Donnerstag, 27. Oktober 2011

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1190

 Ein eigenwilliger Künstler voll Liebe und Menschlichkeit hat aufgehört Neues zu schaffen. Alois Hallner. Ein Freund. Ein Platz in meinem Leben wird verwaist bleiben. Ein Platz im Friedrichshainer Autorenkreis wird nur noch virtuell besetzt bleiben. Aber das, das wird er ... Vor fast vier Jahren ging es ihm zum ersten Mal so schlecht, dass Gevatter Tod sich Hoffnungen machte. Damals schrieb ich das folgende Gedicht:



Ich wünsch mir keinen Freund.
Die Welt dreht sich,
ohne,
allein
um mich.

Ich wünsch mir keinen Freund.
Wer mir sagt,
ohne,
ich hätte alles gut gemacht,
lädt mich ein,
ihm glatt zu glauben.
Ich lebte unbedarft eitel.

Ich wünsch mir keinen Freund.
Niemandem bliebe ich,
ohne,
greisenalt, Kind,
meine Fehler,
behielte ich
für mich.

Ich wünsch mir keinen Freund.
Alles andere
kann man
ersetzen.


Bei mir nicht. Aber hier geht es ja um die "Gedichte des Tages" von übermorgen. Da bleibt nur noch eines übrig:

(346) schlangenabgesang



Ist es richtig, unter solchem Vorzeichen weiterzumachen, als wäre nichts? Im Sinne von Alois sage ich Ja. Also Fortsetzung Prosa:


Slov ant Gali "Abea" (2)



Hinter ihr war nichts, jedenfalls nichts, woran sie sich hätte erinnern können. In diesem Moment wusste sie nicht mehr, was sie jemals erlebt hatte, vor allem nicht, was gerade passiert war. Nur, dass sie sich nicht bewegen konnte. Um sie herum stank es fürchterlich und niemand war da, bei dem sie das hätte beklagen können.

Plötzlich stand ES vor ihr. ES war sehr groß, glänzte weiß, hatte keine Haare, keinen richtigen Mund, aber riesige ovale Augen. Beine auch, aber die bemerkte sie erst später. Sie bestaunte die fremden Riesenaugen.
Du wirst mir nichts tun. Ich habe dich lieb. Ich habe überhaupt keine Angst vor dir. Ich habe dich lieb.
Abea wunderte sich. Deutlich verstand sie, dass ES an eine Samantha dachte. Die hatte traurige blaue Augen und locker auf die Schulter fallende Haare von der Farbe der Wüste bei Windstille. ES dachte Gnadenschuss und Abea hätte zu gern gewusst, was das bedeutete. ES wollte wissen, wer sie war. Und Abea nahm die Worte von IHM und ergänzte ihren Namen.
Abea zögerte. Sie wollte zurückfragen, aber ES würde sie ja nicht verstehen. Da riss ES sie nach oben, und Abea sah vor sich einen schwarzen Himmel.
„Ich kann Ihnen das nicht erklären. Glauben Sie mir. Ich würde gern, aber ich kann es mir selbst nicht erklären. Die meisten Zellen ihrer Abea sind radioaktiv aufgeladen. Aber sie strahlen nicht nach außen. Und das Seltsamste: Ich kann bisher keinerlei krankhafte Veränderungen feststellen.“
„Bitte, Herr Doktor, reden Sie Klartext! Wie lange hat sie noch zu leben?“
„Das kann ich einfach nicht sagen. Der Strahlenbelastung nach wäre sie längst tot, von der Wahrscheinlichkeit her muss die Strahlenkrankheit bald bei ihr ausbrechen. Spätestens dann bleibt Ihnen nichts mehr zu tun, als der Kleinen die Leiden zu mildern.“
„Sie finden unsere Idee also verrückt?“
Der alte, bedächtig sprechende Chefarzt der Spezialklinik vermied es, Samantha und Samuel Mc Fadden in die Augen zu sehen.
„Bitte fragen Sie mich nicht! Ich an Ihrer Stelle würde mir das alles noch einmal gründlich überlegen.“
In diesem Augenblick ging die Tür auf. Für einen winzigen Moment stand Abea abwartend da, die Klinke in der Hand, die dunklen Augen funkelten Sam an. Dann flog sie ihm entgegen, als hätte sie einen kräftigen Tritt bekommen. Sie landete auf seinem Schoß, und ihre Arme zogen Samanthas Kopf zu sich heran, drückten ihn und krabbelten mit den Fingern durch die blonden Haare, als suchten sie darin wenn schon nicht Läuse so doch wenigstens Wüstensandkörner.
„So lange es geht, lebt Abea als unser Kind“, entschied Sam, wobei er abwechselnd zu Abea und dem Arzt blickte.
Und das Kind warf dem Mann in dem Kittel einen trotzigen Blick zu. „So lange es geht, lebt Abea als unser Kind“, wiederholte es störrisch.
Auf der Straße in die Kleinstadt, dort, wo man mehr als fünf Achtel des Himmels über sich sah, schwieg Sam vor sich hin. Seine freie Hand lag in der linken Samanthas.
Es war schon ein seltsames Gefühl. Zur Schule gehen. Mit Kindern, die hier groß geworden waren, alle Wörter kannten, die fremden Dinge, die sie bezeichnen sollten, ja, die sogar genauso aßen wie ihre Nachbarn.
„Sag, ich heiße Abea!“


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