Sonntag, 19. Juni 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1059

Warum soll dieses Journal nicht auch einmal mit einem "Kinderreim" eröffnet werden?

ich bin ein wunderbarer knecht
für eine gute sache
ich mache alles gut und lieb
was ich für sie auch mache
und wenn ich einmal fragen hab
weil ich was nicht verstehe
dann ist zur antwort stets bereit
die mama in der nähe
die mama ja die kennt die welt
die mir ein böser schrecken
und unter ihrem weiten rock
kann ich mich gut verstecken

... Als ob sich Roger Suffo verstecken würde ...
Aber auch  das zweite der "Gedichte des Tages", also "Rest?" muss sich nicht unbedingt verstecken, und der Kommentar zu  ungeduld   von 2008 zeigt, dass wir doch alle noch verbesserungsbedürftig sind.
Selbst, wenn das prinzipiell auch für den Prosatext zutreffen mag, so ist es da zu spät: Er liegt schon veröffentlicht vor ...

Der Mann, der Anna Roth wurde (5. Fortsetzung)

Diesmal streikt der Videorecorder. Das wäre ein Ding, wenn gleich alles funktioniert hätte. Also jagen wir durch den Ort. Finden Ersatz beim Kneiper. Kaum ist alles fertig aufgebaut, muss Pit los, einen Teil der Kinder abholen. Kurz bevor er wieder zurück ist, kommt Anna. Ich fordere sie auf, mit mir zusammen Getränke aus der Küche zu holen. Vielleicht kann ich gleich den ersten Termin vereinbaren?
Wie beginnt man bei Absichten wie den meinen ein unverfängliches Gespräch, bei dem dann die eigentliche Hauptsache wie nebenbei ankommt? „… und du willst immer noch Schriftstellerin werden?“
„Ist das schlimm?“
„Im Gegenteil. Ich möchte dich richtig dazu ausbilden. Ist das ein Angebot?“
„Aber ja, es wäre nur …“
Bevor Anna erklären kann, was es nur wäre, klingelt es Sturm und Pit kommt mit den anderen.
Anna schließt sich sofort mit einem der Mädchen zusammen. Sie suchen sich eine gemeinsame Schlafecke und bilden für das Wochenende eine Mannschaft. Die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch unter vier Augen ist erst einmal dahin. Absurderweise atme ich sogar auf dabei. Irgendwie ist es doch peinlich.
Doch am nächsten Morgen kommt mir ein Zufall zur Hilfe. Ich starte das Buchprogramm, an dem die Kinder gearbeitet haben. Der Computer meldet, er sei nicht ordnungsgemäß heruntergefahren worden. Wenn das kein Anlass ist? Jetzt muss ich Anna vor den anderen wecken.
„Willst du mal etwas Schlimmes sehen?“
Ein zusammengekniffenes Gesicht antwortet mir.
„Komm mal mit! Ihr beide habt doch gestern als letzte eure Texte in den Computer eingegeben, oder?“
Normalerweise hätte Anna wohl mit einem gereizten „Na und?“ reagiert. Diesmal folgt sie mir nur wortlos gähnend ins Büro. Sie trägt ein kurzes Nachthemd mit Spaghettiträgern. Der rechte ist herunter gerutscht. Anna achtet nicht darauf.
„Ihr habt das Speichern vergessen. Es ist alles weg und ihr müsst nachher von vorn anfangen.“
Anna guckt verschlafen ungläubig. Sie hat offensichtlich noch nicht ihre normale Schlagfertigkeit. Glück für mich, denn so kann ich endlich loswerden, weshalb ich sie wirklich von den anderen weggelockt habe.
„Aber, wo wir gerade unter uns sind: Wir wollten noch den Termin ausmachen, wann wir über deinen Sonderschreibkurs reden können. Möglichst bald, würde ich sagen.“
„Ja, ja.“
Endlich schiebt sie den Träger an seinen Platz. Wo hätte ich sonst hinsehen sollen, ohne in falschen Verdacht zu geraten?
„Wann könnte es denn klappen? Wenn du so erzählst, was für ein viel beschäftigtes Mädchen du bist, dann kann es eng werden.“
„Ach wo. Nur Tanzen am Dienstagnachmittag und Theater am Mittwoch. Sonst kann ich.“
„Gut. Sagen wir Freitag um drei?“
Anna lächelt. „Das ist gut.“
„Na dann bis Freitag.“
Anna geht in den Saal zurück, um sich anzuziehen, Ich verziehe mich pfeifend in die Küche. Das Ziel des ganzen Treffens ist erreicht. Ob die anderen merken, dass der Herr Schriftsteller diesmal nicht recht bei der Sache ist?
