Dienstag, 31. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1285

Immer wieder werden neue Metaphern erfunden für das Poetische, wofür es keine eindeutige naturwissenschaftliche Entsprechung gibt. Magische, mystische Schönheit, die sich einfach nicht erklären lässt. Das Wort "Wunder" ist inzwischen einfach zu belastet, auch "Glauben". Es ist drei Jahre her, da brachte Ursula Gressmann das Bild der Einhörner - das aus der Märchen- und Feenwelt - ins "Gedicht des Tages" ein. Sofort löste sie damit eine kleine Diskussion aus. Wir blicken darauf zurück - so wie wir auf das neu zu Testende vom Donnerstag nach vorn schauen:


Wenn man ein Gedicht ganz frisch geschrieben hat, findet man es meist wunderschön wie die Mutter ihr rosig faltiges Baby. Gespannt bin ich, wann ich mich von dem Gedanken lösen kann und muss, dass "Von der Relativitätstheorie" ein gelungenes Liebesgedicht (schmunzel) sein könnte.
Nun ja, über Poesie lässt sich eben unendlich streiten ...
Einen poetischen Dialog von dauerhafter Bedeutung brach vor drei JahrenUrsula Gressmann zuwege. In Ursula Gressmann: Entdeckungen
behauptete sie "...es gibt keine Einhörner mehr ..." - etwas, was wir so nicht stehn lassen sollten, und Gunda Jaron formulierte auch schnell ihren Protest: Gunda Jaron: Es gibt noch Einhörner


Der Prosatext spielt einfach mit Denkgewohnheiten, ist weniger Geschichte / Erzählung als Entführung aus dem, was wir kennen. Hier nun die 1. Fortsetzung:

Zwei Jungen, die beinahe die Welt retteten (2)

... Als am ersten Abend jener große Geist seine Konzentrationsübung gemacht hatte, an den mild blauen Nachthimmel zu schauen und an Nichts zu denken, also eigentlich daran zu denken, dass er an nichts denken wollte, da waren unerwartete Worte in seine ungeschützten Gedanken gedrungen: „Irgendwo da draußen gibt’s noch mehr solche wie uns.“
Jeder andere Schüler hätte sicher einen Witz draus gemacht. So in der Art „Noch so einer wie du? Kann ich mir nicht vorstellen.“ Oder er hätte seinen Unmut gezeigt wegen der Störung. Doch die Überraschung war zu groß. Waren das nicht Gedanken nur für philosophisch gereifte Jungen? Der da gedacht hatte, so etwas könnte nur von ihm kommen, schluckte erst einmal. Sein Schweigen klang wie eine laute Zustimmung.
„Was mögen die für Technik haben? Wenn sie von einem Planetensystem zum anderen fliegen, dann müssten sie ja technisch weiter sein als wir.“
Der Sprecher mit dem Kräuselkopf hieß Skworizschesko´opoli, was soviel bedeutete wie „Wolfgang, der jüngste“, wenn man den Skwori ihrer Jagd in Rudeln wegen zubilligte, mit den Wölfen der Erde Ähnlichkeit zu haben. Er hatte instinktiv die Hand auf jene Stelle seines Kleides gelegt, unter der sich die – natürlich in seinem Alter noch leere – Bauchtasche befand. Vielleicht, weil er auf seine dort besonders muskulösen Sprungläufe so stolz war, hüpfte er jeweils drei Tatzen vor und zurück, rauf auf die Mauer und wieder runter. Die anderen ehemaligen Mitschüler feierten in den großen Zimmern die Erfolge ihres zweiten Ferientages. Es waren schließlich die letzten echten Ferien ihres Lebens und das musste gefeiert werden.
Wolfgang und Bernhard – letzteres eine sicher erlaubte freie Übersetzung für Oschtschotkich, denn wenn man bei uns seine Koseform Otscho benutzte, dann dächten Kenner ja eher an eine Tangofigur als an einen Jungen aus einer fremden Galaxie – also die beiden schwiegen einen Moment tiefsinnig nebeneinander her.
„Weißt du, was ich nicht verstehe?“ unterbrach Wolfgang wieder die Stille. Es lag die Sicherheit in seiner Stimme, dass es gar keine andere Antwort als NEIN geben konnte. Er setzte auch gleich fort, als hätte der Andere bereits mit nein geantwortet: „Wir sind biologisch auserlesen als die sozial höchst entwickelte Spezies im Weltraum. ...  
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Montag, 30. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1284

Wahrscheinlich ist heute die Frage nach der Lyrik am 1.2. gar nicht so erstrangig. Was auf dem Plan für die "Gedichte des Tages" steht? Na Folgendes:


Bestimmte Gedichttitel drängen sich einem mitunter mit der Penetranz einer Straßenhure auf. Einer davon ist sinnigerweise "gelassenheit" ...
 Weiter mit ... sagen wir einmal "Gewöhnungsbedürftigen": Um die " eine wirkliche geschichte mit drei unwirklichen enden" anzunehmen, mus man sich wohl schon auf die vorigen Relativkuckucks (oder hieße das Kuckucke?) eingelassen haben ... 
 Bleibt noch der Blick zurück. 2009 im lyrischen Rampenlicht:

Gunda Jaron: Lufthauch



Und auch Gunda Jaron zum Geburtstag gratulieren mit eigenen Worten können wir natürlich, müssen wir sogar:



Das Porzellan, einst makellos, 
geschützt von glänzender Glasur, 
das Rosenmuster leuchtend rot 
und von Gebrauch noch keine Spur. 
So glatt ... 

Heut' ist es angeschlagen, duff 
und fleckig und das Rot verblasst. 
Ein Netz von feinen Linien ziert 
den Glanz, der durch der Jahre Last 
nun matt. 

Mein Äußeres: Noch geh' ich grad' 
und seidig glänzt mein dunkles Haar. 
Aus meinen Augen blitzt der Schalk 
und ohne Flecken zeigt sich klar 
die Haut. 

