Montag, 7. Mai 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1382

Wir beginnen mit einem Ruf: "Gedichte des Tages" - welche sind geplant? Antwort:


 Wenn jetzt jemand meint, es schleift sich ein gleichmäßiger Trott ein, dann irrt er. Es war nicht geplant, dass sich der Kreis der lyrischen Flickschusterer erweitert. Aber Sebastian Deya nahm den Faden auf und ergänzte unser Grundmotiv durch eine eigene Aussage und Aussageform.Und da behaupte noch einer, die Lüricker brüten nur jeder für sich im stillen Kämmerlein ... Es ist übrigens seine sinnvolle Sicht, sein Gedicht als Dreierwerk zu kennzeichnen - da steckt wirklich irgendwas von jedem drin ...


      Gunda Jaron / Slov ant Gali / Sebastian Deya:Gedichte vom nicht so tapferen Schneiderlein


Einfache ist der Fortsetzungsroman. Der geht utopisch weiter ohne Überraschungen ... oder doch?




Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (45)



... Neugierig war ich immer und über Mangel an Zeit brauchte ich mich nicht zu beschweren. Ich probierte es mit dem Comparationsprogramm. Das fand als naheliegendste Bezeichnung in Verbindung mit den Gesten die Übersetzung „Gütiger“ als Umschreibung für Gott. Na, sieh einmal an, dachte ich, bisher hatte es zwar durchaus Belege für religiösen Glauben gegeben – das war bei dem Entwicklungsstand dieser Wesen eigentlich selbstverständlich – aber im alltäglichen Leben hatte das kaum eine Rolle gespielt. Wahrscheinlich würde ich irgendwann ein paar Feste miterleben, Dankfeste, Bittfeste... - nur diesmal wurde erstmalig sozusagen dieses Gotteswesen ohne ersichtlichen Anlass von allen fast gleichzeitig angesprochen. Unabhängig voneinander. Mit Gesten ... Moment ...
Ich verfolgte die entsprechenden Filmsequenzen noch einmal alle fast parallel. Diese Wesen grüßten in eine bestimmte Richtung. Das war aber nicht irgendeine Himmelsrichtung. Ich versuchte, mit einer holografischen Skizze so exakt wie möglich die Hütten mit ihren Eingängen zu erfassen und wie die Wesen bei dem neuen Gruß standen. Ich verlängerte die Blickrichtungen und wurde in meinem Anfangsverdacht immer mehr bestärkt. Die Saks grüßten den Saativas exakt in jene Richtung, in die sie mich hatten entschwinden sehen. Der Saativas war nicht irgendein gütiger Gott, der Saativas war ich!
Kannst du dir vorstellen, was das für ein seltsames Gefühl war? Plötzlich zuzusehen, wie du von einem fremden, dem deinen aber sehr ähnlichen Volk als Gott, Verzeihung, Saativas, angerufen wirst?
Ich ließ diesen Tag mit ablenkender Arbeit vergehen. Ich konnte einfach nicht mehr zusehen. Aber wenn ich ehrlich bin, auf die Bauarbeiten konnte ich mich auch nicht konzentrieren. Und in mir keimte ein noch sehr vager Gedanke. Ich hatte irgendetwas übersehen. Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber dieser unausgeformte Gedanke suggerierte mir, ich würde, wenn ich ihn fertig hätte, meinen Bau gar nicht mehr brauchen. Mit dieser Vision brach ich wirklich alles ab: Mein Engagement bei den bauenden Robbis und die Beobachtung der Saks. Ich legte mich mit der festen Überzeugung hin, wenn ich die zurückliegenden Ereignisse noch einmal sortiert haben würde, fiele mir etwas Wichtiges ein oder auf. Eben jene Ereignisse hatten meinen Rhythmus von Wachen und Schlafen so durcheinandergebracht, dass ich entgegen meiner Erwartung sofort einschlief...



