Freitag, 29. Juli 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1099

Der zweite Autor, der es unter die besten 100 der diesjährigen internationalen Friedenslesung geschafft hat, war

Ulf Grossmann mit "Bilder" und zwei anderen Gedichten.

.
Es ist schon eine Freude, mehr bieten zu können als die "Gedichte des Tages" und etwas Prosa. Das ändert aber nichts daran, dass hier auf diese Gedichte verwiesen werden sollte:



dir scheint ich wär im reich des geldes angekommen
nur weil du lang nicht mein protestgebrüll vernommen
weil ich lang nicht gift und galle spuckte
und gegen all die tritte nicht mehr zuckte?

ich sammle wie ein gurgelnder vulkan
all den protest in meinem innern an
und wenn die zeit mir dann gekommen scheint
dann feuern wir geballte ladungen vereint

auf all die gessler-götzen ab
erspart das doch das grab
den ganzen egoisten auszuheben
und gleich allein mit freunden fortzuleben 


"Gedichte des Tages" solcher Art sind ein Paradoxon in sich: Indem der Autor ein Gedicht über eine kreative Pause, die er mache, macht, macht er gerade keine ... Immerhin gibt es zu "Hawaii" sogar eine Illustration und   nach uns nicht die sintflut  von 2008 fand Aufnahme in "worträume" ...
Aber nun weiter mit der Prosa-Fortsetzung:


"Uljanas New Home"


  1. Fortsetzung

Ich rannte zur Innenschleuse. Eigentlich hätte ich rennen wollen bis zur Grenze des Kraftfeldes, mich dagegen werfen wie ein Idiot gegen die Wände seiner Gummizelle und mit Fäusten auf diese Antigravitationsmauer eindreschen, aber die Kammertüren bremsten mich, und als ich draußen war, konnte man meinen Gesichtszügen nicht sofort entnehmen, was in meinem Kopf vor sich ging. Trotzdem. Alle standen um mich herum und ahnten irgendwie schon meine Antwort. Ich schluckte ein Fass Heulen herunter und presste einen einzigen Satz hervor: „Bauen wir unsere Häuser weiter!“
Das war nun genau das, was wir an diesem Nachmittag nicht taten. Natürlich sprach sich unsere Gefangenschaft wie das berüchtigte Lauffeuer herum. Es gab kaum noch ein anderes Gesprächsthema. Seltsamerweise wurde am heftigsten am Grab von Komuno diskutiert. Einige von uns Menschen hatten darauf bestanden, ein Kreuz zu replizieren, die Koom hatten einen glatten kugligen Stein beigesteuert. Nun gingen wir immer wieder dorthin, um dem, der alles hinter sich hatte, unser Leid zu klagen, leise, manche auch, um ihn anzuklagen, weil er irgendwie Schuld hatte, dass wir jetzt gefangen waren. Wenigstens, wenn Komuna in der Nähe auftauchte, schwiegen wir.
Nein, die anderen ließen mich nicht allein auf der Baustelle. Aber es gab keinen, der so richtig gezielt zugefasst hätte wie in den vergangenen Tagen. Wie drückte es Jenny aus? „Da ist ja die Wiese nur ein Stück Schiff mit Fremdnaturbeleuchtung und Regen. Da können wir auch in den Kajüten bleiben.“