Bald gehe ich vielleicht gebeugt, 
ein tiefes Liniennetz durchzieht 
mein Antlitz und das Aug' ist trüb, 
das Haar, wenn man's bei Licht besieht, 
ergraut. 

Heut' schaust du die Terrine an: 
Die ist doch wunderschön! 
Ich hoff', du wirst mich irgendwann 
mit gleichen Augen seh'n. 


Aber das Spannendere ist doch die Prosa. Enttäuschung: Es ist nur ein leicht bearbeiteter Entwurf aus einer für irgendwann erhofften Sammlung utopischer Erzählungen von Slov ant Gali. Die in Fortsetzungen vorzustellende Geschichte heißt Zwei Jungen, die beinahe die Welt retteten:

Er schien das Ehrwürdige dieser Burg, auf der sie ihren Abschied begehen durften, überhaupt nicht wahrzunehmen. Im Gegenteil. Als wollte er dort schauspielernd professionell eine freie Redner sprang er auf die breite steinerne Außenmauer und sah, anstatt den möglichen Sturz in die Tiefe zu bedenken, zum blassblauen Himmel hinauf. „Bestimmt schauen sie uns uns jetzt zu. Wahrscheinlich sind sie sogar schon da. Glaub mir doch!“ Pathetisch wirkte das. Die Worte. Der verklärte Blick nach oben. Die ganze Haltung des Jungen.
„Klar“, spottete der andere, „vor allem dir sind sie nah. Also wenn die nichts Besseres zu tun haben, dann tun sie mir Leid!“
Die beiden Jungen hätten verschiedener nicht sein können. Der eine trug eine Brille und hatte sein Gesicht glatt rasiert. Die Haare auf dem Kopf hatte er so kurz schneiden lassen, dass die Borsten wie eine Vergrößerung des kantigen, gnadenlos ordentlichen Gesichts abstanden. Egal, ob man ihn von weitem oder von sehr nahem betrachtete, war man sich sicher, dass der Junge nur sehr gute Noten in der Schule haben konnte und berauschenden Mitteln oder Anderem, was nicht zur Schule gehörte, bestimmt ablehnte.
Der Kopf des anderen schien etwas zu groß geraten. Überhaupt war irgendwie alles nicht ganz so, wie es hätte sein sollen. Eine Kugel schien vor ihrer Fertigstellung kurz von drei Seiten mit einem flachen Gegenstand aus ihrer eindeutigen Form gebracht worden zu sein. Überall war sie mit gelockten oder gekräuselten Haaren bewachsen, die nirgendwo den Charakter einer Frisur, eines Bartes oder von irgendetwas angenommen hatten, wofür es einen Namen gab. Und alles deutete darauf hin, dass der Junge es irgendwann aufgegeben hatte, sich zu frisieren. Von diesem Irgendwann an hatte er sich gebilligt, wie er war. Auch dass er von seinen Mitschülern nicht akzeptiert wurde, in Kauf genommen. Er hatte in all den elf Schuljahren das Klassenziel nur knapp erreicht. Kein Lehrer hatte ihn beachtet, denn auf der anderen Seite hatte er auch nicht gestört. Er war der Fleisch gewordene Satz „Lasst mich endlich in Ruhe“, sehr stiller Protest. Warum hätte man ihn länger in der Schule behalten sollen? Irgendwie hatten ihm wohl alle Lehrer bei den Abschlussprüfungen unbewusst Suggestivfragen gestellt, die er störrisch nicht richtig, aber auch nicht falsch beantwortet hatte. Musste man sich das noch ein zweites Mal antun? Er hatte all die Jahre so etwas wie den vierten Bodyguard zu einem der beiden Alphamännchen der Klasse abgegeben. Doch die Burg bot nur Zwei- oder Vierbettzimmer. Als fünfter hatte er nirgendwo hinein gepasst - so wie sein Gegenüber, der in Gedanken schon in jene höhere Schule ging, die seines Vaters Zukunftsvisionen ihm zugedacht hatten. ...
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Sonntag, 29. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1283

Pläne sind dazu da, überarbeitet zu werden, damit endlich so aussehen wie die Wirklichkeit ...
Nein, das hat kein Minister zu DDR-Zeiten gesagt, das sage ich ... um auf die geplante Gestaltung der "Gedichte des Tages" von übermorgen zu verweisen. Ohne "Überarbeitung" sähen die folgendermaßen aus:


Man nehme Liebe, Begehren, Nacht und den Mond ... und man hat noch lange nicht das zusammen, was Gunda Jaron mit wenigen Worten zu ihrem "nacht-land" gefügt hat ...

Tja ... bei Liebe liegt die Poesie natürlich fast auf der Hand. Am meisten davon entfernt scheint dagegen die zahlenharte Mathematik. Mit "Womit man rechnen muss" versuche ich ihr poetische Rundungen anzudichten - ein zweites Kuckucks-(Uhr)-Ei ...

Blicken wir noch einmal zurück auf die Anfänge des GdT, zurück auf den Januar 2009: Ursula Gressmann: Risiko


Wer die letzten Prosafortsetzungen gelesen hat, ahnt es schon: Wir stehen unausweichlich vor dem Ende der Präsentation des utopischen Romans von Anna Roth "Operation Zeitensprung". Hier nun eine Art Epilog:


Vier Jahre später

Nuk tat sehr geheimnisvoll. Nicht Mama, ich solle es als erste erfahren. Vorsichtig nahm sie mir das Tragetuch mit meiner Sonja ab und strich der Kleinen über die Locken. Dann schleifte sie mich auf ihr Zimmer und holte etwas unter dem Bett hervor, was an einen gewöhnlichen Schuhkarton erinnerte. Nuk nahm den Deckel ab und griff nach einem 3-D-Foto. Die maskenartige Abbildung eines jungen Hochkopfes. Er wirkte interessant, wenn auch alles andere als schön. Der Mensch gewöhnt sich an alles, dachte ich spontan. Zögernd stand ich da.
„Das ist dein heimlicher ...?"
Nuk konnte sich nicht zurückhalten.
„Er hat sich in mich verlobt. Er war sehr vorsichtig, weil er dachte, ich hab so was noch nie gemacht, und sein Schlüssel wäre zu groß. Sieht er nicht toll aus? Wenn er nächste Woche heimfliegt, nimmt er mich mit. Was meinst du: Werden Mama und Paps das verstehen?"
Ich nickte und nahm Nuk fest in die Arme.
„Danke, Anna", sagte die Sechzehnjährige.
Ich aber warf mich auf ihr Bett, und von da aus sah ich sie wieder, die Wölfe. Da heulten die selben, die mir beim ersten Mal in diesem Zimmer aufgefallen waren. Jener Canis lupus ganz an der linken Seite – warum hatte ich das noch nie bemerkt? – zwinkerte mir verschwörerisch zu. Da ähnelte er Nuk und ich erschauerte bei dem Gedanken, diese Decke würde einmal aussehen wie andere Decken auch.
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Samstag, 28. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1282

Wer schon jetzt erfahren möchte, wie die "Gedichte des Tages" vom 30.1.2012 aussehen werden, de ist hier richtig. Hier werden sie - allerdings vorbehaltlich kurzfristiger Änderungen - vorab vorgestellt. Und zwar sehen sie voraussichtlich so aus:
 Das Gedicht "Sturmnacht" von Ursula Gressmann war eine Herausforderung zur schmunzelnden Ergänzung: "... am unruhigen Kamin aber habe ich dich in eine Decke gehüllt. Wie wunderbar, beim Grog beieinander zu sitzen. ..."
Oh Schreck: Es kam über mich! Einige Startgedanken verlangten einfach, aufgeschrieben und weitergedacht zu werden. Wahrscheinlich lag die "Schuld" bei jenem Denkanstoß, der schon 2010 von Maria Gutierrez auf der Cita de la Poesia kam: Dichte doch über den kleinen Menschenhorizon hinaus ... In lockerer Frechheit richtete ich gleich eine gesonderte Kategorie "Kuckucksuhr" ein - weil mir der Motto gebende Titel "Des Universums Kuckucksuhr" so gefiel. Nun muss ich prüfen, ob mir jemand in diese poetischen Metawelten zu folgen bereit ist ...
Januar 2009 gab es wenigstens noch einen lyrischen Fixstern, dessen Leuchten man sich sicher war: 
Hanna Fleiss: Flut

Ein besonderer Wert liegt wohl bei der Kuckucksuhr, die eine Gruppe ähnlicher Gedichte eröffnet.
Eher dem Ende entgegen geht im Moment der Fortsetzungsroman.  Im Moment aber sind wir bei der 83. Fortsetzung des utopischen Romans  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth angekommen  


Ich folgte Ernst, der sehr leise, um die Begeisterung der anderen Patienten nicht zu stören, rückwärts aus dem Kommunikationsraum schlich. Wir quetschten uns in eine Ecke des Warteraums, in dem wir jetzt allein warteten. Ich packte Ernsts herunter hängende Linke. Einfach so. Er sah mich an und schmunzelte ausnahmsweise nicht ein bisschen dabei.
„Wenn sie eine Invasion gestartet hätten, wäre es noch einmal spannend geworden", erklärte er in der Art eines eingeschnappten kleinen Jungen. Beschäftigte Ernst diese Frage wirklich? Hatte er an die selbe Filmidee gedacht? Oder suchte er nur ein ablenkendes Gesprächsthema? Abwartend sah ich zu ihm hin.
„Es ist doch eine enorme technische Leistung", fuhr er fort, „die diese Hochköpfe uns hier vorführen. Sie zeigen uns, dass sie die Zeit beherrschen. Sie mussten ja ihre Mannschaften erst einmal in die Vergangenheit geschickt haben, um sie im günstigsten Augenblick in unserer Gegenwart auftauchen zu lassen. Und jetzt haben sie sich schon mit den Unseren vermischt."
Noch immer erwiderte ich nichts. Offenbar deutete Ernst das falsch:
„Entschuldige, Anna. Vielleicht war der Zeitpunkt für dich doch nicht so günstig, denn so bekommt deine bisherige Funktion ausgerechnet dann die größte Aufwertung, nachdem du sie abgegeben hast. Aber du kannst sicher zurück wechseln, wenn es dir keinen Spaß macht, das erste Reiseteam nach Alpha zu leiten."
„Wenn sie solch gewaltige Fähigkeiten besitzen, werden sie mit Maria schon klar kommen!"
Nun saßen wir wieder schweigend und vor uns her brütend auf unseren Plätzen. Wahrscheinlich hätte ich ihm die Chance geben sollen, sich mit etwas zu beschäftigen, was bestimmt nicht sein Problem war. Nicht einmal meines. Er hatte den Unsinn mit der Invasion ja selbst angesprochen. Der hätte ihn etwas ablenken können. Und ganz Unrecht hatte er ja nicht. An der Stelle, an der wir vor kurzem gewesen waren, überschlugen sich jetzt die Ereignisse. Bis wir wieder zurück wären, hätten andere die wichtigsten Entscheidungen gefällt.
Ich stand auf, deutete auf Spiele und Zeitschriften, die im Raum herumlagen. Ernst schüttelte nur den Kopf.
„Wirklich Ruhe wird es erst geben, wenn niemand mehr Angst um das Leben von Gefährtin und Kind zu haben braucht. Also nie."
Ich quälte mir den Satz heraus. Ernst antwortete nicht.
Die nächsten Minuten tickten träge vor sich hin. Dann ging die Tür auf. Eine Frau mit halb gelöstem Mundschutz kam auf uns zu. Hinter ihr halb verborgen schlürfte uns die Hochkopffrau entgegen, deren große Augen allen Ausdruck verloren hatten. Wie um sich zu entschuldigen, sagte die Menschenärztin zu Ernst:
„Aber Ihre Frau ist durch. Das Kleine war schon tot."
Ich fragte für ihn mit: „Wann können wir zu ihr?"
Und als wäre sie dankbar, eine positive Antwort geben zu können, lächelte die Ärztin kurz auf und sagte deutlich lauter als zuvor:
„Eigentlich gleich. Die Patientin ist wach." Und nach einer kurzen Pause: „Sie weiß es bereits."
Wir folgten den Ärztinnen ins Zimmer 12. Sie erklärten uns auf dem Gang:
„Das ist eines jener Zimmer, wo wir genesende Patienten mit psychisch gefährdeten Mitpatienten zusammenlegen. Das Mitteilen von Erfahrungen hilft meist beiden. Und ihre Maria braucht viel Kraft."
„Natürlich, wir sind vorsichtig", antwortete ich deshalb.
Ein wenig unbeholfen erwartete uns Nuk vor der Krankenzimmertür. Versteckte ihr Gesicht hinter einem riesigen Blumenstrauß.
„Mama und Paps kommen heute Abend", flüstert mir Nuk zu. „... und Luk auch."
„Soll sie mit ...?", fragte die Hochkopfärztin abwartend.
Wir nickten. Drückten geräuschlos die Klinke herunter. Standen betreten herum. Nuk legte die Blumen auf die Bettdecke, konzentrierte sich, holte Luft, als hätte sie einen langen Text eingeübt. Schließlich sagte sie nur „Hallo" und tauchte zwischen uns unter.
Maria lag da, sichtlich blass, und als sie uns bemerkte, veränderte sich nichts in ihrem Gesicht.
„Übermorgen wirst du entlassen."
Das war einer der Sätze unserer Ärztin vom Gang. Allerdings hatte die dann ergänzt, wenn sich keine Komplikationen ergeben sollten, und die befürchte man im psychischen Bereich. Ein vergleichbarer Fall sei ihr nicht bekannt. Aber Ernst hätte nicht Ernst sein dürfen, wenn er nicht plötzlich vor Marias Bett auf die Knie gefallen wäre:
„Bei Gott, an den ich nicht glaube, und allem, was mir wichtig ist, ich verspreche dir unter Zeugen: Ich mach dir ein neues. Mindestens eins."