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Sonntag, 6. Mai 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1381

Zum dritten Mal nacheinander sehen die "Gedichte des Tages" im Prinzip gleich aus. Nur die Gedichtbeispiele sind andere:


 In der Reihe der auf ähnliche Weise entstandenen Gedichte folgen jetzt also Beispiel 5 und 6:

 Gunda Jaron / Slov ant GaliGedichte vom nicht so tapferen Schneiderlein (5)


Auch das Fortsetzungsromanprojekt wird planmäßig fortgeführt:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (44)



... Wahrscheinlich war ich kaum eingeschlafen, da beherrschte mich schon ein Albtraum: Ich fuchtelte mit einem Organbatzen herum, der wie ein Wimpel an einer Stange steckte. Ich hörte mich fragen: Bist du nun das Herz, eine Niere oder die Lunge? Und eine fremde Stimme rief: Die Leber, du Trottel, die Leber!
Trotz all des Stresses wachte ich am folgenden Morgen als Erster auf. Ich richtete mich auf ... und erbrach mich. Auch das half nicht. Es würgte mich weiter, als hätte ich mir den Zeigefinger tief in den Rachen gesteckt. Ich warf einen Blick auf meine Hände. Die zitterten unkontrolliert und die dunklen Flecken darauf waren sicher Blut oder Dreck in angetrocknetem Blut. Nein. Das hatte ich noch nie erlebt. Plötzlich erfasste mich eine panische Angst. Für die Betreuung der hoffentlich teilweise genesenden Bewohner eines ganzen Dorfes besaß ich absolut keine Voraussetzungen. Ich hätte ...
In den Ansatz eines Gedankens hinein tauchten erste Saks auf. Ich lächelte zum ersten Mal wieder. Ich nannte meine Menschen jetzt also ganz normal Saks. Und mein Unterbewusstsein gab mir ein paar Worte ein, die der Translator ins einheimische Lalala übersetzte:
So. Die große Gefahr ist vorüber. Ihr kommt jetzt allein klar. Ihr wisst ja, wie ihr miteinander umgehen müsst. Ich flieg jetzt wieder ab. Alles Gute! Wir sehen uns bestimmt bald wieder.“
Passend, klug oder gar diplomatisch waren die Wörter bestimmt nicht gewählt, aber sie erfüllten ihre Wirkung überraschend gut. In jeder Hütte gab es Gesunde, schwer und weniger schwer Verletzte und Tote – und eben die Gesunden mussten sich um die anderen kümmern.
Ich verwandelte meine Robbis in Gepäckstücke, die ich im Gleiter verstaute, flog zu meiner Felsengrotte und ... schlief erneut ein – wie ich danach feststellte, bis zum darauffolgenden Morgen. Dann aber konnte ich kaum die Aufzeichnungen meiner Kameras erwarten ...
Was ich dort sah, war nicht sonderlich beeindruckend. Irgendwie hatte ich mich schon an die Gefühlsarmut, so sah ich das damals, der Saks im Umgang mit dem Tod gewöhnt. Man hatte in der Nähe der eigenen bewirtschafteten Felder eine Grube ausgehoben und warf alle inzwischen Verstorbenen dort hinein. Zu frühen Erdzeiten hatte man so etwas wohl Massengrab genannt. Wenn es der Translator richtig übersetzt hatte, dann würde im nächsten Jahr Sant auf dem Feld darüber wachsen, etwas, was ich bis dahin nicht kannte. Die Toten sollten sich um die Fruchtbarkeit dieses Getreides kümmern. Immerhin eine Art Verbindung mit den Toten ...
Dann gingen alle wieder zurück in ihre Hütten. Seltsamerweise verbeugten sie sich nach draußen mit Gruß und Dank an einen Saativas, der ihnen wohlgesinnt bleiben möge. Für diese Bezeichnung hatte der Translator keine Übersetzung angeboten. An einen früheren Gebrauch dieses Namens oder Titels, wenn es denn einer sein sollte, konnte ich mich nicht erinnern.... 



