Freitag, 10. Mai 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1734





Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (7)





... Fahnenappelle waren mir kleinem Anarchisten schon des Einordnens wegen suspekt. Zum Glück hielt sich die Zahl derartiger Veranstaltungen für mich in engen Grenzen. Als wir im Unterricht Friedrich Wolfs „Kiki“ behandelten, wurde diese Geschichte sofort eine meiner liebsten. Die „Haltung“ des Hundes, die „Würde“ eines Zwangsappells durch Jaulen lächerlich zu machen, entsprach so ganz meinem Wesen. Ich starb sozusagen im Kreis der trauernden Gefangenen und fühlte mich zugleich als einer der ihren. Dabei begriff ich erst viel später, dass die „Bösen“ in der Erzählung nicht einmal „echte“ Faschisten gewesen waren, sondern sich ihnen Andienende.
Gemeinschaftliches Basteln und Malen und Sport waren mir der blanke Horror. Weil ich es nicht konnte, wollte ich es nicht. Je klarer ich diesen Zusammenhang an mir feststellte, umso besser begriff ich meine Mitschüler, die Grauen vor den Mathestunden empfanden, weil sie mit lauter Unlösbarem zusammenstießen.
Dafür war das Pionierhaus, genauer die Pionierbibliothek darin, für mich das Paradies. Das Haus wegen seiner vielen Möglichkeiten, die Bibliothek … Ich glaube, schon in der 5. Klasse hatte sie mir kaum noch Neues zu bieten und ich besuchte eine „normale“. Mein Schnitt waren vier bis fünf „richtige“ Bücher pro Woche. Ich las kaum Kinderbücher, sondern reiste in die Welten von Maupassant, Balsac, Dickens und vielen anderen. Ich hatte trotzdem keine Ahnung, was eine Nutte wirklich war – ich empfinde heute weder mein Unwissen als Mangel noch die Tatsache, dass es in meinem Schwerin keine gegeben hat.
Durch jene sehr wilden, individualistischen Reisen durch die Weltliteratur veränderte sich unbemerkt und unterschwellig mein „Blick“. Ich war ein Junge, der zu viel geschmökert hatte. Zwar in keinem Karl May, aber bei Lieselotte Welskopf-Henrich, Jules Verne und überwiegend in Dingen, die nicht für einen Elf-/Zwölfjährigen gedacht waren. Und die DDR bot in der Folgezeit weitere Chancen zur Befriedigung meines wirren Kunsthungers: Jugendstunden und Theaterkreise. Auf die Mischung kam es an. So wirr, wie ich ahnungslos vor der „Weltkultur“ stand, so bunt gemixt wurden uns monatlich verschiedenartige Erlebnisse vermittelt. Opern, Schauspiele, Ballett, Heiteres … Das hatte einen eigenen Reiz. Nicht immer hoch kulturellen. Da bemühte sich unsere Musiklehrerin vergeblich um eine angemessene Einführung. Aber wir besuchten gern auch Kunstveranstaltungen, die wir kaum verstanden, denn was hätte es für einen besseren Vorwand gegeben, abends „die Sau rauszulassen“? Nicht jedem wäre mit vierzehn erlaubt worden, nach 22 Uhr durch die Straßen zu ziehen. Aber nach dem Theater …
Wie viel es bei jedem Einzelnen Positives bewirkt hat – wer vermag das einzuschätzen? Aber jeder hatte die Chance, seine Sinne zu schulen. Und das Staatstheater war gut. Dass dies in irgendeiner Weise ein „soziales“ Problem sein könnte (außer positiv im Sinne unseres Gruppenzusammenhalts), wäre keinem eingefallen, denn jeder konnte sich die Karten leisten. Sie kosteten uns ja kaum mehr, als ihr Druck gekostet hatte …
Dann setzte meine erste „Schreibphase“ ein. Gedichte ... sehr weise, das Wesen der Welt erklärende und so hölzern holpernde, dass wirklich nur ich selbst von mir überzeugt sein konnte. Aber es gab die verschiedensten Fördermöglichkeiten. Einen Zirkel schreibender Arbeiter der deutschen Post beispielsweise und viele andere. So begegnete ich unterschiedlichen Denk- und Betrachtungsweisen. Das ging bis zum zentralen Poetenseminar der FDJ im Schweriner Schloss und draußen in der Neubausiedlung. Begegnungen mit kritischen „richtigen“ Schriftstellern, engagierten Menschen, die alle dafür eintraten, schärfer hinzusehen, „mit dem Herzen“ zu sehen, sich einzubringen. Treffen wurden organisiert, die uns die Widersprüche von Anspruch und Wirklichkeit von „unserem“ Sozialismus vor Augen führten. Fast noch Kinder erlebten wir jungen Poeten die zerplatzende Illusion zukunftsfähigen Bauens.  ...


Das humanistische Wort ist nicht tot. Ich danke Hanna Fleiss für ihre Ehrenrettung für dieses Blog, dass sie mit "Als die Bücher brannten..." wenigstens ein solches Gedicht "an die Front" warf, wie wir sie viele brauchten - immer wieder. Immerhin gibt es noch Künstler, die wenigstens versuchen, dem Widerstand emotionale Kraft zu verleihen. Lesungen anlässlich der Bücherverbrennung vor 80 Jahren nicht nur in Berlin zum Beispiel.In Potsdam, an neuem Ort (im "Freiland" (Friedrich-Engels-Str.22)) wurde nun am 10.5.2013 nach schweren Rückschlägen die antifaschistische Bibliothek des Norbert-Teppich-Vereins wieder eröffnet. Im kleinen Kreis zwar nur, doch mit großen Hoffnungen.
So wünsche ich mir, dass die Hoffnung, die in "An Johannes R." mit der Trauer um leichtfertig vergebene Chancen ringt, doch siegen möge. Dieses Gedicht ist in dem einen Textstrang "Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand" innerhalb des Buchs ""Gemeinschaft der Glückssüchtigen"", eigentlich im ganzen Buch, eines meiner Lieblingsgedichte ....


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