Brief neu anfangen müssen und wahrscheinlich niemals abgeschlossen.
Für wie alt mochte Sabine ihn wohl halten. Für wie einsam?

Am nächsten Tag sollte er einen Brief (Nachgebühr) von der Post abholen. Glücklicherweise war Martinas Rückkehr von ihrer Arbeit noch später zu erwarten. So blieben ihm lästige Fragen und unwahre Antworten erspart.
Der Brief begann mit einem Stempel: „ Sabine Täufel, Postfach 7, Kannlingen am Bodensee“ und einem Microsoft Explorer … einen Farbdruck-Akt. Der füllte das erste Viertel der Seite. Dann folgte der Text:

12.4.
Hallo Dieter,

Vielen Dank für deine Zuschrift, auf die ich dir heute antworten möchte, unfrei, da ich noch viel mehr Zuschriften ohne Rückporto erhalten habe. Erstmal kurz zu mir: Ich bin Sabine, 21 Jahre und von Beruf Fotomodell. Meine Hobbies sind Naturkosmetik und Sporttreiben. Pivat gehe ich nie tanzen, aber vor der Kamera muss ich mich meist tänzerisch bewegen. Im Ergebnis der Sessions biete ich Interessenten meine privaten Fotos, Discs, Poster bzw. Videos an. Wenn Du auch interessiert bist, kann ich gern eine Preisliste mit Beschreibung zusenden. Auf jeden Fall sollte Rückporto beiliegen. Wenn du willst, kannst du mich auch in einigen Magazinen bewundern, z.B. in einer Sonnenuntergangsuferserie in ganz Akt. Weitere Infos zu Veröffentlichungen sende ich auf Wunsch gern zu.
Ja, ich habe viele Briefe bekommen, die z.T. Nicht so nett wie deiner geschrieben waren.
Viele Grüße von Sabine
...



Dienstag, 26. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1692

Die Gedichte des Tages im Zeichen des bevorstehenden Osterfestes und der Blindenhund-Liebe und eine Fotoreiz-Gefühlsaufwallung in Prosa ... auch eine Mischung:


Brunhild Hauschild nimmt mit "Ostern 2013 oder Es wird Zeit"noch einmal die Tauwetter-Gewissheit vom vergangenen Freitag auf. Dass sie sich dabei auf Herrn Goethe beruft, erscheint mir in Anbetracht, dass der seinem Osterspaziergang ja auch einen optimistischen Menschheitsausblick im zweiten Faust-Teil anbietet, durchaus passend ...

Mit "Fingernagelspitzengänsehaut" setzen wir die Vorstellung der Beiträge von Ricardo Riedlinger zu "Mit Blindenhund durchs Liebesland" fort.

Zweiter Frühling (5)

... Darf ich davon träumen, dir irgendwann DANACH dein goldenes Haar zu kämmen? Es zu streicheln?...

Bitte, bitte, sei mir doch nicht böse: Nach diesem Gedicht … Ich musste dir einfach ein zweites Mal schreiben, obwohl du mir auf das erste Mal noch nicht geantwortet hast. Die ganze Zeit rügt mich eine innere Stimme: Mit DIESEM Gedicht anzufangen, nein, das geht doch nicht …
Ein wenig anhimmeln darf ich dich doch, wenn mich gerade der Alltag zu weit aus der Bahn geworfen hat. Ein wenig möchte ich hoffen dürfen, dass es dich freut, dass du mich mit deinem Bildchen bis tief unter die letzte schützende Haut getroffen hast. Ich kann die Augen offen halten – ich sehe dich, ich kann sie schließen und ich sehe dich weiter. Mal sehe ich dich als Göttin, die man nicht berühren darf, mal sehe ich dich als liebes, sanftes Mädchen, dem man nicht wehtun darf, mal finde ich in dir das Fleisch gewordene, lustvolle, unendlich erfüllende weibliche Geschlecht, zart und feurig zugleich, worin alle Männerträume ihr Ziel haben, ein Weib, mit dem ich über ALLES reden kann, was mich beschäftigt, bewegt, aber alles zum Verstummen bringt, nähert sich deine Hand …
Schon okay. Ich bin ein Spinner.Aber würdest du wirklich keinen wollen?Nicht wenigstens ein kleines bisschen? Nein? Nein?!
Schreib trotzdem! Stell dir vor …
Ach, schreib erstmal!Vielleicht wird was draus.
Dieter

PS: Habe ich dir eigentlich geschrieben, dass ich dich ganz toll finde?

Wenn er mit diesen Zeilen keinen Eindruck bei dem Mädchen hinterließe …
Dieter faltete den Brief zusammen, schon fürchtend, beim nächstbesten Blick schon das erste zu entdecken, das er nicht so schreiben sollte, wie es da stand. Dann hätte er den Brief neu anfangen müssen und wahrscheinlich niemals abgeschlossen.
Für wie alt mochte Sabine ihn wohl halten. Für wie einsam?

...

Montag, 25. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1691

In mein Gedächtnis brannten sich am Wochenende zwei Eindrücke besonders ein: Schneemänner, die richtig darauf zu warten schienen, dass hinter ihren Mohrrübennasen Ostereier versteckt würden, und eine Fenstergestaltung, die das bevorstehende Fest als Wostern betrachtet: ein Weihnachtsgesteck mit Birkengrün ohne Grün ... Anregung für poetische Ausflüge ...


.Als "Frühlingsgedicht" kann man die melancholischen Töne von Hanna Fleiss wohl nicht gerade bezeichnen:"Fassaden und Maskeraden". Zum Glück kann man aus langer Sicht darauf antworten: "Es kann nicht ewig Winter bleiben ..."