Freitagmittag klingelt das Telefon. Es ist Annas Mutter. Sie wolle nur Bescheid sagen, Anna sei krank. Sie könne nicht kommen.
Ein Vorwand zum Abwimmeln? Wie soll ich das herausfinden? Jedenfalls habe ich meine Worte für das Mädchen umsonst vorbereitet. Ich muss endlich anfangen. Na, dann probiere ich die erste Textstunde mit dem Computerprogramm. Es erspart mir sogar einige umständliche Erklärungen, wenn ich Anna nachher ihr Double in Aktion zeigen kann.
Stundenlang habe ich vorher mit Pit zusammen gesessen. Pits Grundprogramm ist dabei immer vollkommener geworden. Das Kunstmädchen sieht nun tatsächlich aus wie die leibhaftige Anna Roth, sie bewegt sich wie sie, sie spricht genau wie sie. Ich brauche nur halb die Augen zu schließen, schon steht die echte Anna vor mir. Aber die Computer-Anna merkt sich nicht nur alles, was man ihr sagt und wie man es sagt oder „zum Lesen gibt“, sie antwortet darauf auch meist annalike jugendlich und gelehrig. Ihr Wortschatz ist der ganze Duden und ihr Gesicht kann jede bei Anna Roth vorstellbare Gefühlsregung zeigen. So hoffe ich zumindest. Ich drücke die Starttaste. Schon lächelt mir ihr Bild entgegen. Es gibt keinen Zweifel. Diese Anna freut sich. Das ist ein guter Anfang.
„Na, Anna, du Schriftstellerin?“
„Was ist daran nur so ungewöhnlich, dass Sie ständig darauf herumhacken? Natürlich will ich gut schreiben lernen. Und in Japan studieren. Comics machen. Wissen Sie, zeichnen und Texte in Sprechblasen schreiben …“
Jetzt muss auch ich lächeln. „Ich weiß, was Comics sind. Und ich kenne auch die japanischen Mangas. Die interessieren dich wohl besonders, weil dort so viele Frauen erfolgreich sind?“
„Klar! Ich brauch doch passende Vorbilder.“
„Ahnst du, was ich von dir will?“
Das Computerbild wartet.
„Entschuldige, wie solltest du. Du wirst lernen, Bücher zu schreiben. Aber vorher präsentierst du meine Geschichten als deine. Also, ich schaffe die Texte, du eignest sie dir an und heimst den Erfolg ein. Für mich. Denn du bist ein junges Mädchen, das eigentlich keine solchen Bücher schreiben könnte. Also wirst du eine Sensation. Genauer gesagt, du als Mensch.“
„… Dann wären Sie mein Ghostwriter.“
Anna lächelt. Ihr scheint der Ausdruck zu gefallen.
„Nicht ganz. Denn Ghostwriter schreiben für Leute mit verkaufsförderndem Prominamen Bücher, die die nie selbst schreiben könnten. Du kannst es zum Schluss aber wirklich… also das Mädchen, das du doubelst. Nach Japan und so.“
„Und was wollen Sie dafür? Meine Mutter hätte gesagt, Sie machen das doch nicht meiner schönen Augen wegen, oder?“
Pit hat der Computer-Anna einen sehr weiblichen Kleiderschrank eingerichtet. So ist dieses Kunstprodukt bei diesem ersten Unter-vier-Augen-Gespräch nicht in Pullover und Jeans verhüllt erschienen, wie es die echte Anna wahrscheinlich getan hätte. Nein, außer einem brustbetonenden T-Shirt trägt sie einen sehr kurzen Rock, der die übereinander geschlagenen Oberschenkel nur höchstens halb bedeckt. Ihre ganze Haltung ist eine provozierende Frage: „Na, gefalle ich dir?“
„Wir brauchen uns beide. Du meine Texte und ich dein Äußeres als Superteeny. Zusammen haben wir das Zeug zum Star. Schließlich werden Stars gemacht. Irgendetwas Auffälliges wird in den Mittelpunkt gerückt. Dann werden Charts gestaltet, die den Ereignissen etwas vorgreifen, beispielsweise die an den Buchhandel ausgelieferten Exemplare als schon verkauft berechnen. Du kannst sicher sein, dann kommen genügend Leute, die im Nachhinein die Verkaufszahlen verwirklichen, die vorher verkündet wurden. Die merken gar nicht, worauf sie hereinfallen. Wir aber rufen sie dazu auf, bewusst selbst ihren Star groß zu machen. Dich. Wie ein Casting für Popstars.“
Ich lasse den Kassettenrecorder mitlaufen. Diese Szene passte bestimmt in mein späteres „Enthüllungsbuch“, und meine Rede soll authentisch sein.
(Fortsetzung folgt) ...

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