Donnerstag, 31. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1638

Wie üblich beginnt das Journal mit einem Blick auf die nächsten "Gedichte des Tages":


      Übrigens ging den "worträumen" ein Drei-Männer-Lyrik-Projekt voraus, also "Mit Blindenhund durchs Liebesland". Der Verlag - wieder ein anderer - hat dieses alte Werk abgeschrieben. Man könnte ihn mit einer Erinneung ärgern: 

      "aquarianerlatein"



Es folgt ein weiteres Stück Leseprobe aus "Die sieben Kugeln":


... Petra kam sich nun entschieden zu nüchtern vor. Was war nur heute los mit ihnen? Vier Menschen in bestem Erwachsenenalter spannen Verrücktheiten zusammen bis zum Gehtnichtmehr. Also wenn das nicht am Alkohol lag, dann an der Anhäufung von unerklärlichen Dingen. Dann liefe vielleicht der nächstbeste Gedanke wie Sabber aus dem Mund. Auch ihr. Wo war ihre analytische Schärfe als Wissenschaftlerin hin? Wenn ihre Kollegen sie so sähen! Na, in diesem Kreis war sowieso nichts Vernünftiges mehr zu erwarten. Lieber schneller trinken. Sie hatte viel aufzuholen. Die anderen redeten viel und laut, und überhaupt hatte sie keine Lust mehr, sich an der Diskussion zu beteiligen.
Am nächsten Morgen fragte sie Sonja, ob sie die Geschichte von dieser Marie wirklich für bare Münze genommen habe. „Eigentlich nicht“, antwortete die kleinlaut. „Gestern ist mir wohl der Alkohol nicht bekommen.“
Du hast genau so ein Zwillingspärchen wie ich, stimmt´s?“ Petra sagte es ihr auf den Kopf zu.
Sonja erstarrte. „Hm“, nickte sie dann vorsichtig.
Warum hast du das nicht gesagt?“
Sonja blickte zur Seite. Dennoch: Petra spürte eine grenzenlose Angst in der Freundin aus Kindertagen.
Ist nicht so wichtig.“
Das war wohl die unglaubwürdigste Antwort, die Petra hätte bekommen können. Aber sie verstand sie. Als Wissenschaftlerin weckte das alles, was immer „das alles“ sein mochte, ihre Neugierde. Als Mutter wäre sie lieber nie hier gewesen. Dann hätte sie noch immer Zwillinge, die sich von anderen nur dadurch unterschieden, dass sie vielleicht netter, lieber, verständiger waren.
Als Petra abfuhr, lag Jens´ Kugel im Kofferraum ihres Wagens. Alle hatten ihr fest ver­sprochen, sich gleich in der nächsten Woche bei ihr zu melden. Sie melde sich auch gleich, hatte sie geantwortet. Vielleicht gebe es dann schon Neuigkeiten. Sonja hatte Sina und Leonie zugesagt, beim nächsten Besuch ihre Zwillinge mitzubringen. Ob sie es glaubten oder nicht: Auch die sähen ihnen zum Verwechseln ähnlich.
Petra war sich fast sicher, dass sie an dem vergangenen Abend etwas erfahren hatte, was das Sikrobenproblem lösen würde. Eine Ahnung, eine scheinbar nicht zu begrün­dende Ahnung. Petra ließ ihre Gedanken schweifen. Manchmal, wenn es mit ihren Forschungsreihen scheinbar überhaupt nicht vorwärtsging, setzte sie auf etwas, was sie Eingebung nannte, so eine innere Stimme: Du bist näher dran, als du denkst. Diese Stimme meldete sich auf der Fahrt in Richtung Leipzig. Zwischen all dem Unsinn vom Vortag war etwas … Gleich hatte sie es ...
Ausgerechnet in diesen Augenblick hinein rief Jana: „Guck mal da!“ Sie wies auf eine riesige Werbetafel am Straßenrand, die nach dem Abbiegen links einen „Freizeitspaß für die ganze Familie“ versprach. Petra gab dem Drängen ihrer Töchter nach, machte den Abstecher zu dem Erlebnispark und ihre innere Stimme war verstummt.
Als sie abends aufhörten, miteinander herumzuulken, schüttelte Petra kurz den Kopf, als müsste sie auf eine Frage antworten. Nein, da war nichts. Trotzdem bereute sie den Ausflug nicht. Tatjana und Martina schwärmten von ihren Spiegelschwestern. Ihnen eine solche Freude gemacht zu haben war Erfolg genug für das Wochenende. „Na, vielleicht fahren wir mal wieder hin“, versprach Petra. Wahrscheinlich nicht. Bald würde auch diese Waldidylle von den Ätzern überflutet werden. Aber warum sollte sie Jana und Tina die Freude verderben? ...



Mittwoch, 30. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1637


Bei den Gedichten des Tages geht es gerade im Shinkansen-Tempo (oder hieß das doch Schimpansen-Tempo?) gleich zweimal von Rückblick auf "worträume" zu "Voran zur Natur" ... also natürlich VORAN ... was sonst? 

."Vom Königsfloh"
  "pegasus turtelt"



..Also wenn schon ohne lyrische Gäste, dann diesmal ganz. Also ist "nur" noch eine weitere Fortsetzung fällig:

Es folgt ein weiteres Stück Leseprobe aus "Die sieben Kugeln":


... „Dann hätten sie Millionen Jahre Anabioseschlaf hinter sich, oder von ihrem Auftauchen gäb es irgendwelche Überlieferungen, Spuren oder so.“ Jens schüttelte den Kopf. „Da scheint mir schon glaubhafter, dass es Nachrichten sind, die wir nicht verstehen. Wenn wir schon so etwas zusammenspinnen wollen.“
Sonja hatte sich aufgerichtet. „Wenn sie als Kugeln reisten, dann spielte Zeit kaum eine Rolle für sie. Irgendwann träfen sie schon auf einen bewohnbaren Himmelskörper. Aber aus welcher Mottenkiste habt ihr bloß eure Philosophien? Als ob Intelligenzen unbedingt modern, fortschrittlich, friedlich und so zusammenleben müssten, wenn ihre Technik modern, also noch moderner ist als unsere …“
Nun komm uns nicht mit solchen Horrorerfindungen von eroberungswütigen Superwesen, Borgs, Kyborgs oder so. Die gibt es doch nur im Film. Und da sind sie auf dem Niveau der alten Römer stehen geblieben. Dadurch werden automatisch die Menschen zu den Guten. Die Filmemacher verstehn´s nicht besser.“ Jens hatte sich in seinem Stuhl aufgerichtet.
Du tust ja so, als wären wir Menschen weiter! Wir sind im Moment nur die einzigen intelligenten Wesen, die wir kennen. Und was tun wir? Tanzen auf einem selbst geschaf­fenen Pulverfass. Überlegt doch mal: Ist es nicht ein glücklicher Zufall, dass es unsre Erde noch gibt? Ja, viel fehlt uns nicht bis zu Flügen zu fremden Sternen. Technisch fä­hig dafür wären wir. Die fremden Welten können vielleicht froh sein, dass wir sie noch nicht erreicht haben.“
Bei ihren Worten sah Sonja Jens ins Gesicht. Sie war halb aufgestanden und wurde mit jedem Satz lauter. Petra verdrehte die Augen. Mit ihrer linken Hand deutete sie einen Heiligenschein an.
Sonja fuhr unbeirrt fort. „Wir sind an Atomkriegen vorbeigeschlittert, die selbst gemachte Klimakatastrophe haben wir zigmal vorhergesagt und nichts dagegen getan, wir haben an der Genetik der Natur herumgespielt … eigentlich hätte uns wenigstens eins davon dahinraffen müssen … Von den meisten Fast-Katastrophen wissen wir wahrscheinlich gar nicht. Wir haben es immer wieder versäumt, vernünftige Lebensverhältnisse zu schaffen.“ Mit weit nach vorn gebeugtem Oberkörper bewegte Sonja die Arme wie der Dirigent eines Orchesters. „Persönlichkeiten, an die man nicht erinnert werden will, ha­ben längst herausgefunden, woran das liegt und was man ändern muss. Aber was hat sich verändert? Nichts. Wir haben sie bekämpft – diese Persönlichkeiten und ihre Ideen …“Sonjas Zunge war schwer. Trotzdem oder gerade deshalb hätte sie wohl den weiteren grillenstillen Abend lang den tiefsten Sinn des Menschseins herbeiphiloso­phiert. Petra war Jens dankbar, als der aufstand, Sonjas Glas auffüllte und ihr die Hand besänftigend auf die Schulter legte. Sonja sah sich einen Moment um, als würde sie gerade gewahr, in welchem Kreis sie saß. Sie senkte kurz den Kopf, hob ihn aber sofort wieder. „Entschuldigt, da ist es wohl mit mir durchgegangen. Lehrer sind manchmal so. Aber lasst mal – im Moment passieren mir die verrücktesten Dinge. Zum Beispiel sind zwei meiner Schülerinnen extra losgezogen, um persönlich an diese Sikroben heranzu­kommen. Und ich war sogar schuld daran. Ich wollte der einen nämlich klarmachen, dass es Blödsinn sei, über den Weltuntergang zu phantasieren … Ja, lacht nur. Und wisst ihr was? Sie haben es auch geschafft: Sie sind bis zu den Sikroben vorgedrungen …“
Ja, die Story ist bei allen Einsatzkräften umgegangen. Uns reichen ansonsten die Sekten-Gurus, die sich als neue Märtyrer dem Weltuntergang entgegenstellen wollen. Wisst ihr …“ Jens hatte schon vorher skurrile Anekdoten am Rande der Tröpfchenkatastrophe erzählt. Aber Sonja ließ sich nicht so leicht das Wort abschneiden. „Ich bin noch nicht fertig. Das Tollste kommt erst noch. Julia, also die eine von den bei­den, hat danach behauptet, sie hätten die Tropfen gestoppt – mit Gitarrenspiel. Es hat ihr natürlich niemand geglaubt. Ich habe viel darüber nachgedacht. Marie, die andere, die sie angestiftet hat, hat schon vorher verrückte Sachen ausgeheckt. Aber sie hat nie geflunkert, so unglaubhaft vieles auch geklungen hat … Ich glaube ihnen.“
Na, dann wissen wir ja, wie wir dem Tod entgegentreten müssen.“ Jens hatte den Rücken durchgedrückt und den Finger wie ein sich meldender Schüler nach oben gestreckt. „Wir bilden einen großen Kreis aus Gitarristen rund um Berlin und singen 'We shall overcome' dazu. Gleich morgen geht´s los.“
Die anderen lachten. ...

