Wir sind hier natürlich offen für Experimente - und Ursula Gressmanns Beitrag "Annonce" ist wirklich ein Experiment. Sie hat Original-Kontaktanzeigen verarbeitet, bis durch das Ergebnis ... aber was da durchschimmert, sollte jeder für sich entscheiden ...
Gelegentlich muss ich auch einmal brav sein. Eigentlich wollte der Friedrichshainer Autorenkreis anlässlich seines 40jährigen Bestehens eine Anthologie mit Beiträgen aus allen Jahrzehnten zusammenstellen. Es sollten also auch frührere Aktive "reaktiviert" werden. Tja... aber wenigstens sollten die aktuellen Mitglieder z. B. einen Prosatext und bis zu 4 Gedichte von sich vorschlagen. Mein erster Vorschlag als Slov ant Gali wäre "vom königsfloh" ...
Bei einem begonnenen Romanmanuskript geht es nicht um Tradition. Da folgt einfach die nächste Fortsetzung auf die vorige:
Slov ant Gali / Gunda Jaron:
Ich wurde Gott (33)
... Obwohl
ich mich sehr bemüht hatte, meine fremden Menschen umfassend zu
beobachten, so erfasste ich nur ein sehr beschränktes Stück ihres
Lebens. Sobald sie zum Beispiel zum Arbeiten auf die Felder zogen,
bewegten sie sich meist außerhalb des Blickwinkels der Kameras.
Außerdem hatte ich mir sowieso angewöhnt, dort wenig hinzuschauen –
und sei es nur, weil die Dörfler zur selben Zeit arbeiteten wie ich
– ich also unterwegs war, wenn bei denen die Feldarbeiten liefen.
Dass es bei meiner Nischenstatistik Lücken gab, dass also einzelne
erwachsene Bewohner mitunter für mehrere Tage überhaupt nicht in
ihren Hütten gewesen waren, fiel mir erst später auf. Es gab
einfach keinen Grund, darüber nachzudenken. Nachdem ich auf eine
solche Idee gekommen war, sichtete ich die bis dahin vergangenen Tage
im Schnelldurchlauf. Ich hätte ja auch jemanden einfach übersehen
haben können. Schließlich stand aber fest, dass einige „meiner“
Menschen mehrere Tage nacheinander verschwanden, um dann wieder am
Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, ohne dass die anderen davon
Notiz genommen hätten.
An
diesem Morgen aber war alles anders. Ein Zug Erwachsener, wie ich
feststellte sieben Männer und eine Frau, ordnete eine Reihe Kinder.
Und es waren nicht irgendwelche Kinder; es waren
die zehn ältesten. Meine A 14 war unter ihnen. Ich verstand
noch immer nicht, wovon sie redeten, aber unverkennbar herrschte eine
nicht alltägliche Stimmung. Einige Kinder waren viel stiller als
sonst, andere total überdreht. Eine Mischung aus Angst und ...
Irgendwie erinnerte mich das an uralte Einschulungsbilder. Zu meiner
Kinderzeit kannten sich zwar die Erstklässler eigentlich alle schon
von vorher, aber die Erwachsenen machten aus dem Neuen etwas so
Besonderes, dass die Kinder früher oder später eine unterschiedlich
starke Beklommenheit packte. Jetzt fängt ein neuer Lebensabschnitt
an, jetzt wirst du bald erwachsen, jetzt ...
Nein,
das traf es nicht. Diese Szene hier war ein Abschied. Alle
Hüttenbewohner waren draußen, alle sagten etwas zu ihren
Sprößlingen, alle ... Aber der Zug verließ schon nach wenigen
Minuten jenen Bereich, in dem ihn eine meiner Kameras erfassen
konnte.
Da
geschah etwas völlig Neues und Wichtiges! Vielleicht klärte sich
jetzt die Frage, warum es in der Siedlung keine Jugendlichen im mir
vertrauten Sinn gab. Da musste ich hin! Ohne weiter nachzudenken
stieg ich in den Gleiter und programmierte einen Kurs auf den
nächstbesten Punkt, den der Zug passieren würde. Vorausgesetzt
natürlich, er behielt die eingeschlagene Richtung bei.
Ich
würde ihn in einem Versteck erwarten ...
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