Mit "Wir sind...." setzen wir die Vorstellung der Beiträge von Ricardo Riedlinger zu "Mit Blindenhund durchs Liebesland" fort.


Zweiter Frühling (4)

... Inzwischen war Ben 13, Anne 11 und Martina hatte irgendwann aufgehört zu suchen. Dieter hätte nicht sagen können, wann genau …

Berlin, 11.4.
Liebe Sabine,
nun liegt dein ausgeschnittnes Bild schon den vierten Tag bei mir auf dem Schreibtisch. Zur Zeit habe ich viele eklige, langweilige Dinge zu erledigen. Aber immer, wenn ich am liebsten alles hinschmeißen möchte, dann schaue ich dich an, mich trifft dein hintergründiges Lächeln und alles geht wieder leichter weiter. Dafür danke ich dir.
Inzwischen stürmt und wütet es und zornige Wellen klatschen gegen das Ufer vor meinem Fenster. Ich weiß jetzt, du stammst aus einem Märchen, einem schönen, grusligen. Dein Vater, ja, der grollt.
Lange habe ich überlegt, warum du mir so merkwürdig bekannt vorgekommen bist. Jetzt ist es mir eingefallen: Nicht Sabine, Undine ist dein richtiger Name, unter dem ich so viele Geschichten über dich gelesen habe. Das Haar war es, das lange, glänzende, die Kette, die Augen, in denen ich als Betrachter zu versinken scheine. Du bist ein Geschöpf der Meerestiefen, dieses allerschönste, unwiderstehliche. Du lockst Männer in die Unterwasserwelt, wo sie an deinem Kuss ersticken. Der letzte Beweis fehlt zwar noch – was das Wasser da verbirgt, muss ja kein Fischschwanz sein – aber …
Und wenn! Ich habe keine Angst. Zieh mich in die Tiefe, und ich werde meine letzten Lebensmomente auskosten.
Ich kann dich aber auch in ein Menschenmädchen verwandeln, nur immer noch viel schöner als die anderen. Willst du? Ich träume schon von dem Augenblick, in dem du dich rein und nackt vor mich stellst und sagst: „Schau, nichts an mir ist mehr Fisch, nichts kalt. Heiß ist mir und wenn sich durch meine Berührung ein Stück von dir in einen Riesenaal verwandelt, so überlasse es meinen Händen, dass ich ihn in meinen Strudel versenke, bis wir nicht mehr wissen, wer wir waren, sind, sein werdennur noch zittern in der Erregung des Urquells ...“Darf ich davon träumen, dir irgendwann DANACH dein goldenes Haar zu kämmen? Es zu streicheln?...




Sonntag, 24. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1690

Umweltschutz einmal anders bedichtet:


.Die Früchte, um die es im Testgedicht "Guten Appetit" geht, haben wenig mit der Natur im engeren Sinne zu tun. Als Beitrag zu "Voran zur Natur" könnte dafür der folgende Spruch gelten: 
Umweltschutz geht alle an
vor allem alle andern.
Kommt, baut nen Nordic-Walking-Pfad
durch die Natur zum Wandern!

Mit " Schweißtropfenfall" setzen wir die Vorstellung der Beiträge vonRicardo Riedlinger zu "Mit Blindenhund durchs Liebesland" fort.


... und in der Prosa stand gerade ein Gedicht:

Zweiter Frühling (3)


... Böse, Sabine?!
Es ist nun einmal „so eine“ Zeitschrift, die Mann sich kauft, wenn Mann sich einsam fühlt und Fotos wie deines betrachtet und sich in den Augenblick der Aufnahme hineingezaubert wünscht, und sei es als Fischlein, das bei dir anbeißen darf. Ich jedenfalls war richtig eifersüchtig auf den Fotografen ...
Egal. Vielleicht gibst du mir trotzdem eine Chance, dich kennen zu lernen. Magst du eigentlich Briefe schreiben … heute noch?
Suchst du einen Traumprinzen, schön und gewandt in allen Lebenslagen?
Gehst du viel tanzen? Liest du Bücher?
Was magst du? Was magst du nicht?
Bisher kenne ich doch nur dieses eine Bild. Das sagt, du magst deinen Körper, aber … wer würde den nicht mögen?
Worüber denkst du nach? Was macht dich traurig, macht dich glücklich?
Hast du viele ordinäre Post bekommen? Was hast du da beim Lesen empfunden? War das Bild ein Zufallsschnappschuss?
War …? Ist …? Was …?
Erzähl bitte von dir, was immer dir wichtig scheint. Ich möchte mir viele Bilder von dir machen. Ich lebe dann durch dich.
Auf bald
Dieter

Martina hatte er durch eine Anzeige kennen gelernt. Damals vor 15 Jahren als e noch auf die große Liebe gehofft hatte. Sie hatten sich lange geschrieben, bevor er erfühlen konnte, was unter Martinas Bluse steckte. Irgendwann hatte die dann zugegeben, dass sie ihn seine Briefe wegen für einen ganz tollen Kerl gehalten hatte. Wer so hatte schreiben können, bei dem musste sich viel Schönheit unter der Schale finden lassen.
Inzwischen war Ben 13, Anne 11 und Martina hatte irgendwann aufgehört zu suchen. Dieter hätte nicht sagen können, wann genau …



Samstag, 23. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1689


.Einer der heitersten Kandidaten für "Voran zur Natur" ist ein Gedicht, bei dem sich im Vortrag besonders leicht das Vergnügen beim Schreiben an die Zuhörer weitergeben lässt, ist "Ein Hundeschicksal". Also Hier noch einmal dieser Gedichtspaß ...