Dienstag, 29. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1636


Mag man von Sebastian Deyas Gedichten halten, was immer man will - Lyrik ist nunmal Geschmackssache - eines muss man ihm lassen: Er ist sich treu und hat "In Höhen und Tiefen" etwas Eigenes. Vielleicht wird deshalb in 100 Jahren ein Kritiker über einen jungen Autor sagen, der schriebe wie Sebastian Deya.
Achtung: Ich hoffe, dass es in 100 Jahren junge Autoren geben wird ... Nicht nur "bei vollmond" betrachtet gibt es nämlich Gründe genug, genau daran zu zweifeln ...

Kommen wir lieber zum prosaischen, dafür aber garantiert fiktiven Teil:


Es folgt ein weiteres Stück Leseprobe aus "Die sieben Kugeln":


... Als sie Jens´ Blick traf, war es zu spät zum Wegsehen. Petra antwortete als Erste: „Nein, Hornissen hab ich noch keine erlebt … und andere Insekten? … Nein, nichts, was mir aufgefallen wäre. Ich hab aber auch nicht weiter drüber nachgedacht.“ Hatte das bei­läufig genug geklungen? Petra wollte sich nicht weiter befragen lassen. Wie hätte sie nach der Geburt ihrer Mädchen einen Zusammenhang zwischen der Kugel und dem Verhalten von Insekten beobachten können – sie wusste ja nicht einmal, wo Rahmans Geschenk geblieben war … Das musste sie den anderen aber nicht auf die Nase bin­den. In der Geschichte hatte es immer mal wieder Schädigungen durch Umweltgifte und Strahlungen gegeben. Nun waren ihre Zwillinge bestimmt nicht geschädigt in diesem Sinne, aber …
Es kann ja alles ein extremer Zufall sein. Aber ich nehme an, Jens hat uns hergeholt, um dem auf den Grund zu gehen. Da seine Kugel die verdächtigste ist, schlage ich vor, ich nehme sie mit in mein Labor und untersuche sie. Außerdem werde ich prüfen, ob ich bei meiner ähnliche Wirkungen feststellen kann. Dann sehen wir weiter.“ Immer wieder kreisten Petras Gedanken um die Frage, was an ihren Kindern unnatürlich war. Kam denn keiner auf diese Idee? Die als Doppel-Pärchen besonders niedlich ausschauenden Mädchen waren vielleicht Doppelmonster. Geklonte Außerirdische. Nicht auszudenken! Und Jens? Er hatte schon mehr Zeit zum Nachdenken gehabt. Was war dabei heraus­gekommen, das er nicht aussprechen wollte? Petra wollte schnellstmöglich die Kugel in die Hände bekommen und untersuchen. Andererseits … Warum sagte Sonja nichts? Hatte sie vielleicht normale Kinder? Wusste sie mehr? Hatte sie Angst vor den eigenen Gedanken?
Das Gespräch kehrte wieder zu der Ätzerinvasion zurück. Die Spekulationen der anderen wurden immer haarsträubender und hilfloser. Eigentlich wollte Petra dem nur ein Ende bereiten: „Klar gibt es eine Erklärung: Da sind fremdartige Monster am Werk, die die Erde ihren Vorstellungen von einer idealen Umwelt anpassen. Terraforming nennt man das. Unser aller Tod ist nur eine unbeabsichtigte Nebenwirkung.“ Ihre Worte kamen flüssig, wegen des Weins, dem inzwischen alle rege zugesprochen hatten.
Du meinst, die Ätzer sind von bösartigen Aliens geschickt? Das kann ich mir nicht vor­stellen. Allein, was die für Dimensionen im Raum überwunden hätten!“, hielt Janine da­gegen. „Glaubst du wirklich, eine Kultur, die uns technisch so weit voraus ist, tritt dermaßen bestialisch auf?“
Janine, weißt du, Petra war schon als Kind davon überzeugt, dass die Dinger aus dem All gekommen sind. Dabei wissen wir nicht einmal“, versuchte Jens zu scherzen, „ob das eine Kultur, ein schreckliches Missverständnis, ein Unfall oder was auch immer ist … Wer sagt uns denn, dass diese Verwüstungen in der Absicht dieser Fremden gelegen haben? Vielleicht haben wir etwas ausgelöst, was so nie vorgesehen war? Wir können nur spekulieren wie Petra damals. Im Moment haben wir immer noch keine Beweise, ob die Kugeln außerirdischen Ursprungs sind. “
Und wenn sie selbst so was wie Aliens wären?“ Petra sah sich um. Hoffentlich sah niemand auch die eigenen Kinder als solche Aliens an. Sozusagen aus den Kugeln in den Bauch der Frauen gesprungen. Oh Gott! Wenn das Sonja eingefallen sein sollte …
Vielleicht waren sie einfach nervlich zu erregt. Da wirkt der Alkohol schlimmer. War sie von diesem Wein etwa betrunken? ...



Montag, 28. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1635


Auf diesem Lyrikblog wurden lange keine "anderen" Autoren vorgestellt. Dabei gibt es eine weit verzweigte Lyrikwelt. Irgendwo dort stoßen wir dann auch aufRoman Reischl, für den "Der sechste Sinn" ... richtig: die Liebe ist. Er schafft nicht nur als Lyriker, sondern auch als Erzähler. Ob er zu einem Stamm-Autor der "Gedichte des Tages" aufsteigt, muss sich erst zeigen, wer mehr von ihm entdecken will, kann das aber schon HIER oder DA ...
Keine Sorge: Die Vorstellung der Kandidaten für das "Umweltschutz"-Bändchen geht weiter: "Am Tipi"


.Es folgt ein weiteres Stück Leseprobe aus "Die sieben Kugeln":

