Donnerstag, 17. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1624


Bei Thomas Reichs Gedichttitel "Türloch" fiel mir sofort jene meist unfreundlich gemeinte Floskel ein "Weißt du, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat?" oder so ähnlich. Es ist beängstigend, wie viele Bilder Vereinsamung und Entfremdung hervorbringen, dieses Zerren und Es-geht-nicht-mehr. Trotzdem bleibe ich im konkreten Fall, dass im Mühen um adäquate Wiedergabe ein grammatischer Fehler zurückblieb ... 
Nach einer technisch bedingten Pause nehme ich hiermit den begonnenen Gedanken wieder auf, Gedichte unter dem Arbeitstitel "Voran zur Natur" (nicht zurück ..., Herr Rousseau ...) zu sammeln. Ich war vor ca. zwei Monaten bis "Laika" ...

Weiter geht es mit der SF-Fortsetzungsspielerei:

Slov ant Gali: Verbannt (4)

... Es war ein vielstimmiges Konzert an neuen Bildern, dass sie einander irgendwann überlagerten. Er war eben kein Journalist, der so klar beschreibend denken musste, er war … aber das war etwas, was er getrost vergessen konnte und musste. Jetzt war er nur noch Familienvater.
Der Gedanke war beim ersten Anlauf noch zu schwach. Offenbar war er ein zweites Mal eingeschlafen und nun war das Aufwachen irgendwie anders, entspannter. Er hatte sich entschieden. Es mochte sein, dass die Entscheidung falsch gewesen war. Sie waren sich aber einig gewesen. Und diese eine Entscheidung ließ sich nicht einmal ansatzweise korrigieren. Es war besser, er fand sie weiter gut, auch wenn er einmal einsehen sollte, dass sie das endgültig Falscheste war, was er in seinem Leben jemals getan hatte. Aber hatten ihm nicht Tannys leuchtende Augen schon 150 mal Recht gegeben? Dass Falk begeistert sein würde, hätte er nicht bezweifelt. Falk war fast 15 und ein nach uraltem Rollenbild typischer Junge. Er war von allem Technischen begeistert, von allem, was sich schnell bewegte, und von Fremdem sowieso. Dass er also irgendwie an die Leine genommen werden musste, damit er nicht hemmungslos alle Leute, die äußerlich etwas mit dem Transfer zu tun haben konnten, wie ein neugieriger Elfjähriger Löcher in den Bauch fragte, bis sie vergaßen, woran sie gerade gearbeitet hatten, war klar. Für ihn waren die Bilder beim Verlassen der Erde, die kleinen Shuttles, all das, was an ihm, dem eher weniger an Technik begeisterten Vater wie in einem überlangen Film in Fremdsprache ohne Untertitel vorüber gelaufen war, lange entbehrtes Nass für einen Schwamm. Der Junge würde ihm bestimmt noch bestimmte Geräte zu erklären versuchen, die ihm in der Masse von Technik nicht einmal aufgefallen waren. Aber Tanny? Wenn Tanny nicht schon ausreichend niedlich geklungen hätte, hätte man sie bestimmt Püppi oder so gerufen. Solange sie noch nicht die Pubertät erreicht hatte, war das ja nicht schlimm. Danach … Ob sie dann immer noch Freude an jeder weiteren Schleife und Rüsche haben würde? Also mädchenhafter süß konnte wohl keine andere Tochter sein. Aber auch sie hatte sich umgesehen, als wäre ein konvertioneller Rückstoß-Raketenantrieb viel niedlicher als die gelungenste Puppe. Für ihn, Joseph Fraser, war das die Befreiung. Mit der kleinen Schwester hatte der große Bruder endlich einmal ein geeignetes Opfer gefunden, das mit unerklärlicher Ausdauer und meist halb geöffnetem Mund all seine technischen Erklärungen verfolgte. Es war belanglos, dass sie im glücklichsten Fall fünf Prozent davon verstand. Endlich war die Kleine nicht nur etwas, was der Große mit Inbrunst zu beschützen hatte, sondern zugleich auch noch die Erfüllung seines heimlichen Wunsches, einen Bruder zu haben, der seine Leidenschaften teilte. Wahrscheinlich hatte sie anfangs ein paar Verständnis suggerierende Fragen gestellt. Jedenfalls waren die beiden ein Geschwisterpaar, wie es sich Eltern nur selten zu erträumen wagen. Zumindest, seit sie alle aus ihrem Auto gestiegen waren und damit das letzte verlassen hatten, was zur alten Erde gehörte.
Jeanny hatte sich an ihn geschmiegt und für Augenblicke schienen verschüttete Honeymoon-Träume wieder frisch. Irgendwann waren sie dann alle erschöpft. Der Flug zum eigentlichen Raumschiff war bedrückend gewesen. Lange hatte er gedauert, eintönig war er, eng war es gewesen. Joseph hatte sich auf jede Schlafpille gefreut, dieses Gefühl, zur Ruhe zu kommen, gleich wieder eine Runde schlafen zu können und ein paar Stunden wären unbemerkt vergangen. Und dann, dann kam die Vorbereitungsprozedur zum eigentlichen Start. Diesmal sollten sie sich auf einen ausgiebigeren Schlaf einstellen. Wenn sie aufwachen würden, sollte die Phase mit starkem Andruck zu Ende sein. Von da an sollten sie im Normalfall kaum etwas vom Flug bemerken. ...




Mittwoch, 16. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1623


Sebastian Deya fand vor kurzem, ich verstände ihn zu oft miss. Was soll ich da zu "vertreibgut" sagen? Ich hoffe einfach, dass es nicht falsch ist, dieses Gedicht zu empfehlen. Es scheint mir mindestens geeignet, eingeschlafene Denkprozesse aufzuwecken. Und sollte dies das einzige sein, was es könnte ... Allein dies wäre viel. Denen, denen das nicht ausreicht, gebe ich den Tipp: Das Gedicht ist mindests ein guter Deya ... wahrscheinlich mehr ...
Aber ob sich sein Gedicht wohl dann mit meiner Reimerei vertragen wird? "Hinzens Pechsträhnenschicksal" ist ein "Hohelied" an alle, die sich gut uns ausgiebig selbst bemitleiden ...


Ist die SF-Idee ein Produkt einer Pechssträhne?

Slov ant Gali: Verbannt (3)


... Ich mein, was sind das dann für Wesen, die so lange nichts anderes Machen als Reisen und irgendwelche Abläufe zum Reisen und überleben? Ob die dann überhaupt noch aussteigen wollen? Obwohl … Das soll mir eigentlich egal sein. Bloß die Kids von den Kids verstehen doch gar nicht mehr, dass ihre Vorfahren alles Verbrecher waren? Das vererbt sich bestimmt nicht?
Na, auch egal. Aber je länger ich darüber nachdenke, umso weniger verstehe ich, dass da auch Schiffe fliegen sollen, mit Leuten, die da freiwillig abfliegen. Ist denn die Erde so schlimm. Muss wohl, für die. Egal. Aber …
Ach so, ich verstehe. Ihr hofft, dass sich auf den Schiffen und zwischen den Schiffen solche und solche Gruppen gegeneinander unversöhnlich zusammenschließen. Wenn dann einmal eine Siedlerflotte von der Erde nachkommt, die die einen gegen die anderen hetzen kann und wir haben eine sichere Herrschaft. Gut, wirklich gut. Wenn die Expedition fehlschlägt, ist es nicht so schlimm, wir wissen dann eine Route, die wir nicht mehr probieren brauchen, und wenn die dann erfolgreich waren, dann können wir dran anknüpfen. Wir wissen ja so viel übe sie. Und die wahrscheinlich nichts mehr von uns. Wahrscheinlich ist in ein paar Jahrhunderten auch die Technologie solcher Flüge ausgereifter.
Oder … nein … Was ist denn, wenn die auf so etwas wie ein Wurmloch stoßen oder eine Raumkrümmung? Dann sind die vielleicht schneller von uns weg als wir die Nachrichten bekommen, wo die wann was gemacht haben? Vielleicht kann dann deren Superrechner gar nicht mehr die Erde anpeilen? Oder die senden in eine Richtung, wo die Erde sein müsste, aber nicht ist … Ist ja schon gut. Wir wissen ja auch nicht, ob es dann überhaupt noch Menschen auf der Erde geben wird, die die Signale empfangen können.
Na, ein Glück, dass Sie das nicht ernst gemeint haben mit der privaten Stiftungseinlage. Aber so tun als ob ist gut. Und wir finanzieren alles mit einer neuen Menschlichkeitssteuer gegen die Todesstrafe und so. Sollen doch die das bezahlen, die nichts davon haben. Und die dann mit wollen, die zahlen auch. Klar beteiligen sich meine Firmen an den Bauausschreibungen. Neun Schiffe für die Flotte, dafür kann man lange arbeiten. Klar bekommen meine Abgeordneten die Order, für das Projekt zu stimmen. Die haben schließlich meine Interessen wahrzunehmen. Also mit mir können Sie rechnen.“
Der jüngere der beiden verkniff sich sein Grinsen. Also zumindest bei diesem Projekt zeigten die Vereinigten Staaten der Erde Einigkeit. Es würde keinen neuen Krieg geben. Und Aufträge, viele Aufträge, für viele Jahre Aufträge ...




Dienstag, 15. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1622


Thomas Reich empfahl mir "Routine" als "was witziges". Dem vermag ich allerdings nicht zu folgen. Ich finde das gemalte Wortbild zwar treffend, abe traurig. So verschieden denken Menschen ...
Da müsste ich ja auf so Einiges gefasst sein, wie andere auf "Ohne Liebe, physikalisch" reagieren. Also für mich ist es ... ein Liebesgedicht ...


Und weiter mit der SF-Idee:

Slov ant Gali: Verbannt (2)

… und meine eigenen Knäste natürlich auch. Nur noch Hühner, die brav die Körner auf-picken, die ihnen zugeworfen werden. Also einfach gesagt, wir machen jetzt Jahrhunderte später eine neue Strafkolonie Australien auf, nur ohne Aufseher und Rückkehr. Die Passagiere bekommen eine relative Freiheit. Sie können sich jeweils im Rahmen ihres Raumschiffs ungehindert frei bewegen, im Prinzip ganztags. Riesige Großraumtransporter, die nicht auf der Erde gebaut werden, sondern gleich draußen. Im Idealfall mehr als 2000 Mann Besatzung und Passagiere, wobei das keinen Unterschied macht. Hauptsache, irgendwie passen Männlein und Weiblein zusammen, damit sie sich da draußen vermehren können. Dass ich nicht das Lachen bekomme: Das Gefühl der Schwere wird extra abgesichert, damit die beim Ficken leichter oben und unten, raus und rein unterscheiden können. Na, mir soll´s recht sein. Todesstrafe ausgesetzt. Na, wer meint, dass das ein guter Ersatz ist.
Ja, ich sehe auch ein, dass die Automatik einem Dauertest über Jahrhunderte unterzogen werden soll. Was Sie mir von wegen Trajektorie erklärt haben, muss ich wohl nicht verstehen. Also irgendwie versucht der Kursrechner Bahnen von Flugkörpern, also von den Raumschiffen als Flugkörper, so zu berechnen, dass die Transporter exakt so die Umlaufbahnen zu ungewollten Sonnen anschneiden, dass sie immer neu Schub bekommen. Das sei knapp, aber möglich. Im Idealfall könnte so eine Fluggeschwindigkeit von über 250000 km/s erreicht werden. Na, ich muss ja nicht mitfliegen. Sicher ist nur, dass die abfliegende Generation keinen bewohnbaren Planeten erreichen wird. Welche Generation dann wirklich aus einer Raumfliegergeneration zu einer Siedlergeneration wird, steht in den Sternen.“ Wieder lachte der Mann begeistert über seinen Witz. Diesmal hielt es der jüngere für angebracht, zumindest höflich mitzulachen. Glücklicherweise sprach der altere schon weiter.
„Also die Supercomputer auf unseren Schiffen werten alle gewinnbaren Werte über die Sonnensysteme, denen sie sich jeweils nähern, genau aus, vergleichen sie mit den Daten, die wir ihnen aus den Beobachtungen vom erdnahen Raum aus eingespeichert haben, schlussfolgern daraus, ob sich ein Einschwenken in Richtung einer Planetenbahn lohnt, und senden alle Ergebnisse an die Erde. Und wenn sie sich in einem Bereich bewegen, der besiedlungsgeeignet erscheint, dann führen sie die nötigen Kurskorrekturen automatisch durch und melden dies auch an die Erde. Und wenn sie sich durchgerungen haben, die Landesphären einzusetzen, dann wird uns das auch gemeldet und die Messwerte und Beobachtungsergebnisse, wenn sie landen auch. Stark ist das ja wirklich. Da vergehen vielleicht 1000 Jahre im Flug und dann vergehen wieder 1000 Jahre für die Reise der Nachrichten, also, wenn wir mal den ollen Einstein ignorieren, und nach 2000 Jahren kommt dann die Meldung auf der Erde an, sind ausgestiegen, um hinter einen echten Baum oder einen Farn oder so zu pinkeln. Ihr könnt nachkommen. Schon toll, dass ihr solche Rechner bauen könnt, die überhaupt noch nach 100 Jahren die Erde anpeilen können.





Montag, 14. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1621

.Wir durchsuchen unsere Gefühle, unser Ich aus so vielen Ichs, Puzzleteilen aus den Begegnungen von gestern und einem Vielleicht-Morgen. Dann wundern wir uns. Mitunter reicht das Eintauchen in unseren Kosmos, eine Galaxie von Wortwelten auszufüllen - so wie ja auch unsere Milchstraße aus so vielem Nicht-Nichts besteht. Ganz Unterschiedliches fördert unser Graben zutage. Beispielsweise Gunda Jaron stößt auf "Memoria II" und ich blieb an "Ein Ätna voller Ich" hängen ...


Nachfolgend sichere ich mir eine Idee für etwas Utopisches, was kein Ende finden muss ...


Slov ant Gali: Verbannt (1)


„Wir sind uns einig … irgendwie?“
Hätte man ein einzelnes Wort finden müssen, mit dem man den Mittvierziger hätte charakterisieren müssen, so wäre es wohl „smart“ gewesen. Ein Mann, der nicht einmal richtig attraktiv aussah, aber dem man anmerkte, dass er sich einen Misserfolg bei Frauen nicht vorstellen konnte. Ihn hüllte die Ausstrahlung von gewohntem Erfolg restlos ein. Alles war korrekt und passend an ihm, trotzdem so leger drapiert, dass er nicht als feiner Schnösel abgestempelt wurde. Und was er jetzt vorhatte, würde auch nur ein Erfolg versprechendes Projekt sein. Trotz allem würde er vorsichtig sein müssen. Nicht aufdringlich wie ein Autoverkäufer, dem man seine Geschäftsabsicht aus jedem Augenwinkel triefen sah. Und irgendwie verkaufen wollte er etwas, etwas sehr Teures.
Ihm gegenüber steckte ein Mann Anfang 60 in seinem Anzug. Eigentlich ein Maßanzug, doch die Körperformen ließen sich nicht wegschmeicheln. Ein Mann Marke „Neureich“. Geldquelle „Distributionsmanagement“. Das konnte alles und nichts heißen. Rauschgifthandel genauso wie die Zuordnung von elektronischen Baugruppen zu den Überwachungsanlagen der wenigen, noch auf der Erde verbliebenen Rohstoffquellen. Das war nicht wichtig.
Wichtig war, er war der letzte große im Plan vorgesehene Geldgeber. 10 Milliarden Dollar standen im Raum. Was gesagt werden musste war alles gesagt. Der jüngere der beiden lächelte auf eine Weise, als gäbe es noch eine Reihe weiterer Argumente, mit denen die angebrochene Flasche alten schottischen Whiskeys nachgefüllt werden könnte und einige andere noch dazu.
„Junge, was ist aber, wenn ich nun sage, ich versteh´s nicht? Das ist nichts, womit ich mein Geld verbrennen würde?“
Das Verkäufer-Lächeln im Gesicht seines Gesprächspartners vertieft sich – wenn denn das möglich sein sollte noch weiter. Er wird dem Alten jetzt nicht auf den Leim gehen. Nein. Abwarten wird er. Und er behält Recht. Der Alte spricht selbst weiter:
„Also dass das Ganze eine Stiftung werden soll, versteh ich. Praktisch zahlt der Staat den Nominalwert jeder Einlage noch einmal hinzu. Aber warum soll ich mich an einem Geschäft beteiligen, von dem ich nichts habe? Es mag ja sein, dass irgendein Erbe der Erben meiner Erben, ein Ururururerbe sozusagen“ … Er lacht selbstgefällig über seinen Witz. „... durch meine Investition zum Multibilliardär wird. Was habe ich davon?! … Ja ja, ich kann alle Leute, die ich nicht mag weiter als auf den Mond schicken, so weit, dass sie nicht wieder zurück kommen werden. Ich kann Big Mac eins auswischen, weil ihm sein Knast-Konzern ausgefiltert wird. Ich tue der Menschheit einen Dienst, weil die Masse der gefährlichen Aufrührer endgültig von der Erde getilgt würde, aber auf eine Weise, die so wunderbar human klingt, dass mich alle mit Orden behängen werden. ...

Sonntag, 13. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1620


Die Gedichte des Tages sind heute erst einmal drei in einem: Das ganze Gedicht heißt "Kleidsame Geschichte?" und besteht aus den Teilen "Vorgeschichte", "Der traurige Teil" und "Die Moral von der Geschichte". Da heißt es schonmal: Taschentücher raus ...!
Einen wirklich heiteren Gegenpart wagt Brunhild Hauschild mit ihrem Nachschlag "Grazien" zu meinem "grazil". Oder war mehr beabsichtigt als Schmunzeln?!



Und Roger Suffo empfiehlt uns einen Klassiker der Abenteuerliteratur: Roberr Louis Stevenson "Die Schatzinsel". Na, Schätze zu finden kann ja nicht schaden ... Es müssen nicht unbedingt solche der DDR-Verlage sein ...



Das Nachwort ist eines der für DDR-Verhältnisse kürzesten und schlechtesten. Man möchte etwas über Autor und Werk sagen und das soll positiv sein. Aber die wahrscheinliche Wahrheit wagte man nicht nackt aufzuschreiben: R.L. Stevenson hatte einfach Spaß am Fabulieren und der paarte sich mit Talent und Gespür dafür, wie man spannende Geschichten strickt.
Anstatt dessen sucht man nach ethischen Werten wie Gerechtigkeit u.ä. Dabei ist „Die Schatzinsel“ ein politisch-moralisch total abgestanden reaktionäres Machwerk und im höchsten Maße naiv in der Moral: Ein Squire, ein Herr also, ist das Musterbild edlen Adels, der Arzt ist nur fleißig und gut, der Kapitän triefend dienstbereit, der Seemann, der zu den Guten geht, ist eben gut … und die Seeräubermatrosen sind dumm und Säufer.
Wahrscheinlich hatte Stevenson nie vor – so wie das der Nachwortschreiber ihm unterstellte, Charaktere zu schaffen. Aber seine legendäre Figur des John Silver ist das wichtigste Spannungselement. Wie schwach wäre die Geschichte geraten, wäre er genauso vorhersehbar in seinen Handlungen wie die anderen Bösewichte. Das Gruseln erwächst ja gerade daraus, dass man in jeder Situation auf sein taktierendes Hin und Her gefasst sein muss. Und er erkennt den Jungen Jim Hawkins als idealen Ich-Erzähler. Der muss naiv sein. Der darf gewitzt sein. Der darf mit dem Gedanken spielen, dass die „Dummheiten“, die er macht, zum letztlich glücklichen Ende führen. Nur einmal weicht er grundsätzlich von dieser Perspektive ab, was mich gestört hat. Ansonsten spielt Stevenson vergnügt mit dem, was der Leser noch nicht wissen kann.
Eigentlich ist die Geschichte leicht erzählt: Ein Junge gerät durch einen Gast in den Besitz einer Schatzkarte. Der Edle, der ein Schiff ausrüstet, den Schatz in Besitz zu nehmen, vertraut einem Seeräuber an, die Masse der Matrosen auszusuchen. Das sind dann also Seeräuber, die den Schatz für sich wollen. Vor der Katastrophe belauscht der Junge ein verräterisches Gespräch, sodass eine Blitzüberrumpelung scheitert. In Kämpfen und persönlichen Entscheidungen verändert sich das anfangs sehr ungünstige Kräfteverhältnis zugunsten der „guten“ Schatzsucher. Mit Hilfe eines auf der Insel Ausgesetzten bergen diese den Schatz. Der Anführer der Piraten schlägt sich auf deren Seite und sichert sich einen Anteil an der Beute.
Man mag übe die Erzählung denken wie man will – sie ist DER Klassiker der modernen Abenteuerliteratur.   



Samstag, 12. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1619


Das ist schon ein großes Glück, dass in unseren Reihen auch Dichter(innen) zum Tage sind, die einfach an aktuelle Anlässe denken, um dazu ein Gedicht zu machen. In diesem Sinn Dank an Brunhild Hauschild, die "Die Gedanken sind frei ..." geschrieben hat. Noch ist es ja nicht zu spät zum Starten ...
Und da ja auch meine Gedanken frei sind und sich mitunter nicht einem Reim unterwerfen wollen, ich als meine Ergänzung nur "Januarwochenende 2 anno 2013" herausgekommen ...


Es wird übrigens Zeit, wieder einmal Rezensionen vorzustellen. Im weitesten Sinn zum Tag von Liebknecht und Luxemburg passte wohl Victor Hugos "Gavroche", rezensiert von Roger Suffo:


Victor Hugo ist mir der Altmeister des Kolportage-Romans, ein emotionaler Revolutionär dazu. Bei seinnem Buch „Die Elenden“ musste ich über Einiges hinwegsehen – es klang nicht nur in einem Sinn „abenteuerlich“. Vieles erinnert an den Graf von „Monte Cristo“. So kann man den Roman auch lesen. Ein „gestohlenes“ Brot verursacht eine Kette wilder Abenteuer und Intrigen.
Als ich diesen Roman in der DDR-Reihe „Bibliothek der Weltliteratur“ las, ahnte ich nicht, dass der Text nachlektoriert, also leicht gestrafft worden war. Man griff also „Wesentliches“ heraus. 
„Gavroche“ wiederum ist innerhalb dessen etwas Herausgegriffenes, das die DDR-Verantwortlichen für geeignet hielten, es zur Herausbildung eines revolutionären Geistes der Schüler zu verwenden.
Wie da in einem großen Roman herumgeschnippelt wurde, fällt einem Schüler nicht auf. Und es ist richtig: Auch heute ist der Text für jedes Alter lesbar. 
„Kolportage“, man könnte auch sagen, hier hat der Autor richtig fett in die Psychokiste gegriffen, finde ich Folgendes: Gavroches Vater erkennt seinen Sohn nicht, als der ihn bei der Flucht aus dem Knast hilft – obwohl er darauf angesprochen wird und der 11jährige den Vater sofort erkannt hatte – Gavroche sorgt für einen Tag und eine Nacht für seine kleinen Brüder, ohne deren Identität zu ahnen, … und sein „revolutionärer Geist“ ist noch willkürlicher erfunden wie die Szene, in der erals Mischung aus Hans im Glück und Heiligem Martin einen Dieb beklaut, um einen bedürftigen Alten zu beschenken, ohne selbst etwas von der Beute zu behalten.
Hugo versucht dabei eine zutiefst menschliche Ethik fassbar zu machen: Gavroche hat einfach Spaß daran, heimlich einen anderen glücklich zu sehen, von dem er meint, der wäre zu schwach, um sich selbst um sein Glück zu kümmern und überhaupt sei es toll, damit groß tun zu können, Schwächeren zu helfen.
Gut. Eigentlich ist auch der letzte Auftritt nur ein künstlerisches Bild. Ein Kind, das singt, während es intensiv beschossen wird und wertvolle Munition im Schussfeld zwischen den Fronten sammelt, ist … ich weiß nicht was, aber eigentlich nur ein Versuch, dem traurigen Tod etwas Heroisches zu geben.
Während der Gesamtroman „Die Elenden“ ein sehr umfassendes Personen-Netz spinnt, bleibt bei „Gavroche“ eine Verwunderungsbotschaft übrig: Im übelsten menschlich verkommenen Schlamm erblühen Wesen, die nur einer freundlichen Welt bedürften, dann wären sie ganz Große, so sind sie tragische Große. Gavroche, der freche Pariser Junge (sein „Name“ heißt das auch), ist verblüffend wissbegierig und wissend und trotz der persönlich erfahrenen Schlechtigkeiten einfach „gut“ - man sieht es nur nicht auf den ersten Blick.
Lassen wir weg, dass das Buch 1832 spielt und dass es bestimmte drastische Formen der Armut in den europäischen Metropolen nicht mehr so gibt, so bleibt doch trotzdem: Die Verhältnisse, gegen die der Junge aufbegehrte, sind noch nicht beseitigt. 
Die DDR, die aus diesem Stück Abenteuerbuch ein Stück moralische Reifung hatte machen wollte, hat den Versuch nicht zum erfolgreichen Ende gebracht. Eine Tradition, an die es anzuknüpften lohnt, hat Hugo aber auf jeden Fall begründet ...

Freitag, 11. Januar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1618


Also dass Thomas Reichs Gedichttitel "Sympathy for the Poet" so unverkennbar nach dem "Sympathy for the devil" der Rolling Stones "riecht, ist sicher kein Zufall. Aber es ist eben auch das nächste, sehr eigene Gedicht zum Thema Gedichte-Schreiben ...
In gewisser Weise ist mein "Grazil" das "Gegenstück" auf höherer Abstraktionsebene ... zumindest, solange man Grazien als Abstraktes ansieht und nicht ... körperlich.


.Ich würde mich freuen, hätten wenigstens einige Leser etwas Mitgefühl für den Helden meiner kleinen Geschichte:



Slov ant Gali: Obelix (2 und Schluss)



