Donnerstag, 9. Juni 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1049

Können zwei Autoren - noch dazu mit extrem unterschiedlichem Lebenslauf - Gedichte zusammen schreiben? ... also so, dass zum Schluss alle beide für sich beanspruchen können, "das ist mein Gedicht" ... und eben nicht?
Das folgende ist ein solcher Versuch mit dem Anstoß Gunda Jarons, meinem Gegenvorschlag, ihrem Gegenvorschlag ...

Raumzeit


komm
für heute
heben wir die Welt
aus ihren Angeln

wenn dann die Zeit
den Atem anhält
stehlen wir ihr
Augenblicke
ohne Wenn und Aber

um die
kümmern wir uns
wenn sich
die Erde
weiterdreht

Zu den geplanten Gedichten des Tages vom 11.6. kommt dann noch sehr passend von Ursula Gressmann  "Rabenzeit" und wegen des Datums von 2008  Fast geschafft  dazu.

Zu meinen Erzählungen, die mir am meisten ans Herz gewachsen sind, gehört "Mit einem unnützen Mädchen". Ich war sehr froh, diese Erzählung in der Anthologie "Mein außerirdischer Liebhaber" untergebracht zu haben ... und bin es heute nicht mehr ganz so ...


Es war der 25. November. Ich schlief. Was ich noch nicht wusste: Mein Computerwecker war bei null Uhr stehen geblieben und meine Servicenummer (fakultativ) 325 345 365 existierte nicht mehr.
Auch Tanja schlief. Sie war in der Nacht aus ihrem Bett gestiegen und die paar Schritte barfuß zu mir getapst. Ich hatte ihr wie immer etwas Beruhigendes entgegengebrummt und sie an mich gezogen. Die kühlen 15 Grad waren uns beiden nicht aufgefallen. Auch der Sauerstoffgehalt der Luft war erst wenig abgesunken.
Tanja ist das dritte in meinem Bauch gewachsene Kind. Mir war damals nur die Leihmutterschaft als Gelderwerb geblieben. Das hatte Erfolg versprechend mit der Übergabe zweier Jungen begonnen. Die vermögenden Auftraggeberfamilien waren mit mir zufrieden. Die Trockenbaums versprachen sogar, mich später unsterblich zu machen, kamen aber nachher nicht mehr wieder darauf zurück. Das nächste Baby wurde als werdendes Mädchen identifiziert. Ich sollte es abtreiben. Für so was bedurfte man keiner althergebrachten Schwangerschaft. Ich hatte mich geweigert, war deshalb für meinen Beruf untragbar, und kümmerte dahin, immer an der Grenze, vom Netz genommen, abgeschaltet, gelöscht zu werden. Wie soll man Vulgärexistenzen wie mich verwerten? Allein in den illegalen Survivalzonen fragte keiner danach. Dort überlebten angeblich einige Outsider.
Richtige, eben unsterbliche Existenz steht nur der vermögenden Elite zu. Ohne mangelhaft konstruierte Körper sehen diese Menschen sich über Neuronennetzanschlüsse durch eine nach den eigenen Wünschen ausgestaltete Landschaft laufen, schmecken sie die edelsten Speisen und genießen sie die traumhaftesten Partner – ohne jeden störenden Ärger. Ansonsten ändert sich nichts. Großrechnersysteme optimieren alle Lebensfunktionen normalerweise auch in der Vulgärexistenz, nur…
Ich hätte gern weiter geträumt, aber Tanja stößt mir ihren Ellenbogen zwischen die Rippen. Etwas stimmt nicht. Irgendetwas, was anders ist als sonst. Nur was? Grübeln ist sinnlos. Ich schlafe sowieso nicht wieder ein. Obwohl … Ich blinzele. Tanja hat sich halb aufgedeckt. Ich decke sie zu und schleiche ins Bad, komme aber nicht dazu, mir in Ruhe die Zähne zu putzen. Tanja steht plötzlich in der Tür.
Sie hält sich die linke Hand über die Augen und quäkt Warum läuft denn gar keine Musik? Das also ist es – das ewige leise Geräusch hat mir gefehlt. Ich laufe ins Wohnzimmer. Gespenstische Stille, der Monitor dunkel, das grüne Signallicht am Tower glimmt nicht. Ich drücke halb verärgert, halb verängstigt den großen schwarzen Knopf. Auf dem Bildschirm erscheinen drei überdimensionale Ausrufezeichen. Als hätten sie nur darauf gewartet, dass ich sie anstarre, lösen sie sich pixelweise auf. An ihrer Stelle füllt ein Schriftzug den ganzen Monitor; Sie haben die vorausgegangenen automatischen Warnungen nicht ernst genommen. Tanja ist hinter mich getreten. Is was, Mama?—Nein, nein. Wie, um mich Lügen zu strafen, kommt die nächste Meldung. Sie haben seit sieben Tagen ihr genehmigtes Limit überschritten. Gleichen Sie innerhalb der nächsten 72 Stunden Ihr Konto aus! Sollten Sie diese Chance bis zum 28. November, 0.00 Uhr, missachten, wird auch Ihr restlicher Nutzercode gelöscht. Alle Schaltfunktionen verbleiben dann in der jeweiligen Ist-Stellung. Die Entsorgung Ihrer Überreste vereinbaren Sie bitte mit einer der zuständigen Firmen. Wählen Sie nach Betätigung des OK-Buttons eine aus!
(Fortsetzung folgt)

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