Amerika und Tibet gibt es noch lange…“ Petras Lachen klang dabei auch nicht gerade entspannt.
Eine Weile hingen alle still brütend ihren Gedanken nach. In diese Stimmung hinein stürmten die vier Mädchen. Einmal hoch. Einmal runter. „Ist das nicht unheimlich, ent­schuldigt bitte den Ausdruck, wie ähnlich sich die Mädchen sehen? Das kann doch kein Zufall sein … Ich würde mich nicht wundern, wenn Sonja auch mit solchen Zwillingen ankommt.“ Jens sah keine der Frauen an.
Die nahe liegendste Erklärung …“ Janine sah abwechselnd zu Petra und Jens. „War was zwischen euch?“
Nicht, dass ich wüsste.“ Jens sagte das leise. Damit war Petra klar, auch ihm wäre diese überschaubare Erklärung angenehmer gewesen.
So richtig zum Lachen finde ich das nicht gerade. Aber zumindest kann ich dir versichern, Janine, dass ich nie was mit Jens gehabt habe. Auch wenn du das nahe liegend findest.“ Petra drehte sich zu Jens. „Aber vielleicht erzählst du endlich, warum du dieses Treffen gerade jetzt wolltest.“
Wollen wir nicht noch auf Sonja warten? Mehr Kugelbesitzer habe ich sowieso nicht erreicht.“
Erzähl lieber! Ich habe schon verstanden, dass du meinst, alles hängt mit unseren Kugeln zusammen.“ Petra lehnte sich locker zurück. Ein Seitenblick. Aha, Janine hatte die Arme vor der Brust gekreuzt.
Jens´ Blick fixierte eine Hummel, die gerade am Apfelbaum vorbeiflog.
Also, Rahmans Tod gab den letzten Anstoß für die Einladung. Was davor war, war so unglaubwürdig, dass ich mich nicht getraut hätte, darüber zu reden. Nicht einmal mit Janine. Dabei war sie eines der Opfer. Bis vorhin hab ich immer noch gezögert, über­haupt darüber zu sprechen. Aber nun weiß ich, es gab da etwas, was wir unbedingt klä­ren müssen. Etwas, was ich bisher für einen Rausch, eine Halluzination oder so gehal­ten habe. Aber die Zwillinge sind wohl wirklich keine Sinnestäuschung. Ihr Anblick hat mich genauso überrascht wie euch … oder nicht ganz so … Und mit den Sikroben ist ja etwas aufgetaucht, an das wir vorher nicht geglaubt hätten. Zumindest …“ Jens machte eine Pause. In diesem Augenblick hörten alle ein sanft anschwellendes Brummen. „Das wird Sonja sein.“

Für die beiden Zwillingspärchen folgten herrliche Stunden. Gelegentlich stürmten sie hoch zum Haus, das Jana zum „Hexenhaus“ erklärt hatte, dann dämpften sie instinktiv ihre Lautstärke, als gelte es, einen Gegner auszukundschaften. Sie holten Saft und Kuchen und für jeden ein Eis aus dem Kühlschrank und verschwanden wieder am See. Tina hatte noch nie eine Badestelle erlebt, die so versteckt lag. Schade, dass sie noch nicht gut genug schwimmen konnte. Aber es machte auch so Spaß, von Leonies Schultern zu springen.
Einmal irritierte sie der Blick der fremden Frau. Petra und Janine hatten sie herangerufen, ihre Namen genannt und nicht verwechselt, warum auch immer, Und diese Sonja starrte sie an wie Gespenster.
Spielt ruhig weiter!“ Janines Aufforderung ließen sie sich nicht zweimal sagen. Schon waren sie den Blicken der Erwachsenen wieder entkommen.
„… Fest steht: In den letzten zehn Jahren bin ich Petra nie begegnet. Die Kinder ähneln sich aber wie eineiige Vierlinge. Also ist das hier ein Wunder. Es wäre schon Zufall genug gewesen, wenn alles weibliche Zwillinge gewesen wären. Du hast ja auch welche, Sonja. Aber als ich die Idee für unser Treffen hatte, wusste ich das noch nicht. Da beschäftigte mich etwas Anderes. Sagt mal, habt ihr irgendwann einmal etwas Unge­wöhnliches mit Insekten erlebt?“
Jens sah dabei Sonja an. Die schüttelte mit dem Kopf. Sie war allein gekommen Petra hatte Sonjas Blick genauso bemerkt wie die Mädchen. Irgendwie ahnte sie im selben Moment, dass Sonjas Töchter den vieren hier gleichfalls glichen. Sie hörte nur halb hin, wie Jens zum zweiten Mal seine Beobachtungen mit der Kugel und den Hornissen schilderte. Merkte Jens denn nichts? Merkte er denn nicht, dass es in Sonjas Hirn arbeitete wie vor wenigen Minuten in ihrem? Dass sie ihre Fassung verloren hatte und nicht zuhören konnte? Petras Gedanken irrten ab: Als sie damals schwanger war, hatte sie Rahmans Kugel wohl noch gehabt. Das war dermaßen verrückt – hätte sie das ver­dammte Ding bloß gleich weggeworfen …
...



Sonntag, 27. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1634


Bei manchem dürfen Dichter die ersten sein. Eines davon ist die Individualität. Ein Mensch, der sich selbst nicht als Individuum zu verwirklichen sucht, ist noch kein Dichter - und sei es, dass er für Verhältnisse sein Wort einsetzt, die Individualität erst möglich machen. Meiner Meinung nach sind dies die heutigen noch nicht. Sehr unpoetisch muss ich also etwas für meine Position tun: "Kündigung eines Pachtvertrages" ...
Unabhängig davon (?!) geht es weiter mit "Voran zur Natur" ..."Trauriges Kampflied" ... Wer da sagt, das Gedicht kenne ich, dem sei Trauriges gesagt: Der Verlag, der die Gedichte im Band "worträume" vertrieb, ist aufgelöst. Restbücher gibt es bei mir ... alle Rechte liegen wieder bei mir ...



.Es folgt ein weiteres Stück Leseprobe aus "Die sieben Kugeln":


...Aber eine Spur in der Sikrobensache hat keiner“, murrte Jens. „… Vielleicht stimmt´s. Sollen sich Leute darum kümmern, die die Mittel dafür haben. Grundsatzdiskussionen dieser Art höre ich jeden Tag. Dafür habe ich euch nicht eingeladen.“ Jens beobachtete seine Gesprächspartnerinnen. Würde es später einen besseren Moment geben? Was hatten die Kugeln mit den Zwillingen zu tun? Wenn er nur eine Idee hätte … Er versuchte es trotzdem. „Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, die Kugelbesitzer aus Näswerder zusammenzuholen. Ich bin nämlich auf etwas Seltsames gestoßen …“ Dann erzählte er drauflos von den Hornissen auf seinem Grundstück und dass er sicher sei, seine Kugel stecke dahinter.
Zumindest mit der Art zu erzählen erwies sich Jens nicht als fesselnder Unterhalter. Dabei hätte die Story eigentlich ein angenehmes Gruseln hervorrufen müssen. Oder lag es einfach nur daran, dass alle am Tisch auf eine andere Sache warteten? Belustigt beobachtete Petra Janine. Die presste die Kuppen ihrer Finger aufeinander ohne hinzusehen. Auch Petra erwartete, dass Jens endlich etwas zu den beiden Zwillingspärchen sagte. In gewisser Weise beneidete sie Janine inzwischen. Konnte die Sorgen haben! Ein zehn Jahre zurückliegender Seitensprung! Ein müdes Lächeln … Na, an Janines Stelle vielleicht nicht, aber trotzdem. Nur, wenn es keinen biologischen Zusammenhang zwischen den Zwillingspärchen gab – und da war sich Petra ja sicher - welchen dann? Ein billionstel wahrscheinlicher Zufall? Welcher? Jens als heimlicher Samenspender, und diese Spermien waren zufälligerweise ausgerechnet bei ihr gelandet? Nein, umgekehrt: Jochen als anonymer Samenspender und … ? Unsinn, die Kinder hätten einander trotzdem nie derart ähnlich gesehen … Ihre Kinder schienen identisch. Ihre Kinder? Waren ihre nicht natürlich? Quatsch. Sie wusste genau, wann sie gezeugt worden waren und wie natürlich. Oder?
Jens erzählte weiter über die Ätzerkatastrophe. Sie habe in den letzten Tagen alle Kraft seiner Dienststelle gebunden und auch zu Hause sei sie ewiges Gesprächsthema gewesen – sogar soweit, dass er bis in die Nacht hinein in Berlin festgesessen habe und seine Familie wissen wollte, was an den Horrormeldungen wirklich dran wäre. Die Beratungen der Einsatzkräfte? Klar sei er auf dem Laufenden. So sei er ja auch auf den Namen Rahman Parchmann gestoßen.
„… Plötzlich hatte ich einen Anlass, nach euch zu fahnden.“
Rahman?“, vergewisserte sich Petra.
Ja, darauf komme ich noch zurück“, sagte Jens. „Ein Stück vom Chaos in Berlin ist selbst gemacht. Bisher sind mehr Menschen totgetrampelt, erschlagen und im panischen Aufbruch überfahren worden als siliziert. Nach einer Woche haben wir jetzt endlich etwas System in die Evakuierungen bekommen. Nur die Sikroben vermehren sich pausenlos. Wenn nicht bald etwas gegen sie gefunden wird, also ich weiß nicht, wie das enden soll.“
Siehste, die Leute sind selbst schuld. Wenn sie sich nicht genug kümmern, trifft sie eben der Schaden. Die Letzten beißen die Hunde. Oder eben die Sikroben.Es zeigt sich wieder mal, dass sich nur die durchsetzen, die die Übersicht behalten. Leistung und Disziplin. Sich nicht kleinkriegen lassen, wenn´s scheinbar nicht weitergeht. Dann geht es eben doch weiter. Ich mal mir jedenfalls nicht aus, dass in ein paar Wochen das alles hier ein erstarrter Dreckfleck sein könnte. Panik ist immer sinnlos. Ich …“ Petra lauschte auf die Geräusche der Mädchen im Hintergrund. Die schienen miteinander zu spielen, als täten sie das schon jahrelang.
Dreckfleck ist gut … Es ist leicht auszurechnen, wie schnell die Ätzer sich ausbreiten, wenn sie nicht gebremst werden. Bald sind sie hier. Wenn auch noch nicht in der nächsten Woche.“ Jens lachte etwas gekünstelt.
Ich weiß. Bevor ich mich hierher getraut habe, habe ich eine Computersimulation zur weiteren Ausbreitung der Sikroben abgerufen.“
Und welche Überlebenszeit gibt dein System der Erde insgesamt?“       ...