Mit "Kamikaze-Regentropfen" setzen wir die Vorstellung der Beiträge von Ricardo Riedlinger zu "Mit Blindenhund durchs Liebesland" fort.


.Damit ordnen sich die beiden Gedichte in ein etwas zurückliegendes und ein in Arbeit befindliches Buchprojekt ein. Vergleichsweise alt ist dagegen die Prosa. Sie stammt aus der Zeit erster literarischer Gehversuche:

Zweiter Frühling (2)

...

Berlin, den 8.4.
Liebe Sabine,

leider ist deine Fotografie in … du weißt schon wo … von einem darmaßen überwältigenden Reiz, dass es für meinen Brief wohl schwer werden wird, zwischen den Massen aufzufallen.
Andererseits fehlt es mir an Selbstbewusstsein, zu glauben, ich könnte dich mit einem Bild von mir in vergleichbarer Weise beeindrucken. Eher wohl weniger. Sei deshalb also bitte nicht beleidigt, wenn ich es an Stelle eines solchen mit einem … Gedicht probiere.
Natürlich steckt in deinem Gesichtsausdruck etwas ganz Liebes, Angenehmes, Sanftes, beinahe Engelsgleiches, das eigentlich die Sympathie bei mir geweckt hat und den Wunsch, Dir zu schreiben, aber …

Die Männer wollen - ´s ist das Gemeine
bei Frauen immer an das eine,
das weiche Schlupfloch unterm Bauch -
nur keine Angst, das will ich auch -
doch intressiert mich an Dir, Weib,
viel mehr als nur dein Unterleib.
Ich gebe zu, mich macht dein Bild
mit oben ohne schon sehr wild,
es lässt auf die Erfüllung hoffen,
dass du auch unten dich zeigst offen.
(Posierst du grad in DIESEM Blatt,
ein jeder Mann ewartet hat,
dass du ein scharfer Feger bist,
was schließlich ja nichts Schlimmes ist.)
Zwar, Elfe, bete ich dich an,
doch wenn ich mehr nicht leisten kann,
hätt ich bei dir bestimmt nur Trauer,
du brauchst was Festes auch mit Dauer.

Böse, Sabine?!
Es ist nun einmal „so eine“ Zeitschrift, die Mann sich kauft, wenn Mann sich einsam fühlt und Fotos wie deines betrachtet und sich in den Augenblick der Aufnahme hineingezaubert wünscht, und sei es als Fischlein, das bei dir anbeißen darf. Ich jedenfalls war richtig eifersüchtig auf den Fotografen ...




Freitag, 22. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1688

Konservativ heißt auch, an Vertrautem festzuhalten. Inzwischen sollte jeder sich daran gewöhnt haben, dass es hie mit den "Gedichten des Tages" des Folgetags losgeht:

Ein Blog, das "Gedichte des Tages" heißt und wirklich jeden Tag erscheint, erfasst ein breites Schema von lyrischen Gegenständen und Gestaltungsweisen. Zwei Extreme seien heute "zusammengestellt", also zusammen gestellt. Da wäre Hanna Fleiss, die sich mit "Von Nächten und Lemuren" erneut an ein Shakespeare-Sonett wagt. Dazu oder daneben stellen wir einen Beitrag von Ricardo Riedlinger aus "Mit Blindenhund durchs Liebesland": "Metamorphose 1" ... welch Welten und beides Lyrik...

Vertraut dürfte einem das nachfolgende Klischee vorkommen, ganz Prosa, ganz alt:


Zweiter Frühling

Dieter hatte keine Hemmungen an der Kasse nach dieser Sexzeitschrift zu fragen, die dort nicht offen herumliegen durfte. Fast keine Hemmungen zumindest, denn die Kassiererin hätte er gern auf jenen Seiten wiedererkennen wollen. Doch er hatte es eilig. An diesem Tag wollte er eine Stunde vor den anderen den Platz im Büro besetzen.
Dieter zog seine Chipkarte durch die Stechuhr. Endlich Ruhe. Noch etwas Zeit, ungestört die geilen Seiten zu genießen. Wenigstens alles kurz überblättern … Doch stopp. Was war denn das für eine …? Es waren angeblich „ganz private Leserfotos“, also Leserinnen. Zwar blätterte er weiter, doch immer wieder kehrte er zu diesem Bild mit dem Vermerk „Zuschriften erwünscht“ zurück. Es zeigte ein Mädchen von vielleicht 20 Jahren mit langen rotblonden Haaren, das halb aus dem Wasser kommend leicht verlegen an der Kamera vorbei lächelte.
Dieter schlug die Zeitschrift entschlossen zu, packte sie in die oberste Schreibtischschublade hinter das Büroklammerkästchen. Er bedeckte den Schreibtisch mit Ordnern und Arbeit, die am bevorstehenden Vormittag zu erledigen war. Er schaltete den Computer an, begann zu schreiben … Doch er konnte sich nicht konzentrieren.
Schließlich holte er die Seite wieder hervor, nahm seine Schere, schnitt, nachdem er sich überzeugt hatte, dass auf der Rückseite nichts Erhaltenswertes stand, den Halbakt aus und klemmte ihn über das Foto seiner Frau und seine beiden Kinder, die ihm wie immer vom linken Schreibtischrand her zuwinkten. Dann rückte er das Namensschild in Goldbuchstaben zurecht, das jedem Hereinkommenden zeigte, hier beriet ihn „Herr Platte“. ...


