Ein zweites Trauergedicht von Gunda Jaron - "Weg ohne Wiederkehr". Bei diesem erlaube ich mir eine Meinung: Es ist eines der beeindruckendsten Gedichte, die mir begegnet sind. Der Vater ist zu bemeiden, der mit einem solchen Gedicht verabschiedet wird ... wenn er es denn hören könnte ...
Ich kann da nur vergleichsweise leichtere Kost dagegenhalten, ein Gedicht, dass sich auf eigene Weise mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" beschäftigt und seine Erstveröffentlichung im unglücklichen Lyrikband "worträume" erlebt hat: "Die Hu und die Fu"
Weiter mit der Romanidee:
Slov ant Gali: Der Planet der 1000 Inseln (9)
„Du hast so viele
Haare.“
„Aber die anderen haben
doch auch so viele Haare. Die sind nur ein klein bisschen heller.“
„Aber nicht überall
...“
Immerhin konnte ich auf
diese Weise gut die Tiergesten erklären, die Mahay ja sicher
bemerkt, aber offenbar noch nicht verstanden hatte.
Ein verrückter
Nachmittag. Wäre mein Vater auf die Idee gekommen, bei uns
reinzuschauen, er hätte leise die Tür wieder geschlossen und sich
in der Vermutung meine überraschenden Frühreife bestätigt gefühlt.
Er hätte mich über die auf meiner Matratze ausgestreckt auf dem
Bauch liegende nackte Mahay gebeugt gesehen und vielleicht meine
Hände an ihr. Er hätte sich sicher nicht die Zeit genommen, um zu
erfassen, was ich da tat. Mahays Haut war von dichtem Kräuselhaar
großflächig überzogen. So, wie ich versuchte, meine Männlichkeit
zu pflegen, indem ich mich – seit langem schon, also schon seit
Zeiten, als dies nur Angabe war – rasierte, half ich Mahay nun,
ihre Haut freizulegen, damit sie aussah wie die der Mani hier. Das
sei ein offensichtlicher Unterschied zu den Mani ihrer Insel, wo es
Mahays Aussage nach normal sei, ein solches „Fell“ zu haben.
„Vielleicht verträgt deine Haut deshalb auch unsere Chemikalien
nicht ...“
Das Mädchen verwirrte
und beeindruckte mich immer wieder neu. Aber was sollte ich mit ihr
machen? Sie zeigte überhaupt keine Verlegenheit, wenn ich ihren
intimsten Stellen nahekam. Ich war irgendwie … Wie soll ich das
sagen … Mochte das bei denen auf ihrer Insel noch so normal sein,
bei uns war es eben das Zeichen höchsten Vertrauens, etwas, was nur
für eng verbundene Frauen oder Männer denkbar war. Dazu kam meine
Scham wegen der Szene vor der Schule. Ich war eben nur ein Junge,
kein Mann. Mahay ging mit keinem Wort darauf ein. Mich aber
beschäftigte eine idiotische Frage: Musste ich in meiner besonderen
Rolle nicht derjenige sein, der ihr erklärte, dass sie sich zu
verhüllen hatte, also wenigstens Intimes? Wie sollte ich ihr
erklären, für wen das galt? Hätte ich ihr dann erklären müssen,
dass das nicht nur für meine Eltern, sondern auch für mich galt?
Oder hätte ich erklären müssen, dass das Einverständnis meiner
Eltern für ihren Einzug bei mir auf einem Missverständnis beruhte
und wäre es kein Missverständnis mehr, dann durfte zwischen uns
alles bleiben, wie es war, klärte es sich aber als Missverständnis
auf, dann musste sie sich ein anderes Zimmer suchen und jemanden
anderes, der sie rasierte … zum Beispiel? Dann aber hätte ich mich
völlig umsonst lächerlich gemacht.
Nach diesen verwirrenden
Gedanken vermied ich, alles Intime anzusprechen. Anstatt dessen
stellte ich lieber einen Plan auf, wann und wie wir feststellen
wollten, was sie alles von unseren Unterrichtsfächern nicht kannte
und überhaupt von unserem Leben. Dabei wurde mir zumindest eines
klar: Ich brauchte mir keine Arbeitsgruppenleitung mehr durch den
Kopf gehen lassen. Unser Plan würde das ganze Schuljahr ausfüllen,
wenn wir den umsetzen wollten. Und meine Bewerbung um ein Quali-Jahr
würde ich wohl zurückziehen müssen. Gut, ich konnte mir
wahrscheinlich Zeit lassen, ich war noch zu jung, und dann war ja
immer noch eine Frage, ob ich etwas zugewiesen bekäme, bei denen
meine Eltern ihr Veto einlegen konnten, aber Mahay war wahrscheinlich
eine viel wichtigere Aufgabe als alle großen Abenteuer dieser Welt.
So dachte ich und zögerte, ob es nicht besser wäre, wenn sie nichts
von meiner Meldung und der Abmeldung ihretwegen erführe. Ich konnte
mich einfach nicht entscheiden. Vielleicht erklärte ich es ihr
später. Sie verstand ja bestimmt nicht, was es mit dem Quali-Jahr
auf sich hatte. Ich war nie sonderlich beliebt in der Klasse. Wenn
ich mal von Tino absehe, hatte es keinen Mani gegeben, für den es
einen Unterschied gemacht hätte, ob ich nun da war oder nicht. Erst
Mahay brauchte mich. Wirklich mich. Ich war wichtig für sie. Doch
beim Einschlafen packte mich eine böse Angst: Wie lange wäre
ausgerechnet ich es noch, den sie brauchte? Die Blamage in der
Turnhalle hatte meine Zeit nur verlängert. Im Moment würde ihr
niemand anderes näher kommen wollen. Und es war doch wirklich ein
nicht vorhersehbarer Zufall gewesen. Irgendeines der Mädchen
trödelte sonst doch immer und die hätte dann auch Mahay gezeigt,
wie sie zu ihrer Sportkleidung kam. Ach, Mahay! Sie war doch ein so
liebes Mädchen. Früher oder später mussten das auch andere
bemerken. Und mit meinem Tun musste ich dazu beitragen, dass es
andere bemerkten. Danach wäre ich viel schlimmer allein als je
zuvor. Ich richtete mich auf meiner Matratze auf. Im Dämmerlicht
meiner Sternenzimmerdecke konnte ich Mahay erkennen. Sie schlief.
Atmete ganz ruhig. Was war ich nur für ein egoistischer Mani. Am
liebsten wäre ich aufgesprungen, hätte dem Mädchen über die Wange
gestrichen und mich für meine Gedanken entschuldigt. Damit hätte
ich sie aber geweckt. Das kam natürlich nicht in Frage. Also warf
ich mich auf die Matratze und wartete auf den Schlaf.
...
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