Samstag, 26. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1633


Soll man etwas bleiben lassen, was man nicht kann? An "Die Ballade von Lucy Jordan" bin ich gescheitert. Das heißt, ich wollte mich ursprünglich an einer singbaren Nachdichtung versuchen. Einziges Ergebnis: Die Hochachtung vor den Nachdichtern ist weiter gewachsen. Allerdings ist selbst der Versuch angreifbar, den Text zu übersetzen. Trotzdem würde ich jedem zu solchen Versuchen raten - es schärft einfach das Sprachgefühl ... Und hier habe ich den O-Text eingefügt ... und man kann das Lied hören ... und vielleicht verstehen ...
Zu diesem Werk passt natürlich nur der folgende Titel:  "Fliegender Fatalismus" ... aber natürlich nicht der Text ...

Übrigens möchte ich nicht über Thomas Reich spotten, wenn ich ihm gratuliere, mit dem Lyrikband "Automatenliebe" unter die ersten 70000 der Amazon-Bestsellerliste vorgestoßen zu sein ... unter ALLEN Büchern (http://www.amazon.de/dp/1481937804).
Insofern also ein Hinweis, dass inzwischen auch "Zwischen den Laken" ins Rennen gegangen ist (http://www.amazon.de/dp/1481941690) 



Es folgt ein weiteres Stück Leseprobe aus "Die sieben Kugeln":


... Tatsächlich ähnelten die beiden Zwillingspärchen einander so sehr wie eineiige Vierlinge. Während die Frauen den Mädchen noch entgeistert hinterhersahen, murmelte Jens für sich: „Das also auch noch.“ Laut rief er: „Da haben wir ja einiges zu bereden.“

Jens half Petra, die Sachen aus dem Auto ins Gästezimmer zu tragen. Sie waren gerade fertig, da tauchten die vier Mädchen wieder auf der Treppe auf. Janine hatte zugestimmt, dass Sina und Leonie bei Jana und Tina draußen im Zelt übernachten durften. Alle vier sagten begeistert zu, sich zu benehmen, und von nun an hörte man sie nur noch gelegentlich im Garten toben.
Die drei Erwachsenen saßen nachdenklich auf der Bank an der Hauswand. Janine sah die ganze Zeit zu Jens hinüber. Spiegelbilder ihrer Töchter. Von einer Schulkameradin ihres Jens vorgeführt. Um das zu verkraften, hätte sie schon drei Doppelte hintereinander gebraucht. Sie wirkte so frustriert, dass sich Petra wieder fasste und sich ausmalte, was wohl gerade durch Janines Kopf gehen mochte. Armer Jens. So unschuldig und nun das … Deuten konnte Petra das Doppelzwillingsbild natürlich auch nicht. Es war einfach zu unvermittelt gekommen für irgendeine halbwegs sinnvoll erscheinende Erklärung. Also abwarten. Aber so sehr sich Petra bemühte, … ihr fiel nicht auch nur ansatzweise Plausibles ein, was diese Laune der Natur hätte erklären können. Immer wieder irrten ihre Gedanken ab. Immer wieder kamen sie zurück in diese Gartenidylle. Immer wieder kam keine Erklärung.
Jens lehnte sich betont locker zurück. „Na, wie war die Fahrt?“, fragte er, und dabei sah er Petra erwartungsvoll an. Als ob ausgerechnet das die Frage gewesen wäre, die ihn interessiert hätte.
Na ja, ganz gut“, antwortete Petra belustigt. Ein seltsames Spiel, das Jens da trieb. Na, wenn er wollte. Sie würde abwarten, bis Jens den Moment für gekommen hielt, seine Überraschung zu präsentieren. Und dass er eine Überraschung präsentieren würde, schien Petra selbstverständlich. „Ich hatte schon noch etwas Chaos erwartet, Staus voll flüchtenden Trecks und so. Es lief aber alles ab wie eine normale Ferienfahrt.“ Wie zur Untermalung übertönte irgendwelches Gelächter die ferne Krötenmusik.
Na, warum sollen sich die Leute denn verrückt machen?“ Jens hatte die Arme hinter der Lehne ausgestreckt. „Vorgestern war´s noch schlimm, stimmt. Inzwischen ist alles zur großen Schlacht gerüstet. Die Hellersdorfer haben ihre Übergangsquartiere bezogen und warten. Mag man von dem Gegenangriff halten, was man will – ich halte nichts davon – er bringt aber bestimmt einen solchen Zeitgewinn, dass die Forschung das ent­scheidende Gegenmittel finden kann. Sollten diese Sikroben den Angriff überstehen, sind eben deinesgleichen gefordert.“
Findest du deinen Optimismus nicht voreilig?“ Petra grinste. „Aber stimmt. Selbst mein Labor hat einen Teilauftrag bekommen. Da ist der Erfolg der Forschungen wohl nur eine Frage der Zeit. Erfolg muss man eben haben. Im rechten Augenblick seine Chance er­kennen und sie ausnutzen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie kalt uns mancher abservieren will. Eingebildete Ignoranten, die meinen, weil Forschung zu mehr als 90 Prozent Schweiß sei, stellt sich mit mehr Schweiß automatisch der Erfolg ein. Das sind dann dieselben, die aus den Mühen der Forscher ihre Knete machen. Und sich eins ablachen über solche Kreativlabore wie meines. Na, ich will euch nicht mit meinem Frust belästigen. Dafür ist das Wetter zu schön.“ War das nun Smalltalk oder ging es schon um etwas? Petra war ja gewöhnt, dass bei Verhandlungen anfangs abgewartet wurde, wer zuerst zur Sache kam. Aber hier?! Ohne den kurzen Augenblick mit den doppelten Zwillingen und der immer und überall gegenwärtigen Sikrobenbedrohung wäre alles klar gewesen. Ein paar Minuten dieser eigentümlichen Stille und sie wäre eingeschlafen. Und das Gespräch verlief auch so stockend, als wären alle am Einschlafen.Hätte nicht dieses wortlose Belauern in der Luft gelegen ...

Freitag, 25. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1632


Desillusioniert zynisch. Das war das, was mir bei Thomas Reichs "Zwischen den Betten" einfiel. Na gut ... und dass etwas Bildhaftigkeit dem Gedicht gut getan hätte. Ist er so? Dies herauszufinden habe ich mich zu Amazon gewagt. Nunmehr ist die Reich-haltige Lyrik auf meinem Bestellzettel und wird voraussichtlich nächste Woche geliefert: "Automatenliebe". Na, mal sehen, wie hoch die Strafe ausfällt, dies Buch gekauft zu haben ...
Dieses Gedicht ausgerechnet mit der Beschreibung einer Ballettvorführung im Dresdner Zwinger zu kombinieren, die anders endete als geplant, hat einen sehr eigentümlichen Reiz, noch dazu, wenn Rousseau dabei eine Rolle spielt ... "Des Spatzen Hofballett".