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Freitag, 27. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1281

Oft kommt es anders als man denkt, doch im Moment sähen die "Gedichte des Tages" vom Sonntag so aus:


Hat Thomas Reich Recht? Sind "wir" schon so weit von der realen Welt entfernt? Wobei ... wer sind eigentlich "wir"? Egal: Der Slogan ist eine richtige Aufforderung: "Touch the world"!
Was aber ist, wenn ein "nebliger morgen" die "wirkliche Welt" ist - so einer, wie ihn Ursula Gressmanns Wortstriche in die virtuelle hinein skizzieren? Vielleicht sollte man einfach auch die Gruselwelt vor dem Fenster genießen ...
Zum Schluss der Blick zurück. Für mein Hinz-Gedicht handelte ich mir seltsame Kritiken ein. Selbstverständlich ist es konkret und "mein" Hinz ist in der DDR geboren. Das Gedicht reflektiert also ein Verhältnis zur NVA. Aber sollte man nicht eher auf die auf Krieg getrimmte Bundeswehr eingehen? Nun, muss man denn immer vor sich hertragen, dass man gegen Krieg ist und die NVA den geschichtlichen Ruhm für sich beanspruchen kann, an überhaupt keinem Krieg beteiligt gewesen zu sein???

(407) Hinz wird Entlassungskandidat...



Bald ist wieder Platz für eine neue Fortsetzungsprosa. Im Moment aber sind wir erst einmal bei der 82. Fortsetzung des utopischen Romans  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth angekommen  


Die Frau drehte sich ihm zu, nahm die entgegengestreckte Hand, und jetzt standen die beiden richtig feierlich am Pult. Bestimmt hatte Natio für einen derartigen Anlass eine pathetische Rede erarbeitet. Natürlich hatte er dabei nicht geahnt, dass sie wirklich und schon so früh gehalten werden konnte.
Ich wollte Ernst anstoßen. Er hätte bestimmt den richtigen Kommentar, um alles auf den Boden zu holen. Da bemerkte ich, dass er offenbar schon länger nicht nach vorn gesehen hatte. Er beugte sich über Maria. Die hing zusammengekrümmt über ihrer Sessellehne. Ernst redete beruhigend auf sie ein. Ich gab ihm ein Zeichen. Zusammen packten wir Maria, trugen sie ins Foyer. Ich gab die Notnummer der Poliklinik an.
„ ... nein, nicht beamen. Eventuell Schwangerschaftskomplikationen ... siebter Monat ... nein, ist nicht zu erkennen."
Um uns herum hatten sich unzählige Wesen versammelt, die mit der Frau am Rednerpult neben Natio die Turmkopfform und die anderen Merkmale der Alpha-Menschen gemein hatten. So hätte in der Welt, aus der ich einmal gekommen war, ein Film über die Invasion Außerirdischer beginnen können. Irgendwelche Waffen in den Händen der Fremden, mit denen sie gleich die Teilnehmer unserer Konferenz überrumpelten, und schon hätte sich die Erde verteidigen müssen. Da weckte mich eine Bassstimme.
„Kann ich helfen? Wir wollen ..."
Die Hochkopffrau schlitzte einfach Marias Hängekleid seitlich auf. Was sie wollte, blieb unausgesprochen, denn jetzt war auch das menschliche Ärzteteam eingetroffen. Mit einem lauten "Augenblick, bitte!" schafften die Nothelfer sich eine Gasse. Die Hochköpfe hatten wenig Platz zum Ausweichen, so viele waren im Foyer versammelt.
Mit geübten Griffen hoben die Menschen Maria auf die Trage. Die Hochkopffrau wirkte etwas verwirrt.
„Sollten wir nicht ... Ich bin auch Ärztin."
Die menschliche Notärztin warf ihr einen befremdeten Blick zu, dann sah sie zu Ernst und mir herüber. Weil wir nickten, nickte nun auch unsere sie. Wir durften mitkommen. Ich hatte ein fürchterliches Summen in den Ohren.
Die beiden Ärztinnen warfen sich unverständliche Halbsätze zu. Sie schienen sich einig zu sein, denn sie begleiteten die Trage gemeinsam. Für Ernst und mich war im Warteraum vor dem OP-Bereich Schluss. Eine zähflüssig tröpfelnde Wartezeit begann.
Plötzlich ging die Tür wieder auf. Ein Patient in Nachthemd und mit angewinkeltem linken Arm stürmte herein.
„He! Kommt schnell! Das müsst ihr gesehen haben."
Nebenan war ein Salon. Dort lief an der Bildwand Programm 33. Ich zweifelte nicht, dass auch die meisten anderen Programme Sondersendungen brachten. Unser Hörsaal war zu sehen. Dort saßen jetzt Menschen und Alpha-Hochköpfe gemischt. Der Reporter erzählte von Arbeitsgruppen, die sie bereits gebildet hätten. Meine ehemalige Funktion, Teams zur interstellaren Kommunikation zu bilden und zu betreuen, hatte sich mit einem Mal gewaltig gewandelt, war vielleicht zur wichtigsten auf der Erde geworden. Die Stimme des Reporters wiederholte laufend „ ... heute noch kaum begreifbare Möglichkeiten. ... plötzlich ... alles anders ... in kühnsten Träumen nicht ..."
Das da war mir plötzlich fern. Ja, ich war dabei gewesen. Es war passiert.
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Donnerstag, 26. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1280

