Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (8)
... Treffen wurden organisiert, die uns die
Widersprüche von Anspruch und Wirklichkeit von „unserem“
Sozialismus vor Augen führten. Fast noch Kinder erlebten wir jungen
Poeten die zerplatzende Illusion zukunftsfähigen Bauens. Aus der Not
geboren, schnell das Problem zu lösen, jedem, der Wohnraum brauchte,
welchen zu geben, wurden Siedlungen auf die Wiese gesetzt, die nach
etwa 25 Jahren planmäßig durch etwas Neues, Richtiges hätten
ersetzt werden sollen – was dann natürlich nie geschah. So
beschrieb es einer der Projektanten des Neubaugebiets Großer
Dreesch. Viel später erfuhr ich, dass einige der so eifrig
engagierten Autoren für das Ministerium für Staatssicherheit
Berichte geschrieben haben. Sie haben viel zu schreiben gehabt über
uns. Nein. Ich finde es nicht gut. Menschlich traurig. Aber bei
denen, von denen ich es hörte und die ich selbst erlebt hatte,
wusste ich: Aus niederen Beweggründen, zum Beispiel für Geld, haben
sie es nicht getan. Sie waren wirklich überzeugt, mit ihrem Tun dem
„Sozialismus“ zu nutzen. Dass sie ihm letztlich schadeten, hätte
ich damals noch nicht verstanden.
Ich war ehrgeizig, wollte immer besser
sein. Aber irgendwie war mir klar, dass ich meine eigenen Zensuren
nie wesentlich steigern konnte. Das wäre Zufall gewesen. Mir blieb
nur eine andere Freude: „leistungsschwache“ Mitschüler zu guten
Leistungen zu coachen. Also sie nicht abschreiben zu lassen, sondern
sie zu Ergebnissen zu führen, die „man“ ihnen nicht zutraute.
Das Gefühl, heimlicher „Vater“ einer guten Note Anderer zu sein,
war nicht zu überbieten. Da konnte mir niemand etwas vorwerfen –
Egoismus, Strebertum oder so.
In der Neunten trimmte ich unter
anderem einen Mitschüler, der ein total gestörtes Verhältnis zur
Mathematik hatte. Nun fiel ich in dem Fach immer noch aus dem Rahmen:
Extrem langsam beim Schreiben verwendete ich abgekürzte Wege, die
bei „normalen“ Schülern nicht akzeptiert worden wären. Mir war
umfangreiche Lernerei sowieso suspekt. Was sollte ich nun aber dem
Mitschüler erklären? Den vorgegebenen Weg Schritt für Schritt? Ich
entschied mich für die Logik, die ich für mich entwickelt hatte.
Immer wieder testete ich, was davon „haften geblieben“ war. Bei
jedem kleinen Gedanken fragte er unsicher nervend „Soo?“ Bis ich
dann irgendwann erklärte, er bekäme jetzt eine Aufgabe, die er bis
zum Schluss allein lösen müsse. Nachher würden wir prüfen, warum
eventuell was falsch sei. Mehrmals versuchte er, mich zu einem Blick
auf sein Blatt zu animieren. Endlich bot er mir eine Lösung an. Beim
ersten Blick schrak ich zurück. 14 Schritte waren normal, er hatte
sechs gebraucht, sodass ich erst rief, so ginge es nicht … Bis ich
feststellte, dass er aus dem, was ich ihm an Zusammenhängen erklärt
hatte, einen neuen Rechenweg entwickelt hatte. Plötzlich zerfiel
alle meine „genialische“ Überlegenheit. Nur Geduld war
geblieben, sich einem Problem eben anders als „normal“ zu nähern.
Ein „schwacher“ Schüler war also eigentlich nur einer, der
andere Anregungen zum Denken brauchte, als er üblicherweise erhielt.
In diesem einen Fall hatte ich solch eine Anregung gefunden. Welch
ungeheures Potential musste in den Menschen stecken, wenn man sich
ihrer geduldig annahm! Erstmals erschien mir „Leistung“ als
Produkt von Zufällen und nicht als Ergebnis „guter“ oder
„schlechter“ Schüler.
Am Ende der 10. Klasse gab es noch eine
„Offenbarung“. ...
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Sollte es in Bälde die Lyriksammlung "Manche nennen es Liebe ..." geben, dann wird voraussichtlich Ricardo Riedlinger im Autorenteam sein. Mit "Kreuzgang neu" war er vor vier Jahren im "Vorgänger" "Mit Blindenhund durchs Liebesland" vertreten.
""Gemeinschaft der Glückssüchtigen"" hat nur einen Autor (Slov ant Gali), enthält dagegen neben der Lyrik auch noch Texte, die verschiedenen literarischen Genres zugerechnet werden können. Hier nun daraus das Gedicht ".vom arbeiten.".
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