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Es folgt ein weiteres Stück Leseprobe aus "Die sieben Kugeln":


... Tatjana und Martina, meist Jana und Tina gerufen, hatten Ferien. Petra hatte sich sowieso fest vorgenommen, möglichst viel mit ihnen zu unternehmen. Warum sollte sie die Mädchen nicht bei dem Ausflug mitnehmen? Die Landschaft sah auf der Karte verlockend aus: Rundum Wälder und Seen; Pferde für die Zwillinge wären bestimmt auch da. Ohne die blöden Tropfen in der Nähe schien dieser Ort wirklich ein ideales Plätzchen für einen längeren Urlaub zu sein. Einen kleinen Ausflug konnte sie sicher riskieren. Sie erführe dort Sikroben-Neuigkeiten aus erster Hand. Vielleicht wäre auf Jens´ Grundstück auch Platz für ein Kinderzelt? Sollte sie die beiden mitnehmen? Oder sie lieber bei den Großeltern abgeben? Aber was müsste sie sich dann alles anhören auf Näswerder.
Also mitnehmen. Umkehren konnte sie immer noch.
Jana und Tina sprudelten vor Erwartungen über. In diesem Jahr waren sie noch nicht einmal gemeinsam verreist. Sie tobten auf den Rücksitzen wie lange nicht mehr, aber Petra blieb beim Fahren ruhig und entspannt. Wozu hatte sie Automatik?
Die letzten vierzig Kilometer. Eine idyllische Waldlandschaft. Unglaublich: Ganz in der Nähe lauerte der Tod?! Alle Fernsehsender hatten über gewaltige Flüchtlingsströme berichtet, hier aber verkehrte kaum ein Fahrzeug. Waren denn alle schon weg? Oder trafen gerade die unbekümmertsten Optimisten und Spinner zusammen? Hatte sie unterwegs eine Sperre verpasst? Nein, das war nicht möglich. Sie war auf Bundesstraßen unterwegs, bog gerade erst von der nach Berlin ab.
Die letzte Abzweigung führte sie auf einen Weg, der für Autoverkehr nicht gedacht zu sein schien. Petra hätte sich nicht gewundert, plötzlich einer Pferdekutsche aus der Zeit der Grafen und Herzöge zu begegnen, und das Gebäude, das dann aus dem Busch­werk auftauchte, hätte gut in die Pferdekutschenzeit gepasst. „Ein Hexenhaus!“, jubelte Jana auch gleich.
Petra hupte. Eine Frau kam ihr entgegen. „Du also bist Petra. Ich bin Janine. Schön, dass du gekommen bist. Wir dachten schon, es würde sich niemand mehr hierhertrauen.“
Jens tauchte in der Haustür auf. Oh Gott! Petra verkniff sich mühsam das Lachen. Aus der Mail wusste sie, dass er Kriminalkommissar war – nur im Moment kam er ihr in Shorts und mit einem Bernhardinerkopf auf dem T-Shirt entgegen.
Jana und Tina schubsten sich gegenseitig aus dem alten Wagen. Streckten der fremden Frau die Hände entgegen. Janine stutzte und starrte die beiden wie Geistererscheinungen an. Petra verfolgte die Geste verwundert. Endlich rief Janine: „Das sind deine Kinder?“
Belustigt antwortete Petra: „Ja, wieso? Was … Hast du etwas dagegen?“
Warte“, unterbrach Janine sie aufgeregt. „ … Sina, Leonie, wo steckt ihr denn?“
Es hörte sich an, als polterten alte Kisten auf Rädern die Treppe herunter. „Was ist denn, Mama?“ Dann standen die Marder-Zwillinge in der Tür, gafften ungläubig auf die Herbst-Zwillinge. Stotterten: „Das sind ja wir?!“ Unsicher gingen sie auf die Gäste zu. Die Mäd­chen hielten einander auf Armeslänge voneinander weg, um sich zu betrachten. Aber schon rief Leonie: „Wollt ihr reinkommen?“ Im nächsten Moment schien der Spuk verschwunden. ...

Donnerstag, 24. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1631


Die Bibel mit ihrer Breite und Tiefe an künstlerischen Bildern Metaphern und auf Allgemeinverständlichkeit aufbereiteten Vergleichen wird noch lange der größte Steinbruch sein, auf dem sich Künstler unseres Kulturkreises bedienen werden, ihre Botschaft zu verbreiten, wobei natürlich auch bewusste Gegenbilder benutzt werden. Thomas Reich reiht sich mir "Der reuelose Sünder" ein ...
Dass "im rudel" überhaupt nicht mit christlicher Bildlichkeit arbeitet, hat erst einmal nichts zu sagen ...


Es folgt ein weiteres Stück Leseprobe aus "Die sieben Kugeln":

... Die Zeit auf Näswerder lag für Petra in dunklen Vorzeiten. Idyllische Kindheit? Ihre war bestimmt keine gewesen. Und dass sie da in Rahmans Hundehütte gemeinsam abgehoben waren, das war auch irgendwie nur ein Teil davon. Ein Haufen Kinder, die einmal der Rolle als laufend Geprügelte entgehen wollten … und es doch nicht schafften. Fast hätte sie Jens´ Mail vor dem Lesen gelöscht.
Hallo Freunde aus Näswerder! ...“ Petra lächelte. Ob Jens wohl nach Rahmans Kugel fragen würde? Bestimmt. Der war so. Aber die anderen würden sie wohl vergessen haben. So wie Petra. Warum auch nicht.
Was wollte Jens? So richtig deutlich wurde es aus seiner Mail nicht. Gut, die Berliner Ereignisse, die beschäftigten zurzeit jeden. Gehörte er etwa zu diesen sich schnell aus­breitenden Spinnern, die das Ende der Welt kommen sahen und sich mit allerlei Hokus­pokus zu den Auserlesenen der letzten Tage erklärten? Abschied nehmen von allem Irdischen und so? Bloß nicht spekulieren. Anrufen!
Es meldete sich eine Frau. Janine Marder. Aha, glücklich verheiratet war er also. Nein, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, behauptete die Stimme auf Petras Frage, ob es angesichts der Sikrobenkatastrophe nicht abwegig sei, sich in der Nähe von Berlin treffen zu wollen und warum nicht alle runter zu ihr nach Leipzig kämen … Nein, Jens bekomme Informationen aus erster Hand … wenn Sternekop wirklich bedroht wäre, also in den nächsten Tagen, dann wüsste er das … nein, sie seien selbst auch noch da, kein Grund zur Beunruhigung. Und es habe mehrere von früher in die Umgebung von Berlin verschlagen. Diese Janine sagte tatsächlich „von früher“, als wüsste sie über alles Bescheid, gehörte mit dazu. Der Jens hatte bestimmt seine Kindheit haarklein vor ihr ausgebreitet. Wahrscheinlich kannte die jedes Mädchen, das der einmal hoffend angesehen hatte ...
Petra zuckte mit den Schultern. Wichtiger war die Information aus erster Hand. Selbst bis an den Rand von Leipzig hatte es Tausende Flüchtlinge geschwemmt. Den Fernseher konnte sie schon gar nicht mehr anschalten. Kein Wunder, dass überall Panik um sich griff. Aber selbst, wenn diese Tropfen wirklich so gefährlich wären, früher oder später fände jemand ein Mittel gegen sie. Sogar ihr Institut hatte einen dieser Feld-Container bekommen. Dazu hatte man Testreihen vorgegeben, die in den kommenden zehn Tagen abzuarbeiten waren. Ausgerechnet ihr Labor … Ihre Möglichkeiten waren nun wirklich für solch einen neuen und komplexen Forschungsgegenstand viel zu klein. Einen Versuch war es natürlich wert und Überstunden sowieso. Trotzdem sollte sie sich eine Pause gönnen.
Sie suchte auf der Karte dieses ominöse Nest Sternekop heraus. Das war also in Brandenburg und damit in bedrohlicher Nähe von Berlin. Wenn nur ein Viertel der Horrormeldungen zuträfe, dann rückte die Vernichtungswoge immer näher, und anstatt wenigstens auf die andere Seite der Alpen zu flüchten wie viele ihrer Nachbarn, sollte sie dem Katastrophenherd noch entgegen fahren? Andererseits, so überlegte sie, dürfte ein Kriminalkommissar wohl so viel Verantwortungsbewusstsein besitzen, niemanden unnötig zu gefährden. Sie aktivierte eine Sikroben-Ausbreitungssimulation. Unter Berücksichtigung aller bisher bekannten Sachverhalte würde der Rand der Invasion Sternekop frühestens in sechzehn Tagen und etwa zehn Stunden erreicht haben. Natürlich nur, wenn bis dahin kein Gegenmittel gefunden war. Selbst bei diesem eigentlich wenig wahrscheinlichen Extremfall bestünde also vorerst keine unmittelbare Gefahr. ...

Mittwoch, 23. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1630


Der Versuch, Physik, Astronomie, Lyrik und etwas Stammtisch-Philosophie unter einen Hut zu bringen, ist wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Trotzdem konnte ich ihn mir bei "Urknall B" nicht verkneifen. Da wollte etwas gesagt sein, was vielleicht einfach zu banal ist ...
Noch lässt es sich sicher vermeiden, dass in Bälde unsere Hunde "von der leine" sind ...

