... Gold im Munde
In der Amseln Morgenstunde
poppen wir ein letztes Mal.
Füttern Sehnsucht an die Hunde,
leugnen noch des Tages Qual.
Ach, ich ließe deinen Namen
ritzen in den Oberarm,
dass wir hier zusammen kamen,
hielt´ ich als Erinn´rung warm.
Doch woher soll ich denn wissen,
ob dein Name wirklich stimmt.
Einmal noch wolln wir uns küssen,
eh´ der Tag uns alles nimmt.
Wenn den Mittag wir verdönern,
werden wir uns Fremde sein.
Welches Glück ist denn nicht tönern,
welcher Nachbar nicht allein.
Als zweites Beispiel gibt es "Vom Anderssein" und nur das Gedicht von 2008 weicht davon ab: gabelung
Nun also zur Prosa:
Die folgende Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:
Der Mann, der Anna Roth wurde
Der Bahnhof liegt genau in der Mitte zwischen Schleurin und Findorf. Wer also – wie ich – auf die Bahn und seine Füße angewiesen ist, hat einen langen Spaziergang vor sich.
Der Ausflug war also umsonst. Wieder hat niemand meine Geschichtchen kennen lernen wollen. Ich versuche zu lächeln. Sie sind doch nicht schlecht. Mir fehlt wohl nur eine Idee, wie ich auffallen kann.
Über interessante Mädchen? Sex sells hatte der Typ gemurmelt, meine Vorzeigbarkeit taxiert und die Achseln gezuckt. Mit dem – also mit mir – waren da keine Sprünge mehr zu erwarten.
Anna. Ja, Anna … Die Jungfrau vom Barnim… Das unschuldige Kind mit Schwert in der Hand, das die Welt bekehrt. Die könnte erfolgreich zuschlagen, wortgewandt oder handfest, je nach Bedarf. Auf jeden Fall kein schwaches kleines Mädchen, das sich in Bücher einbuddelt und den Tränen nahe wegläuft, wenn Jungs sie ärgern.
Anna als Jungfrau …lol heißt das wohl. Das war wirklich gewagt. Bei einer Fünfzehnjährigen! Wenn das ihre Clique hörte, das gäb Gelächter! Aber Anna ist eben nicht irgendeine „Jungfrau“. Wie die sich auf den Thronsessel gesetzt hatte: „Ich bin Anna Roth.“ Allein das Bild war eine ungewöhnliche Zukunft wert. Eine mittelalterliche Rüstung und ein Schwert zur Verkleidung hätte ich nicht für sie. Aber passende Worte. Ja, die Anna wäre richtig.
Ich bücke mich, hebe den größten Stein auf, den ich gerade finden kann, und schleudere ihn mit aller Kraft in den träge vorbei strömenden Kanal. Von wegen „Zu weit weg vom Schuss“!
Zugegeben. Von dem Werbefilm zum ersten „Schülerschreibseminar in der Burgbibliothek“ hatte ich mir mehr erhofft. So richtig durchschlagende Wirkung auf alle aufzureißenden Sponsoren. Pits Idee mit dem Video war gut. „Lass doch mal alle aus dem Stegreif erklären, warum sie schreiben und was ihnen sonst so wichtig ist. Das macht Eindruck.“ Dachten wir. Als es endlich so weit war, blödelten die Teenies nur zum Herausschneiden in die Kamera. Was wir dann auch tun mussten.
Fast alles schneiden… Also alles noch mal von vorn. Nächste Woche. Vielleicht ließ sich aus den Schnipseln beider Seminare ein gutes Filmchen zusammensetzen.
Eine Szene aber war aus dem Rahmen gefallen. Kaum dass diese Anna auf unserem Thronsessel Platz genommen hatte, wurden plötzlich alle still. Sie ließ wortlos ihren Blick schweifen, wartete, bis auch Jeannine nicht mehr grinste, gab ein Zeichen zur Kamera, sie wäre jetzt so weit. Begann:
„ … Ich hatte gerade meinen 15. Geburtstag. Ihr wisst ja: Freunde, Kumpels, Bekannte. Meine Mutter hat es aufgegeben. Und wer war das wieder? Konnt sie sich sowieso nicht merken. Wenn ich alle interessant finde, warum sollen die mich nicht mögen?“
Sie sah sich kurz um. Offenbar suchte sie Bestätigung. Vielleicht auch ein Signal „Ist das eine eingebildete Ziege!“. Aber weil die Mädchen und Jungen sie genauso erstaunt anstarrten wie ich, setzte sie ihren Stegreifvortrag fort.
