Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (3)
... Ich war für ein freundliches
Verhältnis zur „Nationalen Volksarmee“ der DDR nicht geeignet.
Beispielsweise war meine Sportbegeisterung nie so groß, dass mich
Körperertüchtigung gelockt hätte, und als emotional egozentrischer
Anarchist war mir unterordnender Gehorsam zutiefst zuwider. (In einem
krankhaften Anfall von Übermachtssadismus spielte ich mit 14 einmal
meinem engsten Freund gegenüber einen SS-Mann: Ich zwang den schwarz
Gelockten durch brutale Gewalt dazu „Ich bin eine dumme Judensau!“
auszurufen, um freizukommen … und ich könnte nicht sagen, vor wem
ich mich nachher mehr ekelte: vor ihm, der sich derart demütigen
ließ, oder vor mir, dass ich zu so etwas fähig gewesen war …)
Rund wurde meine Grundhaltung zum Thema Armee aber erst dadurch, dass
es in der Klasse bei den Auseinandersetzungen mit der
Staatsbürgerkundelehrerin einen einzigen Schüler gab, der nach dem
Lehrerinnenmund gerecht werdenden Antworten suchte. Dieser
Speichellecker mit mäßigem geistigen Niveau strebte an, Offizier zu
werden. Ich konnte ihn mir sehr gut in preußischen Stiefeln
vorstellen. Das schon vorher geprägte Bild, Körperkraft zeigten
die, denen es an Geisteskraft mangelte, wurde untermauert – nur
eben auf höherer Ebene. Auch ich bin nicht frei von Vorurteilen ...
Die Stabü-Lehrerin hat bei mir dann
doch etwas bewegt. Im Nachhinein tut sie mir leid. Es war mir ein
teuflisches Vergnügen, den ungeliebten „Rotlicht“-Unterricht zu
sprengen. Hier konnte ich spitzfindigste Raffinesse an die Front
werfen. Ich hatte die meisten Schulbücher schon vor Beginn der
Unterrichtsjahre überflogen. Im Staatsbürgerkunde-Lehrbuch fiel mir
dabei etwas auf: Außer bunten Bildchen gab es Kästchen mit Zitaten
der „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus, die ich sozusagen als
die Verkündigung Moses ansah (so waren sie wohl auch gemeint),
während der eigentliche Text das profane Bla-Bla war. Das Gute
daran: Es ließen sich in dem profanen Zeug Widersprüche zu Gottes,
Pardon: Marxens, Kernsätzen in den Kästchen finden. Also sprengte
ich Stunden mit Beweisversuchen, dass das, was wir gerade als
wunderbare Wirklichkeit unserer größten DDR aller Zeiten erklärt
bekommen sollten, gar nicht das war, was der große Marx sich als
sozialistische Gesellschaft vorgestellt hatte. Widerspruch als
Denksport.
Die intelligenten Mitschüler
verfolgten die Diskussionen mit Vergnügen und unterstützten mich
nach bestem Wissen. Die weniger intelligenten freuten sich, dass die
Stunden nicht als langweilige Lernstunden versandeten. Nur eben jener
Möchtegern-Offizier mühte sich um Unterstützung der Lehrerin. Die
war von uns Jungen begeistert. Weil wir so offen Interesse zeigten,
ließ sie ihre Stundenvorbereitung in der Tasche und versuchte, unser
Denken zu lenken. Argumente wurden nicht niedergeschlagen und
„Erklärungen“ vermittelt, wie wir etwas sehen sollten, sondern
sie versuchte, uns die Widersprüchlichkeit von Vorgängen
begreiflich zu machen. Wir sollten nicht einfache Antworten geben,
sondern alles aus der Bewegung heraus sehen - unter der Oberfläche
des offen Sichtbaren gebe es erkennbare Zusammenhänge, um deren
Aufdeckung wir uns bemühen sollten – das nenne man im Sinne von
Marx zu handeln und das könne sogar Spaß machen.
Sie verführte mich damit zu einem
Trugschluss: Voreiligerweise dachte ich, so sei politische Bildung. ...
Gunda Jaron skizziert das Bild eines Paars, das nichts anderes tut, als weiter "nebeneinander" zu leben. Eigentlich ist alles gesagt, wenn man sich nichts sagt. Slov ant Gali dagegen hofft, mit seinem Einstiegsgedicht "Seitensprung" vor dem eigentlichen Text von "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" klar zu machen, dass mit dem Tod der DDR seine frühere Gewissheit ... mit einem Aber an der Hand herumlaufen ....
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