Wenn ich schreibe, dann nutze ich auch meine zwei Augen zum Testen der Gedichtbabys: das weinende und das lachende. Aber es hilft nichts: Ich lieb sie erstmal in katholischer Dreifaltigkeit als Mutter, als Vater und als Eiliger Geist. Es dauert also, bis ich zur Selbstkritik fähig werde. Wenn es dann noch um ein "Trinklied" geht, dann bügle ich mir die Melodie zurecht, und überhaupt finde ich alles "so nett" ... da muss schon ein(e) andere(r) kommen, mir zu sagen, so geht das aber nicht ....
Anjas Nachthemden (1)
Als sie sich kennen lernten, schlief
Anja nackt.
Manfred hatte damals viel Kummer
gehabt, privaten, beruflichen, gesundheitlichen. Wenn, dann kam alles
auf einmal. Ihm war es deshalb wie ein Wunder vorgekommen, dass ihn
Anja gleich am ersten Abend mit in ihr Bett nahm. Weniger
verwunderlich hatte er gefunden, dass er sie in dieser Nacht nicht
hatte befriedigen können. Das „Wunder“ klärte sich später auch
auf: Eigentlich hatte sich Anja nur mit einem nicht zu frostigen
Abschiedskuss für immer entfernen wollen; ihr Frösteln im zugigen
Hausflur hatte er für Begehren gehalten und geglaubt, dem
entsprechen zu müssen, womit er Anja als überraschend stürmischer
Liebhaber erschienen war, weshalb sich bei ihr wirklich Begehren
meldete. Er hatte sie fünf Treppen hochgetragen und schon vor ihrem
nächsten Geburtstag geheiratet.
Richtig Angst jagte das Mädchen dem
Jungen zu dieser Zeit ein: Immer wieder riss sie ihm die Sachen vom
Leib. Selbst wenn der Reif an ihrer Ein-Zimmer-Wohnungswand glänzte,
musste er „seinen Mann stehen“, was er mal konnte, aber eben
mitunter auch nicht.
Äußerlich schienen die beiden
einander ideal zu ergänzen – welcher Mann beichtete seinen Kumpels
schon, nicht Manns genug für eine, also für diese seine Frau zu
sein …
So packte er unter dem Johlen der
anderen Hochzeitsgäste das Geschenk seines besten Jugendfreundes
aus: ein Nachthemd, zusammengehaucht, dass es keine Überlebenschance
über die erste Anprobenacht zu erwarten schien.
Auch er hatte übrigens ein Nachtkleid
besorgt. Schließlich sollte Anja etwas zum Bedecken tragen, sollte
sie während ihrer Hochzeitsreise über den Hotelflur schweben
müssen. Eine unsinnige Idee. Das Stück blieb zusammengelegt in
einer Schrankecke. ...
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