Sonntag, 3. November 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1899

Bevor ein Überblick über den nächsten Erzählungsband folgt, noch ein Stück aus



Thomas Staufenbiel

Zeter und Mordio

(4)
Und wo wir nun unten im Hausflur stehen, das nahende Wasser unsere Zehen zu kitzeln beginnt, einzelne kleine Bäche sich bereits auf den Weg in den Keller machen und wir nur hoffen, dass sie auf ihrem Weg durch dunkle Gänge nicht unsere geheimsten Verstecke finden werden, da schauen wir alle zu Oliver. Der steht, mit gesenktem Kopf, wie ein Häufchen Elend vor uns. Was hat er? Weiß er etwas, das uns bisher verborgen blieb? Und Oliver, mein kleiner Bruder, als ob es noch nicht genug Wasser geben würde, beginnt zu weinen. Wir schauen ihn an. Ein Schluchzen, das uns auch traurig macht. Fast fangen wir mit ihm an zu weinen, doch da wir nicht wissen warum, schauen wir uns alle ratlos an. Oliver versucht uns etwas zu sagen. Wir verstehen nur einzelne Brocken. Hans ist der Erste, der sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlägt. Jetzt haben wir es auch begriffen. Oh, welch ein Unglück – und Oliver mittendrin. Der Kleine konnte ja nicht wissen, dass tote Vögel den Abfluss verstopfen und aus unerfindlichen Gründen die Toilettenspülung in diesem uralten Haus nicht mehr aufhören will, ihr klares kaltes Wasser über den Kadaver zu ergießen.
Wir rennen. Nur raus aus diesem Haus. Nicht in den Keller, der sicher bald halb voll Wasser stehen wird. Im Laufen hören wir Herrn Schönbaum nach oben rufen, dass er den Hauptwasserhahn zudrehen wird. Der befindet sich, wir wissen es genau, unter unserem Tisch. Fort, nur fort wollen wir, von alten Häusern, runzligen Damen und toten Vögeln. Und wie wir so rennen, vergehen die Jahre wie im Flug. Wir werden im Laufen größer und älter, tragen plötzlich Aktentaschen und runde Brillen. Oliver krempelt im Laufen die Ärmel hoch und betrachtet verblüfft seine Rolex.
Wir bleiben irgendwann völlig außer Atem stehen, schauen uns an, erinnern uns an längst vergangene Zeiten, beschwö-ren unsere Kindheit ans Licht des jungen Tages.
Die Aufregung war damals so groß, dass unser Kellerversteck mit seinem Tisch zwar entdeckt, aber nicht als solches erkannt wurde. Hausmeister Schönbaum kroch, noch lange bevor das Wasser in den Keller laufen konnte, unter unseren Tisch und drehte den Hauptwasserhahn ab. Selbst als er ihn am Abend wieder aufdrehte, sah er nichts als Gerümpel. Vielleicht hatte er keine Fantasie, unser Hausmeister, vielleicht war er auch zu sehr mit seinen Gedanken bei den vielen Schäden, die das Wasser im Haus angerichtet hatte. Aber wer konnte Oliver einen Vorwurf machen? Der dumme Vogel hatte ihn einfach allein gelassen, das konnte ihm der Kleine nicht verzeihen.
Wir halfen natürlich alle beim großen Aufräumen im Haus. Mit der Zeit stapelte sich auch noch das eine oder andere alte Gerümpel in der Dunkelheit der hintersten Kellerecke, doch nie hat jemand die vier Kinder des Hauses weit hinter den Hemdsgespenstern, der alten Kuckucksuhr, den Lumpen-säcken und dem Stuhl vermutet. Und doch saßen wir dort unter jenem Tisch. Das ist bis heute unser Geheimnis.

***.

Die Gedichte des Tages dazu sind diesmal nur ganz neue im Test:

Sebastian Deya zweifelt in 

enigma (2 – tyrannosaurus ex)


 an der Evolution ... dabei wollte ich mir eigentlich nicht einmal "badegedanken" machen ...

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1 Kommentar:

  1. Das führt beides zum meinem Gedicht. Außerdem: Ich zweifle keinesfalls an der Evolution! Nur an der menschlichen Entwicklung. Und am Darwinismus bzw. der These "Survival of the fittest"!

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