„Drogen und Badewannespielen ist wohl das einzige, was ich nicht ausprobieren will. Wegen Freddy. Der hat sich mal so vollaufen lassen, … na, ja. Muss nicht sein. Hab ja nix davon, wenn ich breit bin. Aber sonst? Wo schon Chor ist, da sing ich eben. Macht doch Spaß. Oder großen und kleinen Kindern etwas vorspielen und sich dafür verkleiden. Theater eben. Oder die Tanzgruppe. Die suchte Nachwuchs. Klar, Rock ´n Roll wollte ich schon immer tanzen und wenn, dann richtig. Hab ich geschafft. Nur ein einziges Mal habe ich nicht durchgehalten. Da saßen wir zusammen und einer spielte Gitarre, dass alle mitsingen mussten. War geil! Aber leider hätte ich dafür Noten lernen müssen. Ohne mich in den Musiklehrer verliebt zu haben? Nein, danke!
Eigentlich kann es mich gar nicht geben. Der Arzt hatte meiner Mutter versichert, sie brauche keine Pille mehr. Als der Irrtum feststand, redeten ihr alle zu: Vati, Bruder Andreas, Oma, Opa … jeder war der Meinung, da es nun mal passiert war, hat es wohl so sein sollen. Es, also ich, würde die späte Freude für alle. Das sagen sie jetzt nicht mehr.
Opa war mein Märchenerzähler, und ich turnte auf seinen Knien. Je heftiger sein Schaukelstuhl auf- und niedersauste, um so lauter quietschte ich. Als ich meine Schultüte bekam, hatte Opa seinen schönsten Anzug aus der Mottenkiste geholt.
Dazu brabbelte er vor sich hin: „Wozu sollte ein Mann Anzüge verwenden, solange es Pullover gibt, aber was tut man nicht alles für die Schule …“ Und ich schlug die Fibel auf, irgendwo in der Mitte: „Opa, heute lese ich dir etwas vor.“
Ohne Stocken erzählte ich das Märchen vom Rotkäppchen, dem der Wolf den Opa weggefressen hatte. Ja, schon damals dachte ich mir selbst Geschichten aus.
Opa lächelte: „Das hast du aber schön gelesen.“ Dann drehte er die Fibel um und erklärte: „Aber weißt du, Anna, ein O ist immer ein O, egal, ob du es von oben oder von unten betrachtest… Die andern verraten erst ihre Geheimnisse, wenn du sie kennst….“
Ich spürte seine rissige Hand auf meinem Kopf. Ich sah ihn lächeln. …. „…Opa ist jetzt dort, wo Oma ist“, erklärte mir Mutti am nächsten Morgen. „Darf ich ihn dort besuchen?“ hab ich sie gefragt. Und sie antwortete: „Wir werden ihn alle besuchen. So oft es geht. Aber sehen kannst du ihn nur, wenn du deine Augen zu machst.“
Deshalb presste ich abends meine Augen immer fest zusammen. Stolz sollte er sein auf mich, mein Opa. So wie er wollte ich werden. Damals, vor acht Jahren und heute immer noch.
Dann kam Herr Schiller in meine Klasse. Er las ein Stück aus seinem Buch und wir sollten ihm eigene Geschichten schicken. Das war wie für mich gesagt. Da habe ich extra eine neue Geschichte gemacht. Und eine zweite als Maxi, meine Freundin. Wir wurden beide zur Preisverleihung eingeladen. Ich bekam eine Urkunde und einen Buchpreis. In der Pause fragte mich Herr Schiller, ob ich hier mitmachen möchte. Ich sollte mich schnell mit einem neuen Text bewerben. Und der müsse was taugen, weil es nur wenige Plätze gibt. Ich habe es probiert. Und nun bin ich hier.“
Ob ich mir Anna so einbilde? Ich weiß es nicht mehr. Pits Filmausschnitt wird es beweisen. Aber die Vorstellung gefällt mir einfach. Auch wenn mir das Mädchen etwas zu oberflächlich vorkommt… Daran könnte ich arbeiten.
Der alte Trampelpfad zwischen Straße und Wasser ist durch Billig-Jobber begehbarer gemacht worden. Trotzdem laden einige verwilderte Stellen ein zum heimlichen Angeln und zu unheimlichen Träumereien. Nein. Anna gibts wirklich.
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