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Samstag, 5. Mai 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1380

Zum aktuellen Kreativitätsprojekt in den "Gedichten des Tages" ist schon alles gesagt. Also können wir gleich zu den aktuellen Beispielen kommen:


Heute setzen wir ohne zusätzliche Hinweise das Flickschusterprojekt fort mit





Eigentlich ist auch alles Nötige zum utopischen Romanprojekt gesagt. Wir setzen es einfach fort:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (43)




... Wenn ich mich später an diese ersten Minuten nach dem überraschenden Angriff erinnerte – und ich erinnerte mich oft daran – trat mir immer wieder der Schweiß auf die Stirn. Ich hatte ein Feld voller Verletzter zu bewerten. Ja, leider zu bewerten. Ich musste also praktisch eine Reihenfolge der Behandlungen festlegen – wohl wissend, dass je später ich jemanden zur Behandlung einteilte, er damit um so wahrscheinlicher zum Tode verurteilt war. Ein Arzt hätte ja nicht nur erkannt, ob und was er zu tun hatte, sondern auch, durch welche Abfolge er möglichst viele Leben retten konnte. Ich sah nur, dass nicht einmal zwanzig Saks unverletzt geblieben waren. Auf die hetzte ich jene Robbis, die gerade die kosmetische Behandlung der Pickelbeulen gelernt hatten. Ich versuchte, die Verletzten aufzuscheuchen. Wer immer sich zur Entpickelung anstellen konnte, wurde behandelt wie ein Unverletzter. Immerhin konnte im Umgang mit den Riesen-Pickeln nicht viel falsch gemacht werden, und ich brauchte unbedingt etwas freie Bahn. Auf die Entscheidungen zum weiteren Vorgehen in diesem Fall war ich nicht vorbereitet. Selbst das Aussortieren leicht Verletzter konnte ein Fehler sein. Durch diese Pickel war vielleicht die Widerstandskraft der Körper so geschwächt, dass ansonsten Harmloses lebensbedrohlich sein konnte. Ich war mir nur sicher, dass wenn ich die Pfeile in den Körpern stecken ließ, dies früher oder später zum Tode führen würde. Ich überzeugte mich davon, dass sie nicht mit Widerhaken versehen waren. Nachdem ich das geklärt hatte, entschloss ich mich zu einer barbarischen Aktion: Ich verschoss Betäubungsladungen und riss, nur mit Handschuhen ausgerüstet, Pfeil um Pfeil aus den Körpern, sofern die Getroffenen noch Leben zeigten. Gelegentlich nutzte ich Robbis zum Fixieren der Patienten. Nein, ich ließ die nicht operieren. Sie waren nicht für Vergleichbares programmiert, und es wäre mir vorgekommen, als wollte ich die Verantwortung für die Folgen abschieben.
Ohne mich um mögliche Folgen zu kümmern, holte ich den Gleiter, um mit dessen Licht wenigstens noch ein Stück der Nacht operieren zu können. Hätte es zum Zeitpunkt meines Abfluges eine Technologie gegeben, Nanniten auf unspektakulärem Weg fremden Körpern zuzuführen, dann hätte ich es jetzt probiert. Aber das einzige, was ich einsetzen konnte, war ein Cocktail, dem eine enorm anregende Wirkung auf die natürlichen Körperfunktionen zugeschrieben wurde – in der Kinder- und Jugendmedizin auf der Erde wurde er häufig eingesetzt. Herumzulaufen, um mehr oder weniger hilflosen Patienten den Durst zu löschen und dabei zu wissen, dass der eingeflößte Trunk die Heilungschancen wenigstens etwas verbesserte, war viel angenehmer, als mit Blut herumzuspritzen. Aber um ehrlich zu sein, ich wusste allmählich nicht mehr, mit wem ich was gemacht hatte. Dunkel hoffte ich, dass ich keinen lebenden Körper übersehen hatte, in dem noch ein Pfeil steckte. Es war mir egal, was ein gelernter Mediziner zu meiner Aktion gesagt hätte. Vielleicht machte ich viele Fehler. Aber ich bemühte mich hier einmal ehrlich ohne Hintergedanken. Ich hörte einfach auf zu behandeln, als es mir vor den Augen flimmerte. Licht aus und hingelegt. ...



