Freitag, 30. Dezember 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1253

"Gedichte des Tages" zu Neujahr?!
Bringt nix - der Kater frisst sie alle. Also lieber ein Hinweis darauf, dass Erinnerungen allein nicht tragfähige Gerüste bilden:



Wir hatten einander
im Blitz,
in dem wir uns
nicht hatten,
und wachten auf
in Erinnerung,
in der wir badeten,
wenn die vielen Alltagswunden
nicht vernarben wollten.


Dazu kommt ein weiteres Testgedicht: "Dem Nebenmann"
und der gewohnte Blick drei Jahre zurück: Warteschleife...

Weiter geht´s mit der 50. Fortsetzung des utopischen Romans  "Operation Zeitensprung" von Anna Roth::

Eine neue Karriere

Das Programm 7000 war eine Art Testfragensystem. Gedruckt hätte es einen gewaltigen Wälzer gefüllt. Aber es wurde direkt über eine Datenfernleitung abgerufen. Den Vorspann fand ich schon einmal lustig.
... und beantworte sie unbedingt vollständig.
Wenn du am liebsten auf alle Fragen
... „g) weiß ich nicht“ oder
h) diese Frage möchte ich nicht beantworten“
antworten möchtest, dann tu das!“
Dann folgten die unterschiedlichsten Komplexe. Interessen, Wissen, Neigungen / Hobbys, Wahrnehmungen, Was-wäre-wenn-Spiele.
Die Esspausen nahm ich nur halb bewusst wahr. Mein Gehirn formulierte eher
Das Grüne links auf dem Teller ist Spinat, das Blassgelbe rechts unten Kartoffelbrei und die dunkelgelbe Iris mit der weißen Bindehaut drum herum ein Spiegelei. Schmeckte dir das Ganze auch, wenn es etwas Anderes wäre? Magst du mit der Gabel in die Iris stechen, damit gleich das Eigelb über den Teller läuft?“
Bei jeder kleinen Pause fühlte ich mich sofort wieder zu dem Test hingezogen. Am Abend hatte ich alle Antworten zusammen. Die elektronische Post konnte abgehen.
Ich bekam als erste aus unserem Team einen Termin für das Auswertungsgespräch. Gleich nach dem Wochenende. Die drei Tage Wartezeit stand ich mit einem sehr flauen Gefühl durch. Als Schülerin hatte es mir selbst vor Prüfungen gegraut, auf die ich glänzend vorbereitet war.
Endlich war es so weit. Ich ließ mich direkt aus dem Schließzimmer in den Warteraum des Beratungszentrums beamen. Nuk hatte mir erklärt, am besten solle ich mich vorher in Starre versetzen. Das stellte sich als eine Art autogenes Training oder Yoga heraus. Ich konzentrierte mich voll auf meinen Körper. Wenn ich bewusst wahrnahm, wie mein Blut durch die Adern strömte, sollte ich kurz nicken, und Nuk würde den Beamer einschalten.
Letztlich war ich enttäuscht. Ich hatte mir diesen Wahnsinnsvorgang, als Körper in einen Energiestrahl und wieder zurück verwandelt zu werden, aufregender vorgestellt. Eigentlich wurde der Yogazustand nur kurz durch ein Kribbeln unterbrochen, als ob viele hauchfeine Nadeln durch den Körper fuhren.
Für diesen Mangel an ungewöhnlichen Eindrücken entschädigte mich der Raum, in dem ich gelandet war. Angenehm klein, indirekt mit gelb getöntem Licht beleuchtet, erwartete mich darin eine Sitzgruppe, ein Bücherregal und ein Dickicht von herabhängenden und hochwuchernden Schling- und anderen Grünpflanzen. Es fehlten nur die Schreie von Papageien oder anderen Urwaldlebewesen. Dann wäre die Tropenillusion perfekt gewesen. Trotzdem beherrschte mich die Sorge, gleich einem menschlichen Raubtier zum Fraß vorgeworfen zu werden. War das meine Welt?


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