Mittwoch, 8. Mai 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1732




Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (5)

  ... Ganz unschuldig an meinem Verständnis „kapitalistischen“ Denkens war sicher auch nicht, dass meine Verwandtschaft im Westen lebte. Langsam der kindlichen Überheblichkeit entwachsend, entwickelte ich ein feines Gespür für Herablassung und Überheblichkeiten anderer Leute. Insofern war meine Verwandtschaft mitschuldig an meiner antikapitalistischen, ja eigentlich an der grundsätzlichen Antihaltung materiell orientiertem Denken gegenüber. Wie gesagt, ich tickte von klein auf anders. Für mich waren die Westpakete ein Gräuel. Normalerweise freut man sich ja, wenn einem etwas geschenkt wird. Das traf sicher auf die Masse der normalen DDR-Bürger zu. Die West-Pakete meiner Tante empfand ich aber in erster Linie als Beleidigung. Wenn man sie öffnete, schlug einem erst einmal der Duft leicht ranziger Rama entgegen. Viele Sachen waren darin, die mehr als nur ein wenig getragen wirkten. Irgendwie Zeug, als litten wir Hunger und lebten hinterm Mond oder in mongolischen Steppendörfern. Schwer waren die Pakete. Bildeten sich die „drüben“ etwas auf die vielen Schokoladentafeln ein, die billigen Sorten im Dutzend noch billiger? Sie wussten doch, dass meine Mutter als Aushilfe in einer Lebensmittelverkaufsstelle arbeitete und mein Vater zur Leipziger Messe fuhr, von wo er mit Mustern von neuen Süßwaren zurückkam. Schon schlimm genug, unsere „Zone“ für eine Art Hungersahara zu halten – Mitte der 1960er Jahre! - uns als Familie ging es sogar noch besser als dem Durchschnitt .... Wie ein armer Bettler behandelt zu werden, ärgerte mich schon als Kind. Später erschütterte mich die Erklärung der schwesterlichen Zuwendungen noch mehr. Meine Mutter hat ihre Schwester immer verteidigt. Aber anlügen wollte sie uns Kinder trotzdem nicht. Das, was als gewichtiges Paket aus dem „goldenen Westen“ für die armen Verwandten in der „Zone“ steuerlich abgesetzt wurde, war in Wirklichkeit nichts als der Verbrauch der Vertriebenen-Entschädigung. Meine Großeltern hatten ein kleines Einfamilienhaus bei Breslau besessen. Dafür hatte es im Westen Entschädigungen gegeben, anteilig auch für meine Mutter. Von dem waren die Pakete bezahlt worden. Mit einer fein-säuberlichen Buchhaltung, bis alles verbraucht war. Was sollte ich mit einer solchen Verwandtschaft? Klar. Niemand kann etwas dafür, wo er geboren wird. Aber wahrscheinlich bildeten sich bei mir Vorurteile gegen „die im Westen“ heraus, „Die da“ waren für mich einfach zu raffgierig und egoistisch, um Kontaktinteresse zu wecken. Dabei ist es besonders wichtig, ohne Vorbehalte aufeinander zuzugehen, wenn man eine gemeinsame Zukunft haben will.

Kindlich-naive Keime meiner späteren „kommunistischen Visionen“ wurden schon früher gelegt:
Aus dem, was ich bisher erzählt habe, müsste klar geworden sein, dass ich nie ein extrem kommunikativer Typ gewesen bin oder gar ein „Charismatiker“. Es gab trotzdem Situationen, wo Gemeinschaftsgefühle vermittelt wurden, die auch ankamen. Dazu gehörten einige der Veranstaltungen der Pioniere und der FDJ. Meine Mutter hatte mich zuerst auch zur „Christenlehre“ in die Kirche geschickt, wo uns Geschichtchen erzählt, und wir, wenn wir brav waren, mit Bildchen (heute würde man wohl „Sticker“ sagen) belohnt wurden. Für die Anregung meiner Fantasie waren diese Nachmittage wahrscheinlich sogar positiv. Aber als Acht- oder Neunjähriger fand ich es herabwürdigend, was der Pfarrer uns Kindern als wahre Geschichten anbot. ...


Die heutigen "Gedichte des Tages" vereinen Veröffentlichtes, das unterschiedlicher kaum sein könnte. Auf der einen Seite das Liebesgedicht ".Einer großen Liebe." von Ricardo Riedlinger aus "Mit Blindenhund durch Liebesland" - auf der anderen Seite "Absage" aus dem brandneuen Band ""Gemeinschaft der Glückssüchtigen"". Dieses "Tiergedicht" gewinnt eine außerordentliche Aktualität, weil in den letzten Tagen der DAX ein neues "Allzeithoch" erreicht hat ...

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