Montag, 22. April 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1682

"Gegen die Infamitäten des Lebens sind die besten Waffen:
Tapferkeit, Eigensinn und Geduld.
Die Tapferkeit stärkt, der Eigensinn mach Spaß, und die Geduld gibt Ruhe."
Herrmann Hesse, Briefe

Also seien wir eigensinnig tapfer und stürzen uns auf die Texte dieses Tages, zuerst also die Prosa:

Anna Roth: Wurzeln (1)


... Schon wieder, Kinder? Na gut. Erzähl ich ein bisschen von früher.Was mir so passiert ist. Aber kommt nur an den Ofen! ...
Also ihr erinnert euch: Wir lebten da in Schlesien, in einer damals neu gebauten Einfamiliensiedlung. Das Haus war der große Stolz meiner Eltern. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in den 20er Jahren ging es Handwerkern ganz gut. Dann aber starb mein Vater. Das war 1929, gerade als die große Weltwirtschaftskrise begann. Ich kam in das Alter, in dem ich alles bewusst miterlebte. Mit acht musste ich schon sehr erwachen sein. Zum Beispiel die gnadenlose Sparsamkeit, die jede Entscheidung im Haus bestimmte, traf natürlich auch mich. Und klar: In eurem Alter bin ich regelmäßig STOPPELN gegangen.
... Das habe ich euch aber schon ein paarmal erklärt.  Also wir haben Reste gesucht, die nach der Ernte auf den Felder zurückgeblieben sind. Überhaupt alles, was irgendwo herumlag, habe ich mitgenommen, egal, ob essbar oder sonst irgendwie nützlich. ... und aufgepasst, ob ein eventueller Besitzer auftauchte. Das war nicht Klauen, das war praktische Notwendigkeit. Das haben bei uns alle gemacht.
Meine Schwester Libeth musste ich überall hin mitnehmen. Und dann kam noch das Jandl. Dieses Baby war nicht geplant, eigentlich nicht einmal gewünscht. Aber als eine ordentliche Handwerkerfamilie haben wir es durchgebracht.
Nun bezwang der Hunger das schlechte Gewissen. Alle Leute, die ich kannte, stoppelten. Gerade zwischen den Gängen zur Stempelstelle für die paar Mark Stütze die Woche. Das ganze Jahr gab es Sachen zu finden. Alles konnte jemand gebrauchen.
Ich war halt die Große. Klar, etwas Abenteuer, Sport, sich nicht erwischen zu lassen, war auch dabei. Aber es war immer Ernst.
Meine Mutter war dem Leben nicht gewachsen. Nicht einmal mit den Hausierern ist sie fertig geworden. Diese aufdringlichen Leute liefen von Haus zu Haus, um ihr kümmerliches Zeug zu verkaufen. Machte man ihnen die Tür nur einen Spalt breit auf, hatten sie ihren Fuß darin, und dann wurdest du sie nicht mehr los. Ich sehe noch eure Urgroßmutter heulend in der Tür stehen, als ich aus der Schule kam: ...



Nun noch der Ausblick auf die morgigen "Gedichte des Tages":


Als erstes begleiten wir Thomas Reich ins "Bergwerk" seines Ichs ... oder ist es etwas Anderes?
Tja ... "Widersinn oder Wider-Sinn ... oder wieder Sinn?". Brecht hätte es natürlich besser gemacht ...

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