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Freitag, 4. Mai 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1379

Diesmal enthalten die "Gedichte des Tages" ein besonderes Bonbon:


Kreativität ist ein Abenteuer.Es heißt, gerade Dichter wären besondere Individualisten. Dieses Blog hat schon Gegenbeispiele hervorgebracht, wo Gedichte durch gegenseitige Anregung von Ideen so gewachsen sind, dass sie gerechterweise nicht mehr einem einzelnen Autoren zuzuordnen waren. Ein neues Beispiel wird die kommenden Tage bestimmen. Hier war der Ausgangspunkt ein reifendes Gedicht von Gunda Jaron. Es war reich an so widersprüchlichen Empfindungen, dass es "aus allen Nähten zu platzen drohte". Dem lyrischen Ich fehlte nur noch ein Du ... und schon hielt ich sieben neue Gedichte dagegen. Dreien davon war kein langes Leben beschieden, sie wurden ersetzt durch schärfere Konturen des ursprünglichen und eigenem Trümmerstücken und wieder ...
Beginnen wir also mit
Es ist übrigens müßig, nach dem Ur-Text zu suchen ...  


Im Vergleich dazu wird das SF-Romanmanuskript noch einige Fusionsreaktionen durchmachen, bevor die endgültige Form erreicht ist:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (42)


... Was dann folgte, kam für uns alle völlig unerwartet. Plötzlich ein leichtes Sirren. Eher ungehalten über eine lästige Störung blickte ich auf.
Danach folgten einige Bewegungen ohne vernünftige Steuerung, irgendwas instinktiv Tierisches. Ich sah eine Wolke aus Pfeilen auf den Platz zusteuern, stieß irgendeinen wilden Warnlaut aus, griff das Mädchen, dessen Rücken bei meinen Schnitten gelegentlich gezuckt hatte, umarmte es und kugelte mit ihm zur Seite. Die meisten Pfeile trafen die sich als ideales Ziel darbietenden Dörfler. Nun schwand die allgemeine Lethargie. Aufgescheucht versuchten die, die sich bewegen konnten, irgendwohin zu laufen. Nur einige wenige strebten den Hütten zu, die meisten liefen, einander behindernd, durcheinander. Nur runter von dem offenen Platz. Doch schon vernahm ich das nächste Sirren. Die nächste Wolke. Neue Aufschreie.
Und fast gleichzeitig die nächste Wolke – diesmal von der entgegengesetzten Seite her. Ich glaube, ganz spontan, unterbewusst hatte ich Alarm gerufen. Das war das Stichwort für die Robbis. Die rannten von ihren jeweiligen Positionen aus sofort dem bisher verborgenen Feind entgegen. Ihnen waren die Pfeile ja egal.
Zwei Wolken gab es noch. Sie richteten, soweit ich dies erkennen konnte, nur noch wenig Schaden an. Dann waren Schreie anderer Art zu hören. Aber auch das dauerte nur kurz.
Entschuldige, mein Zeitgefühl mag getrogen haben, aber fünf bis zehn Minuten später tauchten die Robbis wieder auf – jeweils mit mehreren Bündeln an Stricken. Und diese Bündel bestanden im Wesentlichen aus gefesselten Soldaten. Solche hatte ich noch nicht gesehen. Sie waren in glänzendes schwarzes Leder gekleidet, Joppen, Miniröcke und über die Knie reichende Stiefel.
Ich fragte den ersten, warum sie uns angegriffen hätten. Seiner Antwort entnahm ich nur, dass Saks mit Saanderkotza nicht in die Nähe der Burg kommen durften, und um zu verhindern, dass ein Infizierter sich unwahrscheinlicherweise doch auf den Weg machte oder zufälligerweise ein noch nicht Infizierter durch die Siedlung gezogen wäre, hatten sie den Auftrag erhalten, alle einzugraben und die Hütten abzubrennen. Na ja und zum Eingraben mussten die Kranken natürlich gestorben sein.
Daraus schloss ich, dass auf der Burg diese grausige Krankheit als ausrottend und unbesiegbar bekannt war. Die Dörfler waren den Symptomen ahnungs- und hilflos ausgeliefert und wären ohne mein Eingreifen dem Tode geweiht.
Was sollte ich mit den Männern anfangen? Ich hatte Wichtigeres zu tun. Mehrere Dutzend Dorf-Saks mussten noch vor dem Tod oder einem Fasttod bewahrt werden. Ich wies die Robbis an, die Kämpfer zu entkleiden und zu entlassen. Splitternackt und unbewaffnet wirkten sie recht ungefährlich. So schnell sie ohne den gewohnten Fußschutz konnten, rannten sie in Richtung Burg davon. Nun konnte, musste ich mich daranmachen, die Schar der Kranken, Verletzten und Toten zu sichten.

