Dienstag, 17. April 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1362

Das eine der hier vorgestellten "Gedichte des Tages" hat schon einen öffentlichen Auftritt hinter sich. Es bot sich an für eine Kulturmahnwache der "Mütter gegen den Krieg" am Thälmann-Geburtstag. Keine Frage, welches. Schmunzeln musste ich gestern auch: Am gleichen Tag geboren wurden also Ernst Thälmann, der Papst und Eberhard Panitz, der mit "Meines Vaters Straßenbahn" ein wunderbares Buch zum Geburtstag präsentiert bekam ...


Wem wurde noch nie erklärt, das macht man nicht? Oder das darfst du nicht? Die größte Gefahr, die ich bei dem Slov-ant-Gali-Gedicht sehe, ist ein formales Kopfschütteln: So dichtet man heute nicht mehr. Aber da heißt es, allen Mut zusammennehmen, zu grinsen: Grass hat einfach gesagt, was er da geschrieben, sei ein Gedicht ... Warum soll ich nicht sagen, dies ist modern: "Mit Pathos zu lesen (U 50)" ?!

Wer weiß, welche "Erbschaft" einmal unsere Nachkommen von uns antreten. Aber vielleicht wäre es dann besser, sie könnten sie ausschlagen ...


Nun noch zum Fortsetzungsroman:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (25)


... Langweile ich dich?
Schließlich erzähle ich von der Gemeinschaft, in der du geboren wurdest. Die Saks sind dir ja von Anfang an vertraut. Du hast schon ihre Laute gehört, als du noch nichts davon verstanden hast. Was für mich wie ein wirres Aatschiatschascha klang, war deiner Mutter Sprache. Was für mich ein unheimlicher Forschungsgegenstand war, war dir normales Leben. Ich versuche mich also kurz zu fassen. Aber du musst auch einsehen, dass es lehrreich sein kann, das, was einem ganz normal und natürlich vorkommt, einmal mit den Augen eines Außenstehenden zu betrachten. Vielleicht gibt dir erst das die Möglichkeit, alles in Frage zu stellen – so wie du so Verständnis bekommst für mögliche Missverständnisse, wenn jener Außenstehende etwas Natürliches nicht kennt und dieses Natürliche für etwas Unnatürliches hält, weil es bei ihm eben anders ist.
Ich begann also meine Zeit als Voyeur. Ich wiederholte meinen Ausflug noch einmal, nachdem ich mir sicher war, dass das Dorf so etwas wie Wachen nicht kannte. Zehn Tage lang hatte ich dem Dorfleben zugesehen, ohne einen Menschen – so nannte ich die Wesen ja noch - mit einer Waffe in der Hand gesehen zu haben. War meine Perspektive so ungünstig oder waren sie so leichtsinnig oder gab es für sie einfach keine Gefahren? Letzteres konnte ich nach jener Begegnung mit den Fleischbergen auf Beinen absolut nicht glauben. Eine Lebenswelt, die keine Raubtiere kannte, widersprach aller Evolutionslogik. Überall, wo sich etwas entwickelt, entwickelt sich auch etwas, was verhindert, dass diese Entwicklung ausufert.
Der erste Versuch, den Übersetzer zu starten, war zum Fiasko geworden: Er vermochte gerade einmal etwa zehn Prozent der Zurufe eine wahrscheinliche Bedeutung zuordnen. Und er war der Meinung, insgesamt nur gut 200 wahrscheinliche Begriffe isoliert zu haben. So unscheinbar primitiv die geflochtenen Hütten auch sein mochten – sie setzten eine umfangreichere Kommunikation auf abstrakter Ebene genauso voraus wie ein abstraktes Vorausdenken erfordernder Ackerbau. Den glaubte ich ja auch schon entdeckt zu haben. Ob sie sich innerhalb ihrer Hütten mehr unterhielten? Letztlich war das nur herauszufinden, wenn ich sie innerhalb dieser Hütten beobachtete und belauschte.
Nein. Das war kein Abenteuer. Ich installierte umfangreiche Beobachtungstechnik in mehreren Hütten und verbarg sie, so gut das möglich war. Ich bildete mir sonst was darauf ein, so geschickt und lautlos vorgegangen zu sein, dass ich niemanden geweckt hätte. Wie naiv! Ein paar Wochen später fand sich die Erklärung meines „Erfolges“. In Wirklichkeit war wohl mehr als das halbe Dorf erwacht. ...

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