Dann wusste ich nicht, ob nicht die Bienen mithören konnten. So lag ich lange wach im Bett neben Lissy. Das Seltsame: Ich hatte den Verdacht, auch sie lag wach neben mir und wartete auf meine Worte.
Am Morgen sagte ich, völlig erstaunt über meine eigenen Sätze: „Sag mal, weißt du eigentlich noch, wo meine Klarinette ist? Ich möchte die morgen mitnehmen und unseren Bienen was vorspielen. Ich glaube, das werden sie sehr mögen.“
Lissy kommentierte mich nicht. Sie fand die Klarinette, und wir nahmen sie zum Treibhaus mit.
Jahrelang hatte ich nicht mehr Klarinette gespielt. Lissy jedenfalls hatte mich noch nie mit dem Instrument erlebt, aber ich hatte ihr einmal davon erzählt. Nun setzte ich an und begann eine mir zuvor völlig unbekannte Melodie zu spielen. Ich wusste nicht, was ich eigentlich spielte, aber ich merkte, dass die Töne absolut harmonisch klangen, als hätte ich Monate lang für diese Vorstellung geübt. Nach drei Minuten überlegte ich, wann das Stück wohl vorbei wäre. Esther und Paul staunten Lissy und mich verwirrt an. Sie wagten aber nicht, mich zu unterbrechen, und ich konnte nichts sagen, ohne das Spiel zu unterbrechen ... und eben dies gelang mir nicht.
Der Schlussakkord kam so abrupt wie unerwartet. Plötzlich wusste ich, dass das Stück noch sechs Takte haben würde, und schon waren sie geblasen. Verwirrt nahm ich das Instrument vom Mund.
Als wollte sie die Verwirrung nur vergrößern, klatschte Esther kurz und dann fragte sie: „Toll! Und was ist das für ein Stück?“
„Ich weiß nicht.“
Betretenes Schweigen. Wissen. Voll Furcht.
„Wolln wir die Aufzeichnung anhören?“
Und ob wir wollten!
Aber seltsamerweise gab es keine Aufzeichnung. Niemand hatte eine Taste gedrückt, ein akustisches Zeichen gegeben oder anderweitig dafür gesorgt, dass eine Geräuschaufzeichnung außerhalb des Treibhauses erfolgt wäre. Wir stürmten zum Sammelrechner. Es gab von Allem, was im Haus geschah, Filmaufzeichnungen. Die Klarinettentöne waren laut genug gewesen, um als Hintergrundgeräusch erkennbar zu sein.
Mit der Gier von Süchtigen erwarteten wir die Freigabe der Aufzeichnung durch den Rechner.
Ich hatte bereits vorher eine vage Ahnung. Die bestätigte sich. Für etwa fünf Minuten fehlte der Ton.
Esther blieb hartnäckig. „Das war so toll. Du hast davon also nirgends Noten?“
„Verdammt, ich weiß nicht, was ich da gespielt habe, und ich kann mich nicht daran erinnern. Du brauchst nicht danach zu fragen.“
„Aber ich habe ein gutes Gedächtnis für Töne, und bis ich Paul kennen lernte, waren gespielte Noten meine Leidenschaft. Chef, ... wenn ich mich gleich ranmache, krieg ichs noch hin.“
Sie rief das mit einer so mitreißenden Leidenschaft, dass ich meine Bedenken vergaß.
Gedichte des Tages von übermorgen:
Sebastian Deya "Der Engel Blutdurst"
Einst ist der Hinz spazieren gegangen,
den Hauch neuen Frühlings im Winter zu fangen.
Es war noch nicht Zeit für üppiges Blüh´n,
aus junger Furche schoss erst schüchtern das Grün.
Und dann...
Mit majestätischer Ruhe sah er ihn nah´n,
den von Enten als Garde umgebenen Schwan.
Welch Gefieder - weiß wie frischester Schnee,
widergespiegelt vom schlafenden See.
Hinz war begeistert, fasziniert, entrückt,
hätt die Frühlingsgefühle so gern ausgedrückt.
Er sah auf dem Steg, dem morschen, oh Wonne,
in Strahlen getaucht von Morgensonne
eine Muse sitzen, eine nackte, junge,
er spürte sie schon auf seiner Zunge.
Er wollt´ sich so sehnlich küssen lassen,
lief schnell ihr entgegen, sie zu packen, zu fassen.
Er hätt es mit ihr bis zum Abend getrieben,
er wollte sie lieben, immer nur lieben.
Vom Steg ein Brett ist durchgebrochen
Und Hinz ist bibbernd ans Ufer gekrochen.
Endlich zu Hause war ´s zum Enten rupfen:
Oh, dieser Schnupfen, oh, dieser Schnupfen!
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