Samstag, 21. April 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1366

Endlich wieder der Ausblick. Gedichte des (kommenden) Tages:


Eines der poetischsten Gedichte von Jürgen Polinske ist "Am Morgen". Im Vergleich dazu ist mein folgendes natürlich völlig deplaciert ... sollte auf diesem Blog nicht thematische und formale Breite erreicht werden ...
Vor über einem Jahr war das Wolken-Motiv lyrisch aktuell auf diesem Blog. Ein Gedicht, das noch so wenig durchkomponiert war, dass es nicht in die entsprechende Kategorie passte, war "Wolke 4". auf jeden Fall ist es jetzt etwas verbessert ...


Trotzdem sofort dahinter die nächste Fortsetzung des utopischen Romanmanuskripts:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (29)




... Schimpf nicht mit mir. Ich brauchte eine Weile, bis ich die einzelnen Personen auseinanderhalten konnte, bis ich wusste, wenn die Karawane vom Feld am Fluss kam, wer in welche Hütte gehen würde. Erst dann fing ich an, ihnen Namen zu geben, richtiger, ich nummerierte sie. Den Hütten verpasste ich Buchstaben, mit A beginnend bei der vordersten Hütte mit Überwachungstechnik. Der älteste Mann darin bekam die 1, die älteste Frau die 2 und so weiter. Ich will ganz offen sein: Ich legte ein Verzeichnis an, wer mit wem in die Liebesnische ging, um mir sicher zu sein, wer mit wem zusammengehörte. Das ging zwar nur für die acht Hütten, die ich innen beobachten konnte, aber das Ergebnis war niederschmetternd. Unter den beobachteten Menschen gab es keine Frau, die nicht im Laufe einer Woche mehrmals mit mindestens einem der Männer in einer Nische gewesen wäre, nicht einmal die Greisinnen. Ich erwischte mich dabei, wie ich auf H 3 neidisch wurde, als sich H 12 vor ihm verbeugte – eine der jungen Frauen, die ich mir in meine Nische geträumt hätte.
Ich brauchte einige Tage, um zu begreifen, dass die Hütten also polygame Gemeinschaften waren. Eigentlich verstand ich das erst, nachdem ich das erste Mal den Besuch einer der Frauen aus G, nämlich der G 8, im A-Haus beobachten konnte.

Es war ein für mich wahnsinnig umständliches Verbeugungsritual: Beim Eintreten hatte sich G 8 vor allen Bewohnern von Hütte A andeutungsweise im Rund verbeugt, dann tief vor A 11, A 11 war verlegen stehen geblieben, hatte sich von einem zum nächsten gedreht, verbeugt, immer weiter, jeweils nachdem er eine Verbeugung als Antwort bekommen hatte, bis er mit allen Hüttengefährten fertig war. Dann verbeugte er sich vor G 8, dann verbeugten sich beide gemeinsam andeutungsweise noch einmal vor allen Hüttenbewohnern und verließen rückwärts die A-Hütte. Und ich ahnte es schon: Dasselbe wiederholte sich ähnlich in der G-Hütte, nur, dass die beiden dort nicht rückwärts nach draußen, sondern in die dortige Nische entschwanden. Wie gesagt, diesen Verbeugungsfilm von einer halben Stunde Länge verfolgte ich als Stummfilm. Allerdings haben sie nirgendwo viel gesagt.
Mir wollte die ganze rituelle Förmlichkeit so überhaupt nicht zu den sonstigen archaischen Lebensumständen passen. Ich muss wohl nicht betonen, dass der Film nach vollendetem Nischengesang noch einmal rückwärts abgespult wurde? G 8 brachte ihren A 11 ordentlich vor dem Schlafengehen wieder in seine Hütte zurück.
An diesem Abend konnte ich wieder nicht einschlafen – aber vor Lachen. Wenn man akzeptierte, dass alle nur in jener begrenzten Zahl von Nischen ihre Begegnungen zelebrierten, dann musste man schon das allseitige Einverständnis einholen, dass man im entscheidenden Moment jenen Platz für sich beanspruchte. Welch absonderliche Vorstellung für mich. ...

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