Eines der poetischsten Gedichte von Jürgen Polinske ist "Am Morgen". Im Vergleich dazu ist mein folgendes natürlich völlig deplaciert ... sollte auf diesem Blog nicht thematische und formale Breite erreicht werden ...
Vor über einem Jahr war das Wolken-Motiv lyrisch aktuell auf diesem Blog. Ein Gedicht, das noch so wenig durchkomponiert war, dass es nicht in die entsprechende Kategorie passte, war "Wolke 4". auf jeden Fall ist es jetzt etwas verbessert ...
Trotzdem sofort dahinter die nächste Fortsetzung des utopischen Romanmanuskripts:
Slov ant Gali / Gunda Jaron:
Ich wurde Gott (29)
... Schimpf
nicht mit mir. Ich brauchte eine Weile, bis ich die einzelnen
Personen auseinanderhalten konnte, bis ich wusste, wenn die Karawane
vom Feld am Fluss kam, wer in welche Hütte gehen würde. Erst dann
fing ich an, ihnen Namen zu geben, richtiger, ich nummerierte sie.
Den Hütten verpasste ich Buchstaben, mit A beginnend bei der
vordersten Hütte mit Überwachungstechnik. Der älteste Mann darin
bekam die 1, die älteste Frau die 2 und so weiter. Ich will ganz
offen sein: Ich legte ein Verzeichnis an, wer mit wem in die
Liebesnische ging, um mir sicher zu sein, wer mit wem
zusammengehörte. Das ging zwar nur für die acht Hütten, die ich
innen beobachten konnte, aber das Ergebnis war niederschmetternd.
Unter den beobachteten Menschen gab es keine Frau, die nicht im Laufe
einer Woche mehrmals mit mindestens einem der Männer in einer Nische
gewesen wäre, nicht einmal die Greisinnen. Ich erwischte mich dabei,
wie ich auf H 3 neidisch wurde, als sich H 12 vor ihm verbeugte –
eine der jungen Frauen, die ich mir in meine Nische geträumt hätte.
Ich
brauchte einige Tage, um zu begreifen, dass die Hütten also polygame
Gemeinschaften waren. Eigentlich verstand ich das erst, nachdem ich
das erste Mal den Besuch einer der Frauen aus G, nämlich der G 8, im
A-Haus beobachten konnte.
Es
war ein für mich wahnsinnig umständliches Verbeugungsritual: Beim
Eintreten hatte sich G 8 vor allen Bewohnern von Hütte A
andeutungsweise im Rund verbeugt, dann tief vor A 11, A 11 war
verlegen stehen geblieben, hatte sich von einem zum nächsten
gedreht, verbeugt, immer weiter, jeweils nachdem er eine Verbeugung
als Antwort bekommen hatte, bis er mit allen Hüttengefährten fertig
war. Dann verbeugte er sich vor G 8, dann verbeugten sich beide
gemeinsam andeutungsweise noch einmal vor allen Hüttenbewohnern und
verließen rückwärts die A-Hütte. Und ich ahnte es schon: Dasselbe
wiederholte sich ähnlich in der G-Hütte, nur, dass die beiden dort
nicht rückwärts nach draußen, sondern in die dortige Nische
entschwanden. Wie gesagt, diesen Verbeugungsfilm von einer halben
Stunde Länge verfolgte ich als Stummfilm. Allerdings haben sie
nirgendwo viel gesagt.
Mir
wollte die ganze rituelle Förmlichkeit so überhaupt nicht zu den
sonstigen archaischen Lebensumständen passen. Ich muss wohl nicht
betonen, dass der Film nach vollendetem Nischengesang noch einmal
rückwärts abgespult wurde? G 8 brachte ihren A 11 ordentlich vor
dem Schlafengehen wieder in seine Hütte zurück.
An
diesem Abend konnte ich wieder nicht einschlafen – aber vor Lachen.
Wenn man akzeptierte, dass alle nur in jener begrenzten Zahl von
Nischen ihre Begegnungen zelebrierten, dann musste man schon das
allseitige Einverständnis einholen, dass man im entscheidenden
Moment jenen Platz für sich beanspruchte. Welch absonderliche
Vorstellung für mich. ...
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