Roger Suffo: Pickel steht auf (2)
So war der Sommer für ihn Fluchtzeit.
Er hatte einen Waldsee entdeckt, richtiger eine Bucht mit einer
natürlichen kleinen Badestelle, die nicht genutzt wurde, weil sie so
abgelegen war. Wozu sollte man dorthin, wenn es in der Nähe viel
bessere Stellen gab. Also nur besser im Sinne, andere zu treffen.
Was konnte man nicht alles tun, wenn
man allein sein durfte. Die Stelle sah aus, als hätten vor Jahren
Soldaten hier ihre Idiotenspiele getrieben. Zumindest durchzogen
Vertiefungen die Lichtung in Ufernähe, die nur als ehemalige
Schützengräben, -löcher und Ähnliches zu erklären waren.
Hier konnte sich Pickel hinlegen, nackt
und scheinbar fern von allen Zwängen, und Spaziergänger hätten den
Weg um den See herum laufen können, ohne den Jungen im Gras, kaum
zehn Meter entfernt, bemerken zu müssen.
Meist hatte Benjamin seine Schulsachen
mit. Er machte seine Aufgaben, so gut es ging. Er las viel. Er
streckte seinen bloßen Hintern in die Höhe und lachte über das
angebliche Ozonloch, denn er bekam keinen Sonnenbrand, obwohl er sich
mit keinem Lichtschutzfaktorzeug einschmierte. Und er entdeckte sich.
Das heißt, entdeckt hatte ihn eine mittelgroße rote Ameise. Die war
über seine ruhende Männlichkeit gekrabbelt, und vielleicht hatte
sie nur aufräumen wollen. Auf jeden Fall verspürte Ben in dem Ast,
der sich an ihm immer mächtiger aufrichtete, plötzlich einen zart
stechenden oder brennenden Schmerz. Aber so einen … Also spontan
hatte Ben zwar den unverschämten Beißer abgeschüttelt. Später
aber hoffte er immer zielgerichteter auf solchen Besuch an jener
Stelle. Schon die Erwartung bescherte Ben eine bis dahin ungekannte
Lust. War dann einer der roten Lustschmerzkrabbler bissig, dann
schien sich der halbe Blutkreislauf an jenem abstehenden Stück zu
versammeln. Meist wechselte Ben nach solch einem ihn aus jedem
Zeitgefühl herausschleudernden Erlebnis die Stellung, weil die
Waldpolizisten danach in Ruhe einen weißlichen Schleimklecks zu
entsorgen hatten. Und jene Substanz war auf jeden Fall besser
abzubauen als gelegentliche fremde Plastikabfälle oder Coladosen.
Jeder Mensch macht gelegentlich einen
Fehler. Bei Ben war es der, dass er die drei Mädchen, die vielleicht
16 und somit zwei Jahre älter als er waren, an jenem Julinachmittag
nicht ernst genommen hatte. Das heißt, Ben war einfach zusehr in
seine Ameisensuche vertieft, als sie auf dem Weg vorübergingen. Also
sein nur noch halb hinhörendes Unterbewusstsein hatte gleich auf
Weitermachen geschaltet. Die Viecher spielten, seit er sie für sein
Spiel wollte, oft nicht mit. Es war, als ob er mit hochgestrecktem
Penis darauf wartete, dass ihn eine Pferdebremse dorthinein gestochen
hätte. Wahrscheinlich wäre er vorher am ganzen Körper zerstochen
worden.
Hanna Fleiss startet heute mit einem "Liebesgedicht": "Notausgang" ...
"Wat dem eenen sin uhl ..." ist bestimmt kein Liebesgedicht - aber eine besondere Betrachtung zum Künstler-Sein vielleicht schon ...
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