Nebenbei sei daran erinnert, dass ich mich um eine Verlagsheimat für das inzwischen wieder etwas überarbeitetes Manuskript von "Die sieben Kugeln" bemühe, dessen Teil 1 nunmehr "Invasion der Sikroben" überschrieben ist. Ich setze es trotz der Änderungen an der Stelle fort, an der ich "Stochern im Nebel" unterbrochen hatte:

... 

Zwillinge im Doppelpack


Petra hatte als Kind die Idee gehabt, die eigentümlichen Kugeln könnten aus dem Welt­raum gekommen sein. Später konnte sie sich nicht mehr vorstellen, ohne gründliche Untersuchung schnelle Schlüsse zu ziehen. Aber das hieß ja nicht, dass sie nicht kreativ geblieben wäre. Ihr Ideal waren allseitige Genies. Im Geheimen hoffte sie, ein Michelangelo der Neuzeit zu werden. So begann sie nach der Schule gleich mehrere Studien nebeneinander. Bionische Systeme, Randgebiete der Elektronik und Informatik. Bis zur Geburt ihrer Zwillinge verlief ihr Leben trotzdem fast normal. Sie lebte mit ihrem Jochen in der Erwartung, mit ihm alt zu werden. Dann aber platzte die Beziehung. Aus­gerechnet die Zwillinge waren der Anstoß dafür. Aus Jochens Sicht hätte Petra selbst­verständlich nach ihrer Geburt die Karriere als Wissenschaftlerin unterbrechen oder zu­gunsten ihrer Mutterrolle wenigstens wesentlich einschränken müssen. Genau das aber wollte Petra Herbst nicht. Die Kinder zu vernachlässigen kam ihr nicht in den Sinn, aber natürlich nicht zu Lasten der Wissenschaft. Wenn nicht mit Jochen, dann eben ohne ihn. Warum sollte sie ständig Kompromisse erbetteln? Sie warf ihn raus. Vielleicht war die Schlussfolgerung aus den Monaten des Streits etwas übertrieben – und sie hätte sie auch nie so ausgesprochen – aber irgendwie war sie danach überzeugt, dass es offen­bar nur einen Menschen gab, auf den sie sich voll und ganz verlassen konnte. Sie selbst.
Sie bereute nichts. Nur ihren Töchtern gegenüber hatte sie immer ein wenig ein schlechtes Gewissen. Es fehlte bei einem Tag mit 24 Stunden ständig an gemeinsamer Zeit. Die Fortschritte, die die Mädchen in ihrer Entwicklung machten, waren einfach zu wenig Ergebnis der mütterlichen Arbeit. Dagegen war ihr Forschungslabor ein sichtbarer Erfolg. Petras Dissertation hatte zu den besten der zurückliegenden zehn Jahre gehört. Als sie trotzdem kein lukratives Angebot bekam, kehrte sie der Universität den Rücken und machte sich selbstständig. Marcus hatte sie schon während des Studiums kennen gelernt. Er wurde ihr erster Assistent. „Also, wenn ich die Chance hätte, für den Durch­bruch voll zuzuschlagen, dann würde ich natürlich selbst ... Aber du bist besser, und da stell ich mich lieber in deinen Windschatten. Du wirst mir schon genug von deinem Erfolg übrig lassen.“ Petra fragte sich manchmal, ob Marcus heimlich in sie verliebt war. Wenn ja, so zeigte er es zumindest nicht offen – und sei es, weil Petra dieses Gefühl nicht erwidern würde. Das wusste er. So blieb er der erste unter inzwischen vier männlichen Assistenten, die sich gern ihrem strengen Regiment unterzogen. Ein wenig genossen beide ihre merkwürdige Beziehung, die etwas von Sherlock Holmes und Watson an sich hatte, nur dass Petra ihre aufkeimenden Ideen eben an Marcus´ Reaktion prüfte.
Andauernd wähnte sich Petra kurz vor dem Durchbruch. Es erschien ihr selbstverständlich, dass sie die Erste wäre, die die Fähigkeit des menschlichen Gehirns zum kreativen Lernen in die Steuerung komplexer technischer Systeme übertrüge. Und zwar vollständig. Damit eine jahrhundertelange Diskussion über den menschenähnlichen Computer endete. Bevor es aber so weit war, übernahm ihr Labor auch Aufgaben, die mit dieser Thematik nichts zu tun hatten, wenn nur der Auftraggeber vernünftig bezahlte. Leider brauchte Petra immer Geld. Wenn ihr doch endlich etwas ge­länge, um unabhängig zu werden, wenn sie doch endlich eine echte Chance bekäme! Sie würde nicht zögern. Sie würde siegen. Wie oft lief sie wie eine Tigerin im Käfig umher und erträumte laut ihren Durchbruch. Marcus stimmte ihr meist in bedächtigem Ton zu. „Was sollen wir denn tun?“ war dabei sein Lieblingsspruch. Aber Petra erwartete auch nicht wirklich Antworten auf ihre Fragen. 
...


Dienstag, 22. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1629


Auch einer - wenn auch kleineren - Metamophose nach Dichter-Diskussionen unterworfen war das Gedicht "Meiner Muse". Immerhin hat hier der Titel überlebt ...
Aber wir wissen ja, ob man etwas gut oder schlecht findet, hängt doch sehr vom "Blickwinkeldes Betrachters ab ...



Egal aus welchem Blickwinkel ... ich nehme meine "Titanen" sehr ernst.Immer, wenn ich mich in diese Geschichte vertiefe, packt mich eine große Traurigkeit und Wut. Eine Gesellschaft offenbart sich in der Art, in der sie mit ihren Schwachen umgeht ...




Slov ant Gali "Kampf der Titanen" (4 und Schluss)


Niemand schöpfte Verdacht. Die Mutter fand zwar übertrieben, wie oft er nachsehen wollte, ob Mailantworten auf seine Bewerbungen eingegangen seien, aber sie freute sich über ihren Sohn – so wie sie sich immer über ihren Sohn freute. Selbst, wenn sie gewusst hätte, dass er längst keine Bewerbung mehr abgeschickt hatte. Werner sagte sowieso nichts dazu. Er stand häufig auf. Seine Nieren oder die Blase oder der Diabetes …
Am 23. Tag, einem Sonntag, zog Bernd, der „Schleuser“, am „Terminator“ vorbei. Am Montag bäumte der sich noch einmal mit einer Tagesrekordleistung auf. Als dies nicht reichte, ließ er schlagartig nach.
Bernd dagegen unterbrach den Kampf mit den Links und den Reloadsperren nur für die üblichen Einkaufs- Arzt- und Ämterfahrten. Nach der Rückkehr war nun aber kein Rückstand mehr auszugleichen. Eigentlich stand Bernd schon am 29. Tag als Sieger fest. Trotzdem klickte er verbissen bis in die letzte Nacht hinein. Er fluchte vor sich hin. Von wegen, er müsse erst ausdauernd zu arbeiten lernen … Beim Einschlafen sah er sich als dieser Muhammad Ali bei seinem Comeback. Würden Werner und Mudder Augen machen, wenn er beim Frühstück seinen Sieg schilderte …
Am Morgen hörte er die Mutter stöhnen. „... Nein, Junge, lass nur! Das Wetter schlägt um.“
Bernd heizte, holte frische Eier, stellte die Teller auf den Tisch. Werner kam in die Küche, noch mürrischer als in den vergangenen Tagen. Schwieg sein Frühstücksei an. Schon landete Bernds Pranke auf seiner Schulter: Wasn los, Digger? Probleme?“
Werner druckste eine Weile herum. Dann quoll es aus ihm heraus. Nicht die kleinste Freude werde einem gegönnt. Es habe ihm solchen Spaß gemacht, im Internet einen Wettkampf zu gewinnen. „... Wisst ihr, dort konnte ich als Terminator auftreten. Irgendwie habe ich mich auch so gefühlt, stark, mächtig, einmalig, endgültig. Diesmal hat mich einer geschlagen. Irgend so ein Schleuser … Nun musste ich auch dort einem hinterherlaufen. Immer Verlierer … Na, egal! Gibst mal den Honig rüber.“ Meilenweit roch er nach Mutlosigkeit.
Bernd wusste einen Moment nicht, wohin er sehen sollte. Aber schon versuchte e die gewohnte Aufmunterung: „Mensch Digger, dann gewinnst du eben beim nächsten Mal. Du schaffst das! Glaub mir!“
Werner reagierte nicht darauf. Bernd betrachtete den schlabbrigen Trainingsanzug des Bruders. Schwieg. Hoffentlich bestätigen sie bald die Pflege. Dann werde ich dafür bezahlt. Solange ich hier bin, kommt Mudder nicht ins Heim. Beinahe hätte er das laut gesagt. Und das wäre doch wirklich peinlich gewesen ...  