Ich fühlte mich so was von erbärmlich! Hätte ich doch nur medizinische Kenntnisse gehabt! Na ja – in gewisser Hinsicht hatte ich ja welche: Nämlich soweit ich Zugang zum Rechner hatte. Dort war fast alles gespeichert, womit ich in Berührung kommen konnte. Allerdings hätte ich die richtigen Fragen stellen und in ausreichender Geschwindigkeit irgendwelche Grafiken in konkrete räumliche Vorstellungen an den Körpern und die wieder in Handlungen übersetzen können müssen. Aber das konnte ich nicht! Ich war ja kein Robbi. Und die Datenbank kannte natürlich nur Menschenkrankheiten und ihre Heilung. .
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Donnerstag, 3. Mai 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1378

Schlicht und einfach: Hier sind die "Gedichte des Tages" von morgen!


Beginnen wir mit Sebastian Deya. Ich sage es offen: Sein Gedicht "Piraterie" regt mich zum Nachdenken an. Es hat aber ein Geheimnis. Der Titel verunsichert mich. Erwarten könnte man heutzutage eine Parabel auf somalische oder malaiische Küsten, auch an eine moderne Partei könnte man denken. Wenn man ein Gedicht liest, kann man nur sich selbst fragen, ob ein Gedicht etwas auslöst ...
Als ich nach einem Gedicht suchte, das im Testmodus hängt und überarbeitet verbessert werden sollte, stieß ich auf "Amakudari". Entsetzt fragte ich mich, ob ich das wirklich geschrieben hatte. Ich musste selbst die Bedeutung des Titels nachschlagen! Langsam erschloss sich wieder diese personelle Verfilzung von Politik und Ökonomie, für die wir nur den Ausdruck Lobbyismus kennen, für die die Japaner aber besonders feinsinnige Formen gefunden haben Und wenn dann einmal eine Katastrophe passiert, ... Ich fand keine Verbesserungen ...


Und damit nicht genug. Hier geht der Fortsetzungsroman weiter ... obwohl er garantiert schon an vielen Stellen anders aussehen wird, wenn er hier fertig wiedergegeben wurde:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (41)


