Donnerstag, 30. Juni 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1070

a

Slov ant Gali: unerlöst


Ich laufe mir nach
hol´ mich nicht ein
Ich suche und
finde mich nicht
Ich klingle nach mir und
öffne nicht
Ich schlage nach mir
fühl keinen Schmerz
Ich begehre Antworten
und entdecke Fragen
Ich brülle: Zurück! und
betrete das Minenfeld
Weiter gehört zu den künftigen "Gedichten des Tages"  "worträume2.0"-Kandidat: "Dem einen sind es nur Gedichte ..." und  angebot


Was die Prosa angeht, kommen wir zum Ende der aktuellen Fortsetzungsgeschichte:



Der Mann, der Anna Roth wurde (Schluss)


...
An diesem Morgen tue ich etwas, was ich in meiner Ehe bisher noch nie getan habe. Kaum, dass alle anderen weg sind, lege ich mich wieder ins Bett. Ich schlafe lange und unruhig. Ich höre nicht das Telefon und nicht den Anrufbeantworter: „Im Augenblick ist leider niemand zu Hause. Aber Sie können eine Nachricht hinterlassen. Ich rufe dann zurück …“
Es sind unwirkliche Stunden, wenn Sieglinde kommt oder Danny oder Tim. Sie erscheinen mir wie aus milchigem Dampf geformt. Beinahe noch seltsamer ist, dass sie umgekehrt mich auch wie einen fliegenden Geist betrachten, der wohl abstürzte, sollte ihn ein irdisches Wesen ansprechen. Auf jeden Fall lassen sie mich fliegen.
Hinter mir liegt eine Zeit der Illusion. Jetzt, … jetzt brauche ich sie nicht mehr. Die eine Anna nicht und die andere auch nicht.
Ich schreibe, bis mir die Finger steif werden. Stunde um Stunde. Manchmal rasen meine Finger über die Tastatur, um Zeichen über den Bildschirm zu verstreuen und gleich wieder zu löschen. Aber immer sind nur die etwa 75 Kilogramm Fleisch- und Knochenmasse im Raum, denen es nach Abendbrot gelüstet, nach Frühstück und Mittagessen mit Frau und Kindern. Ein masseloses Stück von mir dagegen saust Tausende Kilometer um die Erde.
Zum ersten Mal seit langem zufrieden mit meiner Unzufriedenheit lese ich einen Text zum vierunddreißigsten Mal. Ich wache auf aus einem Zustand, den ich nun freiwillig krank genannt hätte. Nein, erreichen will ich andere Menschen noch immer, aufrütteln und mit meinen Mitteln sogar verändern. Aber nicht mehr so banal platt. Michael und seine Nastjenka sind ein Anfang. Kaum ist die Geschichte geschrieben, gehetzt von einer riesigen Traurigkeit um eine verlorene Idee, da sehe ich schon die nächste Überschrift vor mir.
Ich mache es mir erschöpft auf meinem Sessel bequem. Nun ist die richtige Zeit, über all das, was mir im Kampf um Anna Roth begegnet ist, nachzudenken. Sicher sollte ich jedem einzelnen in meiner Familie etwas Nettes sagen. Das wohl zuerst. Nur schade, dass ich – wie immer in solchen Augenblicken – allein zu Hause sitze. Aber so bleibt mir Zeit, mir für jeden die passenden Worte zurechtzulegen. Danny sieht mich sowieso schon immer misstrauischer an.
Irgendwann fällt meine Stirn auf den linken Unterarm. Er ist warm und weich. Hinter meine geschlossenen Augen schiebt sich die Gestalt eines Mannes in Uniform. Ich höre mich selbst sprechen „Hallo, Sam!“ Der Mann sieht mich traurig an. Leise sagt er: „Schön, dass du mich durchschaut hast wegen die Sache mit die Augen. Bin ich doch schlecht nicht, dass ich das gemacht habe mit die Mädchen. Du sagen nicht einfach, ich seien Mörder. Du kämpfen für Krieg und so besser.“ Während ich mich nun mit einem kleinen Mädchen im Schwanenseeballett tanzen sehe, fällt mir auf, dass der Amerikaner zwar gebrochen, aber eben deutsch gesprochen hat. Vergesse es sofort wieder. Ich reiße das Mädchen an mich. Ihr Kopf prallt gegen meinen Arm. Ich sage nicht „Au!“, ich wache auf. Sehe mich bedächtig um. „Das ist es! Ich allein bin Anna Roth!“ Nur die Vorstellung, mit welchen entgeisterten Gesichtern sie diese Bemerkung aufnehmen würden, bremst mich, es sofort allen Familienmitgliedern entgegenzuschleudern. Die würden es sowieso bald erfahren.
Das Büro ist erfüllt vom Duft einer Anna Roth, an den sich ansonsten wohl selbst mein Schlafzimmer nicht mehr erinnert. Wenn ich meinen Augen freien Lauf lasse, dann zeichnen sie auf den Monitor ein Gesicht. Eine kleine Cyber-Anna, die wie eine Libelle flatternd lächelt. Warum nur lächelt sie? Eine Libelle … lächelt?
Ich drücke den Rücken durch. Tim kommt gleich. Natürlich riecht es im Büro nach nichts Anderem als Akten und Büchern. Natürlich ist der Monitor grau.

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