Vorm Haus, das es nicht gab (1)
Geht
dir das auch so? Also für mich ist die Erinnerung wie eine innige
heimliche Geliebte. Sie hat diesen besonderen Zauber, weißt du? Mit
wachsendem Abstand, dem Wissen darum, ihrer Wirklichkeit nie wieder
zu begegnen, wird sie immer verführerisch schöner. Nein. Sie
schönt. Noch besser: Etwas schönt mich in ihr. Dabei ahne ich es:
Als Kind bin ich wahrscheinlich unerträglich gewesen. Es hat ja
alles zwei Seiten. Die eine Seite: Ich war ein Wissensfresser. Mein
Mund war voller Fragezähne. Begierig, gerade die Dinge zu verstehen,
von denen mir jemand Wohlmeinendes erklärt hatte, Das verstehst du
noch nicht. Auf der anderen Seite: Ich hatte viele dieser Dinge zwar
halb verstanden, konnte aber nicht begreifen, dass das anderen in
meinem Alter nicht so ging, und erklärte sie für doof. Na, und als
dich jemand für doof erklärte, warst du ihm da nicht auch böse?
Nun stelle dir vor, da gäbe es einen, der erklärte alle anderen für
doof. Wie ginge es dem wohl?
Meine
Erinnerung erklärte mich anstattdessen natürlich zum Opfer böse
mobbender Mitschulanfänger, obwohl das Wort Mobbing damals noch
niemand kannte. Geplagt, gehetzt, immer gegenwärtig, wieder
verprügelt zu werden, wenn kein Erwachsener hinsah. Wie fand ich
mich bedauernswert! Irgendwann war ich es dann ja auch. Wenn du
Monate lang auf Platz 1 der Verprügelten-Charts gestanden hast, dann
ärgerst du die anderen nicht mehr, gibst nicht mehr offen zu, wie
doof du sie findest. Du bist aber zum Reflex geworden. Wo du
auftauchst stürzen sich die kleinen Lustprügler auf dich wie
Fußballer mit Ball eben zwischen die Pfosten schießen, wenn welche
da sind.
Ich
wohnte damals in einer Siedlung, weitab von der Stadt und einen
langen Fußweg entfernt von dem Dorf, in dem die kleine Schule
wartete. In der Siedlung wohnten noch drei Jungen in meinem Alter.
Sie machten begeistert Jagd auf mich. Manchmal an nicht so leicht
einsehbaren Stellen der Halbinsel, manchmal auf den Wegen, die zur
Gartensiedlung gehörten, wo meine Familie ihren Garten hatte, gern
auch auf dem Weg zur Schule oder dem Heimweg. Ich sei doch mit sieben
schon ein großer Junge, der allein zur Schule gehen könne oder eben
heimkommen, antworteten Mutter und Schwester auf meine Schutzbitte.
Wie
Waldgeister tauchten aber kaum, dass ich allein irgendwo stand, Klaus
und Volkmar und Fritz auf, und meine Kraft reichte geradeso für
einen von ihnen. Ich kann es auch einfacher sagen: Mein ständiger
Begleiter wurde die Angst.
Ach,
du kannst dir denken, was kommt? Ich wuchs einmal über mich hinaus
und habe meine Quälgeister besiegt und alles wurde gut?! Schön wäre
es ja gewesen. Nein. Zuerst kam die Flucht in die Tagträume. Für
die brennend pinkelnden Pisaminken-Ameisen wurde ich zum heldenhaft
niederknüppelnden Riesen. Dann aber … dann kam ein richtiger
Nachttraum. ...
Ohne Besonderheiten folgen die "Gedichte des Tages":
Das ist nicht nur ein weiteres Sebastian-Deya-Gedicht. "An alle" lässt aufhorchen ... hoffe ich. In allem Zweifel lässt sich dieser Text ... an alle rufen ...
Wie schön: Auch Gunda Jaron wurde bereits in der Feuerzangenbowle erwähnt - dergestalt, dass es ihr - wie mir - gelegentlich am "nötigen Ernst" mangele. Die höchst tiefen Beziehungen zwischen den Geschlechtern auf so verklassischte Weise zu bedichten - also nein ... "Der Jüngling am Weiher" - natürlich auch ein "Natur"-Kandidat ...
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