Wenn wer fragt, wie die "Gedichte des Tages" übermorgen aussehen werden, so antworte ich, voraussichtlich so:

Mit " Am Ende für´s Leben " hat sich Sebastian Deya etwas gewagt, eine Art "lyrisches Testament", dass man sich kaum wagt, an formalem Dingen herumzukritteln. Oder findet sich jemand?

Jeder Poet zaubert nicht nur Wortwelten vors geistige Auge des Lesers, meist hat er eine Lieblingszauberwelt, die ihm mitunter wie von selbst beim Schreiben auf die Tastatur springt. " schilfgesang" verrät wieder die kleine Gänsehaut, mit der Ursula Gressmann spielt ...
Zum Schluss wieder der Blick nach 2009. Da entdecken wir ein weiteres Gedicht einer Autorin mit einem sehr eigenen lyrischen Blick:


Hanna Fleiss: Flucht


Na, da kann man doch die Link-Blicke in die Zukunft werfen, oder?

Und wer unbedingt einen Prosa-Lese-Happen genießen will ... Wir sind gerade bei der 81. Fortsetzung des utopischen Romans  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth angekommen  


Fremde Welten und das Ende von Marias Empfängnis

Am nächsten Morgen begrüßten uns eine gewaltige Projektionswand und ein total verwirrter Natio.
„... Ich weiß nicht, was das ist ..."
Auf der Wand sahen wir sich bewegendes Grün. Pflanzen, wie sie sich ein auf Phantasie programmierter Computer ausgedacht haben könnte. Natio gab es auf, an seinem Pult zu schalten. Offenbar war die Tastatur wirkungslos. An der Wand fuhr eine Kamera weiter an einem phantastischen botanischen Garten entlang. Am meisten faszinierte mich eine riesige rote Blüte zwischen all den Nuancen von Grün. Diese Blüte war in dem Film am Rand als Knospe aufgetaucht, hatte sich zuckend geöffnet und, bis sie den anderen Bildrand erreichte, löste sie sich in schwarzbraune Kringel auf.
Dieser scheinbare Lehrfilm vom Werden und Vergehen in Zeitraffer zog mich immer stärker in einen hypnotischen Bann.
Jetzt erschien eine gleiche Knospe wieder am Anfangspunkt. Es war völlig still im Raum. Die Knospe entfaltete sich zur Bildmitte hin. Zwischen den Blütenblättern wuchs etwas. Kelch, Stempel, wie hieß das noch? Längst verschütteter Biologieunterricht. Ein Schmetterlingsprinz? Nein. Eine Frau. Eine Walküre. Ohne Schild und Schwert. Nackt. Ein strenges, rotbläuliches Gesicht. Menschenähnlich. Mit überhoher Stirn, knochig weit vorstehender Nase, kleinen Ohren, übergroßen Augen. Der Bauch wölbte sich vor. Immer weiter. Die Frau setzte sich hin. Zwischen ihren Beinen drückte sich eine hohe Stirn vor, ein haarloser Kopf. Im Hintergrund klang Musik. Wahrscheinlich war sie von Anfang an da. Ich bemerkte sie erst, als das Baby schrie. Die Frau hielt es an ihre volle Brust. Es saugte und saugte. Sah zufrieden und müde aus. Die Kamera wich zurück. Was ich sah, konnte eine Stadt voll Dachgärten sein. Alle Bewegungen hatten aufgehört. Durch die merkwürdigen Dachgärten hindurch schimmerte das Baby an der Brust. Langsam wurde die Wand wieder Wand.
Ich warf meinen Kopf hin und her, schüttelte mich, kam langsam wieder zu mir. Um mich herum reckten sich die Leute, als erwachten auch sie gerade aus dem selben Traum.
Wie aus dem Nichts aufgetaucht stand nun eine Frau am Pult. Sie sah uns an, lächelte ruhig und wartete gelassen darauf, dass wir uns auf sie konzentrierten. Unverkennbar war sie der Frau in dem Film, wenn ich die Wandprojektion so nennen durfte, sehr ähnlich. Zumindest war sie eine typische Hochkopffrau.
„Ich grüße euch. Wir finden es wunderbar, dass ihr uns besuchen wollt. Denn ihr habt Recht: Es ist Zeit, dass wir miteinander reden."
Sie sprach in unserer Sprache, akzentfrei und deutlich, nur ihre Stimme war ein Gesang in sehr tiefen Tönen, tiefer als männlicher Bass.
„Ihr habt jetzt insgesamt die Reife für einen Kontakt mit uns erreicht. Wir brauchen euch nicht mehr zu fürchten. So kommen wir zu euch. Das ist einfacher als umgekehrt. Wir haben viele Schiffe in Zeit und Raum, ihr jetzt eines. Jeder von uns hat viele Dinge und Fähigkeiten, die für die andere Seite nützlich sind, wobei das Miteinander von Nachbarn keine Sache nützlicher Dinge sein sollte. Bisher haben wir euch nur heimlich beobachtet. Entschuldigt bitte! Aber erst jetzt ist der Moment gekommen, von dem an wir einander besuchen werden wie Bewohner zweier Nachbarstädte. Ihr werdet euch wundern, wie sehr wir euch in unseren Lebensauffassungen ähnlich sind. Ich hoffe es zumindest. Wir sind bei uns nämlich davon überzeugt, dass jedes denkende Wesen einmal so ähnlich denken, fühlen und zusammen leben müsste wie wir, wenn er seine Umwelt genauso entwickelt hat. Und so weit wir das erkennen konnten, habt ihr das ..."
Natio hatte die ganze Zeit neben ihr gestanden wie ein vergessenes Blumenkind der Empfangsgemeinde.