Donnerstag, 21. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1687

Diesmal geht es "Voran zur Natur" - egal ob zu Frühling oder Sommer oder zum verpassten zweiten Ehefrühling in der Prosa:

Wüsste man nichts von Brunhild Hauschild, könnte man annehmen, "Tauwetter" könne eine ganz gewöhnliche Reaktion auf das Bild sein, dass sich einem beim Blick aus dem Fenster bietet. Aber da könnte eben, weil die Autorin eben diese Autorin ist, eine weitere Ebene dahinter verborgen sein. Obwohl es im Jahreslauf ein Stück weiter voraus ist, bietet sich als Vergleich "Gewissheit" an ...

Anjas Nachthemden (5 und Schluss)


... Sie habe da etwas in einem Katalog gefunden, nur 2950 Euro als Kombination mit zwei passenden Nachtschränkchen. Das Ganze heiße Nachtparadies, und sie habe es schon bestellt.
Manfred kam das wie ein Wink mit einem Gartenzaun vor.

Er war an diesem Morgen allein zu Hause. Er öffnete den Kleiderschrank. Ordentlich gestapelt lagen dort zehn Nachthemden, sicher sortiert von Größe 36 unten zu Größe 40 oben, alle kaum berührt. Vor ihnen breiteten angerauhte Schlafanzüge ihre abgenutzten Massen aus.
Auch diesmal wollte Manfred Anja ein Nachthemd schenken … seiner „Eva im Paradiesbett“. Aber in diesem Jahr würde er einen langen Brief dazulegen. Er würde schildern, mit welcher Sorgfalt er das zarte Stück ausgesucht hatte, wie viele Beratungsnöte e der Verkäuferin abverlangt hatte – nicht jedes Nachthemd sei schließlich einem „Paradiesbett“ angemessen, das musste sie beücksichtigen. Damit erhoffte er Anjas Lachen. Dann aber würde er ihr treu geblieben wäre die ganzen Jahre trotz allem, und dass er es wohl bliebe; aber er hasste Schlafstrümpfe und angerauhte Schlafanzüge an seiner Frau, und er möchte sie wieder begehren, und ob sie ihn denn wieder begehren könne, aber über ihre Schatten springen – er über seinen, sie übe ihren – das könnten sie doch nur zusammen, und wenn sie dazu die Kinder die ganzen Sommerferien lang zu Verwandten geben müssten und …
Die Gedanken sprudelten nur so, wie ihre Ehe rundherum verändert werden müsste und könnte, damit sie wäre wie beim ersten Nachthemd, dem, das nicht mehr im Schrank liegen konnte. Er schrieb die Gedanken nieder, er las es, und es gefiel ihm.
Beim ersten Lesen. Dann aber wurde er unsicher.
Ach Anja, stöhnte er, warum verstehst du nicht, dass ich dir etwas sagen wollte mit all den Nachthemden, die du dann doch nicht trägst?
Manfred begann, Satz für Satz zu korrigieren. Irgendwann knüllte er das Papier zusammen, warf es in den Papierkorb und legte das Nachthemd mit einer lustigen vorgedruckten Geburtstagskarte versehen auf den Geburtstagstisch ...

Mittwoch, 20. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1686

Traditionell zuerst die "Gedichte des Tages" von morgen:

Lyrik ist etwas sehr Eigenartiges. Als Gedicht fasst man heutzutage alles, was ver-dichtet gesagt wird. Das kann eine klare Aussage sein, das Nachempfindbarmachen eines klaren Gedanken in Worten, die man nicht überall in gleicher Weise findet, also sehr individuell ist - ich schlage als BeispielUrsula Gressmanns "glück" als Beispiel vor - es kann aber auch ein vager Anstoß zum Weiterdenken oder überhaupt zum Nachdenken über etwas sein, jaeine Verunsicherung, die uns im positiven Fall geistig voran bringt. Man kann das dem Gesang annähern, kann aber auch seine individuelle Bildsprache ausprägen ... mit der Gefahr, dass sie nicht mehr jeder versteht. Aber muss immer jeder alles verstehen? Thomas Reich"Ketchupherz".

und zum Abschluss eine Fortsetzung der Prosa:

Anjas Nachthemden (4)


... Manfred schenkte ihr trotzdem regelmäßig raffiniert gearbeitete neue. Doch es wurde eine immer mehr nur rituelle Art zu sagen: Ich will dich immer noch.

