Rezension zu Andymon - Eine Weltraum-Utopie
von Angela und Karl-Heinz Steinmüller
Die Grundidee ist so einfach wie
genial: Die Erde hat ein Super-Raumschiff ausgerüstet. Das fliegt in
fast unendliche Ferne, wo man einen besiedlungsfähigen Planeten
Andymon erhofft. Als das Ziel nur noch etwa zwei Jahrzehnte Flug
entfernt ist, werden die ersten Brutstätten für Menschen aktiviert.
Eine Gruppe von acht Babys wird von Androiden aufgezogen – anfangs
in einem künstlichen Wildpark, später dann immer mehr in der
weiteren Welt des Raumschiffs und in einer simulierten Gesamtwelt von
Totaloskope, durch die die Heranwachsenden eine Vorstellung der Erde
und verschiedenen gesellschaftlichen Beziehungen bekommen sollen.
Alle bekommen Namen, die aus dem griechischen Alphabet abgeleitet
sind, mit a am Ende, wenn wiblich, ohne , wenn männlich, alle als
Querschnitt des menschlichen Erderbgutes an Rassenmerkmalen. Ich
fühlte mich sofort gefesselt von dem Ideenreichtum, eine solche
künstliche Kindheit zu erlesen, wobei die Autoren einen besonderen
Trick verwenden: Sie erzählen alles aus der Sicht eines „Beth“,
der als zweiter „geboren wurde“ und im Gruppenrollenkampf auch
zweiter wird hinter dem draufgängerischen Delth, der für sich stets
die Führungsrolle beansprucht und auch anerkannt bekommt. Alpha wird
zur Moderatorin und sie besorgt die geschlechtliche Initiation des
Beth. Ein Unfall des Draufgängers während der ersten Kämpfe mit
dem feindlichen Planeten zwingt Beth, die Führungsrolle zu
übernehmen, was ihm aber etwas entgleitet: Auf dem Schiff einigen
sich die Kinder auf eine freiwillige Hierarchie mit einem quasi
Kapitän, als es letztlich darum geht, den Planeten zu besiedeln,
gehen die Interessen der Einzelnen zu weit auseinander. Dort findet
sich vorübergehend ein „Resth“, der in Selbstgerechtigkeit, zu
wissen, was das Beste für alle sein müsse, und sich dafür berufen
zu fühlen, seine Vorstellungen den anderen aufzuzwingen. Er bringt
Verleumdungen und Bespitzelungen in den gegenseitigen Umgang der
Gruppen miteinander ein. Praktisch wird er aus der Gemeinschaft
schließlich ausgestoßen – eine der Stellen, die für mich zu
reibungslos ablaufen.
Andymon erscheint als drastisches
Beispiel des Terraforming. Die Kinder werden durch ihre sehr
individuelle Erziehung und Ausbildung zu praktischen Supermenschen,
deren intellektuelle Reife der rationalen Rundum-Bildung nahe kommt.
Die Umgestaltung des Planeten von giftiger Unbewohnbarkeit zur
Lebenswelt mittels Superalge-“Impfung“hätte ich für die wenigen
Achtergruppen als unlösbare Aufgabe angesehen. Hier schlägt die
Grundidee, dass die Vernunft (auch) der Menschen sich den ganzen
Weltraum lebensgerecht umzugestalten nicht nur in der Lage ist,
sondern dass dies auch ihr innerer Zweck sei, überhohe Wellen.
Dass Beth rückblickend in
chronologischer Abfolge die für ihn wichtigen Erlebnisse beschreibt,
beschränkt an keiner Stelle die Spannung der Handlungsbeschreibung,
auch nicht, dass er sich endlich einmal wie ein unreifer
Zwanzigjähriger benimmt und nicht wie der Präsident einer
Planeten-Siedlungsgemeinschaft und bei der Vorstellung, der Fall
„Andymon“ sei im Wesentlichen erledigt, es müsse sofort eine
weitere Expedition zum nächsten „Andymon“ vorbereitet werden,
etwas übereifrig ist. Schön dabei, wie die Verhältnisse übergehen
von einer äußerlich homogenen, sich einigen Gruppe zu einer
Vielzahl verschiedenster Interessengrüppchen.
Während an dieser Stelle die Dynamik
von Gemeinschaften erlebbar wird, über die Resth-Gestalt die
Entartung einer guten Idee durch „Stasi-Methoden“ dargestellt …
und abgelöst wird, benutzen die Steinmüllers einen technischen
Trick, den ich ihnen verüble: Geschrieben vor 1982 liegt dem
Raumschiff ein technisches Niveau zugrunde, das erst in „fernerer
Zukunft“ erwartet werden kann. Die Totaloskope ermöglichen es den
Heranwachsenden, in die verschiedensten Rollen während
unterschiedlicher Zeiten hineinzureisen, sich als alles Damalige „zu
erleben“. Zum einen wage ich den pädagogischen Erfolg zu
bezweifeln, wenn wer sich selbst als weiser Herrscher des Altertums
feiern lassen kann, zum anderen lassen die Steinmüllers ALLE Daten /
Informationen nach dem Jahr 2000 vollständig auf Null. Keinerlei
Information zur Erde der Raumschiffbauzeit oder unmittelbar davor
sind zugängig. Zwar schlussfolgern die Heranwachsenden, dass die vor
dem 3. Jahrtausend aufgetretenen Menschheitsprobleme logisch gelöst
sein müssten – wieso sonst dieses Raumschiff – warum aber sollte
dies dann diesen Kunstmenschen verheimlicht werden? Es kann nur ein
dramaturgischer Zug der Autoren sein, nicht darauf eingehen zu wollen
– was schlimm ist, weil es die Neusiedler ja so beschäftigt, dass
am Schluss die Idee aufkommt, eine Expedition zur Erde zu
unternehmen. Übrigens eine Absurdität, weil diese „Menschen“
eben keine „Erdenmenschen“ sind und sie wissen, dass die
ansteuerbare Erde nichts mit ihnen und nichts mit der
Totalisatoren-Erde zu tun haben kann, weil Jahrtausende abgelegen,
und die Expedition fast nur Sinn hätte, wenn diese Expedition die
dann-Erde im Andymonzustand antrifft und sie wieder einem
Terraforming-Prozess unterzieht …
Entscheidungen sind bei den "Gedichten des Tages" nicht mehr zu treffen. Die stehen für morgen schon fest:
Dunkel gruselt´s mich, dass diese Entlehnung bei der Dreigroschenoper, dieHanna Fleiss hier wagte, auf eine allzu aktuelle Meldung zurückgeht. "Und der Haifisch ..." Wir sollten uns besinnen, dass wir all dies nicht zu schnell vergessen. Danke, Hanna!
Aus Verärgerung wegen der unklaren Kritiken im Friedrichshainer Autorenkreis habe ich die "Lemminge" nunmehr etwas sonettiert ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen