:
Thomas Staufenbiel
Lange Ohren im Hausflur (2)
... Bis
dahin sind wir bestimmt über alle Berge. Nur einen Nachteil hat das
Ganze schon. Irgendwann bekommen wir Hunger, die Mütter werden sich
Sorgen machen und die Väter vielleicht die Polizei rufen, um uns zu
suchen. Und dann haben sie bestimmt auch den Hasen schon gefunden und
alles wird noch viel schlimmer.
Wir
müssen die Tür offen lassen, meint Hans. Das Hasengekritzel ist
innen, dann wird es keiner sehen. Ich werde nichts verraten. Lisa ist
ein wenig traurig, dass Hans ihr schönes Bild als Gekritzel
bezeichnet. Aber sie merkt, dass auch er nur helfen will, den Ärger
fernzuhalten. Hans' Vater, der Hausmeister Schönbaum, würde uns
Beine machen, soviel steht fest. Also öffnen wir die Tür und stehen
plötzlich im hellen Licht der Nachmittagssonne und uns gegenüber
Lisas Mutter, Frau Geisbier. Wir fühlen uns ertappt und stammeln ein
Guten Tag. Frau Geisbier freut sich über uns, wie aufmerksam wir
doch sind und ihr die Tür aufhalten. Uns schlägt das Herz bis zum
Hals, Lisa kann ihre Mutter gar nicht anschauen und läuft an ihr
vorbei aus dem Haus. Hans hat die Lage sofort unter Kontrolle und
hilft, die schweren Einkäufe in die Wohnung zu tragen. Ich bleibe an
der Tür stehen und achte darauf, dass niemand etwas von dem Gemälde
zu sehen bekommt.
Da
läuft Oliver hinter Frau Geisbier hinterher und zupft ihr am Ärmel.
Wir haben jetzt einen Hasen, ruft er freudig aus. Ich sehe nur, wie
Hans beinahe vor Schreck den Einkaufsbeutel fallen lässt. Einen
Hasen, antwortet Lisas Mutter, aha. Wo ist der denn? Doch da bin ich
schon wie der Sausewind die Treppe hinaufgelaufen, habe Oliver am
Ärmel gepackt und geschimpft, er solle nicht immer solche
Geschichten erzählen. Frau Geisbier lacht und Oliver heult los wie
ein Schlosshund bei Vollmond.
Heute
muss ich lächeln, wenn ich an den kleinen Oliver denke. Der ist
inzwischen mit allen Wassern gewaschen und lässt sich nicht mehr so
leicht unterkriegen. Weit hat er es gebracht in den letzten drei
Jahrzehnten. Und Lisa, unsere kleine Künstlerin, hat ihr Hobby zum
Beruf gemacht, ist glücklich, hat selbst längst Kinder. Aber den
Oliver hat sie trotzdem niemals wirklich aus den Augen verloren, ist
auch heute noch wie eine große Schwester zu ihm. Wenn er Probleme
hat, kommt er nicht etwa erst zu mir, seinem Bruder, weit gefehlt, er
ruft Lisa an. Die weiß, was zu tun ist. Aber ich schweife vom Thema
ab, kehren wir zurück in die Siebziger:
Olivers
Weinen lockt auch Lisa wieder herbei. Alle vier versammeln wir uns
ratlos an der Haustür. Vielleicht sieht ja keiner den Hasen, meint
Lisa, hier ist es doch so dunkel im Hausflur. Hans versteht die Welt
nicht mehr: Du hast ihn gemalt, wisch alles ab, dann sieht ihn auch
keiner. Lisa will nicht. Es ist ein schöner Hase, er soll bleiben.
Da wir nicht weiterwissen, lassen wir die Tür offen und ziehen uns
in unser Versteck in den hintersten Winkeln des Kellers zurück. ...
.
***
Es folgen die nächsten "Gedichte des Tages":
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Liebesgedichte? Was ist das?
Müssen das nur die Anschmachtereien sein?
Klar, in "Liebe m.b.H." gibt es solche UND solche. Hier kann ich allerdings ein Testgedicht aus der fortgeschrittenen Phase einer Beziehung vorstellen: "Familiendrama mit Frau, Mann, Liebhaber und Hund", weshalb ich ein Gedicht aus dem Buch mit einem ähnlichen Traurigkeitsfaktor ausgewählt habe: Gunda Jaron / Slov ant Gali: "Selbstüberschätzung" ...
..
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