Samstag, 14. September 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1853


Fillip, der Erdling (2)

... So gegen halb eins hielt es normalerweise an der Kreuzung. Es war einfach praktischer, sich frisch einzudecken als sich auf den weiten Weg zum nächsten Bäcker zu machen. Gabi sah es nicht gern, wenn er außer der Reihe ihr Auto haben wollte. Wenn er bei Günther anrief? Der wusste bestimmt, wenn der Bäcker noch nicht durch war.
Es knackte merkwürdig in der Leitung, dann kam deutlich Günthers Stimme, noch bevor Fillip etwas sagen konnte: „Dassn Ding, was? Die Aliens haben die Macht übernommen. Jetzt passiert mal was in der Welt ...“ Fillip erkannte zwar, dass Günther noch mehr zusammenerzählte, doch er verstand nicht, was der dicke Alte sagte. Er hielt den Hörer weit vom Ohr weg, unsicher ob er zuhören oder auflegen wollte. Komischer Kauz. Schien gerade durchzudrehen. Tja, der Suff … Dann aber kam Fillip eine Art Erleuchtung. Hatte es sowas Verrücktes nicht schon mal gegeben? Das musste irgendwann in den 50er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen sein. Da hatten sie in Amerika ein Hörspiel über die Invasion von Marsmännchen gesendet und viele Leute bekamen Panik. Ob gerade so eine Sendung lief? Es war sowieso ein missratener Mittwoch. Da konnte er sich auch noch einen zweiten Film genehmigen. Vor um drei war sowieso niemand zurück. Ach, der Fernseher …
Schon viel weniger euphorisch wollte Fillip das Internet aktivieren. Doch nun gab es tatsächlich eine Überraschung. Kein bekanntes Startbild sondern eine statische Aufnahme einer attraktiven jungen Frau. Dazu ein Ton, der angenehm einschmeichelnd, aber nur schwach moduliert klang wie von einem Computer generiert:
„ … nur vorübergehend. Bitte entschuldigen Sie die damit verbundenen Störungen Ihrer Kommunikation. Wir haben über die extraterrestrischen Satelliten die Kontrolle übernommen, ebenso über Rundfunk- und Fernsehstationen und – soweit sie uns bekannt waren – alle militärischen Einrichtungen zur Kommunikationskontrolle. Wir haben uns bemüht, diese Maßnahme synchronisiert an allen Orten Ihrer Erde gleichzeitig durchzuführen. Wenn uns das in Ihrer Wohnumgebung gelungen ist, merken Sie dies an der Verwendung Ihrer jeweiligen Muttersprache beim Abhören dieses Intros. Bitte bringen Sie sich und die Vertreter bisheriger Machtorgane nicht durch unbedachte Handlungen in Gefahr. Alle Regierungen der bisherigen Staaten der Erde sind abgesetzt. Alle Regelungen über Kommandogewalten sind aufgehoben. Die Verwendung bisheriger militärischer und anderer Dienstränge ist vorübergehend unter Strafe gestellt. In Kürze werden Ihnen die Anlaufstellen genannt, an denen Ihre bisherige Eingliederung in den Weltarbeitsprozess überprüft und gegebenenfalls bestätigt oder aufgehoben werden wird. Wenn Sie einer Arbeit nachgehen, so tun Sie dies vorerst weiter in gewohnter Weise. Wenn Sie einem militärischen Beruf nachgegangen sind, so vernichten Sie umgehend Ihre Uniformen und suchen Sie sich eine sinnvolle Arbeit. Wenn Ihnen ein ehemals dazu Befugter Befehle zu erteilen versucht, machen Sie sich nicht mitschuldig und setzen Sie den Straftäter zu seinem Schutz fest. Unter 11111 können Sie Abholer anfordern, die sich um die weitere sinnvolle Nutzung der Arbeitskraft des Fehlgeleiteten kümmern werden. ...“
Fillip bedauerte, dass die Ansage nicht durch Filmbilder untermalt wurde. Die Idee fand er eigentlich gut, aber was war das für ein Film? Mochte die Stimme noch so angenehm klingen, man konnte doch dokumentarisch gemachtes Bildmaterial dazu erwarten. Wie hieß die Sendung eigentlich? Er hatte doch am Montag sein Fernsehzeitung überflogen und alles vorgemerkt, was ihm interessant erschienen war …


Fillip versuchte zu zappen. Allmählich wurde er unruhig. Die Anzeige auf der Fernbedienung behauptete, er hätte inzwischen den achten Sender aufgerufen, das Bild aber war noch immer dasselbe und die Stimme auch. Unmerklich schien sich ihr Klang zu verändern. Fillip kam sie inzwischen bedrohlich vor. Schweißtropfen sammelten sich auf Stirn und Rücken. Es war zum Zittern heiß im Raum...

***

Sebastian Deya macht uns mit "tödlicher frieden (5)" auf eine Region aufmerksam, die durch die akute Kriegssituation in und um Syrien aus dem Fokus der Aufmerksamkeit auch unter Linken geraten ist.
Und damit aus dem Gedicht nicht falsche Schlüsse gezogen werden, habe ich 

Slov ant Gali: Senryū Nr. 107


 dazu angemerkt ...

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