Mittwoch, 25. April 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1370

Es war doch schon Tradition, dass hier ein Blick auf die Planung bevorstehender "Gedichte des Tages" geworfen wird. Dieser Tradition werden wir diesmal gerecht:


Wir sind hier natürlich offen für Experimente - und Ursula Gressmanns Beitrag "Annonce" ist wirklich ein Experiment. Sie hat Original-Kontaktanzeigen verarbeitet, bis durch das Ergebnis ... aber was da durchschimmert, sollte jeder für sich entscheiden ...
Gelegentlich muss ich auch einmal brav sein. Eigentlich wollte der Friedrichshainer Autorenkreis anlässlich seines 40jährigen Bestehens eine Anthologie mit Beiträgen aus allen Jahrzehnten zusammenstellen. Es sollten also auch frührere Aktive "reaktiviert" werden. Tja... aber wenigstens sollten die aktuellen Mitglieder z. B. einen Prosatext und bis zu 4 Gedichte von sich vorschlagen. Mein erster Vorschlag als Slov ant Gali wäre "vom königsfloh" ...


Bei einem begonnenen Romanmanuskript geht es nicht um Tradition. Da folgt einfach die nächste Fortsetzung auf die vorige:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (33)


... Obwohl ich mich sehr bemüht hatte, meine fremden Menschen umfassend zu beobachten, so erfasste ich nur ein sehr beschränktes Stück ihres Lebens. Sobald sie zum Beispiel zum Arbeiten auf die Felder zogen, bewegten sie sich meist außerhalb des Blickwinkels der Kameras. Außerdem hatte ich mir sowieso angewöhnt, dort wenig hinzuschauen – und sei es nur, weil die Dörfler zur selben Zeit arbeiteten wie ich – ich also unterwegs war, wenn bei denen die Feldarbeiten liefen. Dass es bei meiner Nischenstatistik Lücken gab, dass also einzelne erwachsene Bewohner mitunter für mehrere Tage überhaupt nicht in ihren Hütten gewesen waren, fiel mir erst später auf. Es gab einfach keinen Grund, darüber nachzudenken. Nachdem ich auf eine solche Idee gekommen war, sichtete ich die bis dahin vergangenen Tage im Schnelldurchlauf. Ich hätte ja auch jemanden einfach übersehen haben können. Schließlich stand aber fest, dass einige „meiner“ Menschen mehrere Tage nacheinander verschwanden, um dann wieder am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, ohne dass die anderen davon Notiz genommen hätten.
An diesem Morgen aber war alles anders. Ein Zug Erwachsener, wie ich feststellte sieben Männer und eine Frau, ordnete eine Reihe Kinder. Und es waren nicht irgendwelche Kinder; es waren die zehn ältesten. Meine A 14 war unter ihnen. Ich verstand noch immer nicht, wovon sie redeten, aber unverkennbar herrschte eine nicht alltägliche Stimmung. Einige Kinder waren viel stiller als sonst, andere total überdreht. Eine Mischung aus Angst und ... Irgendwie erinnerte mich das an uralte Einschulungsbilder. Zu meiner Kinderzeit kannten sich zwar die Erstklässler eigentlich alle schon von vorher, aber die Erwachsenen machten aus dem Neuen etwas so Besonderes, dass die Kinder früher oder später eine unterschiedlich starke Beklommenheit packte. Jetzt fängt ein neuer Lebensabschnitt an, jetzt wirst du bald erwachsen, jetzt ...
Nein, das traf es nicht. Diese Szene hier war ein Abschied. Alle Hüttenbewohner waren draußen, alle sagten etwas zu ihren Sprößlingen, alle ... Aber der Zug verließ schon nach wenigen Minuten jenen Bereich, in dem ihn eine meiner Kameras erfassen konnte.
Da geschah etwas völlig Neues und Wichtiges! Vielleicht klärte sich jetzt die Frage, warum es in der Siedlung keine Jugendlichen im mir vertrauten Sinn gab. Da musste ich hin! Ohne weiter nachzudenken stieg ich in den Gleiter und programmierte einen Kurs auf den nächstbesten Punkt, den der Zug passieren würde. Vorausgesetzt natürlich, er behielt die eingeschlagene Richtung bei.
Ich würde ihn in einem Versteck erwarten ...

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