Donnerstag, 21. Juli 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1091

wenn sich die stunden
des tristen tages
nicht zu reimen
formen wollen
lüg sie um
zur melodie
und singe sie

Lyrik hat den (zweifelhaften) Vorteil der verschiedenen Interpretierbarkeit. Der Autor kann also entweder versuchen, sein Gedicht "unmissverständlich" zu machen - damit raubt er ihm aber das kleine Stück Geheimnis, das jedes haben sollte - oder er tastet ab, ob sein Text nur Interpretationen nahelegt, mit denen er sich ausnahmslos anfreunden kann ... oder er zieht es wieder zurück.
Bei obigem gab es für mich anfangs eine Überraschung: Eigentlich sollte sich der Text auf die kleinen unschuldigen "Lügen" beziehen, mit denen man sich das Leben leichter macht. Aber dann kam einer, der darin den Mechanismus der Manipulation entdeckte, also die großen Lügen also. Doch siehe da: In beiden Interpretationen kann ich mein Gedicht "annehmen" ...
Übermorgen sind als "Gedichte des Tages" außerdem der  worträume 2.0 -Kandidat  "Singen auf der Kreuzung" und das aus 2008 ausgegrabene Gedicht des Tages  amerikanisches gottesurteil aktuell.

Für ein paar Tage steht nun das Prosaprogramm fest. Zu lesen gibt es die Fortsetzung von "Uljanas New Home", also jenes begonnene Romanprojekt, wie das Schicksal der vom "Planet der Pondos" entkommenen Jugendlichen weitergegangen sein könnte ...


