Lyrik ist etwas sehr Eigenartiges. Als Gedicht fasst man heutzutage alles, was ver-dichtet gesagt wird. Das kann eine klare Aussage sein, das Nachempfindbarmachen eines klaren Gedanken in Worten, die man nicht überall in gleicher Weise findet, also sehr individuell ist - ich schlage als BeispielUrsula Gressmanns "glück" als Beispiel vor - es kann aber auch ein vager Anstoß zum Weiterdenken oder überhaupt zum Nachdenken über etwas sein, jaeine Verunsicherung, die uns im positiven Fall geistig voran bringt. Man kann das dem Gesang annähern, kann aber auch seine individuelle Bildsprache ausprägen ... mit der Gefahr, dass sie nicht mehr jeder versteht. Aber muss immer jeder alles verstehen? Thomas Reich"Ketchupherz".
und zum Abschluss eine Fortsetzung der Prosa:
Anjas Nachthemden (4)
... Manfred schenkte ihr trotzdem
regelmäßig raffiniert gearbeitete neue. Doch es wurde eine immer
mehr nur rituelle Art zu sagen: Ich will dich immer noch.
Jedoch kaufte Anja sich nun selbst
dicke Schlafsocken und kuschelige Schlafanzüge. Wenn sich ein Hauch
fester Männlichkeit an Manfreds abendlichem Körper rührte, dann
sah er zu ihr hinüber und die Erregung machte schläfriger
Geborgenheit Platz.
Bei der Ärztin sah er an sich
herunter: „Schon seit Monaten hängen wir durch. Die ganze Ehe ist
schlaff geworden.“
Für das Organ gab es ein
Stärkungsmittel. Da lag dann Anja im Dunklen, das einzuweihende neue
Nachthemd über den Bauchnabel hochgezogen, und Manfred presste ihr
das Füllhorn medizinischer Leistung tief in die Verstecke
vergangener Leidenschaft.
„So also geht Chemie.“ Anja zog den
Schlafanzug über das Nachthemd und regte die Durchblutung ihrer
Fußsohlen an. Anja und Manfred lebten weiter beieinander.
Es wurde zum familiären Ritus der
Vergänglichkeit, dass in jedem Jahr ein neues Nachthemd sich
vergeblich in Anjas Intim leben zu drängen hatte. Ob es Manfred
einfach nur an Fantasie fehlte? Irgendwann hatte dann aber auch das
Interesse nachgelassen. Da zog er selbst es vor, seine Ruhe zu haben.
Gestritten haben sich die beiden ja nicht.
Anjas elfter Geburtstag im Ehebett war
an sich kein besonderer, kein runder oder auf andere Weise aus der
Gleichförmigkeit ausbrechender. Trotzdem beschlich Manfred schon
Wochen zuvor ein vages Unbehagen. Jene Bettstatt, die ihrer beider
Liebesleben das vergangene Jahrzehnt begleitet hatte, war unanshlich
geworden. Ein neuer Bezug, ja, wenigstens der war inzwischen fällig.
Anja fand, eine Matratzenfeder würde
sie von unten quälen, wenn Manfred denn, so er denn gelegentlich
doch noch zu ihr von oben käme. Sowas Seltenes, wollte Manfred erst
abwimmeln. Nein, eigentlich stöete es sie immer. Was hielte er von
einem ganz neuen Bett mit Latexmatratzen, flexiblen Lattenrosten und
einem verstellbaren Kopfteil? Sie habe da etwas in einem Katalog
gefunden, nur 2950 Euro als Kombination mit zwei passenden
Nachtschränkchen. Das Ganze heiße Nachtparadies, und sie habe es
schon bestellt.
Manfred kam das wie ein Wink mit einem
Gartenzaun vor. ...
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