Vorm Haus, das es nicht gab (3)
.
... Als
ich es sah, fiel mir sofort der Traum ein. Richtiger: Mir fiel sofort
ein, dass ich genau dieses Haus schon einmal in meinem Leben gesehen
hatte. Offensichtlich hatten es fremde Leute in der Zeit meiner
Abwesenheit dort errichtet. Obwohl die Sonne schien, war mir
unheimlich zumute. Krampfhaft versuchte ich wegzusehen, also zu den
Grundstücken auf meiner Straßenseite. Da stürmte der Musikerjunge
aus der Tür in den Vorgarten. Er freute sich, mich wiederzusehen,
ich auch. Ich mochte das schmächtige Kerlchen eigentlich sehr, er
tat mir genauso leid, dass er mit seinen knapp fünf Jahren hatte so
oft Klavierspielen üben müssen, so wie ich ihn bewunderte, dass er
das konnte, so wie es angenehm und gruselig in der kleinen, imme sehr
dunklen Wohnung dort gewesen war. Für ich weiß nicht wie viele
Sekunden beachtete ich die Straße nicht. Als der Junge das
Vorgartentürchen erreicht hatte, war es zu spät: Da standen sie.
Klaus und Volkmar. Lebendig und, weil gewachsen, Bedrohlichkeit
ausströmend. Aber sie begannen ein Gespräch, ein nettes Gespräch,
ein Gespräch wie als wollten sie die zurückliegenden Monate
unausgefüllter Freundschaft überbrücken. Sie schienen völlig
vergessen zu haben, dass ich doch immer zum Verprügeln dagewesen
war. Ja, und dann kam der Augenblick, da klickte etwas von dem neuen
Haus her. Ein kleines Mädchen trat heraus, kam auf uns zu … mit
solcher Entrücktheit habe ich – glücklicherweise – nie wieder
ein Mädchen angestarrt. Undeutlich hörte ich, dass mir die anderen
Jungen erklärten, wer das sei und seit wann ihre Familie da wohne
und was weiß ich noch alles. Überhaupt kann ich mich an das
Folgende nicht erinnern. Nur dass ich nicht verprügelt worden bin,
das weiß ich. Ein fantasiereicher Junge von neun Jahren hatte ein
Problem: Er hatte einen Menschen an einem verfremdeten Ort
wiedererkannt, den er noch nie in der Wirklichkeit gesehen hatte und
von dem er nichts ahnen hatte können.
Ich
wollte so gern mit jemandem darüber sprechen. Aber ich traute mich
nicht. Man würde es mir ausreden. Ich hätte mir das wohl
eingebildet oder so. Ja, ich sah auch voraus, was mir eine meiner
Mentorinnen zu erklären versuchte, als ich meine ersten Gedichte und
Geschichten zu schreiben versuchte. Ein besseres Beispiel für
Unterbewusstsein, Wunsch und Traum wie das könne es kaum geben. Ich
hatte – und das stimmte ja – als Siedlungskind keinen
drängenderen Wunsch als in Frieden und Freundschaft mit den
Gleichaltrigen zu leben. Mein Traum hatte mir diesen Wunsch als
Wirklichkeit vorgegaukelt. Als ob ich diese Möglichkeit nicht
bedacht hätte! Aber das Haus und das Mädchen? Na, wiedererkannt
hätte ich die zwar nicht, aber … Natürlich hatte ich sie
wiedererkannt. Oh, es war besser, nicht darüber zu sprechen. Ob ich
an Gott glaube? Nein, aber damals rang ich mit dem Gedanken, es könne
ein Wesen geben, dass alle meine Taten, vor allem die Schandtaten,
sähe und über mich richte. Siehst du, und du, also ich, bist
auserlesen gewesen, ein Zeichen zu erhalten. Und da stand ich
marxistisch gebildeter Student meinem Mädchen gegenüber und
erstickte unsere Beziehung in einem Ozean von Gelächter. Am liebsten
hätte ich ihr eine Erklärung angeboten: Spiegelbilder dessen, was
auf unserer Welt zu sehen ist, bewegen sich für Momente in der Luft.
Mit einer unwahrscheinlich geringen, aber vorhandenen
Wahrscheinlichkeit geraten sie in die Dimension, die wir Zeit nennen,
und spiegeln dort zurück. ...
... und dann folgen die "Gedichte des Tages" vom Sonnabend:
Ein vergnügliches Wochenende für alle Gläu- und Ungläubigen. Alle, die nichts Böses erwarten seien gewarnt: Bei dem Gedicht "Jesus, meine Höflichkeit" von Hanna Fleiss konnte ich hemmungslos auflachen ... So etwas, wenn man - und das ist EINE Form der Dichtung etwas "beim Wort nimmt" ...
So, durchatmen und ... Brunhild Hauschild nimmt das Thema Selbstreflexion noch einmal auf: "Inventur meines Lebens ( zum Rentenbeginn)". Was ich dazu zu sagen hätte? Jeder Mensch ist eine Galaxie im endlosen Kosmos. Die Millionen Sterne, die man in ihr findet, erklären, anders angeordnet auch die anderen Galaxien - aber auch erst in unendlicher Reisezeit hätte man eine einzige Galaxie erkundet ... oder auch nicht, denn die Orte, an denen man war, sind ja inzwischen andere ...
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