Montag, 6. Mai 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1730

Wann ist etwas "normal"? In der Kunst vielleicht gerade dann, wenn es offenbar nicht normal ist. Nichtsdesttrotz geht es "normal" weiter mit dem nächsten Autobio-Stück und Gedichten des Tages, zu denen die Lyrik aus der "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" gehört:


Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (3)

... Ich war für ein freundliches Verhältnis zur „Nationalen Volksarmee“ der DDR nicht geeignet. Beispielsweise war meine Sportbegeisterung nie so groß, dass mich Körperertüchtigung gelockt hätte, und als emotional egozentrischer Anarchist war mir unterordnender Gehorsam zutiefst zuwider. (In einem krankhaften Anfall von Übermachtssadismus spielte ich mit 14 einmal meinem engsten Freund gegenüber einen SS-Mann: Ich zwang den schwarz Gelockten durch brutale Gewalt dazu „Ich bin eine dumme Judensau!“ auszurufen, um freizukommen … und ich könnte nicht sagen, vor wem ich mich nachher mehr ekelte: vor ihm, der sich derart demütigen ließ, oder vor mir, dass ich zu so etwas fähig gewesen war …) Rund wurde meine Grundhaltung zum Thema Armee aber erst dadurch, dass es in der Klasse bei den Auseinandersetzungen mit der Staatsbürgerkundelehrerin einen einzigen Schüler gab, der nach dem Lehrerinnenmund gerecht werdenden Antworten suchte. Dieser Speichellecker mit mäßigem geistigen Niveau strebte an, Offizier zu werden. Ich konnte ihn mir sehr gut in preußischen Stiefeln vorstellen. Das schon vorher geprägte Bild, Körperkraft zeigten die, denen es an Geisteskraft mangelte, wurde untermauert – nur eben auf höherer Ebene. Auch ich bin nicht frei von Vorurteilen ...
Die Stabü-Lehrerin hat bei mir dann doch etwas bewegt. Im Nachhinein tut sie mir leid. Es war mir ein teuflisches Vergnügen, den ungeliebten „Rotlicht“-Unterricht zu sprengen. Hier konnte ich spitzfindigste Raffinesse an die Front werfen. Ich hatte die meisten Schulbücher schon vor Beginn der Unterrichtsjahre überflogen. Im Staatsbürgerkunde-Lehrbuch fiel mir dabei etwas auf: Außer bunten Bildchen gab es Kästchen mit Zitaten der „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus, die ich sozusagen als die Verkündigung Moses ansah (so waren sie wohl auch gemeint), während der eigentliche Text das profane Bla-Bla war. Das Gute daran: Es ließen sich in dem profanen Zeug Widersprüche zu Gottes, Pardon: Marxens, Kernsätzen in den Kästchen finden. Also sprengte ich Stunden mit Beweisversuchen, dass das, was wir gerade als wunderbare Wirklichkeit unserer größten DDR aller Zeiten erklärt bekommen sollten, gar nicht das war, was der große Marx sich als sozialistische Gesellschaft vorgestellt hatte. Widerspruch als Denksport.
Die intelligenten Mitschüler verfolgten die Diskussionen mit Vergnügen und unterstützten mich nach bestem Wissen. Die weniger intelligenten freuten sich, dass die Stunden nicht als langweilige Lernstunden versandeten. Nur eben jener Möchtegern-Offizier mühte sich um Unterstützung der Lehrerin. Die war von uns Jungen begeistert. Weil wir so offen Interesse zeigten, ließ sie ihre Stundenvorbereitung in der Tasche und versuchte, unser Denken zu lenken. Argumente wurden nicht niedergeschlagen und „Erklärungen“ vermittelt, wie wir etwas sehen sollten, sondern sie versuchte, uns die Widersprüchlichkeit von Vorgängen begreiflich zu machen. Wir sollten nicht einfache Antworten geben, sondern alles aus der Bewegung heraus sehen - unter der Oberfläche des offen Sichtbaren gebe es erkennbare Zusammenhänge, um deren Aufdeckung wir uns bemühen sollten – das nenne man im Sinne von Marx zu handeln und das könne sogar Spaß machen.
Sie verführte mich damit zu einem Trugschluss: Voreiligerweise dachte ich, so sei politische Bildung. ...

Gunda Jaron skizziert das Bild eines Paars, das nichts anderes tut, als weiter "nebeneinander" zu leben. Eigentlich ist alles gesagt, wenn man sich nichts sagt. Slov ant Gali dagegen hofft, mit seinem Einstiegsgedicht "Seitensprung" vor dem eigentlichen Text von "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" klar zu machen, dass mit dem Tod der DDR seine frühere Gewissheit ... mit einem Aber an der Hand herumlaufen ....

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