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Mittwoch, 25. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1279

Also ran an die Lyrik, die "Gedichte des Tages" von übermorgen nämlich. Da sind im Angebot
"sternenlied" und  Eiseskälte II  von Ursula Gressmann 
sowie " Vermächtnis" von Slov ant Gali.

Zu welchem Titel gehören wohl welche Verse?

schwarze eiszweige
zersplittern



Wenn sich die Anthrazitwolke
über mich legt,

verloren im häuserozean
lasse ich mich treiben



Das ist doch einfach, oder?
Auch einfach geht es bei der Prosa weiter. Wir sind gerade bei der 80. Fortsetzung des utopischen Romans  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth angekommen  


Ich sprach jetzt ruhiger. Ich wusste um die Blicke der Männer. Sie waren von meinen Waden zum Busen gewandert. Jetzt aber hingen sie an meinen Lippen. Natio nickte. Das war die richtige Spur.
Langsam begriff ich das Denken dieser Menschen. Ich ahnte, warum sie Siegrid eingeladen hatten, die sich eigentlich wie eine Verbrecherin benommen hatte. Sie hatte Überschwang gezeigt in der Absicht, auf ihre ganz persönliche Weise nützlich zu sein. Sie wollte durch die Zeit reisen. Den Menschen hier erschien es deshalb selbstverständlich, dass sie nunmehr durch Zeit und Raum reisen würde. Und dass sie nun sorgfältig darauf achtete, keinen Schaden anzurichten. Ich hätte dieses Vertrauen noch nicht gehabt. Aber wem trotz des allen bekannten Ausbruchs so unbefangen Vertrauen entgegengebracht wurde, der musste schon ein Schwein sein, es bewusst zu verraten.
„... und so glaube ich, in dem Team, das ganz verschiedene menschliche Fähigkeiten vereinen muss, sollte unsere Siegrid eine besonders wichtige Aufgabe erfüllen."
Mit sofortiger Wirkung wurde ich von meiner bisherigen Funktion entbunden. Ich sollte mich ausschließlich auf den Aufbau meiner Mannschaft für die Alphareise konzentrieren. Denn ich hätte Phantasie und Leitungsqualitäten bewiesen. Einer der anwesenden Psychologen ergänzte lächelnd, mir sei zwingend ein gewisser Josh zuzuteilen. Man brauche dann keinen Entfremdungsprozess zu befürchten, wenn ich nach meiner hundertjährigen Reise als eine ganz andere wiederkäme.
„ ... Diesen Vorschlag müssen wir aber jetzt gleich umsetzen. Ich nehme an, dass sich unsere Anna scheuen würde, ihr persönliches Interesse an der Beziehung zu einem Lebensgefährten mit einem Menschheitsproblem zu vermischen, wenn sie selbst ihr Team zusammenstellt."
Die Versammelten klatschten begeistert. Nachher gratulierten sie mir und Josh wie zu einer Hochzeit.
Wir übernachteten daheim. Ich erkannte Josh kaum wieder. Hatte ich ihn bei unserer allerersten Begegnung für eine Beamtenseele gehalten, so fragte er mich jetzt mit Kuhblick:
„Wirst du mich denn noch wollen, wenn ich mich nach hundert Jahren Zusammenleben mit dir nicht genug verjüngt habe?"
„Lass das unsere Enkel entscheiden."
Als sich Josh an mich heran schieben wollte, hielt ich ihn sanft zurück.
„Du, ich muss dir noch etwas sagen."
„Na, sag doch! Ich bin ganz offen für dich."
„Nein, es ist nicht komisch. Also Siegrids Ausbruch, da war ich am Anfang mit dabei. Ich bekam nur keine besondere Rolle beim Einfangen der anderen, weil ich mit Maria und Ernst befreundet war, und das stand ja fest, dass die nicht mitkommen würden und ..."
Ich legte meine Hand auf Joshs Mund, weil er meine Rede offensichtlich unterbrechen wollte.
„... erst als sie bei Peter und Anita richtige Gangstermethoden anwendeten, da hatte ich Skrupel, wollte nicht mehr mitmachen und bekam eine Spritze. Da bin ich zwischen den anderen gelandet, die mich für eine normale Gefesselte hielten und ..."
Irgendwie stockte da mein Redefluss. Meine Hand rutschte ab. Ich überlegte, wie ich mich Josh gegenüber verständlich machen könnte. Da sagte er:
„Ich hatte schon Angst, das Leben mit dir könnte langweilig werden. Aber danke für den Hinweis: Ich werde für dich ab jetzt immer eine Betäubungsspritze bereit halten."
Ich trommelte mit beiden Fäusten auf ihn ein. Dazu musste ich mich auf ihn drehen und den Oberkörper nach oben biegen. Das ließ kein ernsthaftes Gespräch mehr zu, aber eigentlich war jetzt ja alles gesagt.
In dieser Nacht taten wir alles, um vielleicht zu Enkeln zu kommen. Wenn es Maria vergönnt war, warum sollte ich nicht das selbe Glück haben? Obwohl ich fürchtete, auch Josh könnte älter sein als vierzig.
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Dienstag, 24. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1278

