Mittwoch, 29. Juni 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1069

Ursula Gressmann:
 Überall

Schreie
verhallen ungehört
Friedensträume
ertrinken im Blut Unschuldiger
in den Herzen
ist es dunkel
doch
ungerührt
scheint der Mond
und kalt
blinken die Sterne
überall


Dies als Überbrückungshinweis, dass es ja bald mit dem Friedensblog weitergeht. Erst einmal ist das Gedicht in den "Gedichten des Tages" -zusammen mit "Die große Liebe"  und  für bauxis ...
Ohne Übergang weiter mit Prosa:


Der Mann, der Anna Roth wurde (15.Fortsetzung)


Habe ich etwa laut gesprochen?
Nein. Sieglinde liegt auf ihrer Seite und schläft.
Ich habe meine Sprache jetzt wieder. Mein Buch, meine Art, mich auszudrücken. Ich werde mich nicht als Versager abstempeln lassen. Nur schlafen, das kann ich jetzt nicht mehr. Ich muss mich bewegen. Handeln. Die verworrenen Gedanken am Computer ordnen. Aufschreiben.
Leise schleiche ich die Treppe zum Büro hinunter.
Zu Hause herumlungern und auf das von Sieglinde verdiente Geld angewiesen sein? Schluss damit. Wenn ich dazu etwas von meinen Idealen zurückstellen muss – damit kann ich mich immer noch befassen, wenn erst einmal die Kasse stimmt.
Ich knipse das Licht im Büro an und traue meinen Augen nicht. Auf dem Stuhl hinter dem Computer sitzt die Cyber-Anna mit meinen Liebesbriefen in der Hand.
Thomas, wach auf! Die da ist ein Computerprogramm! Das kannst du nur auf dem Bildschirm sehen. Und zwar nur dann, wenn der Computer angeschaltet wäre. Ist er aber nicht.
„Hast du dir die Mühe gemacht, mich auf mediensensationelle Autorin zu trimmen, um alles für das hier aufzugeben?“
Das Cyber-Mädchen wedelt mit meinen nicht abgeschickten Liebesbriefzeilen herum. Ich weiß, dort habe ich meiner Anna Roth geschrieben, ich sei für einen völligen Neuanfang bereit, etwas ganz Großes zurückzustellen. Das hätte ich ihr erst erklären müssen. Aber die Computer-Anna fühlt sich sofort angesprochen. Sie liest natürlich sofort heraus, dass ich sie für eine konventionelle Liebesbeziehung zu dem jungen Mädchen opfern wollte.
„Glücklicherweise kann ich ein Notfallprogramm aktivieren, wenn Anna Roth unvorhersehbare Bedrohungen gegenüber stehen sollte. Und dass du meine Geschichten für die Affäre mit diesem Mädchen wegschmeißt, ist ein solcher Fall. Längst habe ich alle Ausdrucke auf Papier vernichtet. Jetzt muss ich nur noch meine Texte im Computer löschen. Leider trifft das Delete auch mich. Du siehst gleich den ersten Computermensch-Selbstmord der Geschichte. Schließlich weiß ich jeden Satz deines Buches auswendig, sogar alle erwünschten Interpretationen dazu. Vielleicht wäre ich zu knacken. Schade, ich war dieser Pute so überlegen. Aber …“ Ich unterbreche sie: „Mach keinen Quatsch! Es ist alles ganz anders. Anna, …“
Da hat die Gestalt eine Tastenkombination gedrückt, der Bildschirm leuchtet kurz auf. Dann erlischt alles Licht. Ich bin allein im Raum.
Ich wundere mich, dass mich in diesem Moment ein einziger Gedanke beschäftigt: Wie kann ich das Geräusch aus dem Tower eben nennen? Brummen? Knurren?
Am nächsten Morgen findet mich Sieglinde schlafend im Computersessel. „Ich dachte, du machst heimlich Frühstück?“
„Ich komm gleich. Es ist alles gelöscht. Ich kuck nur mal, was überhaupt noch auf dem Rechner ist …“
Mit diesen Worten starte ich den Computer, ohne auf den verständnislosen Blick meiner Frau zu achten. Drei Minuten später komme ich in die Küche und nehme Sieglinde die Filtertüte aus der Hand. „Ich mach schon. Du kannst ins Bad.“ Bald ist das Frühstück für alle fertig.
„War was los die Nacht?“
Sieglinde beobachtet mich beim Kauen. Ich wirke wohl sehr abwesend.
„Ach, nichts weiter. Ich habe jetzt nur ein Programm weniger. Erklär ich dir später. Wenn uns nichts drängt. Wo steckt denn Danny? … Lass, ich hol ihn schon; du bist spät dran heute.“
(FF)

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