Freitag, 1. November 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1897

.Thomas Staufenbiel hat ein Handicap, für das er nicht kann: Er ist dem Brandenburgischen Schriftstellerverband nicht verbunden. Wäre er das, dann hätte er seine Geschichte zur nächsten Anthologie "Kindheit" einreichen können. So ist sie hier mit eingegangen:


Thomas Staufenbiel

Zeter und Mordio
(2)
Noch immer dringt die hohe Stimme der Buschkühl zu uns. Wir spitzen die Ohren und lauschen. Langsam sind wir neugierig geworden, drücken uns im Halbschatten des Flures an die Wände, sind mucksmäuschenstill. Lisa hält sich die Hände vor die Augen. Wir finden das albern, denn immerhin ist sie schon fünf Jahre alt, glaubt aber noch, auf diese Weise kann sie niemand sehen. So sind die Mädchen, denken wir Jungs und sehen sie trotzdem. Im Flur hallt und schallt es, Worte schwirren uns um die Köpfe, prallen links und rechts an den Wänden ab, werden zu Wortkanonenkugeln. Wir müssen uns ducken, es hilft nichts, die Wortgeschwader treffen uns trotzdem. Verstehen können wir sie nicht. Auf ihrem Weg von oben haben sie sich so oft an den Wänden gebrochen, dass sie uns nur noch verzerrt erreichen. Ganz leise mischt sich ein anderes Geräusch zwischen die Wortkrüppel. Fast wie ein Plätschern hört es sich an. Wir stutzen. Ja, da ist es schon wieder. Wie gebannt hocken wir im schattigen Hauseingang, gleich neben der hölzernen Treppe mit ihren abgetretenen Stufen.
Oliver hatte heute einen traurigen Tag. Der Kleine ist ganz geknickt und auch wir sind nicht so lebhaft wie sonst, trauern wir doch gemeinsam mit ihm. Pfiffi, der gelbe Wellensittich, Olivers Haustier seit ewigen Zeiten, lag heute Morgen auf dem Boden seines Käfigs und regte sich kein Stück mehr. Gut, denken wir, er war nicht mehr der Jüngste - der Wellensittich natürlich, Oliver ist erst vier Jahre alt - aber es hätte noch nicht heute sein müssen. Hans machte den Vorschlag, ihn zu begraben, doch der Kleine hörte gar nicht hin. Er schien eher wütend zu sein auf den doofen Vogel, der ihn einfach so allein gelassen hatte. Und während Hans, Lisa und ich hier unten im Hausflur beratschlagten, wie wir dem Pfiffi eine ordentliche Beerdigung bereiten konnten, war Oliver noch oben geblieben. Später kam er traurig zu uns herunter. Kurz darauf begann der Lärm im Haus.
In der Zweiten, gleich unter der Buschkühl, wohnen die Zentners. Wir sehen sie kaum, fragen uns oft, ob sie vielleicht verreist sind, und malen uns die farbigsten Erlebnisse aus. Zentner auf einem Elefanten mitten in Indien, seine Frau streichelt einen Löwen - nein nicht im Zoo, da ist so etwas verboten - in Afrika. Der leckt ihre Wange ab und sie schauen gemeinsam in den Sonnenuntergang. Wir müssen lachen. Ein Löwe und Frau Zentner, das gibt es nur in Kinderbüchern. Wir sind dafür schon zu alt. Vater erzählt, die beiden arbeiten im Schichtdienst, am Tag schlafen sie und nachts müssen sie in irgendeiner Fabrik schuften. Wir dürfen nachts schlafen und träumen von den schönsten Dingen und manchmal auch von unserem Kellerversteck. ...

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Und die morgigen "Gedichte des Tages"? Ja, die erinnern an ein Gedicht aus der "Liebe m.b.H.":

Mitunter sind Entdeckungen über seltsame Wege möglich geworden. Das gilt nicht nur für den berüchtigten Kolumbus und seine vermutete Entdeckung des westwärtigen Seewegs nach Indien. Auch mir ist bei "Hinter jedem Horizont" so etwas passiert: Die Überschrift des zweiten Gedichts stand so dicht daran, dass eine Testleserin meinte, es gehörte dazu und es müsse nur besser angebunden werden. Nunmehr kann man das Ergebnis begutachten.
Gunda Jaron dagegen hat ein wunderbares Eigentor-Gedicht im Kampf gegen alles Siehste-Leser geschrieben, die meinen, ein Ich im Gedicht müsse doch das Autoren-Ich sein. Sie behauptet in ihrem "Gut getarnt" genau eine solche Konstellation ... Als Eröffnung für die "Liebe m.b.H." - aber die Autoren beteuern, einfach zu jung zu sein, um alle lyrischen Ichs im Buch je gewesen sein zu können ...
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