Freitag, 17. Mai 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1741




Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (14)



... Die planorganisierte Nützlichkeit verwandelte sich in eine Form des Sich-in-die-Taschen-Lügens. Ich suchte im Unterbewusstsein bereits eine Fluchtmöglichkeit. Es war nur vorübergehend ein Keim aufgegangen. So wäre unsere Gesellschaft geworden …

Zu jener Zeit war ich mit einer Abiturientin aus Berlin zusammen. Die hatte außer am „Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion“ noch nie einen Arbeiter in Natur gesehen (Der Vater war Mediziner und Edelgrundstücksbesitzer, die Mutter Hausfrau). Aber aus dem Staatsbürgerkunde-Unterricht nach Lehrbuch „wusste“ sie, was und wie die Arbeiterklasse war – und demzufolge nicht sein konnte – und zum anderen war ihr klar, dass jemand, der behauptete, so etwas Unmögliches (also die Besäufnisse) erlebt zu haben wie ich, nur ein Klassenfeind sein konnte. Nun war ich immer sehr kritisch gewesen. Dass mir aber meine Bettgefährtin, die keine Ahnung hatte, nicht nur erklären wollte, was ich erlebt haben konnte und was nicht, sondern auch, dass ich ein „Klassenfeind“ war, reizte meinen Widerspruch. Ich nicht auf der Seite des Sozialismus?! Du wirst schon sehen! Vielleicht bin ich bald selbst Staatsbürgerkundelehrer – ich weiß dann wenigstens, wovon ich spreche. Sie zeigte mir einen Vogel – hätt ich an ihrer Stelle wohl auch. Aber ich meinte das spontan Gesagte ernst. Gleich in der nächsten Woche lauerte ich am Arbeitsplatz auf eine Gelegenheit, allein das Telefon benutzen zu können. Die Nummer der Hochschule, die die von mir angestrebte Fachkombination Deutsch und Staatsbürgerkunde anbot, hatte ich bereits herausgesucht. Kaum war ich ungestört, erkundete ich mich nach einem freien Platz. Deutsch / Staatsbürgerkunde nicht, aber Staatsbürgerkunde / Deutsch, bekam ich zur Antwort. Na gut, nehm ich. Was muss ich denn tun? Einen Antrag ausfüllen und zum Arzt und man schicke mir alle Formulare zu.
Das war im August. Einen Monat später (!) begann ich mein Lehrerstudium. Die anderen Studenten hatten sich natürlich ein Jahr früher beworben und waren im Mai bereits zu einem Jugendlager zusammengetroffen.
Die Eile fiel später als Bumerang auf mich zurück: Jeder zukünftige Lehrer wurde planmäßig gründlich unter anderem vom Hals-, Nasen- und Ohrenarzt untersucht, nicht nur, aber auch auf die Eignung der Stimmbänder. Die waren aufgrund eines Bronchialinfekts bei mir in jenem August nicht zu begutachten. Der Arzt schrieb also, dass er keinen Befund erstellen könne. Während des Studiums stellte sich dann heraus, dass ich unter normalen Bedingungen nicht zugelassen worden wäre. Aber da ich nun einmal schon dabei war und ja wollte, konnte ich weitermachen.
Wenn ich heute von den vielen Bespitzelungen höre, muss ich laut lachen: So schnell, wie in meinem Fall eine absolut unbürokratische Lösung möglich gemacht worden war, war damals keine Akte anzufordern und zu sichten. Selbst hier, wo sich im Nachhinein eigentlich die spontane Entscheidung als Fehler herausstellte, war sie etwas Positives.
Darf man mir verübeln, dass ich das vergnüglich fand? Aus einer spontanen Tageslaune heraus landete ich auf einem Pädagogenplatz – und noch dazu als Rotlichtbestrahler. Ja, so anarchisch habe ich Staatsbürgerkundelehrer werden können.  ...




Bei Ursula Gressmann heißt es heute "Wehmut" - da wünschen wir jedem viel Mut und möglichst wenig Weh.
Und was hält "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" dagegen? Diesmal das "Lied vom schwarzen Schaf", das Hohelied auf alle Querdenke und -handler ... 

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