Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (14)
... Die planorganisierte Nützlichkeit
verwandelte sich in eine Form des Sich-in-die-Taschen-Lügens. Ich
suchte im Unterbewusstsein bereits eine Fluchtmöglichkeit. Es war
nur vorübergehend ein Keim aufgegangen. So wäre unsere Gesellschaft
geworden …
Zu jener Zeit war ich mit einer
Abiturientin aus Berlin zusammen. Die hatte außer am „Unterrichtstag
in der sozialistischen Produktion“ noch nie einen Arbeiter in Natur
gesehen (Der Vater war Mediziner und Edelgrundstücksbesitzer, die
Mutter Hausfrau). Aber aus dem Staatsbürgerkunde-Unterricht nach
Lehrbuch „wusste“ sie, was und wie die Arbeiterklasse war – und
demzufolge nicht sein konnte – und zum anderen war ihr klar, dass
jemand, der behauptete, so etwas Unmögliches (also die Besäufnisse)
erlebt zu haben wie ich, nur ein Klassenfeind sein konnte. Nun war
ich immer sehr kritisch gewesen. Dass mir aber meine Bettgefährtin,
die keine Ahnung hatte, nicht nur erklären wollte, was ich erlebt
haben konnte und was nicht, sondern auch, dass ich ein „Klassenfeind“
war, reizte meinen Widerspruch. Ich nicht auf der Seite des
Sozialismus?! Du wirst schon sehen! Vielleicht bin ich bald selbst
Staatsbürgerkundelehrer – ich weiß dann wenigstens, wovon ich
spreche. Sie zeigte mir einen Vogel – hätt ich an ihrer Stelle
wohl auch. Aber ich meinte das spontan Gesagte ernst. Gleich in der
nächsten Woche lauerte ich am Arbeitsplatz auf eine Gelegenheit,
allein das Telefon benutzen zu können. Die Nummer der Hochschule,
die die von mir angestrebte Fachkombination Deutsch und
Staatsbürgerkunde anbot, hatte ich bereits herausgesucht. Kaum war
ich ungestört, erkundete ich mich nach einem freien Platz. Deutsch /
Staatsbürgerkunde nicht, aber Staatsbürgerkunde / Deutsch, bekam
ich zur Antwort. Na gut, nehm ich. Was muss ich denn tun? Einen
Antrag ausfüllen und zum Arzt und man schicke mir alle Formulare zu.
Das war im August. Einen Monat später
(!) begann ich mein Lehrerstudium. Die anderen Studenten hatten sich
natürlich ein Jahr früher beworben und waren im Mai bereits zu
einem Jugendlager zusammengetroffen.
Die Eile fiel später als Bumerang auf
mich zurück: Jeder zukünftige Lehrer wurde planmäßig gründlich
unter anderem vom Hals-, Nasen- und Ohrenarzt untersucht, nicht nur,
aber auch auf die Eignung der Stimmbänder. Die waren aufgrund eines
Bronchialinfekts bei mir in jenem August nicht zu begutachten. Der
Arzt schrieb also, dass er keinen Befund erstellen könne. Während
des Studiums stellte sich dann heraus, dass ich unter normalen
Bedingungen nicht zugelassen worden wäre. Aber da ich nun einmal
schon dabei war und ja wollte, konnte ich weitermachen.
Wenn ich heute von den vielen
Bespitzelungen höre, muss ich laut lachen: So schnell, wie in meinem
Fall eine absolut unbürokratische Lösung möglich gemacht worden
war, war damals keine Akte anzufordern und zu sichten. Selbst hier,
wo sich im Nachhinein eigentlich die spontane Entscheidung als Fehler
herausstellte, war sie etwas Positives.
Darf man mir verübeln, dass ich das
vergnüglich fand? Aus einer spontanen Tageslaune heraus landete ich
auf einem Pädagogenplatz – und noch dazu als Rotlichtbestrahler.
Ja, so anarchisch habe ich Staatsbürgerkundelehrer werden können. ...
Bei Ursula Gressmann heißt es heute "Wehmut" - da wünschen wir jedem viel Mut und möglichst wenig Weh.
Und was hält "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" dagegen? Diesmal das "Lied vom schwarzen Schaf", das Hohelied auf alle Querdenke und -handler ...
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