Sonntag, 26. Mai 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1749

Wie immer zuerst ein Häppchen Prosa, dann der Lyrik-Ausblick:

Roger Suffo: Pickel steht auf (2)


So war der Sommer für ihn Fluchtzeit. Er hatte einen Waldsee entdeckt, richtiger eine Bucht mit einer natürlichen kleinen Badestelle, die nicht genutzt wurde, weil sie so abgelegen war. Wozu sollte man dorthin, wenn es in der Nähe viel bessere Stellen gab. Also nur besser im Sinne, andere zu treffen.
Was konnte man nicht alles tun, wenn man allein sein durfte. Die Stelle sah aus, als hätten vor Jahren Soldaten hier ihre Idiotenspiele getrieben. Zumindest durchzogen Vertiefungen die Lichtung in Ufernähe, die nur als ehemalige Schützengräben, -löcher und Ähnliches zu erklären waren.
Hier konnte sich Pickel hinlegen, nackt und scheinbar fern von allen Zwängen, und Spaziergänger hätten den Weg um den See herum laufen können, ohne den Jungen im Gras, kaum zehn Meter entfernt, bemerken zu müssen.
Meist hatte Benjamin seine Schulsachen mit. Er machte seine Aufgaben, so gut es ging. Er las viel. Er streckte seinen bloßen Hintern in die Höhe und lachte über das angebliche Ozonloch, denn er bekam keinen Sonnenbrand, obwohl er sich mit keinem Lichtschutzfaktorzeug einschmierte. Und er entdeckte sich. Das heißt, entdeckt hatte ihn eine mittelgroße rote Ameise. Die war über seine ruhende Männlichkeit gekrabbelt, und vielleicht hatte sie nur aufräumen wollen. Auf jeden Fall verspürte Ben in dem Ast, der sich an ihm immer mächtiger aufrichtete, plötzlich einen zart stechenden oder brennenden Schmerz. Aber so einen … Also spontan hatte Ben zwar den unverschämten Beißer abgeschüttelt. Später aber hoffte er immer zielgerichteter auf solchen Besuch an jener Stelle. Schon die Erwartung bescherte Ben eine bis dahin ungekannte Lust. War dann einer der roten Lustschmerzkrabbler bissig, dann schien sich der halbe Blutkreislauf an jenem abstehenden Stück zu versammeln. Meist wechselte Ben nach solch einem ihn aus jedem Zeitgefühl herausschleudernden Erlebnis die Stellung, weil die Waldpolizisten danach in Ruhe einen weißlichen Schleimklecks zu entsorgen hatten. Und jene Substanz war auf jeden Fall besser abzubauen als gelegentliche fremde Plastikabfälle oder Coladosen.

Jeder Mensch macht gelegentlich einen Fehler. Bei Ben war es der, dass er die drei Mädchen, die vielleicht 16 und somit zwei Jahre älter als er waren, an jenem Julinachmittag nicht ernst genommen hatte. Das heißt, Ben war einfach zusehr in seine Ameisensuche vertieft, als sie auf dem Weg vorübergingen. Also sein nur noch halb hinhörendes Unterbewusstsein hatte gleich auf Weitermachen geschaltet. Die Viecher spielten, seit er sie für sein Spiel wollte, oft nicht mit. Es war, als ob er mit hochgestrecktem Penis darauf wartete, dass ihn eine Pferdebremse dorthinein gestochen hätte. Wahrscheinlich wäre er vorher am ganzen Körper zerstochen worden.  

Hanna Fleiss startet heute mit einem "Liebesgedicht": "Notausgang" ...
"Wat dem eenen sin uhl ..." ist bestimmt kein Liebesgedicht - aber eine besondere Betrachtung zum Künstler-Sein vielleicht schon ...

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