... Die schwerste Arbeit stand mir allerdings noch bevor. Ich hatte sie zuvor nicht bedacht. Zwar hatte ich ein kurzzeitiges Wohlbefinden hergestellt, und ich wusste, dass die Krankheit bald – wann immer das sein würde – verginge, doch das änderte nichts an den überdimensionalen „Pickeln“. Ihr Inhalt würde sowohl die Blutbahn der Betroffenen mit Giftstoffen übersättigen als auch – und das schien mir fast wichtiger - das Äußere aller Betroffenen dauerhaft entstellen. Also entschloss ich mich spontan, diese „Pickel“ wegzuoperieren.
Im Gegensatz zu der ersten Aktion würde das viel Zeit kosten. Aufschneiden, aufklappen, reinigen, zuklappen, vernähen ... so ungefähr. An sich einfache Handgriffe – aber die Körper waren übersät von diesen Riesenpickeln.
Mein einziges Plus: Nach dem ersten Erfolg schienen die Dörfler mit einer unbeschreiblichen Geduld versehen - totale Lethargie hätte genauso ausgesehen. Das betraf selbst die Kinder. Dort, wo ich sie zum Warten hingescheucht hatte, verharrten sie fast reglos. Stehend, wo ich vergessen hatte, zu sagen, sie sollten sich setzen, sonst sitzend. Was mochte sie antreiben? Grenzenlose Angst?
Um dieses Gefühl wenigstens ein wenig zu mindern befahl ich den Robbis Abstand und Ruheposition. Nachdem die Impfung vollzogen war, hätte die Flucht Einzelner keinen zu großen Schaden mehr verursacht. Aber da ich die Einkreisung natürlich beibehielt, blieb ein Entwischen sehr unwahrscheinlich. Andererseits wirkten die Robbis als sitzende oder hockende Figuren viel weniger Furcht einflößend als im Stehen, wo bereits ihre überragende Größe einschüchterte.
Was mein Kommando für Folgen hatte, konnte ich wirklich nicht ahnen ...
Ich hatte mich entschieden, mit den Kindern zu beginnen. Bei denen musste ich damit rechnen, dass ihre Geduld zuerst enden würde. Nach meinem ersten Patienten überschlug ich, dass ich pro Patient 10 bis 15, bei den Erwachsenen vielleicht noch mehr Minuten brauchen würde. Das hieß, allein konnte ich an diesem Tag nicht fertig werden. Aber ... das war doch die Idee! Einer der Robbis hatte seine optischen Sensoren auf die Operationsvorgänge gerichtet. Er musste alles genau beobachtet haben. Die Robbis waren geschickt und auf ihre Weise intelligent. Wenn sieben von ihnen ebenfalls operierten, dann wären wir noch am Nachmittag fertig!
Eine Unterrichtsstunde Operieren war angesagt. Das war ein Erlebnis für sich, sag ich dir. Mal dir aus, du erklärst jemandem, du machst ihm etwas vor, er soll erst genau zusehen und es dann genauso nachmachen. Das ist schon nicht leicht, wenn dir ein anderer Mensch auf die Finger schaut, noch spannender ist es, wenn es so ein Roboter ist, von dem du weißt, dass er wirklich die kleinste Bewegung identisch nachmacht. Nur nicht zittern, jede Bewegung optimieren. Immerhin blieb mir noch die Gelegenheit, in der Testrunde, wenn der Robbi die erste Operation selbst machte, ihn zu korrigieren, ihm zu erklären, welche Bewegung er dann doch nicht so machen sollte wie ich. Dann übernahm der Robbi meine Aufgabe mit. Er führte also eine Operation vor, die die dafür vorgesehenen anderen Robbis zwecks Nachahmung beobachteten. Glücklicherweise geb es keinen Zwischenfall durch eine unvorhergesehene Reaktion unserer Patienten. Endlich brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen: Das Ergebnis solcher Unterweisung würde identische Qualität sein. Massenweise. Für mich war nur wichtig, die Aufmerksamkeit der Dörfler, sofern man bei ihnen überhaupt von Aufmerksamkeit sprechen konnte, auf mich zu richten. Sie durften möglichst nicht bemerken, dass sie kaum noch Wachen umgaben – und wenn, dann wenigstens nicht so, dass sie irgendwelche gemeinsamen Schlussfolgerungen daraus zogen. Zum ersten Mal musste ich meine Schritte daraus ableiten, dass nur begrenzte Zeit zur Verfügung stand. Allerdings wurde ich immer unvorsichtiger, weil die Umzingelten so beängstigend lethargisch blieben. Nur noch fünf Wach-Robbis lungerten scheinbar gelangweilt im Gras, darauf lauernd, dass jemand zu fliehen versuchte. ...

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e.

Mittwoch, 2. Mai 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1377

Ausnahmsweise stehen die "Gedichte des Tages" morgen im Zeichen eines Gastautors, weil versucht werden soll, anhand zweier aktueller Beispiele die Wirkintensität künstlerischer Mittel zu illustrieren:


Wie gewinnt man ein Gefühl dafür, wann was gut geht? Einmal ganz davon abgesehen, dass Kunst auch eine Frage des persönlichen Geschmacks ist, der mitunter sehr subjektiv ist. Diesmal sind zwei Gedichte von Sebastian Deya Gegenstand. Beide habe eines gemeinsam: Sie verwenden Reime als Mittel, aber sie verwenden sie schlampig. Trotzdem hätte ich sie unterschiedlich behandelt: Bei "Neuland" arbeitet der Autor mit eigentlich grauenvollen Paarreimen, die in einem Lyrikband jeden Dichter die Wutlocken aufrichten würden. Ganz anders wirkt der Text aber, sobald man ihn sich laut gesprochen vorstellt. Sofort entsteht ein Bild, WIE er zu sprechen wäre, notfallt als Rap, Bewegung dazu ... und alles funktioniert.
Anders bei "Modern Love". Das Gedicht gibt mit Strophe 1 eigentlich eine "klassische" Paarreim-Struktur vor mit nur einem anstößigem Halbtakt dazwischen. Es folgen aber immer neue neue Strophenstrukturen, bei denen man nach erbostem Lesen fürchtet, dass alles anders zu lesen, also zu betonen zu sein scheint, als man es für richtig hielte. Wobei die dritte sich an die erste Strophe anlehnt, es vielfach nur kleine Nachschliffe wären. Nur dadurch, dass man auf konventionelle Strukturen gestoßen wird, erwartet man sie auch eingehalten, während im ersten Gedicht keine Erwartungen geweckt werden, die nachher nicht eingelöst sind ...




Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (40)




... Als körperlich Schwächster im Kreis machte ich die letzten Schritte auf die Hütten zu. Mich eskortierte einer der Roboter-Ritter auf dem Hauptweg, also jenem Weg, über den „meine Menschen“ ihre Felder erreichten. Den Translator hatte ich mir umgeschnallt und mit einer Art Megafon gekoppelt. Als ich auf dem freien Platz vor den Hütten stand, erschrak ich selbst vor dem Hall der ersten Laute des Gerätes. Aber irgendwie war das Gefühl ... so musste früher Rauschgift gewirkt haben. Ich hatte etwas mit normaler menschlicher Stimme gesagt und Sekunden später überschüttete ein Schwall mit einheimischen A-Lauten übersättigter Töne den ganzen Ort.
Macht. Eine unbändige Welle von Macht. Gleichzeitig drangen meine Robbis von allen Seiten in die Hütten und begannen, deren Bewohner nach draußen zu treiben.
Dutzende Verängstigte, Wehrlose, von Schmerz und Müdigkeit Gezeichnete krochen auf den Vorplatz.
...Ihr werdet jetzt einen kurzen Schmerz im Arm empfinden. Danach wird eure Krankheit verschwinden. Ihr werdet leben können wie zuvor ...“
Ich sprach noch so einiges mehr. Wichtig dabei war eigentlich nur, dass die Robbis währenddessen die Dörfler zu einer Reihe ordneten. So konnte ich beginnen und schnell vorankommen. Der in die Oberarme geschossene Cocktail enthielt auch ein starkes, schnell wirkendes Schmerzmittel, so dass die ersten bereits Linderung empfanden, als ich erst meinen etwa dreißigsten Patienten passiert hatte. Verwunderte Ausrufe brachten zwar zuerst die Reihe etwas durcheinander, bewirkten aber auch, dass die Hinteren ohne besondere Aufforderung ihre Oberarme frei machten und mir entgegenstreckten.
Die Geimpften hieß ich sich hinsetzen. Da der Kessel immer kleiner wurde, konnte ich die ersten Robbis bereits dafür abstellen, die Hütten nach Toten zu durchsuchen und diese zu entsorgen.
Ich hatte mich dafür entschieden, die „Beerdigung“ in der ortsüblichen Form durchzuführen. Ich hatte nicht bemerkt, dass eine Schrift die Erinnerung an irgendwelche Namen hätte erhalten können, und Särge waren ein unvertretbarer und den Einheimischen ja auch unverständlicher Luxus. ...

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Lyrik-Prosa-Wortkultur 1376

Welche "Gedichte des Tages" sind nach dem 1. Mai angesagt?

Was passiert, wenn eigene Gedichte nach Jahresfrist, in der sie unberührt sich vom Autor Slov ant Gali entfremden konnten, wieder aufgegriffen werden? Es kann vorkommen, dass ich einfach sage, so würde ich das heute wieder machen wollen, wenn ich denn könnte ("Zeitentenor"). Es kann aber auch vorkommen, dass ich immer noch hilflos einem inneren Problem gegenüberstehe ... oder aufatme: Warum ist mir diese "Lösung" nicht gleich aufgefallen ("das gedicht")

Dazu kommt für das für das Journal des Tages noch eine Fortsetzung des utopischen Romans hinzu:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (39)


