Sonntag, 4. Dezember 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1227

In einem Kollektiv gibt es verschiedene Rollen. Ingrid Allstedt hat die Rolle gewählt, jedes Jahr einmal die Masse des ganzen Autorenkreises in ihrem Garten zusammenzuführen. Ihre Gedichte machen wenige Worte:

Am Fenster der Straßenbahn
Eingekratzt
Diepgen vom Storch gebissen
Kastanien öffnen ihre Blüten
Steig mit mir aus
Kleine grüne Fliege
Scheiße
Liegt überall



(Ingrid Allstedt)


Die "Gedichte des Tages" von übermorgen?
Von 2008 Hanna Fleiss mit  Abschiede 
Aus dem K-Wort-Programm "Mitschuldig".

Und

Ich gebe euch 
sogar Recht 
wenn ihr denkt 
es sei richtig 
über mir 
den Kopf zu schütteln 
denn manchmal 
verstehe ich wirklich 
diese Welt 
nicht mehr
Wenn ihr doch 
über jeden nur 
der´s nicht versteht 
den Kopf schüttelt 
über jeden 
der versucht 
es zu verstehen 
den Kopf schüttelt 
über jeden 
der glaubt 
verstanden zu haben 
den Kopf schüttelt 
über jeden 
der schweigt 
den Kopf schüttelt 
über jeden 
der redet 
den Kopf schüttelt 
über jeden 
der hasst 
den Kopf schüttelt 
über jeden 
der liebt 
den Kopf schüttelt 
über jeden 
und alles 
was man nicht 
gleich versteht 
den Kopf schüttelt
Nur für den 
der verzweifelt 
am Ende 
bestätigt noch 
einmal ein Nicken
Ich gebe euch 
sogar Recht 
wenn ihr denkt 
vielleicht 
werde ich´s niemals 
verstehen können 
warum man sich 
in diesem Leben 
keine Wahl lässt 
außer am Ende 
Recht zu haben
Wenn man nur 
mit den Köpfen schüttelt 
sich so bereits 
gegenseitig 
einfach so 
abzunicken


Relativ gleichförmig geht es mit dem Fortsetzungsroman weiter. Bei  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth  sind wir inzwischen bei der 26. Fortsetzung des Romans angelangt ..


Operation Zeitensprung - ein utopischer Roman (29)



 Alles, was ich während der kurzen Reise durch die Zeit zu sehen, hören und fühlen glaubte, war genau so wie bei der Tour in die Vergangenheit. Dann meldete sich die Angst. Ich hätte am liebsten den Helm aufbehalten. Aber eine Veränderung bemerkte ich sofort, vielleicht, weil ich darauf achtete: Ganz so wie zuvor schlabberte der Anzug nicht mehr an mir herum. War ich wieder hinein gewachsen?
Ich sah mich um. Die ersten schlüpften aus den Anzügen. Mir fiel Maria auf. Sie hatte nun besonders dichtes blauschwarzes Haar. Es passte zu ihren warmen, dunklen Augen, ihrem geheimnisvollen Zigeunergesicht und der olivbraunen Haut. In ihrer Bluse richteten sich volle, kegelförmige Brüste auf. Äußerlich war sie jetzt ein ungewöhnlich begehrenswertes Mädchen von ungefähr sechzehn Jahren. Wenn sie so wirkte, dann war auch ich ein Teenie. In der Zeit, als ich das wirklich war, hatte ich Angst, dass mir jemand aufs Oberteil starren könnte. Jetzt würde ich es genießen.
Inzwischen waren alle aus ihren Skaphandern geschlüpft. Nur Katharina nicht. Hannes drückte seine Nadel auf ihre Naht. Der Anzug sprang auf. Es staubte. Das Mädchen war ein Skelett. Wie in einem Horrorfilm. Alle anderen waren zu Jugendlichen geworden. Was hätten wir für unbeschwerten Spaß daran gehabt, uns zu entdecken, wenn Kati noch bei uns gewesen wäre. So wurden wir die Traurigkeit nicht los. Dieses Mädchen der Vergangenheit war doch fast zu einer von uns geworden.
Warum nur? Weil sie damals wirklich sechzehn war? Dann müsste sie jetzt doch älter geworden sein wie wir alle ...“
Alle wichen meinem Blick aus. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich geheult. Erst mein Vater und Gunti, dann Andreas; hätte ich nicht entschieden, Katharina mitzunehmen, dann hätte sie wahrscheinlich noch viele Jahre zu leben gehabt. Offenbar reichte es, dass ich ein kleines bisschen für jemanden empfand, damit dessen Glück ihn verließ.
Wir tauchten aus der Schiffsluke auf, merkten, dass wir in einem Park gelandet waren, entdeckten in etwa fünfhundert Metern Entfernung dahinter eine Villensiedlung, gruben für unser Bauernmädchen ein Loch, versenkten ihre Überreste in der Erde, standen schweigend herum und waren plötzlich von bewaffneten Männern umringt.
Wie hatten die sich denn angeschlichen? Wir waren wahrscheinlich zu sehr mit Katharina und uns selbst beschäftigt. Da lag uns der Gedanke an einen feindseligen Empfang fern.

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