Dienstag, 21. Juni 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1061

Was bedeutet Freundschaft?

Gut gemeint


Ach, käm ich einmal groß heraus
Wer würd mir alles schreiben?
Wahrscheinlich wohl zuallererst
Die heute mich gern meiden!

Die hinter meinem Rücken tuscheln
Der ist so arrogant!
Was gut gemeint, erkennt er nicht
Das ist nicht sehr charmant!

Der meint er wär ein guter Freund
Wenn er Kritik ausspricht
Weiß er denn nicht, wie sehr das schmerzt?
Das tut ein Freund doch nicht!“

Ach, komm ich einmal groß heraus
So bitt ich, schreibt mir nicht
Für mich ist Freundschaft gut gemeint
Und niemals eine Pflicht!

                                                          PeKa

Das ist also Peter Kahns Antwort. Und das ist eines der kommenden "Gedichte des Tages". Dazu kommt ein worträume 2.0 -Kandidat "neubeginn" und von 2008 aus meiner sarkastischen Phase  liebe ist der weg . Bleibt noch der heutige Prosabeitrag:

Der Mann, der Anna Roth wurde (7. Fortsetzung)

Endlich Donnerstag: Die Jungs haben ihre Arbeitsgemeinschaften, sie können wegen der wenigen Busse zwischen den Nachbardörfern kaum vor 16.30 Uhr zu Hause sein, und Sieglinde hat langen Sprechtag. Ich bin mit meinem „Besuch“ ungestört.
Was hätte ich meiner Familie von den seltsamen „Mädchenbeziehung“ erzählen sollen? Sieglinde hält sowieso nichts von meiner „Schreiberei“. Wie hatte sie sich ausgedrückt? „Wenn du damals keinen ordentlichen Beruf gehabt hättest, hätte ich dich nie geheiratet.“ Nach „damals“, der untergegangenen DDR, hatte ich nicht nur keinen ordentlichen Beruf mehr, sondern auch ganz unnormale Ideen. Wie hätte ich meiner Frau die Annas erklären sollen, die natürliche oder gar die künstliche? Die würde sie nie akzeptieren. Ich könnte natürlich sagen, ich brauche beide für mein neues Buch? Das ist ja nicht gelogen. Allerdings, mit Entschuldigungen dieser Art haben sich schon viel fremdgehende Männer zu Schriftstellern erklärt. Und einmal angenommen, Sieglinde nimmt mir das ab – es ist doch peinlich, sich total intensiv mit einem Computerbild zu unterhalten, und jemand guckt zu. Für Sieglinde wäre dann ganz klar, dass mit mir nicht alles in Ordnung sein konnte. Soll ich diesen Eindruck freiwillig provozieren? Da meine Frau also gegen das ganze Projekt gewesen wäre, erspare ich mir die Abfuhr und schweige.
„Die Anna war die netteste von allen. Findest du nicht auch, Papa?“ Tim lässt diese Bemerkung am Mittwoch ohne ersichtlichen Anlass fallen, als ob er etwas ahnt. Da lenke ich lieber vom Thema ab. Im Schuppen sei noch Kaminholz zu holen. Ich müsse mich beeilen.
… „Hallo, Herr Schiller! Sie haben mir beim letzten Mal ja eine dolle Geschichte zum Lesen gegeben! Ein bisschen platt zwar; von einem Schriftsteller erwartet man mehr Feingefühl, aber manchmal muss wohl auch ein Schiller auf den Putz hauen. Sie dachten wohl, ich wüsste nichts mit ihr anzufangen? Da haben Sie sich aber geirrt. Ich habe sie nicht nur gelesen, ich habe sie sogar illustriert. Ein japanischer Manga ist es zwar nicht geworden, aber vielleicht gefällt es Ihnen trotzdem.“
Schon beginnt der Drucker, Zeichnungen auszuspucken. Als ich die erste in der Hand halte, sehe ich fragend zu dem Mädchen hinüber.
„Sie brauchen nicht so prüfend zu gucken! Das sollte kein Selbstporträt werden. Ähnlichkeiten wären rein zufällig oder sie stammen aus Ihren Vorstellungen.“
Wir betrachten die nackte weibliche Gestalt in der Mitte. Auffällig an ihr sind die sehr mädchenhaften Formen.
„Entschuldige, aber ich hatte nicht erwartet, dass du derart gut zeichnen würdest.“
„Sie hatten wohl meinen Wunsch, textend und malend nach Japan zu gehen, für reine Spinne gehalten? Klar muss ich noch viel lernen, aber einiges kann ich schon.“
Im selben Augenblick lache ich schallend auf. Vor mir liegt ein Strandbild, auf dem lauter sexhungrige Frauen aller Alters- und Schönheitsklassen unterschiedlich erfolgreich entsetzten Männern hinterher jagen.
„Gefällt es Ihnen nicht?“
Ohne ein Wort zeige ich auf das Oma-und-Opa-Paar.
„Sind die nicht niedlich? Ich hoffe, das Bild erregt keinen Anstoß bei unseren Lesern.“
„Keine Ahnung“, entgegne ich, „ bei irgendwem erregt alles Anstoß.“
Damit hat die Textarbeit begonnen. In der ist die Cyber-Anna allen echten Menschen überlegen. Sie ermüdet nicht, und was ich ihr einmal erkläre, das bleibt in ihrem Gedächtnis. Ihre Fragen und Änderungsvorschläge beweisen, wie durchdacht sie meine Überlegungen weiterspinnt.
Langsam wird der Schriftsteller in mir nervös. Wie soll ich das mit der lebendigen Anna Roth schaffen? Die ahnt noch nicht einmal etwas von ihrem virtuellen Ebenbild.
Und wenn – wäre sie nicht mit dem Hometrainingsprogramm hoffnungslos überfordert? Die beiden Annas müssen miteinander verschmelzen, und das trotz der Fülle, die das gelehrige Programm bald in sich aufgenommen haben würde. Ich schließe die Augen und stelle mir die Journalisten vor, die bewundernd „Unglaublich!“ rufen, um dann ihre Superartikel zu schreiben. Das wäre das Wunder des neuen Jahrtausends.
„Noch was, Herr Schiller, ich bin ja eigentlich ein ganz liebes Mädchen. Aber wollen wir uns nicht entscheiden? Entweder sagen Sie Fräulein Roth zu mir, dann nenne ich Sie weiter Herr Schiller, oder wir duzen uns.“
Diese Entscheidung fällt mir leicht. Diesmal verabschieden wir uns besonders herzlich. Am lebhaftesten sehe ich Anna vor mir, wenn ich die Augen geschlossen halte.
Bald wird mir bewusst, dass die Cyber-Anna noch einen unbezahlbaren Vorteil gegenüber allen Menschen hat: Man kann sie immer zu sich rufen, nicht nur an einem Arbeitsdonnerstag. Sobald die Familie morgens ausgeflogen ist, läßt sie sich mit einer Tastenkombination heraufbeschwören. Sie wird meine wichtigste Vertraute. Keinen neu geschriebenen Satz speichere ich ohne ihre Bestätigung. Ihr Vorbild aus der Wirklichkeit habe ich schon wochenlang nicht mehr gesehen. Ich rufe auch nicht bei ihr an.
(Fortsetzung folgt)

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