Montag, 21. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1628


Nun ist aus dem Gedicht, mit dem ich in den Friedrichshainer Autorenkreis gegangen war, ein ganz anderes geworden. Nur einzelne Wörter haben überlebt, nicht die Aussage, nicht einmal die Überschrift. Grinsend frage ich mich, ob meine Kollegen DAS geahnt haben: "schwere-los" ...
Dazu biete ich einen besonders boshaften Text zum Umgang des Menschen mit der Natur ... den man auch anders verstehen kann: "lobbysänger"






Slov ant Gali "Kampf der Titanen" (3)




Per Computer verschickte er Bewerbungen. Wenn überhaupt eine Antwort, erhielt er Standardablehnungen. Verkaufte er sich nicht richtig? In einer Bierlaune gestaltete er eine Homepage, also eigentlich ein Blog, weil für Letzteres fand er Gratisangebote: http://dergroesste.blogspot.com mit einem schwitzenden, noch jungen Muhammad Ali als Hintergrund und der Kernzeile „Ich klotze ran! Der Größte bin ich zwar nicht, aber ich boxe mich so durch. Umständehalber für Sie bevorzugt in Nachtschichten. Gebt mir Arbeit für meine Familie.“ Noch etwas Kleingedrucktes und seine Telefonnummer.
Zuerst passierte wenig. Vereinzelte schmierige Angebote. Er legte immer schnell auf.
Dann stieß er auf eine Werbung, die viele Besucher auf den teilnehmenden Webseiten versprach. So mache man heute auf sich aufmerksam. Bernd versuchte es. Allmählich jedoch verselbständigte sich die Jagd auf die Klicks, die sich ja zählen ließen. Ein Job? Wer denn? Wie denn? Aber Credits, also Punkte sammeln, es der Welt zeigen. Er schaffte etwas. Er war als Sieger geeignet. Er würde einer sein.
Sehnsüchtig erwartete er von da an den ersten Tag der nächsten Rallye. An jenem ersten Samstag war er extra vor Mitternacht nicht schlafen gegangen. Vor dem Zubettgehen klickte e noch alles Erreichbare durch. Geschafft! Pole Position!
Um 7.30 Uhr wurde er wach, fast schon zu spät, um den andern das Frühstück zu machen. Er musste als erstes den neuen Kohleherd heizen! Mit dem waren sie unabhängig bei Stromausfällen und durch das Kochen wurde auch die Küche warm. Mudder hatte ihn sich gewünscht. So viele Katastrophennachrichten im Fernsehen. Irgendwann kommt wieder eine Inflation wie damals und vielleicht geht der Krieg wieder an ihrem Dorf vorüber. Ein Glück, dass sie wenigstens ihn hatte. Mit Werner ging ja nun nichts mehr …
Als sich Bernd endlich wieder an den Computer setzen konnte, stand fest, er blieb auf Rang 2 hängen. Die Reloadsperre. Klar. Es war nichts mehr da, was er hätte anklicken können. Der Sieger der vergangenen Rallye, ein gewisser „Terminator“ war wieder vorn. Aber dann kam Mutters Arzttermin. Das hieß Rückstand.
Nach Ablauf jeder einzelnen Stunde suchte Bernd an den Computer zu kommen und alle aus der Reloadsperre freigegebenen Links anzuklicken. Die Anderen sollten das gar nicht bemerken, sich rund um die Uhr umsorgt fühlen. Bernd war peinlich, was er da tat. Wenn er gewonnen haben würde, ja, wenn, dann konnte das alle Welt wissen.Er war ein Durchhalter; auf ihn konnte man zählen. ...

Sonntag, 20. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1627


Als ich Sebastian Deyas "Glaubensbekenntnis" das erste Mal gelesen hatte, fiel mir, Sebastian möge mir verzeihen, ein Spruch des Kabarettisten Volker Pispers ein, der sinngemäß formulierte: "Auf dem Grabstein des Kapitalismus wird einmal stehen MEHR WAR NICHT GENUG" ... politisches Kabarett eben ...
In der Lyrik gibt es dagegen wenig "gewissheit", sondern eher Verunsicherung ...


Um eine besondere "Verunsicherung" geht es in unserer Erzählung



Slov ant Gali "Kampf der Titanen" (2)


... Dann, Bernd war gerade 42, hieß es plötzlich, die Auftragslage ist schlecht, wir melden uns, wenn wir wieder was für dich haben. Verzichten könnten sie nicht auf so einen einsatzbereiten Arbeiter. Er sei ja abgesichert. Doch ausgerechnet da passierte ihm der Unfall. Also nur schnell nach Eberswalde, aber der Bruder nicht angeschnallt … Beide Brüder landeten im Krankenhaus. Bernd ließ sich auf eigenes Risiko nach einer Woche wieder entlassen. Es war ja sonst niemand da für die Mutter. Allein im gemeinsamen Haus. Bernd hatte ja nur Stahlschienen im rechten Bein. Eine Nachoperation und gut. Nur Werner musste sich allmählich abfinden, dass der linke Fuß nicht mehr zu retten war. Nach Hause durfte er, aber die Prothese … Bernd sagte immer Dicker zu Werner, was bei ihm liebevoll klang wie „Digger“. Aber Werner war nicht nur übergewichtig, in den Monaten der Heilungsversuche ergab er sich immer mehr seinen schon vorher vorhandenen Leiden. Er kam nur noch zu den gemeinsamen Mahlzeiten aus seinem Zimmer oder eben, wenn er wieder zu einem seiner unzähligen Arztbesuche gefahren werden musste. Immer wieder betonte er bei solchen Gelegenheiten, dass er Bernd nichts vorwerfe und der müsse ihn nicht immer fahren. Ein Taxi ginge auch. Aber das hielt natürlich nur die Schuldgefühle wach, während Werner immer unförmiger wurde.
Als Bernd endlich wieder seine Nachtschichten in Berlin hätte fahren können, war gerade eine Saison zuende. Der Countdon für sein hohes Arbeitslosengeld lief. Im nächsten Sommer, da gehörte er zu den „Hartz IV-Empfängern“, sprach man auf seinen Anrufbeantworter, es sei gerade Druck und er möge SOFORT kommen. Doch Bernd war mit Werner und der Mutter in Eberswalde auf Ärztetour. Als er am nächsten Tag das Telefonblinken bemerkte, erklärte ihm eine Stimme, das Problem habe sich erledigt.
Inzwischen war Bernd in den Ämtern bekannt. Er ließ sich von Bearbeiterin zu Bearbeiterin schicken, lächelte, sagte, „Muttchen, siehste, so kommste mal unter Leute ...“
Die Woche Computercurs hatte er geschafft und das Bewerbungstraining. Dann aber sollte er einen „Ein-Euro-Job“ als Hilfsgärtner in der Kreiverwaltung annehmen. Für einen Bauern doch was Artverwandtes, erklärte die Sachbearbeiterin, dabei könne er wieder lernen, sich an einen geregelten Arbeitstag zu gewöhnen. Kopfschüttelnd stand Bernd da auf und ging. Seitdem stand in seiner Akte, er stünde dem Arbeitsprozess nicht zur Verfügung.
In Bernds Ohren klang das wie NICHT ZUVERLÄSSIG. Ein paar Tage spülte er die gefühlte Abwertung mit Bier herunter, dann fiel ihm der Computerkurs ein. ...

Samstag, 19. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1626


"Unter die Räder" gekommen zu sein, sagt man denen nach, die unter falschem Einfluss auch Falsches taten ... und dabei erwischt wurden. An ihnen nagt nicht nur der Zahn der Zeit. Thomas Reich verwendet solche Bildlichkeit, um zu zeigen, dass das keine nur individuelle Angelegenheit ist. Starke, verstörende Lyrik, obwohl, vielleicht abe auch weil keine Alternative angedeutet wird ...
Die Strafen, die die Evolution wegen "Fehlverhaltens ausspricht, sind da weniger "individuell (grins): "Vom menschlichen Rhinozeros"


Dies waren die "Gedichte des Tages" von morgen. Zur Prosa ...
Eine besondere literarische Kostbarkeit (ohne ironischen Unterton) könnte die die Anthologie des brandenburgischen Schriftstellerverbandes www.wir.wahren.worte.de von 2011. Der Verlag, der sie herausgebracht hat, existiert nicht mehr. Sie enthält einige richtig gute Beiträge professioneller Schriftsteller der Region. Über den VS sind die letzten Exemplare zu erwerben. Ich freue mich, mit einer Erzählung und  einem Gedicht vertreten zu sein. ...