Jedoch kaufte Anja sich nun selbst dicke Schlafsocken und kuschelige Schlafanzüge. Wenn sich ein Hauch fester Männlichkeit an Manfreds abendlichem Körper rührte, dann sah er zu ihr hinüber und die Erregung machte schläfriger Geborgenheit Platz.
Bei der Ärztin sah er an sich herunter: „Schon seit Monaten hängen wir durch. Die ganze Ehe ist schlaff geworden.“
Für das Organ gab es ein Stärkungsmittel. Da lag dann Anja im Dunklen, das einzuweihende neue Nachthemd über den Bauchnabel hochgezogen, und Manfred presste ihr das Füllhorn medizinischer Leistung tief in die Verstecke vergangener Leidenschaft.
„So also geht Chemie.“ Anja zog den Schlafanzug über das Nachthemd und regte die Durchblutung ihrer Fußsohlen an. Anja und Manfred lebten weiter beieinander.
Es wurde zum familiären Ritus der Vergänglichkeit, dass in jedem Jahr ein neues Nachthemd sich vergeblich in Anjas Intim leben zu drängen hatte. Ob es Manfred einfach nur an Fantasie fehlte? Irgendwann hatte dann aber auch das Interesse nachgelassen. Da zog er selbst es vor, seine Ruhe zu haben. Gestritten haben sich die beiden ja nicht.
Anjas elfter Geburtstag im Ehebett war an sich kein besonderer, kein runder oder auf andere Weise aus der Gleichförmigkeit ausbrechender. Trotzdem beschlich Manfred schon Wochen zuvor ein vages Unbehagen. Jene Bettstatt, die ihrer beider Liebesleben das vergangene Jahrzehnt begleitet hatte, war unanshlich geworden. Ein neuer Bezug, ja, wenigstens der war inzwischen fällig.
Anja fand, eine Matratzenfeder würde sie von unten quälen, wenn Manfred denn, so er denn gelegentlich doch noch zu ihr von oben käme. Sowas Seltenes, wollte Manfred erst abwimmeln. Nein, eigentlich stöete es sie immer. Was hielte er von einem ganz neuen Bett mit Latexmatratzen, flexiblen Lattenrosten und einem verstellbaren Kopfteil? Sie habe da etwas in einem Katalog gefunden, nur 2950 Euro als Kombination mit zwei passenden Nachtschränkchen. Das Ganze heiße Nachtparadies, und sie habe es schon bestellt.
Manfred kam das wie ein Wink mit einem Gartenzaun vor. ...



Dienstag, 19. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1685

Zwei Gäste bei den morgigen "Gedichten des Tages":


Roger Suffo hat einst meine Zusage, ich würde seine neuen Gedichte berücksichtigen. Was bleibt mir übrig, wagt er sich diesmal aktuell an Zypern heran - also aktueller geht es ja kaum noch: "Gutbürgerlich & Deutsch GmbH" ... gar nicht so schlecht der Titel ...
Auch das ein Versprechen: In Vorbereitung der Gedicht-Sammlung "Manche nennen es Liebe" an Ricardo Riedlingers Gedichte aus "Mit Blindenhund durch Liebesland" zu erinnern: "weeping nights" ...



Dagegen plätschert es prosaisch ehelich weiter:




Anjas Nachthemden (3)


Anja fror an den Waden, den Füßen, den Oberschenkeln, …, das Baby wimmerte im Flur. Wütend verwandelte sich Manfred in einen Hengst, der mit aller Kraft hoffte, diesmal, ja diesmal endlich schon wieder funkte es bei Anja in jeder Hinsicht.

Anjas Gedanken kreisten unsicher zwischen dem Baby draußen und den Vielleicht-werde-ich-ein-Bäby-Fädchen drinnen in ihrem Bauch. … Ja, umziehen sollte man in eine größere Wohnung, bevor das zweite kommt … Nein, es ist nicht eideutig, ob Sie Röteln haben und wie gefährlich das sein könnte, aber besser ist´s, Sie lassen sich impfen.
Das Nachthemd zu Anjas Geburtstag fiel eine Nummer größer und lang und weich aus, doch schon in der Woche darauf passte sie nicht mehr hinein.
Vom Kinderkriegen hatte sie danach erst einmal genug. Auch Manfred war zumindest froh, dass sie Benny nach den Fiebertagen endlich übern Berg hatten. Grau war Anjas ungeschminktes Gesicht, als sie sich wieder als sie sich wieder über ihre Arbeiten zum dritten Semester beugte.
So richtig sicher wäre die Pille wohl erst ab dem zweiten Zyklus. Ängstlich musterte Anja das Stück Manfred, das einfach nicht auf dessen Zehen schauen wollte. Dann strich sie des großen Manfreds Kopf und dankte ihm, dass e ihr nicht einmal mit den Händen untreu geworden sei. Kann sein, es war doch die Pille, die an diesem Abend doch verhütet hatte …
Nach außen war die Kinderfrage mit einem saubeen Kompromiss beantwortet: Jeder war in seinen Vorstellungen dem anderen um zwei Kinder „entgegengekommen“. So waren sie ihren Plänen gleich nah wie fern geblieben.
Anja erreichte das Prädikat „gut“. Die Frauen ihrer Seminargruppe stolzierten herum: Männer müssen sich bemühen, wenn sie ES von uns wollen. Anja wollte ES inzwischen nur noch selten. Und wenn, dann merkte es Manfred nicht. Ihr ursprügliches heißes Fordern KOMM JETZT verstaubte mit einem der ersten Nachthemden. Manfred schenkte ihr trotzdem regelmäßig raffiniert gearbeitete neue. Doch es wurde eine immer mehr nur rituelle Art zu sagen: Ich will dich immer noch. ...

Montag, 18. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1684


Spannend sind die Augenblicke, wenn man sondiert, ob man selbst der Meinung ist, jetzt könnten genügend Gedichte zusammen sein, sie zusammen mit guten Dichterfreunden veröffentlichen. Dann wird sortiert und betrachtet, was da Gedicht genannt werden will. Heraus kommt aber zuerst einmal Zweifel. Es wird geändert. Manchchmal entsteht im eigenen Empfinden Besseres, manchmal wachsen nur die Zweifel, ob das Produkt "funktioniert". Zur letzten Gruppe gehört "entbunden". Es ist in dieser Fassung ein neues "Testgedicht" ...
Im Boot des Lyrikprojektes "Manche nennen es Liebe" ist voraussichtlichRicardo Riedlinger. Er wurde bisher mit Gedichten in "Mit Blindenhund durchs Liebesland" bekannt, an die hier erinnert werden soll. Beginnen wir mit "Stürzender Wolf".