xxxDie "Gedichte des Tages" vom übernächsten Tag sozusagen "anzutippen" ist eine Möglichkeit, auf sie zu verweisen. Der Leser weiß schon mehr als nur eine Überschrift. Wer
Die Welt schweigt. / Tonlos klagen / Die Toten. / Blutig / Das Wintergewölbe ... " 
gelesen hat, ahnt mehr als wenn er nur wüsste " vom Januar 2009 Hanna Fleiss: danach.

wer "auf einem teich / schwammen drei enten / die eine / hatte ein herz aus gold ..." las, mehr als bei Roger Suffo "Die Pastete fiel aus"
und  "ein-fall" von Ursula Gressmann 
ist weniger als
fall mir
ins wort
zur last
und
du bist
mir schon ...

Oder ist es nicht okay?  Aber die Prosa ...? Wir sind gerade bei der 79. Fortsetzung des utopischen Romans  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth angekommen  


„Ich wollte dich einfach überraschen. Das ist mir wohl gelungen", erklärte er über das ganze Gesicht schmunzelnd.
„Nein, ich habe nur herausbekommen, dass ich deinetwegen hier bin. Mehr nicht."
Ich musste ihm notgedrungen glauben.
Der Beratungsraum war nicht sehr luxuriös ausgestattet. Es gab einen Platz für den jeweiligen Vortragenden zentral vorn. In Halbkreisen aufsteigend reihten sich die Sesselfronten der Zuhörer aneinander. Das erinnerte an Hörsäle in alten Universitäten. Na gut, die Sessel wären für Studenten zu bequem gewesen, und vor ihnen waren Arbeitsmaterialien, je ein kleiner Monitor und ein Replikator aufgebaut. Wir konnten uns also während der Diskussion unseren Kaffee oder was wir sonst so brauchten selbst zubereiten.
Aber was sollten wir hier? Verlegen reichte mir Siegrid die Hand. Wir setzten uns den Platznummern entsprechend nebeneinander in die zweite Reihe. Ich hätte ihr gern ein paar nette Worte gesagt, sie wenigstens freundlich angesehen, aber bis zur offiziellen Begrüßung wurde ich laufend von allen Seiten angeredet. Die Tierparkszene blieb unerwähnt.
Professor Natio, der ZAT-Leiter, fasste zur Einleitung die bisherigen Ereignisse und Erkenntnisse um Alpha 01 zusammen. Es war für mich nichts Neues und damit ermüdend. Hellwach wurde ich erst wieder, als er im folgenden Abschnitt unser Erscheinen beschrieb - bis hin zu dem missglückten Fluchtversuch „eines besonders ergebnisorientierten Teils der Gruppe". Ich musste an Ernsts Scherz denken. Das klang hier, als wären wir die Außerirdischen, und Siegrid war für einen Moment eine Heldin. Was sollte das?
„Das Kollektiv 15 im ZAT hat diese Ereignisse analysiert. Es ist zu einem außergewöhnlich positiven Schluss gekommen. Die Kollegen brennen darauf, euch den zu erläutern. Ich habe sie zu diesem Zweck auch eingeladen, ihnen aber vorübergehend Sprachverbot erteilt, Entschuldigung, Markus, denn ich hoffe, unter unseren Gästen findet sich noch ein Verrückter, der aus den dargelegten Fakten das selbe kombiniert. Für eine kurze Verschnaufpause sind die Replikatoren auf Eistee mit Maxin zu eurer besonderen Anregung vorprogrammiert."
Ich nippte wie geistesabwesend. Dabei wanderte mein Blick zwischen Ernst und Siegrid hin und her. Man behandelte uns wie Kriminalistikschüler, lauter Doktor Watsons, denen verschiedene Indizien vorgelegt wurden, die zur Lösung des Falles beitragen sollten. Und unser Sherlock Holmes hatte offenbar den Zusammenhang schon gefunden.
Plötzlich ahnte ich die Lösung. Das Klingelzeichen unterbrach meine sich erst langsam ordnenden Gedanken. Die anderen Teilnehmer versuchten, die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Ein peinlicher Moment allgemeinen Schweigens begann. Da hob ich schüchtern wie zu meiner Schulmädchenzeit einen Finger, Natio winkte mir, ich stolperte die paar Schritte nach vorn. Ein Glück, dass ich so jugendlich wirkte, und damit meine Verlegenheit zur Schau stellen konnte. Glücklicherweise wusste ich um die Wirkung meines Kleides. Sollte ich jetzt Unsinn reden, dann würden mir das wenigstens die etwa 50 Männer unter den 80 Teilnehmern nicht verübeln.
„Wenn zwischen den von Professor Natio vorgetragenen Sachverhalten ein Zusammenhang bestehen soll und der zu einem Kontakt mit diesen, sagen wir mal, Alphamenschen führen müsste, dann kann er offenbar nur in unserem Zeitschiff liegen. Mit seiner Hilfe könnte der Start einer Allreise in die Vergangenheit verlegt werden. Flugetappe eins wäre die Zeitbewegung, Flugetappe zwei die im Raum. Vielleicht lassen sich beide sogar koppeln. Seht mich an oder ein beliebiges Mitglied unseres alten Teams. Durch einen noch nicht erklärbaren Transformationsnebeneffekt sind wir körperlich gegenüber unserer Startzeit verjüngt. Ihr könntet also jetzt zum Beispiel als reife Herren diesen Raum verlassen und um die Erfahrung einer hundertjährigen Reise reichere Besucher des Alphasystems körperlich verjüngt in den Saal zurück kommen. Wenigstens theoretisch. Stellt euch einmal vor ..."
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Montag, 23. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1277