1. Fortsetzung
Pondos oder Koom. Die Freundschaft zu Onja und warum sie so aussah, wie sie jetzt aussah. Ob Onja ahnte, woran ich gerade dachte? Bestimmt wollte sie auch nicht erinnert werden. Mein Blick fiel auf das Kästchen, das Onja um den Hals trug, den Translator. Hoffentlich erlöste der mich bald aus meiner Verlegenheit Und als hätte Onja meine Gedanken gelesen, sprudelte es aus ihr heraus – und danach aus dem Kasten: „Na, du hast uns aber einen Schreck eingejagt! Die anderen sind längst hoch. Bei dir ging die Anzeige immer wieder zurück, so als wolltest du ewig im Kälteschlaf bleiben und manchmal, als wolltest du gar nicht mehr ... Aber nun bist du ja wieder unter uns Lebenden.“
Ich versuchte ein Lächeln.
Und das ist toll, ja?“
Na, nun erzähl mal keinen Quatsch! Was sollten wir anfangen ohne dich!?“
Ich bin also wichtig?“
Und wie wichtig...“ Plötzlich erkannte Onja das Schmunzeln, das ich nicht mehr zurückhalten konnte. Bevor ich etwas dagegen tun konnte, hatte ich einen Boxhieb auf dem linken Oberarm eingefangen. „Musst du mich gleich schlagen? Du siehst doch, dass ich mich noch nicht wehren kann.“
Eben deshalb. Aber vielleicht willst du wissen, was inzwischen passiert ist.“
Plötzlich fühlte ich mich wieder schlaff wie ein Ball, in den man hinein gestochen hatte. Ich ließ mich zurückfallen auf die Unterlage, die ich einmal nicht ohne Grund für einen Sarg gehalten hatte. Einen Moment schloss ich die Augen. Wie schön, dachte ich, einfach an NICHTS denken zu können, dann öffnete ich die Augen wieder, funkelte die Gruppe an, „Was glotzt ihr denn wie beim plötzlichen Abkratzen?“, und wandte mich dann an Onja: „Na, ich hab meine Neugierde noch im Griff, aber du quillst doch über vor Mitteilungsdrang... Also erzähl schon!“
Also, dass du eingefrostet warst, brauch ich dir ja nicht zu erzählen, und dass es bei deinem Auftauen Merkwürdigkeiten gab, weißt du jetzt auch. Und du erinnerst dich bestimmt an die Kari?“
Ich muss ziemlich blöd geguckt haben.
Na, da hat es dich ja wirklich ganz schön erwischt! Also, diese denkenden Krabbelviecher, die ihr Ameisen genannt habt. Die haben doch den ganzen Flug im Griff gehabt. Wenn du willst, kannst du ihre Verabschiedung im Speicher abrufen. Egal, sie sind weg, als ihnen sicher schien, dass bei uns alles soweit in Ordnung sein würde. Wahrscheinlich haben sie längst ein Versteck gefunden, wo ihnen keiner auf die Nerven geht. Kann man ja irgendwie verstehen. Also klar. Wir sind sicher gelandet. Das Programm Besiedlung ist durchgelaufen. Nach Meinung des Computers haben wir hier einen Planeten vor uns mit günstigen Lebensbedingungen und ohne intelligente andere Lebensformen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssten.“
Veto! Die definierte Wahrscheinlichkeit beträgt 99,97 Prozent. Nur im Vorstellungsvermögen von Menschen ist dies eine zu vernachlässigende Abweichung.“
Dies hallte durch den Raum, als hätte ein uralter Blechmensch gegen Ölmangel angekämpft.
Was denn nun? Seit wann mischt sich der Computer in unsere Gespräche, wenn er nicht gefragt wird?“ Onja sprach nur aus, was auch den anderen durch den Kopf gegangen zu sein schien. Alle wirkten für einen Moment um fünf Zentimeter geschrumpft.
Programmerweiterung der Kari. Ich wurde beauftragt, auf Ungenauigkeiten in Situationsanalysen hinzuweisen, um fehlerhaften Schlussfolgerungen vorzubeugen.“
Oh Gott! Würdest du dich aber wenigstens aus Gesprächen unter Frauen raus halten?“ Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich lachen oder genervt sein sollte.
Weise auf signifikante Ungenauigkeiten der Aussage hin. Ad eins befinden sich 35 Prozent Personen männlichen Geschlechts im Raum. Ad zwei gibt es mehrere Definitionsansätze, wonach ein unterschiedlich hoher Teil der Personen weiblichen Geschlechts die Zuordnung zum Begriff Frau noch nicht erreicht hat. Solches wären erstens ...“
Haaaaalt! Programm Gesprächseinmischung minimieren. Im Normalfall nur auf direkt an Computer gestellte Fragen antworten. Ausnahme unmittelbare Gefahrensituation! Und ob hier jemand Frau ist oder nicht gehört nicht dazu. Computer aus!“
Nach meinen Worten war es beängstigend still. Alle schienen darauf zu warten, dass noch irgendetwas geschah. Aber es geschah nichts. Schließlich konnte ich mich wieder Onja zuwenden. „Da haben uns diese Kari ja etwas eingebrockt.“ Ich schüttelte mich. „Egal! Wolltest du mir nicht was erzählen?“
Onja kratzte sich am linken Oberarm. „Wo war ich stehngeblieben? Ach ja: Im Wesentlichen müsste das hier nach Meinung des Computers der Platz sein, wo wir uns ideal ausbreiten können.“ Sie stockte, sah irgendwo nach oben, als erwartete sie einen Kommentar des Computers, doch der blieb aus. „Hach! Den hast du geschafft!“
Na, vielleicht ist er nur eingeschnappt“, antwortete ich. „Erzähl lieber weiter!“
Wir sind etwa 400 eurer Jahre geflogen. Also wenn du das nächste Mal mit dem Computer diskutierst, kannst du auf unser aller fortgeschrittenes Alter verweisen. Egal! Wenn mans genau nimmt, ... mehr ist nicht!“
Wie langweilig! Und ich dachte schon, ich hab was verpasst außer 400 Jahren! Aber ich verrat dir was: Weißt du, wozu ich jetzt Lust habe? Also erstmal richtig anziehn, dann ein großes Bier und dann zur Feier der glücklichen Landung Musik und Sekt!“
Stille. Schweigen. Die meisten im Raum hatten plötzlich nichts Wichtigeres anzusehen als ihre Zehen.
Erst sah ich mich verwirrt um. Dann wurde ich verlegen. „Ach so... Na ja... Also, dann eben nur das Bier für mich und jeder trinkt, was er möchte und bitte: Wir fangen hier neu an. Nur das zählt.“
Ich streckte vorsichtig die rechte Hand vor, strich Onja über den an ein Stoppelfeld erinnernden Bauch und machte „Hm?!“ Als aber noch immer eine bedrückende, unsichtbare Decke über der Gruppe blieb, rief ich: „Gut! Der Replikator kann auch euer Zauberwasser. Trinken wir Zauberwasser zusammen. Auf den Neuanfang!“
Zur Bestätigung klopfte mir Onja, die unter meinem gerade ausgestreckten Arm hindurch laufen konnte, auf die Schultern und sagte: „Okay, auf den Neuanfang!“ Zumindest formulierte es der Translator so.
Ich reckte mich kurz. Wer war denn das nur, vorhin da hinten? Aber jener Junge, der mich anfangs so angestarrt hatte, war verschwunden.

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