Tag 15
Irgendwelche Kleinigkeiten hat es gestern noch gegeben. Ich habe sie vergessen. Sie sind ersoffen in einem Meer schlechter Laune. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben. Bei mir war es jedenfalls so, dass ich niemand sehen wollte. Verstecken. Ich suchte mir den Ort aus, den ich eigentlich am meisten hasste: Den Maschinenraum, dort wo die Aggregate stehen. Sie sehen auch ganz unschuldig aus. Riesige Metallbehälter, vor denen ich Angst habe. Niemals wird es irgendwo eine Situation geben, wo etwas ganz sicher ist. Wenn die Wahnsinnskraft hier frei kommt, bleibt Sekunden später - ich weiß nicht in welchem Umkreis - nichts, wirklich nichts übrig. Ich bin so klein, so unendlich klein. Aber der Platz ist so gut: Niemand würde mich hier vermuten, am allerwenigsten Onja oder eine meiner anderen Freundinnen.
Übrigens weiß ich jetzt wenigstens, wie der Typ heißt, der mich so angestarrt hat am Tag 1 hier: Daniel. Das konnte ich damals wirklich nicht wissen. Er ist mir ja erst einmal zuvor aufgefallen. Damals vorm Start als ich Frank vermisste und er auch so gestarrt hatte, aber mit Zulächeln. Dass ich dachte, es geht doch alles weiter. Ob ich von ihm Kinder wollte? Er kommt ja nicht ran. Frank wäre gleich zu meiner Gruppe gestoßen. Er aber... Hier müsste er sich trauen. Hier guckt keiner zu, wie er sich anstellt. Ich glaube, ich muss ihn ansprechen. Er wird mir doch keinen Korb geben? Aber in diesem Gefängnis gibt es nirgends einen Ort zum Ungestört sein. Debbie hatte mir mal Filme gezeigt über Sex, wie er gut ist für Mädchen. Die Frauen waren alle laut. Das nervt doch. Komisch: Zum Schlafen haben wir nie die privaten Kajüten im Schiff benutzt. Immer den Gemeinschaftssaal. Sind wir irgendwie krank? Ich hätte den Strahler nehmen können und volle Energie auf einen der Generatoren. Ruhe wärs gewesen.
So wachte ich auf. Mit einem schlechten Gewissen. Wer mich schon alles gesucht haben mochte? Bis hier unten war keiner gekommen.
Hunger hatte ich. Hatte ja das Abendbrot ausfallen lassen. Das ist zwar bei meiner gedrungenen Figur nicht weiter schlimm, aber das einzige, was wir in den kommenden Jahren würden genießen können. Speisen ­ so viele und so schöne, wie wir sie den Replikatoren schildern konnten, würden unser einziger freier Genuss.
„Ich hab Salio gesagt, du wolltest nicht gefunden werden.“ Onja begrüßte mich mit fragendem Blick. „Bingo! Danke!“ Was sollte ich sonst sagen? Ich wollte sie ja nicht beleidigen, aber wenn man tagein-tagaus immer nur ein und dieselben Leute sehen muss, dann können einem selbst die liebsten über werden. „Und ich habe ein großes Palaver vorgeschlagen auf dem kleinen Platz zwischen unseren Baracken nachher.“
Ich sah Onja überrascht an. Was gab es bei dieser Situation zu palavern. Es sei denn, ... Und Onja sah nicht so geknickt aus wie ich wahrscheinlich und die meisten anderen.
Ich aß mich also richtig satt. Gelegentlich schielte ich zu Onja rüber, aber außer irgendwelchen Smalltalk hinaus war keine Andeutung aus ihr herauszuholen. Immerhin waren wir dann fast die letzten, die zu dem großen Sitzkreis draußen stießen. „Schön, dass ihr schon alle da seid!“ sagte Onja, sicher nur, um locker rüberzukommen.
„Na weit weg können wir sowieso nicht.“ Das war Henk. Er sah uns nicht an dabei.
„Genau darum geht es. Darf ich anfangen?“
Was darauf aus der Runde kam, konnte man notfalls als zustimmendes Gemurmel festhalten. „Also nehmen wir Fall 1: Der Computer hat die Fürsorgeaufgabe der Kari als Vormundschaft über Kinder und Jugendliche aufgefasst. Dann können wir uns umgucken. Die jüngsten sind gerade einmal elf. Also zehn Jahre Kraftfeld. Inzwischen könnten die Größeren die ersten Kinder bekommen haben, wenn auch nur aus lauter Langeweile.“ Onja wartete einen Moment, bis alle sich wieder beruhigt hatten. Auf jeden Fall hörten ihr jetzt alle aufmerksam zu. „Dann ginge das Ganze wieder von vorn los. Ich glaube nicht, dass das Feld selektiv für die ersten Volljährigen abgebaut wird, damit die raus und rein können. Darauf brauchten wir dann nur etwa vier Jahre warten.“
„Hört, hört!“ Wieder Henk.
„Genau. Ich fürchte aber, dass der Computer die Funktionsschleife grundsätzlich verstanden hat. Begriffe wie Mündigkeit, Volljährigkeit usw. mögen zwar im Speicher des Computers definiert sein, da aber das Programm von den Kari stammt, dürfte es derartige Beschränkungen nicht kennen, ganz einfach, weil die sie nicht kennen.“
Nun murrten viele. Die gestrige vage ohnmächtige Verzweiflung suchte vergeblich ein Ventil. Warum machte Onja das?

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