Samstag, 16. November 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1912

.Es war ja versprochen worden: Wenn zwei Sammlungen mit Geschichten nebeneinander erzählt werden sollen, dann muss gelegentlich von der einen zur anderen gesprungen werden. Nun  also wieder ein Text aus

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Thomas Staufenbiel

Lange Ohren im Hausflur (1)

Ein Kaninchen, staunen wir. Ein Hase, berichtigt uns Lisa. Wo ist der Unterschied, wollen wir wissen. Es ist ein Hase, beharrt Lisa. Die Antwort genügt uns nicht, doch wir kommen nicht weiter. Gut, denken wir, dann ist es ein Hase. Wir wollen uns nicht mit Lisa streiten und sie hat sich doch so viel Mühe gegeben. Und trotzdem, ein Hase hat doch längere Ohren.
Lisa ist unsere kleine Künstlerin. Wo sie geht und steht, zückt sie ein paar Stückchen Kreide aus dem Täschchen an ihrem Kleid und malt die lustigsten Dinge. Mal ist es eine Sonne, die sie auf einen großen Stein kritzelt, mal eine Blume. Auch die zerschossenen Wände der alten Abrisshäuser sind bunt verziert mit allerlei Sachen aus der Pflanzen- und Tierwelt. Lisa malt, was ihr in den Sinn kommt. Meinen Bruder Oliver, den sie nicht aus den Augen lässt, für den sie sich verantwortlich fühlt, setzt sie auf einen Stein, damit er ihr zuschauen kann. Oliver, der Jüngste von uns, ist begeistert und erzählt seinem braunen Teddybären Geschichten zu Lisas Kunstwerken.
Hans und ich spielen in der Zeit Verstecken. Wir laufen durch die Abrisshäuser, klettern auf Mauern und kriechen durch Kellerluken. Alles ist verwildert. Manchmal finden wir noch Dinge aus einer anderen Welt. Da steht eine Nähmaschine. Wunderlich sieht sie aus – kaputt, das ist klar – ein großes Handrad an der Seite, aufgeschraubt auf einen Tisch, darunter ein Fußpedal. Sie funktioniert nicht mehr, ist völlig verrostet. Mutter hat auch eine Nähmaschine, weiß ich. Man muss nur den Strom anschließen, den Schalter drücken und schon surrt sie ihr lustiges Lied. Die hier – wir suchen das Stromkabel – hat wohl anders funktioniert.
Wir laufen die Treppen hinauf und hinunter, stutzen. Auf halber Höhe zwischen den Etagen, eine Tür. Vorsichtig öffnen wir den Verschlag und staunen über das, was wir hier finden. Die Toilette, nicht in der Wohnung, eine halbe Treppe tiefer. Wir stellen uns vor, wie Vater morgens aufsteht, sich das Handtuch über die Schultern wirft, die Zeitung greift – wir müssen schon früh zum Briefkasten laufen, damit er seine Morgenlektüre genießen kann – und fröhlich die Wohnungstür öffnet, um eine halbe Treppe tiefer zur Toilette zu gehen. Wir lachen.

An solchen Tagen gibt es keinen Ärger, doch heute ist das anders. Ein Hase also. In unserem Haus. Wir betrachten das Tier, stellen uns mal rechts, mal links neben die Tür und finden, Lisa hat sich alle Mühe gegeben. Trotzdem ist uns nicht so recht wohl bei der Sache. Im Hausflur ist es dunkel und so hoffen wir, dass der Hase nicht gleich entdeckt wird. ...

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"Gedichte des Tages" gibt es auch:

Ich habe das ungute Gefühl, das Gedicht ".den moment zu retten." von Sebastian Deya und das "Testgedicht" "Gleiche Worte" von Slov ant Gali haben als Gemeinsamkeit, dass sie an einen sie Vortragende hohe Anforderungen stellen, sie stark "wirken" zu lassen. Aber vielleicht kann man sich einen solchen Vortrag auch beim Lesen vorstellen?! 



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