Dienstag, 12. Juli 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1082

Zur Eröffnung eine besondere Lyrik:


 (A)
Und dann flüstert er, wie schön du bist,
so leise,
dass es nur ein unsichtbarer,
aus dem Nest gefallener,
um seine letzten Stunden wissender
Jungvogel,
den er dicht an sein Gesicht gehalten,
gehört, aber nicht verstanden hätte,
ihren Namen.
Die Angesprochene aber wendet sich angewidert ab:
Wie hässlich du bist!
Und sie ruft den Spottnamen,
mit dem die Kinder des Dorfes hinter ihm her laufen.
Er aber presst die Hände gegen die Ohren
und der unsichtbare kleine Vogel fällt
auf blumenlosen Asphalt.

(B)
Und dann sagt sie, wie schön du bist.
Er aber flüstert verwundert und so leise,
dass es nur ein unsichtbarer,
aus dem Nest gefallener,
um seine letzten Stunden wissender
Jungvogel,
den er dicht an sein Gesicht gehalten,
gehört, aber nicht verstanden hätte,
den ihren.
Und auf einmal beginnt sie schallend zu lachen,
bis ihr der Atem vergeht.
Sie rennt zurück zu ihren kichernden Freundinnen
und sie sind sich einig:
Ist der blöd!
Zwischen den Fingern des Jungen aber
quillt der unsichtbare Brei
eines zerquetschten Vogels hervor.


(C)
Und dann flüstert er, wie schön du bist,
so leise,
dass es nur ein unsichtbarer,
aus dem Nest gefallener,
um seine letzten Stunden wissender
Jungvogel,
den er dicht an sein Gesicht gehalten,
gehört, aber nicht verstanden hätte,
ihren Namen.
Sie aber sieht ihn an,
als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen.
Und der Spottname,
mit dem die Dorfkinder hinter ihm her liefen,
gleitet von seinen Zügen.
Für ihr Lächeln schenkt er ihr
den noch immer unsichtbaren Vogel.
Und kaum,
dass der ihren Handteller berührt,
fängt er zu fliegen an.
In seinem hellen Lied
werden zwei Menschen
für alle anderen
unsichtbar.


Dazu kommt einmal wieder ein "Testgedicht":"Im Blick" und
aus 2008: luftbild  bevor es mit der Prosa weitergeht:

Mit dem Toaster fing es an oder Die Kraft der linken Hand

2. Fortsetzung
Wochen vergingen. Ich lebte das Leben eines Heimarbeiters, fern von lästiger Nähe ungeliebter Menschen. Aber auch der einsamste Mensch muss gelegentlich etwas für seinen Selbsterhalt tun. Einkaufen gehen zum Beispiel. Ich hatte gerade einige Briefe geschrieben, und weil der Briefkasten einige hundert Meter weit entfernt war, nahm ich noch ein paar Beutel mit, um in der größeren, aber von mir weiter entfernten Kaufhalle einzukaufen. Ich rechnete nicht damit, ein bekanntes Gesicht zu sehen und schlenderte selbstvergessen durch die Regale. So wurde ich regelrecht aus dem Halbschlaf gerissen, als mein Einkaufswagen kurz vor der leeren Kasse von einem anderen gerammt wurde. Der Mann wollte sicher gerade „Könn´se nich aufpassen“ brüllen, da erkannten wir uns. Herr Krause aus der vierten Etage! Und schon hatte ich „Geh´n Sie schon!“ gesagt und ihn ans Band geschoben. Sonst bin ich ja nicht freundlich, wenn ich unaufmerksam bin. Diesmal aber … Aber die Krönung folgte erst. Herr Krause wartete nach dem Einpacken auf mich, lud meinen Einkauf in sein Auto und mich auf den Beifahrersitz und begann mir zu erklären, dass wir doch in einer verdammt unmenschlichen Gesellschaft lebten, wo jeder nur an sich selbst denke, und das könne nur dadurch verändert werden, dass keinem etwas gehört, womit er Profit erzielen könnte und dann auch würde. Es müsse eine neue Revolution her. Die sei reif und wenn wir endlich Kommunismus hätten …
An der Stelle musste er sich um die Schranke vor unserem Wohnblock kümmern. Wir trennten uns, und Herr Krause ließ mich mit Einkauf, Revolution und Kommunismus im Treppenhaus zurück. Zu DDR-Zeiten war ich zwar nie einem begegnet, aber Fernsehen und Presse hatten mir inzwischen klar gemacht, dass man damals an jeder Wohnungstür mit einem sogenannten Inoffiziellen Mitarbeiter der „Stasi“ hatte rechnen müssen, der einen zu staatsfeindlichen Äußerungen bewegen wollte, damit er etwas nach oben zu melden hatte. War ich jetzt erstmals einem solchen Exemplar begegnet – nur eben im Dienste der anderen Seite?
Ich entschied mich für Kopfschütteln. Bloß nicht jedes Wort überbewerten…
(Fortsetzung folgt)

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