Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (7)
... Fahnenappelle waren mir kleinem
Anarchisten schon des Einordnens wegen suspekt. Zum Glück hielt sich
die Zahl derartiger Veranstaltungen für mich in engen Grenzen. Als
wir im Unterricht Friedrich Wolfs „Kiki“ behandelten, wurde diese
Geschichte sofort eine meiner liebsten. Die „Haltung“ des Hundes,
die „Würde“ eines Zwangsappells durch Jaulen lächerlich zu
machen, entsprach so ganz meinem Wesen. Ich starb sozusagen im Kreis
der trauernden Gefangenen und fühlte mich zugleich als einer der
ihren. Dabei begriff ich erst viel später, dass die „Bösen“ in
der Erzählung nicht einmal „echte“ Faschisten gewesen waren,
sondern sich ihnen Andienende.
Gemeinschaftliches Basteln und Malen
und Sport waren mir der blanke Horror. Weil ich es nicht konnte,
wollte ich es nicht. Je klarer ich diesen Zusammenhang an mir
feststellte, umso besser begriff ich meine Mitschüler, die Grauen
vor den Mathestunden empfanden, weil sie mit lauter Unlösbarem
zusammenstießen.
Dafür war das Pionierhaus, genauer die
Pionierbibliothek darin, für mich das Paradies. Das Haus wegen
seiner vielen Möglichkeiten, die Bibliothek … Ich glaube, schon in
der 5. Klasse hatte sie mir kaum noch Neues zu bieten und ich
besuchte eine „normale“. Mein Schnitt waren vier bis fünf
„richtige“ Bücher pro Woche. Ich las kaum Kinderbücher, sondern
reiste in die Welten von Maupassant, Balsac, Dickens und vielen
anderen. Ich hatte trotzdem keine Ahnung, was eine Nutte wirklich war
– ich empfinde heute weder mein Unwissen als Mangel noch die
Tatsache, dass es in meinem Schwerin keine gegeben hat.
Durch jene sehr wilden,
individualistischen Reisen durch die Weltliteratur veränderte sich
unbemerkt und unterschwellig mein „Blick“. Ich war ein Junge, der
zu viel geschmökert hatte. Zwar in keinem Karl May, aber bei
Lieselotte Welskopf-Henrich, Jules Verne und überwiegend in Dingen,
die nicht für einen Elf-/Zwölfjährigen gedacht waren. Und die DDR
bot in der Folgezeit weitere Chancen zur Befriedigung meines wirren
Kunsthungers: Jugendstunden und Theaterkreise. Auf die Mischung kam
es an. So wirr, wie ich ahnungslos vor der „Weltkultur“ stand, so
bunt gemixt wurden uns monatlich verschiedenartige Erlebnisse
vermittelt. Opern, Schauspiele, Ballett, Heiteres … Das hatte einen
eigenen Reiz. Nicht immer hoch kulturellen. Da bemühte sich unsere
Musiklehrerin vergeblich um eine angemessene Einführung. Aber wir
besuchten gern auch Kunstveranstaltungen, die wir kaum verstanden,
denn was hätte es für einen besseren Vorwand gegeben, abends „die
Sau rauszulassen“? Nicht jedem wäre mit vierzehn erlaubt worden,
nach 22 Uhr durch die Straßen zu ziehen. Aber nach dem Theater …
Wie viel es bei jedem Einzelnen
Positives bewirkt hat – wer vermag das einzuschätzen? Aber jeder
hatte die Chance, seine Sinne zu schulen. Und das Staatstheater war
gut. Dass dies in irgendeiner Weise ein „soziales“ Problem sein
könnte (außer positiv im Sinne unseres Gruppenzusammenhalts), wäre
keinem eingefallen, denn jeder konnte sich die Karten leisten. Sie
kosteten uns ja kaum mehr, als ihr Druck gekostet hatte …
Dann setzte meine erste „Schreibphase“
ein. Gedichte ... sehr weise, das Wesen der Welt erklärende und so
hölzern holpernde, dass wirklich nur ich selbst von mir überzeugt
sein konnte. Aber es gab die verschiedensten Fördermöglichkeiten.
Einen Zirkel schreibender Arbeiter der deutschen Post beispielsweise
und viele andere. So begegnete ich unterschiedlichen Denk- und
Betrachtungsweisen. Das ging bis zum zentralen Poetenseminar der FDJ
im Schweriner Schloss und draußen in der Neubausiedlung. Begegnungen
mit kritischen „richtigen“ Schriftstellern, engagierten Menschen,
die alle dafür eintraten, schärfer hinzusehen, „mit dem Herzen“
zu sehen, sich einzubringen. Treffen wurden organisiert, die uns die
Widersprüche von Anspruch und Wirklichkeit von „unserem“
Sozialismus vor Augen führten. Fast noch Kinder erlebten wir jungen
Poeten die zerplatzende Illusion zukunftsfähigen Bauens. ...
Das humanistische Wort ist nicht tot. Ich danke Hanna Fleiss für ihre Ehrenrettung für dieses Blog, dass sie mit "Als die Bücher brannten..." wenigstens ein solches Gedicht "an die Front" warf, wie wir sie viele brauchten - immer wieder. Immerhin gibt es noch Künstler, die wenigstens versuchen, dem Widerstand emotionale Kraft zu verleihen. Lesungen anlässlich der Bücherverbrennung vor 80 Jahren nicht nur in Berlin zum Beispiel.In Potsdam, an neuem Ort (im "Freiland" (Friedrich-Engels-Str.22)) wurde nun am 10.5.2013 nach schweren Rückschlägen die antifaschistische Bibliothek des Norbert-Teppich-Vereins wieder eröffnet. Im kleinen Kreis zwar nur, doch mit großen Hoffnungen.
So wünsche ich mir, dass die Hoffnung, die in "An Johannes R." mit der Trauer um leichtfertig vergebene Chancen ringt, doch siegen möge. Dieses Gedicht ist in dem einen Textstrang "Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand" innerhalb des Buchs ""Gemeinschaft der Glückssüchtigen"", eigentlich im ganzen Buch, eines meiner Lieblingsgedichte ....
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen