Sonntag, 10. Juli 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1080

Heute beginne ich wieder einmal mit Lyrik, den "Gedichten des Tages" von übermorgen. Da haben wir zum einen die folgende Sommerimpression:



durstig
leckt die Sonne
am Fluss
mittags
ist es still hier
nur Bienen summen
und ein Hund bellt
hinter der verfallenen
scheune
der Himmel
ein blau gespanntes
seidentuch
durchstochen
von sonnenpfeilen

Dann geht es weiter mit dem  "worträume 2.0"-Kandidaten "Ersatz"   und  Kreuzschmerz vom Tag vor drei Jahren.
Und was sollte ich im Prosateil aufgreifen? Ich hätte ja eigentlich mehrere lange Texte, die der Fortsetzung harren - aber kurzfristig komme ich noch nicht weiter. Für heute eine Übergangslösung: Den nicht in der DDR Aufgewachsenen könnte ja jenes in diesem Land umstrittene Buch ein Geheimtipp sein, und ich habe dazu einmal eine Rezension probiert ...


Der König David Bericht oder die Dialektik von Kritik …

Als ich jung war, fraß ich Literatur in Massen in mich hinein. Da kam ich logischerweise auch nicht an solcher vorbei, die als anrüchig galt. „Der König David Bericht“ von Stefan Heym gehörte dazu. Beim ersten Anlauf las ich nur das, was da stand: Eine historische Geschichte aus der Zeit König Salomons. Mir blieb als Einziges im Gedächtnis haften, dass als Trophäe nach einer Schlacht und als Beweis, wer dort gemetzelt wurde, den getöteten Männern die Vorhäute abgeschnitten wurden. Welche Bedeutung dies für Kriege zwischen jüdischen und nicht jüdischen Heeren hatte, war mir noch nicht klar. Ich fand es eigentlich NUR eklig. Was sollte das? Warum stand dieses Buch angeblich auf dem Index? Deshalb?
Dass Heym als Dissident und Jude in der DDR etwas sowohl Anrüchiges als auch Besonderes war, verstand ich noch nicht. Dass Heym auf der Liste der damaligen PDS in den Bundestag gewählt wurde und als Alterspräsident besonderen, undiplomatischen Anfeindungen ausgesetzt war, erregte ein neues, andersartiges Interesse.
In einem Deutschland mit dem Kultur-Niveau (gesprochen: nie wo!!!) eines Stasi-Knabe las ich das Buch noch einmal. Plötzlich erschloss sich eine völlig neue Geschichte.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwo anders so geschickt in einer eigenständigen parabelhaften Erzählung eine derartige Gesellschaftskritik formuliert wurde. Eigentlich durchzieht die Aussage, die jeweiligen bzw. zeitweiligen „Sieger der Geschichte“ schreiben die jeweilige Vorgeschichte nach ihren Wünschen und Vorstellungen neu, mit immer neuen „running gags“.
Auf der einen Seite erschloss sich die Kritik an der DDR-Führungsriege und dem Tross von eifrigen Vasallen. „Wir sind die Sieger der Geschichte“ und ALLE Geschichte ist so zurechtzuschreiben, dass nichts diesen Eindruck trübt. Von Spartakus über Müntzer, Thälmann bis Honecker eine Reihe revolutionärer Helden, die die Träume der Menschheit Wirklichkeit werden ließen … oder wenigstens fast. Und Mielke natürlich nicht zu vergessen. Dass dabei viel zurechtgebogen werden musste, damit alles gerade passte, dass die, die es besser wussten zum Schweigen gebracht wurden … Das Buch las sich nun als gut gemachter Schrei nach Wahrheit.
Doch Heym brauchte sich mit der Wende nicht zu wenden. Er war klug genug, zu sehen, dass zu DDR-Zeiten vorrangig der Selbstverliebtheit der unkontrolliert Mächtigen geschuldet war, zum Wesen des Systems geworden war. Er als intellektueller Jude erkannte die Mechanismen der Macht. Er, der zu DDR-Zeiten von der damaligen BRD-deutschen „Elite“ zum Superstar im Osten hochgejubelt worden war, musste akzeptieren, dass er nun genau dort auf den wirtschaftlichen Index kam. Natürlich konnte man nicht „verbieten“, aber man konnte ihn der Stasi-Mitarbeit bezichtigen, was schlimmer war, weil ein Verbot anfechtbar, ein Verdacht aber anrüchig anhaftend war.
Die vorübergehenden Sieger schrieben die Geschichte neu. Alles was war wurde umgedeutet – und wo das nicht ging eben umgeschrieben. Es wurde sogar ein neuer Begriff erfunden „Unrechtsstaat“ – etwas im rechtlichen Sinn Unmögliches.
Derselbe Roman, aber aus der jeweiligen Kontext heraus zwei Wertungen. Aus dem, was ein Klopfen auf die Finger der Sozialismus-Verdreher gedacht gewesen sein mochte, war nun ein Angriff auf die neue Macht geworden. Denn aus einem antifaschistischen Gedenkort, der an kommunistischen Widerstand gegen die gerades an die Macht gekommenen deutschen Faschisten wurde eine Geschäftsimmobilie eines Amtsgeiers. Geschichte umschreiben. Da wurde der Begriff NationalSOZIALISMUS gebraucht – und es musste die Erinnerung beseitigt werden, dass die Kommunisten die konsequentesten Verteidiger der Demokratie gewesen waren. Die waren ja die Radikalen und mit den Faschisten gleich zu setzen.
Kunst ist Waffe – ob der Künstler das will oder nicht.
Heym hatte eine Kritik gewagt, die über die DDR-Vergangenheit hinaus weisen sollte in eine Zeit, in der Geschichte nicht mehr in erster Linie Legitimationswissenschaft für die gerade Herrschenden gewesen wäre. Die Umstände drängten die Kritik ins „rote“ Licht.
Welche Welt wollen wir denn nun???

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