Montag, 4. November 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1900

.Es ist tatsächlich so: Die zu beachtenden Neuerscheinungen kommen diesmal so dicht aufeinander, dass sie sich hoffentlich nicht gegenseitig "das Licht nehmen". Immerhin kommen sie aber allesamt rechtzeitig fürs Weihnachtsgeschäft:

Abea (1)

Möchte ich in fremden Gehirnen lesen können, vor allem jetzt in seinem –
wo ich sowieso schon zu viel weiß? Für meinen Beruf wäre es von Vorteil.
In diesem Fall aber … Nein, wahrscheinlich möchte ich es nicht.
Ich leite den Mann zu dem Platz, an den er sich in den Sitzungen
gewöhnt hat. Ich ahne, was wirklich war, aber ich sträube mich
gegen die Wahrheit. Wie er.
Er hatte sich freiwillig gemeldet. Sondereinsatz, Sonderprämie.
Sie übertrugen die Erfahrungen ihrer überlegenen Demokratie
auf das Land dieses Diktators. Klar wurde auf sie geschossen,
mussten sie für Ordnung sorgen, Waffen einsetzen, mit Splittern
und Strahlen alle potentiellen Mörder und Terroristen für immer
handlungsunfähig machen. Diesmal war er dran, im Schutzanzug
die Haufen zusammenzukarren, damit sie umweltverträglich
entsorgt würden.
Da entdeckte er sie.
Es war eigentlich unmöglich. Die eingesetzten Befriedungsmittel
durften kein Leben zurücklassen, menschliches schon gar nicht.
Doch ihre Augen sahen ihn an. Sie waren groß und wunderschön.
Dunkelbraun, fast schwarz wie die feuchte, fruchtbare Krume
seiner Heimat, frisch durchgegrubbert nach der Schneeschmelze
im März. Sie schienen zu sagen, ich habe dich lieb, du Gespenst.
Ich will dich retten. Hatte er das gelesen? Von diesem Gespenst
von Canterville? War er das Gespenst, das gerettet werden musste?
Wieso sollte er gerettet ...
Er achtete nicht auf die anderen ringsum. Sah nur dieses Mädchen.
Zog es aus dem Berg von Schutt und Körpern hervor. Es war verschwitzt.
Eine kleine Schramme an der linken Schläfe wurde vom sandsatten
schwarzen Kraushaar halb verdeckt, ansonsten aber schien es unverletzt.
Das Kleid oder wie man dieses Kleidungsstück nennen mochte, Burnus
oder so, war gleichfalls an der linken Schulter zerrissen, so weit,
dass es eine bubenhafte Brustwarze hervorschauen ließ. Das Mädchen
hatte nicht die Kraft, die Blöße zu bedecken. Leben war nur noch in seinen
Augen.
Für einen Moment wollte er das Kind zum Rest stoßen. So verstrahlt,
wie es war, würde es sowieso bald sterben. Ein Gnadenschuss würde es
vor Qualen bewahren. Aber da war immer noch dieser Blick, diese Augen.
Was für ein Unsinn! Was dachte er ausgerechnet jetzt an Samantha, die
so gern ein Kind gehabt hätte? Ein unbegreiflicher Reflex bewegte seinen
Mund: „Wie heißt du, Mädchen?“

Er dachte sofort: Sam, bist du blöd! Sie kann dich nicht verstehen.
Du müsstest durch deinen Anzug viel lauter sprechen. Und selbst dann –
woher sollte dieses Mädchen deine Sprache kennen?
Da hörte er Laute aus ihrem Mund: „Heißt du Mädchen Abea.“

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Die morgigen "Gedichte des Tages" haben dagegen nichts mit dem Weihnachtsgeschäft zu tun:

Ich gebe es zu: Dichten wie Uschi Gressmann kann ich nicht. Bei mir kommt dabei beispielsweise so etwas heraus: "Inselherbst".
Sebastian Deya ist sich auch treu. Sein "nimm es!" nimmt uns mit in seine Welt - ein Mensch.

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