Das achte Viertel. Nun ging es los. Obelix hörte das erste Keuchen hinter sich. Er war im Weg. Zeit, in eine der Mittelbahnen auszuweichen. Bei ihm kam es nicht so darauf an. Die ihn jetzt überholten, hofften noch auf eine gute Zeit. Er … durfte sich nicht einmal für einen Moment in den Windschatten eines der Schnellen kugeln, denn damit behinderte er ja die nächsten, die ihn auch überholen mussten. Hauptsache, er hielt einen, also seinen Rhythmus durch. Nicht schlapp machen! Gut gesagt – er WAR schlapp.
Manche Frösche oder Kröten hatten so komische Säcke, die sie aufpumpen konnten, bevor sie ihre Geräusche ausstießen, quakend, zitternd, lebensbegierig. Obelix kamen seine Schläfen so aufgepumpt vor. Würde er jetzt gleich zu quaken beginnen? Oder eher wie der verzauberte Prinz an die Wand, also praktisch auf den Platz geklatscht werden? Er hatte nicht mitgezählt, wer ihn alles überholt hatte. Es wahr wohl die elfte Gerade, als ihn die Ersten zum zweiten Mal überholten. Einmal aufblicken. Die dreißig Jungen hatten sich zu Grüppchen verklumpt. Zu zweit, zu dritt, ja, sogar zu fünft sich moralisch aneinander festhaltend. Nur Kalle und der Tiger überrundeten für sich allein.
Detlef und Ticke legten eine Pause ein. Ein paar Schritte, als spazierten sie hinterm Ziel, vorbeugen, strecken ... Dann liefen sie wieder weiter. Sollte Obelix auch …? Nein! Er wusste: Einmal nur und er würde nicht wieder loslaufen können. Jede Sehne lauschte auf das Kommando AUFHÖREN. Nein! Er würde nicht aufgeben!
Nur nein zu sagen ist eine schwache Energiequelle. Der Sportlehrer zeigte Obelix eine 5 und rief noch 15 Minuten. Aber das galt wohl eher den beiden, die gerade zum Überholen ansetzten. Obelix fehlte die Kraft, wie üblich in die Mitte auszuweichen. Die beiden aus der Nachbarklasse merkten es nicht. Sie umliefen ihn wie ein bewegliches Hindernis …
Die Müdigkeit hatte nun auch andere Goldbeine erreicht. Obelix sah von weitem noch wie eine Dampfwalze aus oder ein Stier. Arme angewinkelt, Kopf vorgebeugt. Doch er war kaum schneller als andere beim Wandern. Wer hätte schon bei ihm hingesehen. Welches Mädchen beobachtete schon einen Jungen, um sich über seine vergeblichen Mühen zu amüsieren und über den Schweiß, der bei ihm in stärkeren Strömen floss. Es war zum Heulen und eigentlich, wenn man nahe genug herangekommen wäre, hätte man es gesehen: Der Junge, den sie alle Obelix nannten, heulte wirklich, hilflos und im Bewusstsein, dass es sowieso niemand bemerken würde.
Die 30 Minuten waren fast um. Drei Mitschüler hatten zwischendurch aufgegeben. Sie lagen am Rande der Bahn. Der Sportlehrer winkte heraus heraus, wer an ihm vorbei wollte. In den Restsekunden war keine Runde mehr zu schaffen. Obelix erwischte das Ende der Zeit am Wendepunkt nach dem zweiten Viertel einer Runde. Wahrscheinlich war keiner mehr hinter ihm. Wenn er jetzt in langsamen Spazierschritt verfiele, würde es nur den wartenden Sportlehrer stören. Beschimpfte ihn der nicht immer? Zwei Jungen vor Obelix hatten die Situation genauso gesehen. Sie schlenderten ihre Restrunde. Wie oft mochten sie ihn zuvor überholt haben? Egal. Nun walzte er an ihnen vorbei. Auf der Mittelbahn wie bei ihm üblich.
Ein Viertel noch. Ecky vor ihm konnte sich nicht entscheiden. Fünf Schritte Trab, fünf Schlendergang, dann Schwung … Obelix hatte den Jungen einen Moment fixiert, abgeschätzt, er könnte es schaffen. Er stampfte auf, trat auf den Untergrund, als wollte er den für alle Demütigungen bestrafen, die andere ihm bereitet hatten. Obelix merkte, dass er entgegen jeder Vernunft beschleunigte. Er kam seinem Vordermann näher, näher, immer näher …
Es mochten die letzten drei Meter sein, auf denen er, Obelix, an Ecky vorbeizog. Begeistert riss er die Arme hoch. Sieg! Er war sozusagen auf Platz 24 eingekommen, denn sechs andere hatte er am Schluss noch überholt, mochten die ihn vorher auch überrundet haben. Nur undeutlich vernahm Obelix die Stimme des Sportlehrers: „Schade! Eine Runde fehlt. Du hast es wieder nicht geschafft ...“

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