Montag, 3. Juni 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1757



Anna Roth: Eine Kleiderfrage (5)


... In ihrer Stimme musste etwas Ungewöhnliches gelegen haben. Mark antwortete jedenfalls nicht mit seinem sonst üblichen Das-mache-ich-doch-immer-Schatz, sondern er nickte erwartungsvoll wortlos.
"Komm mit in mein Zimmer!"
Mark folgte ihr und er stand da wie eine griechische Statue, nachdem er sich, wie gefordert, nackt ausgezogen und in die Mitte des Raumes gestellt hatte.
"Und jetzt mach die Augen zu - und ja nicht aufmachen, bevor ich es dir elaube!"
Nein, eigentlich sah e doch recht männlich aus. Sein Max zeigte sich gerührt von dem erahnten Interesse. Als ob er mühsam gegen das ungewohnte Gewicht der ersten reifen Früchte ankämpfte, konnte sich der dicke Trieb am Baum nicht entscheiden, ob er gestreckt in die Ferne oder gedemütigt auf den Boden deuten sollte. Immerhin, überlegte Lina, ist er länger als meine ausgestreckte Handund dicker als die zusammengepressten Finger einschließlich Daumen.
Dann öffnete sie die Tür des Kleiderschranks. Ihre Hand streifte an den alten Kleidern entlang, und wie durch einen Magneten angezogen blieb sie bei dem Sommerkleid aus der Schwangerschaft hängen. Es fasste sich irgendwie ganz zärtlich an, knisterte geheimnisvoll und der violette Stoff schien im Halbdunkel zu leuchten. Genau. In das würde er hineinpassen.
"Blinzeln is nich!"
Lina raffte das Kleid, stieg auf einen Stuhl, stülpte das Kleidungsstück über ihren Ehemann und trat zurück. Das konnte nicht wahr sein! Wer stand da vor ihr? Lina spürte nur, dass sie sich aus der Masse der sie bedrängenden Gefühle für keines richtig entscheiden konnte. Dass Mark weiter gehorchte, die Augen nicht geöffnet hatte, legte den Schluss nahe, dass er seine Situation genoss, sich in einem Traum glaubte, aus dem er nicht aufwachen wollte. Oder redete sie sich das ein? Sie war ja auch nicht ganz alltäglich in ihrem Einfall: Sie wollte eine Frau lieben, die aussah wie Mark, und deren Kitzler entschieden monströs geraten war.
"Nicht gucken!"
...
...

Kann man es Petra Namyslo verdenken, wenn sie ihr lyrisches Ich einräumen lässt, mitunter "Des Kämpfens müde" zu sein? Schließlich zwingen die Umstände jeden gelegentlich zum Lauf über den "Verstandsbasar (1)". Vorsorglich drohe ich schon an, dass ich noch weitere "Spiele" mit diesem Titel-Bild treiben werde ...

»Wir öffnen die Türen, / wir schließen die Türen, / wir gehen durch die Türen, und am Ende dieser Reise keine Stadt, kein Hafen, // der Zug entgleist, / das Schiff versinkt, / das Flugzeug stürzt ab./ In Eis graviert ist die Karte, auf Vogelschwingen die Zeit. Hätte ich die Wahl, / diese Reise neu oder nicht zu beginnen, / ich begänne sie noch einmal.«
»In der Fremde zu sein, ist schwierig, ein schwieriges Handwerk … Das blutigste aller Handwerke ist es, Dichter zu sein, / um hinter das Geheimnis aller Geheimnisse zu kommen, / mußt du von deinem Herz essen und essen lassen.«
»Nachrichten von den Menschen, der Welt, der Heimat, / Nachrichten vom Baum, Vogel und Wolf/ brachte ich in der Morgendämmerung oder um Mitternacht/ den Menschen in der Tasche meines Herzens …«
»1957, 17. Januar: Die Kälte ist sonnig und hellrosa, / himmelblau ist die Kälte./ Es ist Schlag neun …/ In dieser Minute, dieser Sekunde wurde noch kein einziges Mal gelogen in Prag./ In dieser Minute, dieser Sekunde gebaren die Frauen ohne Schmerz, / und durch keine Straße fuhr der Leichenwagen./ In dieser Minute, dieser Sekunde/ stiegen alle Kurven, ausgenommen die der Kranken./ In dieser Minute, dieser Sekunde/ waren alle Frauen schön, alle Männer klug und die Mannequins ohne Trauer. (…) In dieser Minute, dieser Sekunde/ hast du mich geliebt, meine Liebe, wie du niemanden zu irgendeiner Zeit geliebt hast …«

Brüderlichkeit, der lächelnde Ton, die furchtlose Naivität waren sein Widerstand gegen den Tod.
Nazim Hikmet.
Ich verneige mich.


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