Donnerstag, 19. Januar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1273

Unser Journal startet wieder mit dem Blick auf die Gedichte des Tages von übermorgen. Die stehen im Zeichen eines Zufalls: Vor drei Jahren präsentierten wir Ursula Gressmann mit

Eiseskälte

 (1) ... und diesmal heißt ihr Gedicht schlicht  "Kälte" (2).  Dagegen kommt kaum  " Gelassenheit(3) auf ...
Also kurz zum Anschnuppern:
(1)

zeit 
sickert durch
das netz graublauer 
stille
(2) weißschuppig der himmel
dazwischen verwaschenes
winterblau

(3) Du bist so klug hast erkannt unsere Zeit
reicht nicht einmal zu erfassen
was den Namenlosen nicht angetan werden dürfte

Wir sind dann so klug, mit Prosa weiterzumachen. Wir sind gerade bei der 74. Fortsetzung des utopischen Romans  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth angekommen  


Zu Hause schlief Josh natürlich schon fest. Ich hängte das Schild „Alle Türen, nur diese nicht!" raus und schlief ein. Mich überfiel ein Albtraum: Ich hing an einer langen Leitung, einem Schlauch oder so etwas und schwebte frei im All. Ich sah mich selbst. Jemand rief mich. Die Stimme kam mir bekannt vor. Ich brüllte: „Ich kann nichts verstehen!" Doch obwohl ich mir Mühe gab, wurde es nur ein Flüstern. Endlich verstand ich: „Den Helm Anna, nimm den Helm ab!". Mitten im All nahm ich meinen Helm ab. In diesem Augenblick wusste ich, wer mich gerufen hatte. Es war mein Vater. Für einen kurzen Moment fühlte ich, wie mein Kopf explodierte.
Da wurde ich munter und hatte kaum zwei Stunden geschlafen. Ich drehte mich auf die andere Seite. Der Traum ließ mich nicht wieder einschlafen. Wurde ich ins Reich der Toten gerufen?
Endlich fiel ich in einen Halbschlaf. Als ich wieder aufwachte, beherrschte mich die eine Hoffnung: Was wir gestern gesehen hatten, durfte einfach kein Spiegelbild gewesen sein.
Die beste Laune hatte ich trotzdem nicht, als ich morgens zum Saal schlürfte. Josh war zur Arbeit gegangen, ohne mich zu wecken. Ausgerechnet diesmal war niemand da, der mir das Frühstück ans Bett brachte.
Durch den Flur hetzten die Familienmitglieder so panisch wie ich das noch nie erlebt hatte. Ich lief an den anderen vorbei, ohne zu fragen und mehr als ein mürrisches „Morgen!" zu knurren. Im Saal registrierte ich vage, dass etwas anders war als an den anderen Tagen.
„Guten Morgen! Wo ist denn Nuk?"
Plötzlich liefen mir alle entgegen und redeten auf mich ein. Ich hörte „... weg ..." und „... bist schuld ...", ohne zu verstehen, was ich angestellt haben sollte. Dann bildete sich eine Gasse, durch die Mama auf mich zukam. Sie hielt mir wortlos einen Zettel entgegen. Auf ihm standen nur wenige Worte:
„MICH BRAUCHT IHR JETZT NICHT MEHR.
GEHT NUR ALLE EURER WEGE –
ICH FINDE MEINEN SCHON.
IHR WART LIEB.
GRÜSST ANNA:
SCHÖN, DASS SIE JETZT MIT JOSH WOHNT.
MACHT ES GUT!
EURE FRÜHER LIEBE NUK"
„Das habe ich auf ihrem Bett gefunden, als ich sie vorhin wecken wollte", erklärte mir Mama, als ich den Kopf hob zum Zeichen, dass ich mit dem Lesen fertig war.
Tatsächlich. Es wurde mir ganz plötzlich bewusst. Nachdem ich bei ihr eingezogen war, hatte Nuk ihre Kontakte zu Luk fast völlig aufgegeben. Sie hatte mich zur Freundin, großen Schwester und wichtigsten Partnerin in einem ausgewählt.
Ich hatte gar nicht so darauf geachtet. Jedenfalls war ich mit Josh nach unserer intimen Geiselbefreiungsfeier in eines der leeren Zimmer gezogen, und am Tag darauf hatte ich meine Sachen dorthin geholt, während Nuk in der Schule gewesen war. Richtig gesprochen hatten wir nicht miteinander. Sie musste ja glauben, ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Sie wäre abgeschrieben, weil ich nun jemanden hatte für alle Probleme und später ein eigenes Kind.

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