Was die "Gedichte des Tages" übermorgen wahrscheinlich sein werden? Als Vorschlag kämen da zusammen:

Gastgedicht: Thomas Reich "Das leere Herz"

 ( Ich dachte
meine Straßen zu kennen
doch nun finde ich
nicht einmal mehr im Hellen nach Hause. ...)

Testgedicht: Slov ant Gali "Euterpes Schicksal"

(Als aber
die muse der poesie
die schwangerschaften nicht mehr zählen konnte
wie die dichter
die sie geküsst
begann ihr leib
in die breite zu gehen ...)

schon angestaubtes Gedicht: Slov ant Gali "hinz braucht Ruhe"

(wie weit könnt schon die menschheit sein

verkörperte sie hinz allein

nicht problematisch wär das leben
würd es nicht andre menschen geben ...
)


Weiter mit der Prosa. Wir sind gerade bei der 78. Fortsetzung des utopischen Romans  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth angekommen  


Wozu diese Aufregung? Ein Zeitraum von hundert Jahren konnte mit „sofortiger Kontaktaufnahme" ja wohl nicht gemeint sein! Wen sollte ich fragen?
Aus Forschungs- und Praxiseinrichtungen wurden oft solche Kollegen ins ZAT delegiert, die an ihrem Arbeitsplatz nicht umsetzbare Ideen geäußert hatten und deshalb als Querköpfe verschrien waren. Sie sollten die bisher erprobten Arbeitsabläufe nicht weiter stören, aber unter von ihnen selbst gesteuerten Bedingungen neue Theorien und Praktiken bis zur Einsatzreife durchprobieren. Gerade, weil wir auf dem Gebiet der außerirdischen Kontakte bisher ins Leere hinein Theorien entwickelt hatten, war ein reger Personalaustausch zwischen uns und dem ZAT entstanden. Der schuf besondere Probleme für meine Arbeit, waren doch viele dieser Typen wenig teamfähig, während meine Arbeitsaufgabe gerade darin bestand, Teams zusammenzustellen.
Mich tröstete etwas, dass auch Maria und Ernst Einladungen für das Wochenende bekommen hatten. Wenigstens säße ich dort nicht total einsam und verlassen herum. Und Ernst grübelte mit tiefsinnigem Gesicht:
„Im ZAT werden wahrscheinlich längst Bewohner von Planet 4 im Alpha 01-System arbeiten. Jetzt endlich geben sie sich zu erkennen. Damit ist die Kontaktfrage gelöst."
„Blödmann!"
Ernst konnte absurdeste Ideen mit einem Gesicht vortragen, dass man annahm, er glaubte selbst daran. Natürlich war es verführerisch, nach den Beobachtungen der letzten Wochen endlich auch die Krönung miterleben zu dürfen – unsere Abteilung bei der wirklichen Begegnung mit Außerirdischen! Diese Einladung beflügelte sofort wieder die verrücktesten Hoffnungen. Das war wohl menschlich. Kaum hatten wir einen Schritt vorwärts gemacht, wollten wir den nächsten.
Mama lächelte wie immer:
„Dir gefällt deine Arbeit doch?"
„Ja, natürlich, aber ..."
„Lass mal das Aber. Es gibt doch nur wenige Möglichkeiten: Die eine wäre, du erledigst die kommenden Jahre weiter Aufgaben, die du jetzt schon fast alle als Routine behandelst. Dafür ist entscheidend, wie gern du mit deinen Leuten zusammen bist."
„Eigentlich ein tolles Team."
„Siehst du. Eine Katastrophe wäre es also nicht. Du kannst natürlich auch einen Versetzungsantrag stellen. Wir finden schon einen Platz, an dem du dich ausgefüllt fühlst. Bleibt die dritte Möglichkeit, im ZAT haben sie wirklich etwas herausgefunden, was ihr übersehen habt. Die paar Stunden, bis du das genau weißt, wirst du wohl abwarten können. Egal was kommt, sei nicht enttäuscht!"
Eigentlich war mir das kein großer Trost. Und was ich auch tat: Josh erreichte ich nicht, und es wusste auch niemand, wo er zu erreichen war. Dabei war mir nach Nuks Ausbruch eines klar: Wir sollten uns aussprechen, und ich musste ihm begreiflich machen, wie weit und vor allem warum ich vorher selbst an Siegrids Unternehmen beteiligt gewesen war. Nur dann konnte ich ihm völlig unbefangen ins Gesicht sehen.
Es gab einmal diesen Spruch „Wenn man vom Teufel spricht, ist er auch schon da". Der fiel mir sofort ein, als ich am Sonnabend im Foyer des Tagungsraums Siegrid gegenüber stand. Auch sie war eingeladen worden, und das musste einen speziellen Grund haben, denn außer Maria und Ernst war sonst niemand aus unserem Zeitreiseteam dabei. Wir fragten erfolglos herum, wer einen speziellen Anlass für dieses Treffen oder eine Tagesordnung kannte. Doch die anderen Delegierten zeigten sich genauso überrascht von der unerklärlichen Eile für diese Veranstaltung.
Allerdings freute ich mich für einen Augenblick wie ein kleines Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug repariert hatte, als ich Josh entdeckte. Was auch immer der Sinn seiner Teilnahme war, es war herrlich, ihn hier zu treffen.



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