Sonntag, 30. September 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1530

Zweifel sind nicht mehr angebracht: Morgen beginnt der Monat Oktober und das heißt, wir haben Herbst. Dem tragen auch die Gedichte des Tages Rechnung. Außerdem geht die Erzählung vom Planeten der Schla weiter ...

Schade an dem Gedicht ist, das "nervtötenden" nicht in der Wortmelofie bleibt. Ansonsten ist der heimatliche Menschen-Spiegel, den Petra Namyslo in "Infantil" lyrisch anbietet nämlich einen Platz im Kabinett menschlicher Verlorenheiten wert. (Ob die Beschriebenen sich wohl selbst erkennen?)
Na, dann setze ich eben ein Herbstgedicht daneben - schließlich ist gerade der 1. "Oktober" ...

Slov ant Gali: Der lebende See (10)


... Als ich erwachte, flog ein großes Bündel durch die Luft. Meine Finger verkrampften. Ich merkte, dass ich das schlafende Baby umfasst hielt. Ich erkannte Schla aus der Siedlung. Mein Blick fiel auf die Oberfläche des Sees. Ausgebreitete Arme, ein überdimensionaler Hinterkopf, ein aufgeblähtes Umhang-Kleid. Langsam taucht alles unter. Ein paar Blasen noch. Schwarze, glatte Oberfläche. Stille. Nur ich sehe mich entsetzt um. Ringsum Erwachsene meiner Siedlung mit Gesichtern, die Abschied nehmen, stumm, gefasst und irgendwie trotzdem glücklich.
Die Vorsteherin kam auf mich zu, Wroohn an ihrer Hand. Mit der Bestimmtheit der Verantwortung nahm sie mir das inzwischen quäkende Baby aus den Händen. Reichte es Wroohn. Meine Wroohn hielt es, wie ich es von stillenden Menschenfrauen kannte. Das Babymädchen suchte, fand ... da begann der Zug der Frauen. Eine jede schöpfte mit beiden Händen Wasser aus dem See, ließen Wroohn trinken und tropften Reste auf den Kopf des Baby-Mädchens. Obwohl ich es nicht wollte, starrte ich das Bild die ganze Zeit an. Über dreißig Frauen nacheinander wiederholten die Griffe der ersten.
Diese Nacht verbrachten wir alle am Ufer des Sees. Es geschah aber nichts mehr, was zu überliefern wert wäre. Die folgenden Tage und Nächte waren ein ständiges Hin und Her. Mal meinte ich, das müsste ich nicht verstehen, so sei das offenbar bei den Schla, mal stöhnte ich über das, was wohl auch die jungen Väter bei den Menschen durchmachten.
Vater sein. Für viele Tage versank alles Andere im Nebel der Unwirklichkeit. Doch zwischendurch, besonders, wenn ich ausnahmsweise nicht durch Babygebrüll aus dem Schlaf gerissen wurde, umschlich mich eine Ahnung von Grauen. Ich konnte einfach nicht sagen, schön, dass Olahoo lebt, egal, was es mit dem See auf sich hat, ich musste mich daran festhalten, dass der Augenblick kommen würde, da würde ich die Geheimnisse dieser Welt entschlüsselt haben …
Monate vergingen. Meine Beziehung zu Wroohn war durch Olahoo vielseitiger geworden. Wir teilten nun eine Aufgabe, mit der wir über die Grenzen unseres eigenen Lebens hinaus Verantwortung übernahmen. Das kleine Mädchen machte es uns leicht. Es war sehr ruhig, lächelte viel und ich war sehr stolz darauf, jedes Lächeln dieser winzigen Schla zu erkennen, ja, es auch vorsätzlich auslösen zu können. Überhaupt legte ich genau jenes Benehmen an den Tag, mit dem sich junge Eltern vor Nicht-Eltern mitunter lächerlich machen. Vor allem schien Olahoo zu spüren, wenn ihren Nur-gute-Freunde-Eltern nach dem Austausch von Zärtlichkeiten war. Sie schien sich ihre eigenen Bedürfnisse zu verkneifen, schlief entweder tief und fest oder gab zumindest keine störenden Geräusche von sich. Ich hätte nie geahnt, wie viele Zärtlichkeiten es gibt, die man austauschen kann, wenn man akzeptiert, dass eine ganz spezielle eben nicht geht.
Andererseits machte das Anderes so schwierig. Immer, wenn ich daran dachte, das Geheimnis des lebenden Sees lüften zu wollen, hatte ich das Gefühl, Wroohn zu hintergehen. Sie war so penetrant liebenswert in ihrer Art. Das Schlimme war, dass es für die Siedlung keine Herausforderungen gab. Die Nahrung war vielseitig, angenehm in unterschiedlichen Geschmäckern und leicht in der Gewinnung. Die Hütten, die ja eigentlich gar keine waren, erfüllten ihren einzigen Zweck, den Nachmittagsregen abzuhalten. Von leichtem Schutz für die Füße abgesehen gab es keinen Grund für irgendwelche Bekleidung. Höchstens war das Wedeln der lockeren Umhänge erfrischend für die Haut. Was sonst eventuell gebraucht wurde, fand sich im Umkreis von drei Kilometer Radius – insofern war die Entfernung zum lebenden See eine unerklärliche Ausnahme. Er schien tatsächlich verschiedene Heilkräfte zu enthalten. Wroohn hatte er zum Beispiel in eine Amme verwandelt. Einen See zum Baden gab es ja unmittelbar hinter der Siedlung – und dessen Wasser war wirklich klar, klarer ging es nicht. Er bildete das andere Ende der Welt der Schla. Wäre ich nicht im Dämmerzustand nach dem Absturz noch ein Stück gelaufen, hätten die mich nie gefunden. ...


  

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