Freitag, 5. April 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1702

.Für das Programm "Zeit der Kirschen" unter dem Motto "Armut - Reichtum" hatte ich zum einen mehrere Gedichte aus "Worträume" ausgewählt, zum anderen den Prosatext "Kampf der Titanen" aus der Anthologie www-wir-wahren-worte-de etwas bearbeitet. Hier die geänderte Fassung:


Slov ant Gali: Kampf der Titanen (2)



... Nachtschichten jedoch waren Bernd vertraut. Die Mutter war schon seit Jahren nicht mehr fit auf den Beinen. Er hatte sie tagsüber versorgt. Sein Arbeitgeber, eine Berliner Brauerei, musste im Sommer extreme Arbeitsspitzen bewältigen. In denen ließ sich Bernd durchgängig zu Nachtschichten einsetzen, Wochenenden eingeschlossen. So einer war er. Außerhalb der Saison hatten sich extrem viele Stunden zum Abbummeln angesammelt. Für alle Seiten lukrativ. Im Sommer Arbeit in rollender Woche mit für seine dörflichen Verhältnisse fürstlicher Entlohnung, im Winter ein Arbeitslosengeld, von dem sich noch leben ließ. Die meisten Arbeitenden, die er kannte, bekamen für den normalen Arbeitstag weniger.

Dann, Bernd war gerade 42, hieß es plötzlich, die Auftragslage ist schlecht, wir melden uns, wenn wir wieder was für dich haben. Verzichten könnten sie nicht auf so einen einsatzbereiten Arbeiter. Er sei ja abgesichert. Doch ausgerechnet da passierte ihm der Unfall. Auf dem Weg nach Eberswalde und der Bruder nicht angeschnallt … Beide Brüder landeten im Krankenhaus. Bernd ließ sich auf eigenes Risiko nach einer Woche wieder entlassen. Es war doch sonst niemand da für die Mutter. Allein im gemeinsamen Haus. Bernd hatte ja nur Stahlschienen im rechten Bein. Eine Nachoperation und gut. Nur Werner musste sich allmählich abfinden, dass der linke Fuß nicht mehr zu retten war. Nach Hause durfte er, aber die Prothese … Bernd sagte immer Dicker zu Werner, was bei ihm liebevoll klang wie „Digger“. Aber Werner war nicht nur übergewichtig, in den Monaten der Heilungsversuche ergab er sich immer mehr seinen schon vorher vorhandenen Leiden. Er kam nur noch zu den gemeinsamen Mahlzeiten aus seinem Zimmer oder eben, wenn er wieder zu einem seiner unzähligen Arztbesuche gefahren werden musste. Immer wieder betonte er bei solchen Gelegenheiten, dass er Bernd nichts vorwerfe und der müsse ihn nicht immer fahren. Ein Taxi ginge auch. Aber das hielt natürlich nur die Schuldgefühle wach, während Werner immer unförmiger wurde.
Als Bernd endlich wieder seine Nachtschichten in Berlin hätte fahren können, war gerade eine Saison zuende. Der Countdon für sein hohes Arbeitslosengeld lief. Im nächsten Sommer - da gehörte er zu den „Hartz IV-Empfängern“ - sprach man auf seinen Anrufbeantworter, es sei gerade Druck und er möge SOFORT kommen. Doch Bernd war mit Werner und der Mutter in Eberswalde auf Ärztetour. Als er am nächsten Tag das Telefonblinken bemerkte, erklärte ihm eine Stimme, das Problem habe sich erledigt.
Inzwischen war Bernd in den Ämtern bekannt. Er ließ sich von Bearbeiterin zu Bearbeiterin schicken, lächelte, sagte, „Muttchen, siehste, so kommste mal unter Leute ...“
Die Woche Computercurs hatte er geschafft und das Bewerbungstraining. Dann aber sollte er einen „Ein-Euro-Job“ als Hilfsgärtner in der Kreiverwaltung annehmen. Für einen Bauern doch was Artverwandtes, erklärte die Sachbearbeiterin, dabei könne er wieder lernen, sich an einen geregelten Arbeitstag zu gewöhnen. Kopfschüttelnd stand Bernd da auf und ging. Seitdem stand in seiner Akte, er stünde dem Arbeitsprozess nicht zur Verfügung.
In Bernds Ohren klang das wie NICHT ZUVERLÄSSIG. Ein paar Tage spülte er die gefühlte Abwertung mit Bier herunter, dann fiel ihm der Computerkurs ein.
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Die nächsten Gedichte des Tages:

Hanna Fleiss gibt immer lyrische Denkaufgaben auf ... selbst wenn sie das vorgeblich nicht tut: Mit "Mauseloch" passte sie vortrefflich in die Sammlung "Voran zur Natur" ... Was heißt für uns eigentlich "seine Würde bewahren"? Es ist auch eine sehr persönliche Sache, wie Thomas Reichin "Dem Tod ins Gesicht gelacht" zeigt ...


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