.Spannend geht es in einer Ehe auch irgendwie zu. Also weiter mit der erotischen Ehegeschichte:

Anjas Nachthemden (2)


... Auch er hatte übrigens ein Nachtkleid besorgt. Schließlich sollte Anja etwas zum Bedecken tragen, sollte sie während ihrer Hochzeitsreise über den Hotelflur schweben müssen. Eine unsinnige Idee. Das Stück blieb zusammengelegt in einer Schrankecke.

Manfred wollte Vater von vier Kindern werden. Anja wollte keine Kinder gebären müssen.
„Mit dir wäre es vielleicht etwas Anderes – probieren wir´s mal ...“, zeigte sie sich kompromissbereit.
Was vorher zu tun war probierten sie Monate lang. Manfred im Eifer, es müsste doch endlich gelingen, Anja in Sorge, wann es denn unverrückbar passiert wäre. Vergeblich.
Dann machten sie einen Tagesausflug mit dem Rad. „Übernimm dich nicht“, scherzte Manfred, „vielleicht bist du schon schwanger.“ Am nächsten Morgen war Anja übel und der Frauenarzt bestätigte, dass es gut sei, wenn Manfred bei der Entbindung dabei sei.
Es begann die Zeit, in der Anja von der Nacktschläferin zur Schlafanzugschläferin mutierte. Sie entdeckte Manfreds Unbenutze im Schrank. Manfred fand es anfangs genauso putzig wie Anja, wie Anjas Formen allmählich in den Stoff hineinwuchsen.
Im Krankenhaus schämte sich Manfred: Er sah zu, wie in Anjas Pobacke Wehenmittel gespritzt wurde, und alles drängte ihn dazu, sie an dieser Stelle zu streicheln, mehr noch: Jetzt, genau in diesem Augenblick hätte er ES tun wollen mit Anja. War er etwa pervers? Ein Glück: Der grüne Kittel über der Hose verbarg seine Erregung vollständig.
Anja zeigte ihm, wie sehr ihr seine massierende Hand über den Schmerz hinweghalf. Das Stillnachthemd trug sie dann aber nur im Krankenhaus. Manfred Schlafanzugjacken ließen sich viel leichter aufknöpfen. Nur … „Ich hab Durchblutungsprobleme.“ antwortete sie auf Manfreds fragenden Blick auf ihre Füße. Sie hatte seine dicksten Socken gegen dieses Problem entdeckt.
An Anjas Geburtstag hatte noch kein neuer Pillenrhythmus begonnen. Dafür lag ein knielanges Nachthemd auf dem Ehebett. „Wollen wir ES nicht mehr probieren?“
Anja fror an den Waden, den Füßen, den Oberschenkeln, …, das Baby wimmerte im Flur. Wütend verwandelte sich Manfred in einen Hengst, der mit aller Kraft hoffte, diesmal, ja diesmal endlich schon wieder funkte es bei Anja in jeder Hinsicht. ...



Sonntag, 17. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1683

An diesem Sonntag versuchen wir es mit brandneuer Testlyrik in Kombination mit einem "uralten" erotischen Text:

Wenn ich schreibe, dann nutze ich auch meine zwei Augen zum Testen der Gedichtbabys: das weinende und das lachende. Aber es hilft nichts: Ich lieb sie erstmal in katholischer Dreifaltigkeit als Mutter, als Vater und als Eiliger Geist. Es dauert also, bis ich zur Selbstkritik fähig werde. Wenn es dann noch um ein "Trinklied" geht, dann bügle ich mir die Melodie zurecht, und überhaupt finde ich alles "so nett" ... da muss schon ein(e) andere(r) kommen, mir zu sagen, so geht das aber nicht ....





Anjas Nachthemden (1)

Als sie sich kennen lernten, schlief Anja nackt.
Manfred hatte damals viel Kummer gehabt, privaten, beruflichen, gesundheitlichen. Wenn, dann kam alles auf einmal. Ihm war es deshalb wie ein Wunder vorgekommen, dass ihn Anja gleich am ersten Abend mit in ihr Bett nahm. Weniger verwunderlich hatte er gefunden, dass er sie in dieser Nacht nicht hatte befriedigen können. Das „Wunder“ klärte sich später auch auf: Eigentlich hatte sich Anja nur mit einem nicht zu frostigen Abschiedskuss für immer entfernen wollen; ihr Frösteln im zugigen Hausflur hatte er für Begehren gehalten und geglaubt, dem entsprechen zu müssen, womit er Anja als überraschend stürmischer Liebhaber erschienen war, weshalb sich bei ihr wirklich Begehren meldete. Er hatte sie fünf Treppen hochgetragen und schon vor ihrem nächsten Geburtstag geheiratet.
Richtig Angst jagte das Mädchen dem Jungen zu dieser Zeit ein: Immer wieder riss sie ihm die Sachen vom Leib. Selbst wenn der Reif an ihrer Ein-Zimmer-Wohnungswand glänzte, musste er „seinen Mann stehen“, was er mal konnte, aber eben mitunter auch nicht.
Äußerlich schienen die beiden einander ideal zu ergänzen – welcher Mann beichtete seinen Kumpels schon, nicht Manns genug für eine, also für diese seine Frau zu sein …
So packte er unter dem Johlen der anderen Hochzeitsgäste das Geschenk seines besten Jugendfreundes aus: ein Nachthemd, zusammengehaucht, dass es keine Überlebenschance über die erste Anprobenacht zu erwarten schien.
Auch er hatte übrigens ein Nachtkleid besorgt. Schließlich sollte Anja etwas zum Bedecken tragen, sollte sie während ihrer Hochzeitsreise über den Hotelflur schweben müssen. Eine unsinnige Idee. Das Stück blieb zusammengelegt in einer Schrankecke. ...

