Donnerstag, 27. September 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1527

Draußen gibt es Grund, elegisch zu werden - also folgt innerhalb der "Gedichte des Tages" wieder etwas Herbstliches. Immerhin gibt es diesmal etwas "Gemeinsames" zwischen einem der Gedichte und der Fortsetzungsgeschichte. Auch bei dem Prosaabschnitt geht es ums Baden, das nicht wie gewünscht verlaufen kann ...


Was mir an dem Gedicht "Ausgewaschen" von Thomas Reichgefällt, verrate ich nicht. Es wäre langweilig für den Leser, darauf mit der Nase gestoßen zu werden. Ich beschränke mich auf das, was mir nicht gefällt, und sage ein Wort: Selbstmitleid. Ein Glück, dass wir zwischen Autor und lyrischem Ich unterscheiden können ...
Selbstmitleid?! Na, da passt doch ein mit Schmunzelgrübchen überzogenes Herbstgedicht gut dazu, oder? Nennen wir es "Sandstrandelegie"

Slov ant Gali: Der lebende See (7)


... Aber Wroohn zog schon ihr Kleid über den Kopf. Was blieb mir übrig. Auch ich legte meinen Umhang ab, griff nach Wroohns Hand und schritt vorwärts. Das Wasser war warm, fast hätte ich „blutwarm“ gesagt. Es wurde schnell tiefer, erreichte Wroohns Kinn, Wroohns Nase, ihre Augen, ihre Stirn, ihre dünn-wirren, silbern glänzenden Haare. Schon war ihr Kopf unter der Oberfläche verschwunden. Bei diesem Tempo bliebe sie mindestens drei Minuten unter Wasser und ich wusste nicht, wie tief es noch werden würde. Ich packte meine Schla mit dem Arm, hob sie über die Wasserfläche, schritt weiter. Ich war nie ein sonderlich guter Schwimmer, doch mich an der Oberfläche halten und vorankommen, als ginge ich am Grund spazieren, war eine leichte Übung. Da machte Wroohns kleines Gewicht keinen Unterschied.
Inzwischen hatte ich den Eindruck, die Mitte erreicht zu haben. Bislang war ich noch an keinen einzigen Korb gestoßen. Das war mir genauso unerklärlich wie die Tatsache, dass alle Körbe sofort versunken waren, obwohl sie eigentlich hätten an der Oberfläche schwimmen müssen.
Wir waren dem anderen Ufer näher als dem, von dem wir gekommen waren. Plötzlich ein Schreck!Von wegen Körbe oder Faulgase! Mich umfassten plötzlich riesige, ich meine wirklich riesige Pranken. Vier Hände an Unterschenkeln und Brustkorb. Die Kraft eines unsichtbaren Monsters zog mich nach unten und mir war, als leckte eine Zunge an mir. Diese Zunge schien zwei Meter lang und mehr als einen halben Meter breit und an jedem Hautfetzen unter der Wasseroberfläche gleichzeitig zu sein. Es gab kein Vorwärts mehr. Aufgeben, einfach aufgeben, den Moment verkürzen. Aber Wroohn? Krampfhaft hielt ich sie so, dass ihr Kopf über Wasser blieb. Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen, wenn sie doch nicht schwimmen konnte. Noch immer die Zunge. Aber kein Maul! Stillstand. Atmen.
Ich hörte absolut nichts. Eigentlich unmöglich, dass die vielen Schla am Ufer … Oder hielten sie alle vor Entsetzen den Atem an?
Und dann hatte ich das Gefühl, die Riesenpranken rutschten an meinem Körper abwärts. Nein. Es war nur die eine. Eine andere hängte sich an den Arm, an dem Wroohn hing.
Alles nicht wahr. Ein solches Untier konnte es nicht geben. Wenn es wenigstens Wroohn in Ruhe gelassen hätte. Hätte die jetzt gezappelt, … ich hätte nichts tun können. Gemeinsam wären wir versunken. Doch sie vertraute meinem Arm. Und …
War das alles nur Einbildung? Krämpfe? Angst? Jedenfalls war da nichts, was an meiner Haut leckte, als das ungewöhnliche Wasser. Nichts zerrte an mir. Ein paar Hundepaddelbewegungen mit den Beinen, dann hatte ich Grund. Als mein Bauchnabel zum Vorschein kam, fiel mir ein, Wroohn abzusetzen. Aber loslassen, nein, loslassen würde ich sie nicht. Als ich bis zu den Knien aus dem Wasser war, erreichte mich der Gesang der Vorsteherin. Wir mögen durch den See zurückkommen. Wir kamen – ohne Zwischenfall. Kleideten einander an. Also wirklich ich Wroohn und – das muss ein Bild gewesen sein – Wroohn mich, indem sie an mir hochkletterte, um den Umhang über meinen Kopf zu bekommen.
Vom Rest der Feier bekam ich kaum etwas mit. Die ganze Zeit fragte ich mich, ob ich wirklich erlebt hatte, was ich meinte, erlebt zu haben, und wenn ja, was das gewesen sein konnte. Ein lebender See? Mir war er wie ein tötender See vorgekommen. Wahrscheinlicher schien mir, dass ich einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war. ...




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