Slov ant Gali "Kampf der Titanen" (1)



Schon seit drei Wochen hetzte Bernd als „Schleuser“ einem „Terminator“ hinterher. Diese verdammte Wartezeit mit der Mutter beim Arzt! Die hatte ihn am zweiten Tag viele Klicks gekostet. Mühselig kämpfte er sich seitdem Pünktchen für Pünktchen wieder an den Gegner heran.
Dass Bernd einmal nach „Credits“ sammeln würde, wäre in seiner früheren Welt als Gabelstaplerfahrer unvorstellbar gewesen. Gutschriften für Werbeeinblendungen, die er ansah, damit andere seine Homepage gezeigt bekommen? Wieso das? Er am Computer hockend und freiwillig Werbung anfordern?! Welch abwegiger Gedanke! Allein schon, dass er eine eigene Seite im Internet haben sollte. Wozu auch? Computer mit Arbeitsspeichern, die mehrere Programme parallel abarbeiteten? Klar mochte es so etwas geben. Aber das ging ihn doch nichts an! Bei superklick.de läuft Werbung besonders störungsfrei?! „Freut euch!“ hätte er gesagt und mit den Schultern gezuckt.
Inzwischen hat er akribisch Besuchertauschdienste miteinander verglichen. Letztlich sich eben für superklick.de entschieden. Dort war das Verhältnis am günstigsten zwischen der Klick-Zahl, die er bei anderen schaffen musste für eine entsprechende Zahl der Klicks der anderen bei ihm. Klick4credits nannte sich die Funktion.
Natürlich nähme er auf keinen Fall eines der Angebote der Kaufklubs, Rabattanbieter oder anderer Selbstvermarkter wirklich an. Wie sollte er die denn bezahlen? Selbst, wenn erst einmal ein Geschenk angeboten wurde – letztlich wollten alle Anbieter, dass er für irgendwas bezahlte. Aber solange er nur Werbelinks anklickte, um Credits gutgeschrieben zu bekommen …?
Als besonderen Anreiz für die Aktivsten Klicker wurde eine Rallye durchgeführt. Richtig viele Extra-Credits gab es eigentlich nur für den Sieger, also hatte er wohl nie eine Chance, dachte er anfangs, aber nachschauen, an welchem Platz er lag, konnte er ja gelegentlich.
Zum erfolgreichen Mitklicken bedurfte es der richtigen Taktik und Glück. Unmittelbar nacheinander waren nur 15 Klicks möglich, jeder Anbieter hatte eigene Reloadsperrzeiten, in denen dieselbe Werbung nicht aufgerufen werden konnte … Stündlich, täglich – ganz unterschiedlich. Bei Idealbedingungen schaffte Bernd 204 Klicks. Der insgesamt Beste, der sich „Terminator“ nannte brachte es auf einen Schnitt von 170 Punkten. Allerdings bei Tag wie Nacht 30 Tage lang.
Nachtschichten jedoch waren Bernd vertraut. Die Mutter war schon seit Jahren nicht mehr fit auf den Beinen. Er hatte sie tagsüber versorgt. Sein Arbeitgeber, eine Berliner Brauerei, musste im Sommer extreme Arbeitsspitzen bewältigen. In denen ließ sich Bernd durchgängig zu Nachtschichten einsetzen, Wochenenden eingeschlossen. So einer war er. Außerhalb der Saison hatten sich extrem viele Stunden zum Abbummeln angesammelt. Für alle Seiten lukrativ. Im Sommer Arbeit in rollender Woche mit für seine dörflichen Verhältnisse fürstlicher Entlohnung, im Winter ein Arbeitslosengeld, von dem sich noch leben ließ. Die meisten Arbeitenden, die er kannte, bekamen für den normalen Arbeitstag weniger. ...

Freitag, 18. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1625


Empathie ist eine schöne und belastende Eigenschaft von höherem Leben.Sebastian Deya führt das in "Zu schön um unwahr zu sein" vor. Was könnte das für eine Welt sein, besäßen viel mehr Menschen den "GrößenWAHN", eines anderen Engel sein zu wollen und zu können ...
In ganz anderer Weise mit "Göttlichkeit" beschäftigt sich "Konklave der Tiere". Ich gebe zu, die Inspiration bei einem Spaßgedicht gewonnen zu haben, das sich um das Körperteil drehte, das "Boss" sein dürfe ... aber mit Evolution hat es trotzdem viel zu tun ...



Zwischendurch mal ein Blick auf DDR-SF. Roger Suffo schrieb eine Rezension zu Klaus Frühauf "Stern auf Nullkurs". Sicher diskussionswürdig ... aber ich würde danach das Buch nicht lesen ...

Mäßig oder schwach? Auf jeden Fall zu lang. Richtiger: Extrem wenig Handlung im Verhältnis zum Umfang ethisch-philosophischer Reflexionen. Und die auch nicht genau. Eigentlich erschöpfen die sich in der Frage / angebotenen Antwort „Ja!“ auf die Überlegung, ob die Menschheit ein Niveau erreicht hat, auch um den Preis der eigenen Einschränkung einer fremden Intelligenz deren Überlebensmöglichkeit zu gewähren.
Immerhin: An der Fragestellung und der Antwort ersieht man: DDR-Utopie, die voraussetzt, dass die gesamte Menschheit in kommunistischen Verhältnissen lebt. Oder eigentlich … Nein, der Autor kann sich echten Kommunismus nicht vorstellen. Er lässt eine Vertreterversammlung für die Menschen entscheiden.
Handlung?
Kalo bastelt an theoretischen Konzepten für den Kontaktaufbau mit fremden Intelligenzen, leidet darunter, mit seinem Glauben daran nicht ernst genommen zu werden. Dann wird er angefordert, auf dem Pluto bei der Annäherung eines künstlichen Dunkelsterns beratend mitzuwirken. Eklige Flugwesen versuchen dort zu landen. Scheinbar wird die Plutostation mit harter Strahlung beschossen. Zusammen mit zwei anderen Menschen startet Kalo zu dem / den Fremden, die ihm telepatischen Einblick in ihr Wesen und ihre Geschichte gewähren. Sie sind irgendwelche insektenähnlichen Imagos, die technisch hoch entwickelt sind und weil sie ihre physikalische Materie wegbrennen, nach einer Sonne suchen. Ihre Versuche, die Folgen des Eintritts ins Sonnensystem der Menschen zu testen, führen zu Komplikationen. Die Menschheit entscheidet sich für ihre Rettung, nachdem sie sich für den Weiterflug und den eigenen Untergang entschieden haben.
Einen breiten Raum nimmt Kalos Beziehungsentwicklung ein. Als begeisterter Drachensportflieger wird er Vater einer Tochter mit einer Japanerin. Sein damals ärgster Konkurrent übernimmt diese Japanerin wieder, als Kalo von einer Blondine angenommen wird, mit der die beiden Männer im All unterwegs waren. Ach ja, und als die Blondine einen Unfall hat, wird Kalo sein Gefühl klar und die „Astraten“ beseitigen den Schaden, den ihr Erscheinen erst verursacht hatte. Den Hauch von SF-Action bekommt die Geschichte durch den Einsatz eines Kyborgs als Pilot der Menschen und von „Zoomaten“ seitens der Insekten. Mit beiden kommen anfangs die beteiligten Menschen nicht recht klar.
Der Autor vermeidet es dabei geschickt, die jeweiligen Situationen bis zu dem Punkt auszureizen, an dem die Handlung selbst richtig spannend geworden wäre. Da blendet er ab.
Für das Lesevergnügen verkniff ich mir Nachforschungen zu den Existenzbedingungen auf Merkur und Pluto. Trotzdem meldete sich gelegentlich das astronomische Allgemeinwissen, das meinte, die dorthin fantasierten Formen und Bedingungen seinen nicht nur schlicht falsch, sondern der Autor hätte sich das 1979 schon denken können müssen.
Was bleibt? Die Anderen sind eben Anders, aber man kann mit ihnen auskommen. Die Menschen sind individuell und vor lauter Konflikten nicht vorausberechenbar, aber das hat sein Gutes … Die Entwicklung des Internets mit seinen Möglichkeiten ist am Ende des 3. Jahrtausends unserer Zeitrechnung noch nicht wirklich wirklich ...


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