Samstag, 16. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1682

Heute einmal alles aus eigener Feder. Zuerst  die "Gedichte des Tages" für morgen ...

Nur zur Beruhigung: Im Laufe des Tages strahlte die Sonne im Vorgefühl kommender Kraft. Aber der Eindruck, es könne ein "Computerfehler März" vorliegen, ist noch frisch. Und da kommt mir auch gleich noch ein "Spitzwegig"es Wispern an ...



... und dann noch eine Rezension bei lovelybooks (So kann das nicht weitergehen):

Peter Michel: "Kulturnation Deutschland"
Wer einen solchen Titel liest mit dem Untertitel „Streitschrift wider die modernen Vandalen“ erwartet Polemik, in der die Titelfrage mit einem klaren Nein beantwortet wird. Das Coverfoto verstärkt diese Erwartung noch, weil es einen geplagten Mann zu zeigen scheint.
Doch das kleine Büchlein verweigert sich einseitiger Parteilichkeit. Gerade das aber macht es so wertvoll. 
Es zieht einen roten Faden von der Römerzeit über die Araber zu den Faschisten, der DDR ins Deutschland nach einem sogenannten Einigungsvertrag. Er verschont niemanden, der sich jeweils zum Sieger der Geschichte erkor und zur vermeintlichen Selbsterhöhung das Kulturschaffen der Vorigen zu vernichten sucht. Er versucht die Arten des Vandalentums zu Gruppieren und die Beweggründe dafür auch. Insofern kommt die DDR noch relativ gut davon. Bei ihr wirkte hauptsächlich eine Mischung aus geistiger Borniertheit der politisch Verantwortlichen und der langen Nachkriegsarmut, wo Anderes als der Erhalt von Kulturgütern wichtig schien.
Michel verliert sich im hinteren Mittelteil ein wenig in Details einzelner Beispiele, bei denen nicht alle gleich nachvollziehbar wesentlich erscheinen. Insgesamt gelingt ihm aber gerade dadurch der rote Faden, dass die geistige Tiefschlagleistung einer Bundeskanzlerin Merkel, dass in einer Diktatur wie der DDR gar keine Kunst entstehen konnte, ein Schlaglicht auf den bevorzugten Umgang mit DDR-Kunst wirft: Gerade die Künstler, die stets ein besonders individuelles und damit nuanciert kritisches Verhältnis zu den sie umgebenden Verhältnissen haben müssen, werden geopfert: Es muss alles, was zum Leben der DDR gehörte, „delegitimiert“, nuanciert schlecht gemacht werden. Politik vor Kultur. 
Kaum denkt man, jetzt wird’s zur linken Polemik, zeigt Michel aber Beispiele, dass es eben in der deutschen Kulturwirklichkeit auch anders geht. Ich teile allerdings nichts die Meinung, dass sich dabei ein positiver Trend abzeichnet. Die politische Verbannung von DDR-Kultur weicht nur subtilerem ideologischem Bekämpfen. Und einer der Schwerpunkte, nämlich die Alltagskultur, ist bereits mit ihren Werken so weit vernichtet worden (siehe Palast der Republik), dass die verbliebenen Reste musealen Wert gewinnen.
Beinahe freundlich naiv wird das Buch, wenn es recht umfassend nachweist, wie viele Verhaltensweisen geschriebenem Recht, also Grundgesetz und „Einigungsvertrag“ widersprechen. Als ob sich die Machtverfestigung der herrschenden Klasse darum kümmerte, womit sie den anderen Staat einst eingekauft hatte.
Eine lesenswerte Verteidigungsrede für den Umgang mit überlieferten Schätzen aller Vergangenheit ist das Ganze allemal. Und eine für aktive Einmischung ohne Scheuklappen.


Freitag, 15. März 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1681


Gehen wir einfach einmal davon aus, dass "Der angepasste Mann" von Hanna Fleiss nicht als nachträglicher Beitrag zum Frauentag gedacht war. Dann müsste ich nämlich Protest anmelden. Leider (!) halte ich das kritisierte nicht für ein geschlechtsspezifisches Verhalten.
Dafür habe ich noch etwas am "lobbysänger" gefeilt. Aber ob dabei deutlicher wird, worum es mir dabei geht, ... kann höchstens sagen, wer einen Bezug zu dem anderen Gedicht erkennt ... 


..

Slov ant Gali: Die Kontaktanzeige (9 und Schluss)


