Mittwoch, 8. Juni 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1048

Roger Suffo:
Ferien bei Tante Ante oder wie ich mir zum ersten Mal eine Meinung bildete

Keine Ahnung, warum mich meine Eltern im Sommer immer einmal zu Tante Ante schickten. In jenem Sommer nach dem ersten Schuljahr, von dem erzählen möchte, war sie mir schon unheimlich. Da hatte ich nämlich meine Eltern belauscht, die Ante sei „ein wenig absonderlich“. Welcher Junge will schon zu einer absonderlichen Tante, wenn das so ähnlich klang wie „Hexe in Menschengestalt“.
Die Tante war immer nett zu mir. Da kann ich nicht klagen. Sie hatte ein sehr kleines Haus mit einem sehr kleinen Gärtchen davor. Dort lebte sie mit unheimlich vielen Blumen in Töpfen, die offenbar Namen hatten und mit denen sie sich oft liebevoll unterhielt. Die einzige Pflanzenart, die ich damals kannte, war Hibiscus. Davon standen 15 Töpfe draußen.
Wenn ich nach den Mahlzeiten nach draußen lief, musste ich zwischen ihnen hindurch. Diesen Moment lang durfte ich noch nicht rennen. Von Tante Ante wusste ich, dass sie mich beobachtete, von den Hibiscusblüten ahnte ich es. Irgendetwas stimmte nicht mit ihnen. Ich weiß nicht, wie lange ich brauchte, bis mir auffiel, was. Was interessiert einen Siebenjährigen die Pracht gelber und roter Blüten. Aber dann …
Wie gesagt, plötzlich fiel mir auf, dass die Spalierpflanzen einmal rot und einmal gelb blühten. Also dieselben!!! Das war dann auch für mich interessant. Am 4. Juli schrieb ich in meinen Kalender „gelb“. Ja, alle Blüten hatten dieselbe Farbe. Am 5. Juli dann „rot“. Am 6. Juli „gelb“, am 7. „rot“ usw. Meine Tante besaß also Hibiscuspflanzen, deren Blüten die Farbe wechselten und zwar – wie ich nun nach eingehender Beobachtung festgestellt hatte – waren sie an den Tagen mit gerader Zahl gelb und an solchen mit ungerader rot.
Als ich die Tante darauf ansprach, sagte sie „Ich habe alle Pflanzen gleich gern“, was ich ihr glaubte, aber mir nicht die Antwort auf meine Frage schien.
Als ich endlich wieder zu Hause war, gehörte meine wissenschaftliche Entdeckung zum ersten, was meine Eltern zu hören bekamen. Wie enttäuscht war ich, dass sie mir nicht glaubten. So etwas gäbe es nicht! Wo ich es doch mit eigenen Augen gesehen hatte!
Bis zum nächsten Sommer war das dann fast vergessen. Erst, als ich meinen Kalender einsteckte, der mir so etwas wie ein Tagebuch war, fiel es mir wieder ein.
In den ersten Tagen schrieb ich wieder meine Beobachtungen ein: 3. Juli „gelb“, 4. Juli „rot“. … Moment … Das stimmte doch gar nicht mit meinem Untersuchungsergebnis aus dem Vorjahr überein! Ich musste lange überlegen. Endlich fand ich eine Erklärung: Das Jahr hatte 365 Tage. Also fielen die geraden Tage des Vorjahres nun auf ungerade. Das konnten die Blumen ja nicht wissen.
Ich hätte meine Meinung vielleicht bis ins Erwachsenenalter bewahrt von den die Farbe wechselnden Hibiscuspflanzen meine Tante Ante. Aber an einem der Abende wachte ich, kaum eingeschlafen, wieder auf mit einem eiligen Drang auf das kleine Örtchen. Auf dem Rückweg stutzte ich. Ein Geräusch. Es war fast finster. Spannend wie drei Spukgeschichten hintereinander. Also losgeschlichen, dorthin, woher die Geräusche kamen. Im Zwielicht erkannte ich gerade rechtzeitig die Umrisse meine Tante. Diesmal allerdings lief sie gebückt wie alle Hexen im Märchen. Aber das lag daran, dass sie etwas schleppte.
Ich habe sie eine Welle beobachtet, nichts gesagt. Am nächsten Tag schlich ich mich in den Garten zurück, als meine Tante mich weit weg beim Spielen vermutete. Und nun fand ich die Lösung des Rätsels: Auf der anderen Seite des Gärtchens hatte Tante Ante gleich viele Hibiscus-Töpfe. Sie bekamen dort nicht so viel Licht. So trug sie, wenn es dunkel war die einen an die Plätze der anderen. Durch die Farbe konnte sie kontrollieren, dass alle Pflanzen glich oft den Platz am guten Licht bekamen, denn sie war halt etwas sonderlich.
Meinen Eltern habe ich nichts davon erzählt. Sie haben auch nicht gefragt. Seitdem bin ich vorsichtig mit einer Meinung zu Dingen, die doch ganz offensichtlich scheinen.

Das ist doch eine absonderliche Geschichte. Wer dabei genug gegrinst hat, macht bei den Gedichten des Tages von morgen weiter:

Zu Zeiten des Kaisers Augustus ...

Da sprach ein germanischer Seher,
Sie werden Ruinen nur sein
Die Menschen mit Köpfen und Körpern,
Die Menschen mit Armen und Beinen,
Die Menschen zuinnerst schon Stein
Gefesselt von moderndem Golde
 Zu Hufen sind sie verflucht

Für Rosse, gemacht aus Metallen,
Die ewig sich schlaflos bewegen.
Bis endlich sie einander verbrannt
Verödet und leer wird die Erde
Wie sie vor unsrer Schöpfung gewesen
Sinnlos und ohne Verstand


Dazu kommen als "worträume 2.0 "-Kandidat Silvester-Sonett und als Gedicht von vor drei Jahren  unschuld  

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