... Ich war mir sicher, dass diese Krankheit auf der Erde nie so schnell vorangeschritten war ... Allerdings war sie dort früher oft tödlich verlaufen. Manche Krankheiten verlaufen aber auch schnell, heftig ... und vergehen wieder. Ich ahnte schon, dass ich mir die Wirklichkeit gern zurechtträumen wollte. Sie ließ meine Wunschträume nicht an sich heran. Schon am Abend war eines der wenigen Babys gestorben.
Was auch immer ich mir an Strategien überlegt hatte – es war wertlos geworden. Ich musste handeln. Die Frage war nur wie.
Die Antwort auf die Frage kam von den Dörflern selbst. Ich weiß nicht, ob ich sie wegen des folgenden Verhaltens für gefühl-, pietät-, traditionslos halten sollte. Mit Gesten verständigten sich die Bewohner jener Hütte, in der das Baby verstorben war, dass die älteste Frau es aufheben sollte. Drei Männer folgten ihr auf einem Weg raus aus dem Dorf. Sie murmelten etwas von „... wird bei Aschakaalas Würmern träumen ...“ Noch vor Einbruch der Dunkelheit waren die vier wieder zurück, schwach, aber ohne Zeichen von Trauer.
Ich hatte keine Wahl. Ich konnte nur darauf setzen, dass die Dorfbewohner von der Krankheit so geschwächt waren, dass sie auf umgehende Geister nicht reagieren würden. Wenn ich nicht viele weitere Tote riskieren wollte, musste ich den Leichnam untersuchen, richtiger: der Analysator musste es. Dazu musste ich den Körper des Babys finden. Ich musste in die Nähe des Dorfes – weit konnten die vier nicht gelaufen sein - und das Grab öffnen.

Es gab kein Grab. Der nackte Körper war etwa 200 Meter von den Hütten entfernt, aber auf der den Feldern abgewandten Seite, verscharrt worden. Mit einer Lampe fand ich die Stelle. Ich gab mir keine Mühe, beim Suchen und Buddeln unbemerkt zu bleiben. Die Zeit drängte, und bisher hatte nichts darauf hingedeutet, dass die Dörfler einen vermeintlichen Geist – und wofür sonst hätten sie mich halten sollen – bei seinem Wirken stören würden.
Mein Einsatz wurde ein voller Erfolg. Nicht nur, dass ich den Babykörper dem Analysecomputer anvertraute, nein: Noch vor Mitternacht hatte das Med-System eine Art Serum entwickelt, das die Wirkung jenes offenbar nur bakteriellen Krankheitserregers neutralisieren konnte. Dort, wo ich herkam, hätte man den Kopf geschüttelt. Ich replizierte vorzeitliche Spritzen mit einer Pistole dazu – und nach etwa 100 Stück ... übermannte mich der Schlaf ...
An Horrorträumen hatte ich in dieser Nacht keinen Mangel. Trotzdem oder vielleicht sogar deshalb war ich am nächsten Morgen früh hellwach. Ich schaute kaum die Monitore durch – es war auch nichts Überraschendes zu erkennen; im Wesentlich wälzten sich die Dörfler in ihren Schmerzen. Demnach lebten sie also noch.
Ich hatte mich entschieden. Bei meinem ersten Auftritt konnte ich der Eile wegen nicht auf Gewalt verzichten, wollte ich kein Risiko eingehen.

Was wäre gewesen, wenn die Dörfler im Schreck über mein Auftauchen nur kurz ihre Lethargie überwunden hätten, geflüchtet und in irgendwelchen Verstecken krepiert wären – und wäre es auch nur ein Teil von ihnen? Sie durften meiner Behandlung doch auf keinen Fall entgehen.
Meine Kampfroboter stattete ich mit einem an mittelalterliche Ritter erinnernden Äußeren aus; ihre Phots regelte ich auf minimalen Impuls herunter. Normalerweise führte dies nur zu einer kurzzeitigen Lähmung – allerdings war der Zustand meiner Zielpersonen unnormal schlecht. Es war also besser, die Waffen überhaupt nicht wirklich einsetzen zu müssen.
Schließlich postierte ich meine Ritter rund um die Siedlung. Als die Hütten ausreichend dicht umzingelt waren, gab ich den Befehl zum Abmarsch. Jeder rückte gerade auf die Hütten zu. ...

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