Ihr Mann hatte Erfolg. Das spürte sie. Sie sah, wie viele Seiten Text Christian am Tage geschrieben hatte. Ihr Mann war mindestens genauso aufgeräumt wie das ganze Haus. Sie hörte seine obszönen Anfeuerungskosereien und als er in sie eindrang, schrie sie das erste Mal in ihrer langjährigen Ehe leise auf. . Bisher hätten ihre Kinder mit im Schlafzimmer schlafen können, sie hätten nichts bemerkt.
Marion kleidete Christian schick und jugendlich, und Rita freute sich, dass Christian jetzt auf diesem Gebiet offensichtlich eigene Ideen entwickelte. Beide Frauen erzählten dem Schriftsteller von ihrer Erlebniswelt und Christian fand Antworten, die ihnen das Leben angenehm machten.
Dann kam der Tag, an dem Marion versehentlich mit dem Fuß ihre Studienmappe umstieß, so dass einige ihrer Unterlagen unter Aufmüpfers Garderobe im Flur rutschten.. In den nächsten Tagen vermisste Marion sie nicht, und sie wären sicher mit einer Staubschicht bedeckt in ihre Hände zurückgekehrt, wenn es am Freitag nicht windig gewesen und Rita noch einmal zurück ins Haus gekommen wäre, um sich ein Kopftuch umzubinden. Das war ihr auf den Boden gefallen. So leuchteten ihr handbeschriebene Blätter ins Auge, sie hob sie auf und wollte sie auf Christians Schreibtisch legen, da stutzte sie wegen der Handschrift. Dann stutzte sie wegen des Namens, der sorgfältig oben links auf jedes Blatt geschrieben war, und dann wegen des Datum rechts, und dann musste sie sich einen Augenblick hinsetzen.
An jenem Tag wurde Rita Aufmüpfer zweimal von ihrem Chef wegen Unaufmerksamkeit ermahnt. Marion also hieß das Wunder ihres Mannes, und sie selbst hatte das Mädchen ihrem Mann auf dem Silbertablett serviert. Warum musste die Strafe nur so durch die Hintertür kommen?
Rita Aufmüpfer war eine praktisch veranlagte Frau. Im Auto auf der Fahrt nach Hause hatte sie bereits den Gedanken verworfen, ihren Mann zur Rede zu stellen. Was wollte sie eigentlich? Hatte sie vor Marions Auftauchen denn so viel von ihrem Mann gehabt, hatte sie da so viel an Mann gehabt? Diese Studentin hatte ihren Christian mit dem Bewusstsein von Erfolg erfüllt, und sie, die Ehefrau, konnte diesen erfolgreichen Mann genießen. Sie war doch noch nicht alt, und sie hatte doch Bedürfnisse, und was für welche … Bei dem Gedanken rieben sich unwillkürlich ihre Oberschenkel aneinander, und beinahe hätte sie die nächste Kurve verpasst. Seine Männlichkeit war nicht unerschöpflich – sie würde sich schon das größere Stück sichern. Diese Studentin konnte ihr leid tun: Der bliebe nur ein ausgenächtigter Liebhaber übrig ...
Christian Aufmüpfer fühlte sich noch immer wohl. Allein, inzwischen unterhielt er sich oft lieber über Kunst mit dem jungen Mädchen, als dem Drängen ihrer Ausziehbewegungen nachzugeben. Schließlich flüchtete es sich schlechter vor dem suchenden Tasten der Frau, mit der man ständig Bett an Bett schläft, als vor der klingelnden Nachmittagsattraktion. Stückweise wurde ihm bewusst, dass er ja an seiner Frau nur die geschwundene Zuwendung vermisst hatte. Und noch etwas geisterte ihm durch den Hinterkopf: Wenn Marion nun einmal die Pille zu nehmen vergaß? Aufmüpfers Roman „Liebe nach Tageszeiten“ war fast fertig. Ihm fehlte nur noch ein deftiger Schluss. Sollte er seinem Helden das Leben mit zwei Frauen bis an sein Lebensende gönnen? Vielleicht hauchte er sein Leben zwischen den Schenkeln des Mädchens aus – das musste doch ein traumhafter Tod sein – und als Schlussbild lagen sich die heulenden Witwen an seinem Grabe in den Armen? Die Sterbeszene begeisterte ihn. Wenigstens testen würde er sie. Er spielte das vortägliche Keuchkonzert in voller Lautstärke noch einmal ab und trommelte eine Melodie in die Tasten seines Computers.
Er merkte nicht einmal, dass sich hinter ihm die Tür geöffnet hatte. Marion hatte den veranstaltungsfreien Vormittag und den „ausgeliehenen“ Haustürschlüssel sorgsam verheimlicht und sich Rolfs zunächst entgeistertes, dann aber glückstrahlendes Gesicht ausgemalt, wenn sie ihn zu so ungewohnter Stunde mit ihrer Anwesenheit überraschte. Jetzt war es an ihr, entgeistert zu sein. Ein paar Sekunden lauschte sie fassungslos dem akustischen Zeugnis ihrer Leidenschaft vom Vortag und dem Klappern der Tastatur. Dann schloss sie leise wieder die Tür. Rolf bemerkte auch das nicht. Er wunderte sich nur, dass Marion an diesem Nachmittag nicht kam. Und auch nicht an den folgenden. Er entdeckte auch den Zettelbrief auf der Garderobe unter dem Haustürschlüssel nicht: Liebe Rita, kennen Sie das neueste Manuskript Ihres Mannes? Bitten Sie ihn, es lesen zu dürfen! Ich war so dumm Er hat mich nur ausgenutzt. Alles, was wir miteinander erlebt haben, hat er für seinen Roman verarbeitet! Ich habe die Konsequenzen gezogen. Und Sie sollten ihn zum Teufel jagen – er ist weder Ihre Liebe noch Ihr Vertrauen wert. Bitte verzeihen Sie, dass ich mich nach jenem Besuch auf Ihren Mann eingelassen habe, verzeihen Sie MEINE vorübergehende Schwäche. Marion.
Rita nahm den Zettel mit ins Bad, zerriss ihn in viele Schnipsel, die sie in den kleinen Hygieneeimer schweben ließ, und betrachtete sich im Spiegel. „Was soll's? Auf Dauer kann ich mich ohnehin nicht so jung halten. Behalte ich den halb erfolgreichen Künstlermann ganz, anstatt den ganz erfolgreichen Künstlermann nicht einmal halb zu haben.“ Von nun an begleitete Rita ihren Mann an den Abenden, an denen er in Speiseräumen der Arbeiterwohlfahrt aus seinen Texten las …

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